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0.Die Wirtschaft im Ersten Weltkrieg nach rheinland-pfälzischen Quellen

Im Gegensatz zu 1939 war die deutsche Wirtschaft im Jahr 1914 nicht über mehrere Jahre auf den Ausbruch des Ersten Weltkriegs vorbereitet worden. Wenn wir auch heute wissen, dass bei weitem nicht alle militärischen Verantwortlichen von einem kurzen Bewegungskrieg ausgingen, ändert dies jedoch nichts an der Tatsache, dass sich das Deutsche Reich nicht mit der Schaffung bestimmter Voraussetzungen befasst hatte.
Rücklagen für die Finanzierung des Kriegs waren nicht gebildet worden. Das Deutsche Reich bezahlte den Krieg mithilfe von Kriegsanleihen, die die Bevölkerung erwarb. Insgesamt erbrachten die Anleihen ein Kapital von 95 Mrd. Mark. Diese Art der Kriegsfinanzierung brachte bereits im Laufe des Krieges eine steigende Inflation und damit sinkende Realeinkommen mit sich.
Bereits im Herbst 1914 wurde die Munition knapp, da der hierfür notwendige Salpeter nicht mehr aus Chile importiert werden konnte. Diese Krise, in der der Krieg deutlich früher hätte enden können, wurde dadurch überwunden, dass die BASF in einem neuen staatlich geförderten Werk in Oppau bei Ludwigshafen unter vergleichsweise effizienter Anwendung des Haber-Bosch-Verfahrens in großer Menge Natronsalpeter herstellte. In Friedenszeiten wäre diese Produktion nicht rentabel gewesen.  Dies ist ein Beispiel dafür, dass der Erste Weltkrieg für viele Unternehmen zu großen Veränderungen führte. Als wichtigste Gründe hierfür sind die beiden folgenden anzusehen:

0.1.Die britische Handelsblockade

Ein Butter- und Fettbezugsschein aus der Stadt Mainz[Bild: StA Mainz]

Durch die bereits kurz nach Kriegsbeginn durchgesetzte britische Seeblockade konnten viele Branchen nicht mehr in gleichem Maße wie im Frieden mit Rohstoffen versorgt werden. Dadurch wurde deren Rationierung  notwendig: Das heißt, bestimmte Materialien und Waren waren nicht mehr frei zu erwerben, sondern nur noch auf Bezugsscheine erhältlich. Besonders betrafen diese Maßnahmen die Lebensmittelversorgung der privaten Haushalte, aber auch die Betriebe, die  häufig zeitweise oder vollständig schließen mussten. Viele  Unternehmen waren gezwungen, ihre Produktion herunterzufahren oder ihre Produktpalette an die veränderte Rohstoffsituation anzupassen. Beispielsweise stand für Brauereien nur noch ein bestimmtes Maß an Gerste zur Verfügung. Wo es möglich erschien, wurden mit sogenannten "Ersatzstoffen" experimentiert. In der "Schuhstadt" Pirmasens, wo der Nachschub von Leder knapp wurde, wurde zumindest in der zivilen Schuhproduktion zunehmend Holz, Zellstoff und Pappe eingesetzt . Auch die Höchstpreise für lebensnotwendige Waren und Produkte wurden zunehmend von staatlicher Seite festgelegt.

Die Rückseite eines Butter- und Fettbezugsschein aus der Stadt Mainz.[Bild: StA Mainz]

Gleichzeitig brachen durch die Seeblockade auch verschiedene Absatzmärkte weg. Da sich das deutsche Reich vor Beginn des Ersten Weltkriegs Deutschland sich zu einem der weltweit größten Exportländer entwickelt hatte – exportorientierte Branchen wie die chemische Industrie machten gar 80 % ihres Umsatzes im Ausland – hatte dies besonders starke Auswirkungen. Dieser Industriezweig verlor dadurch langfristig wichtige Marktanteile auf dem Weltmarkt.  Zuvor international aktive Firmen verloren die Kontrolle über Tochtergesellschaften im Ausland.
Sukzessive erfolgte im Deutschen Reich eine Umstellung bestimmter Industriezweige wie dem metallverarbeitenden Gewerbe auf kriegswirtschaftliche Produkte, die diesen Gewinne versprach oder zumindest Verluste verringerte. Auch andere, als lebensnotwendig anzusehende Branchen wie bestimmte Teile der Lebensmittel- und Bekleidungsindustrie wurden demzufolge als kriegswichtig behandelt und besser versorgt als andere. Ausgesprochene Konsumbranchen wie die Zuckerindustrie wurden, abgesehen von Ausnahmen wie für den "medizinischen" Einsatz von Lakritze an der Front, deutlich kürzer gehalten. Parallel hierzu veränderte sich auch die Nachfrage der Zivilisten, da aufgrund sinkender Einkommen gewisse Anschaffungen nicht möglich erschienen.

0.2.Der Arbeitskräftemangel

[Bild: StA Speyer]

Da viele Arbeitnehmer zum Heer eingezogen und in West oder Ost an der Front eingesetzt wurden, machte sich in fast allen Bereichen der Wirtschaft ein Mangel an Arbeitskräften bemerkbar.


Frauenarbeit

[Bild: StA Speyer]

Um dieser Schwierigkeit zu begegnen, stellten Unternehmen in vielen Bereichen, teilweise auch in der Rüstungsproduktion, zunehmend Frauen ein. Manche Betriebe, wie das MAN-Werk in Gustavsburg, waren hier zurückhaltender. So berichtete ein Chronist des Unternehmens 1940: "Im Werk Gustavsburg zog sich der Beginn der Frauenarbeit hin, denn die Leitung war der Meinung, daß die Arbeit für Frauen zu schwer sei. Dennoch war man im August 1915 gezwungen, Frauen als Ersatzkräfte aufzunehmen. Die neueingestellten Arbeiterinnen setzten sich aus der Landwirtschaft und den Familien der Werksangehörigen zusammen. Es ergab sich, daß es sehr schwer war, die Frauen für die neue ungewohnte Arbeit anzulernen und ihnen die Angst vor der Maschine zu nehmen. […] Nach Einführung der Granatendreherei gewöhnten sich die Frauen immer mehr an die Fabrikarbeit, sodaß sehr bald, wenn auch im bescheidenen Umfange, in sämtlichen Abteilungen des Werkes Frauen beschäftigt wurden." (Werner Foth, Soziale Chronik 100 Jahren M.A.N., S. 12, Historisches Archiv der MAN Augsburg)
Die in den vorhergehenden Jahrzehnten verschärften Arbeitsschutzbestimmungen für Frauen und auch für Kinder wurden im Ersten Weltkrieg wieder gelockert.

Kriegsgefangeneneinsatz

Russische Kriegsgefangene 1915 in Bretzenheim [Bild: StA Mainz]

Ein weiteres Mittel zur Kompensation des Mangels an Arbeitnehmern war der Einsatz von Kriegsgefangenen, der im Verlauf des Krieges professionalisiert wurde. Am 1. August 1916 wurden bereits 90 % der 1,6 Mio. Kriegsgefangenen im Deutschen Reich als Zwangsarbeiter beschäftigt. Mehr als die Hälfte von ihnen war in der Landwirtschaft eingesetzt. Ein nicht zu unterschätzender Anteil von Kriegsgefangenen arbeitete in der Industrie.  Häufig handelte es sich nicht um Großbetriebe: Bei Kriegsende kamen im Durchschnitt auf die Betriebe, die ausländische Soldaten beschäftigten, zwei Zwangsarbeiter. Nachdem in den ersten Kriegsjahren große Lager für die Kriegsgefangenen angelegt worden waren, lebte die große Mehrheit von ihnen entweder in kleinen Gruppen oder direkt bei ihren Arbeitgebern. Nur wenige Gefangene wie die Offiziere wurden nicht zur Arbeit eingesetzt; deren Beschäftigung verbot die Haager Landkriegsverordnung. Die Zwangsarbeiter wurden im heutigen Rheinland-Pfalz unterschiedlich wahrgenommen: Teilweise wurden französische Kriegsgefangene mit der Begründung nach Nord- oder Ostdeutschland verlegt, die Bevölkerung behandle sie zu freundlich. Andererseits finden sich auch viele negative Einschätzungen von Kriegsgefangenen, wie in einem Eintrag in der Schulchronik von Kastel im Landkreis Trier-Saarburg vom 22.8.1915:
"Russen in Castel. Heute kam ein Trupp kriegsgefangener Russen unter Aufsicht ihrer Bewachungsmannschaften durch Castel. Dieselben sind bei dem Erweitungsbahnbauin Serrig beschäftigt und machten einen Ausflug nach der Klause. Es sind kräftige, stämmige Burschen, die sich in der Gefangenschaft anscheinend wohl fühlen. Unter lautem Gesang - eine eintönige, schwermütige Melodie – marschierten sie durchs Dorf, angestarrt von alt und jung. Der mickrige, knochige Schädel, die tiefliegenden, etwas schlitzten Augen verrieten sofort den Slaven und gaben dem Gesichtsausdruck einen etwas gemeinen und brutalen Zug. Wie stünde es wohl um Kastel, wann die Russen hier als Sieger eingerückt wären?" (Kreisarchiv Trier-Saarburg, Bestand F Nr. 31.2)

Kinderarbeit

Schließlich wurden auch Kinder und Jugendliche verstärkt zur Arbeit herangezogen, vielfach in der Landwirtschaft. So dauerten die Schulferien in Geisfeld im Kreis Trier-Saarburg im Jahr 1915 zwei Wochen länger:

"Die Ferien mußten 14 Tage verlängert werden, weil die Leute nach Ablauf der ersten 4 Wochen mit der Kartoffelernte sehr weit zurück waren: Es fehlte nämlich an Arbeitskräften, da bis zum Herbste die Zahl der Einberufenen bedeutend gestiegen war. Die Schulkinder mußten darum auch in diesem Jahr mehr als in früheren Jahren bei der Kartoffelernte helfen. Der Ertrag der Kartoffelernte war sehr befriedigend, sehr reichlich. Jeder Bauer hatte riesen Überfluß und konnte eine Menge verkaufen. Der Preis war pro Zentner 3,50 M-4 M." (Schulchronik der Schule Geisfeld 1875-1957, Kreisarchiv Trier-Saarburg, Bestand F Nr. 18.1) Neben Erntetätigkeiten kamen jungen Deutsche auch bei verschiedenen Sammlungen  zum Einsatz. Zum Beispiel suchten Schulkinder in Bad Ems im Schuljahr 1916/17 Blätter verschiedener Beerenarten, aus denen anstelle des knappen Kaffees und Schwarztees Tees gekocht werden sollten. (Schulchronik Bad Ems: Schuljahr 1916/1967, StA Bad Ems)

0.3.Kriegsende

Mit Ende des Krieges endeten gerade im heutigen Rheinland-Pfalz die wirtschaftlichen  Schwierigkeiten bei weitem nicht. Das Gebiet blieb über mehrere Jahre, teilweise bis Mitte 1930, von Frankreich besetzt. Die Besatzungsmacht griff ähnlich wie schon das Deutsche Reich in vielerlei Hinsicht in die Wirtschaft ein; bestimmte Rohstoffe blieben rationiert. Auch der Handel mit den Regionen außerhalb der besetzten Zone gestaltete sich schwierig. In den ersten Nachkriegsjahren verstärkte sich die bereits im Krieg angestiegene Inflation bis zur Hyperinflation und konnte nur durch einen Währungsschnitt beseitigt werden.

Verfasser: Ute Engelen

Erstellt am: 31.01.2014

Allgemeine Literatur:

  • Daniel, Ute (1989): Arbeiterfrauen in der Kriegsgesellschaft. Beruf, Familie und Politik im Ersten Weltkrieg. Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht (Kritische Studien zur Geschichtswissenschaft, 84).
  • Deutsches Historisches Museum (Hg.), Der Erste Weltkrieg, http://www.dhm.de/lemo/html/wk1
  • Feldman, Gerald D., Armee, Industrie und Arbeitsschaft in Deutschland 1914-1918, Berlin 1985.
  • Herbert, Ulrich, Zwangsarbeit als Lernprozeß. Zur Beschäftigung ausländischer Arbeiter in der westdeutschen Industrie im Ersten Weltkrieg, in: Archiv für Sozialgeschichte 24 (1984), S. 285-304.
  • Hirschfeld, Gerhard; Krumeich, Gerd, Deutschland im Ersten Weltkrieg, Frankfurt am Mainz 2013.
  • Koch, Christian, Bildpropaganda für die deutschen Kriegsanleihen im 1. Weltkrieg, München: 2006.
  • Ritschl, Albrecht, The pity of peace: Germany's economy at war, 1914-1918 and beyond, in: Broadberry, Stephen u. a. (Hg.), The economics of World War I, Cambridge 2005, S. 41-76.
  • Roerkohl, Anne, Hungerblockade und Heimatfront. Die kommunale Lebensmittelversorgung in Westfalen während des Ersten Weltkrieges, Stuttgart 1991 (Studien zur Geschichte des Alltags, 10).
  • Rudloff, Wilfried, Soziale Lage der Arbeiterschaft, Ernährungskrise und kommunalpolitische Integration im Ersten Weltkrieg, in: Führer, Karl Christian u. a. (Hg.), Revolution und Arbeiterbewegung in Deutschland 1918-1920, Essen 2013, S. 97–119.
  • Westerhoff, Christian, Zwangsarbeit im Ersten Weltkrieg. Deutsche Arbeitskräftepolitik im besetzten Polen und Litauen 1914-1918, Paderborn 2012 (Studien zur historischen Migrationsforschung, 25).


Regionale Literatur:

  • Brüchert, Hedwig, Frauen- und Kinderarbeit in der Provinz Rheinhessen 1890-1918, unter besonderer Berücksichtigung der Stadt Worms. In: Der Wormsgau. Wissenschaftliche Zeitschrift der Stadt Worms und des Altertumsvereins Worms (19) 2000, S. 103–128.
  • Hemmerich, Evelyn, Dörflicher und kleinstädtischer Kriegsalltag im Ersten Weltkrieg. In: Jahrbuch für westdeutsche Landesgeschichte 37 (2011), S. 343–379.
  • Senner, Martin: Die Russen in der Klappergasse. Ein Beitrag zur Geschichte Kreuznachs im Ersten Weltkrieg. In: Landeskundliche Vierteljahrsblätter 53 (2007), H. 2, S. 37-46, H. 3, S. 79-91.
  • Süss, Martin, Rheinhessen unter französischer Besatzung. Vom Waffenstillstand im November 1918 bis zum Ende der Separatistenunruhen im Februar 1924, Stuttgart 1988 (Geschichtliche Landeskunde, 31).
  • Verein für Sozialgeschichte Mainz (Hg.) (Hg.) (2008): Mainz und der Erste Weltkrieg.
  • Weiter-Matysiak, Barbara, "Heimatfront" im Trierer und Saarburger Land. Der Erste Weltkrieg im Spiegel regionaler Schulchroniken, in: Kreisverwaltung Trier-Saarburg (Hg.), Jahrbuch Kreis Trier-Saarburg 2014, Trier 2013, S. 23-37.