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0.Die Straßen, die nach und zu Mogontiacum führten

von Josef Heinzelmann

Tous les points de franchissement faciles des fleuves constituent évidemment des positions clefs: à l'origine ce furent des gués… Pour bien comprendre l'importance de certaines passages de rivières, il faut suivre avec suffisamment de recul les itinéraires terrestres qui y convergent, ceux en particulier qui créent des relations politiques de longue portée… Une fois reconnues les lignes maîtresses de la topographie, on analysera le site urbain de plus près. Des ravins latéraux à secs, des rampes en hémicycle peuvent ménager une transition de la vallée au plateau et faciliter l'accés des routes. La ville s'est-elle développée le long du fleuve – c'est le cas de Paris, bien que le pont celtique ait suggéré la direction du ‘cardo‘ – ou en lui tournant le dos (exemple de Rome)? On étudiera de même si la ville est née du pont ou inversement, quelle est la chronologie des ponts, les plus vieux à l'intersection du fleuve avec d'anciens chemins, leur hiérarchie, selon qu'ils desservent des besoins intérieurs ou des communications à grande distance… Les têtes de pont ont joué un rôle important dans le développement urbain. Sur beaucoup de grands fleuves, comme le Rhône ou le Rhin, on observe un dualisme des rives. Lyon franchit le Rhône tardivement, mais peu à peu la tête de pont de la rive gauche attira la patte d'oie des grandes voies d'outre-mont…[Anm. 1]

…poderose basi offensive-difensive. Ed è appunto questa notevole importanza che mostrano di assumere i ‘ponti di confine‘ sotto il profilo stategico, tattico e logistico, nonché la stessa eventuale presenza di truppe legionarie a loro difesa, (con tutto quello che comportava di famigliari, schiavi, commercianti o di gente rivolta ad atti­vità di vario genere), che spiega la formazione di agglomerati urbani sempre più im­portanti lungo le aree di confine dell'impero, quali mostrano di essere, sopratutto lun­go il Reno, le città di Magonza, di Coblenza, di Colonia o di Xanten …, sicché a diritto il ponte può essere considerato l'effettiva ‘matrice‘ di tante città del mondo romano, sopratutto di quelle erette per fini strategici lungo le fase limitanee[Anm. 2].

Die Erde schlang / das Wissen von dem Weg, den Ingenieure planten / und den die Sklaven der Cäsaren mühevoll gelegt / … deutlich darauf hinzuweisen, / daß eine Straße (das Symbol des Zueinanderkommens!) / nur dann bestehen bleibt, wenn sie dem Frieden lange nützt.[Anm. 3]

Die von Gerd Rupprecht und Marion Witteyer geleitete Ausgrabung an der damaligen Lothar- (jetzt Römer-)passage in der Mainzer Stadtmitte wies eine römerzeitliche Kultstätte für Isis und Magna Mater nach, die in räumlicher Nachfolge vorrömischer Bestattungen stand. Einer dieser Grabhügel geht auf ungefähr 650 v. Chr. zurück, wie eine dendrochronologische Untersuchung der Grabkammer ergab. Grabstätten wurden vor und während der Römerzeit nicht in einer Siedlung, sondern unweit außerhalb neben einer Straße angelegt. Das heißt, hier zog schon lange vor den Römern eine (Fern)straße vorbei: Grosso modo die zur späteren Brücke führende mittelalterliche „Markt“-, heutige Emmeranstraße. Bevor und wohl auch als sich der Isis-Kult hier einrichtete, war das Gelände nicht besiedelt, was kulturgeschichtlich zu erwarten war [Anm. 4] und archäologisch nachgewiesen wurde. Aber zumindest die „Emmeranstraße“ bestand schon, schon seit Jahrhunderten, besteht bis heute weiter.      

Das ist eine ganz grundlegende, bisher vorstellbare, aber nicht vorgestellte Tatsache. War nämlich die Emmeran- eine vor- und frühgeschichtliche Fernstraße, führte sie zu einem vorgeschichtlichen Flussübergang an der Stelle der späteren römischen Brücke, kaum als Furt, höchstwahrscheinlich als feste, zuverlässige Fährverbindung.

Die diesem Aufsatz vorangestellte Behauptung Galliazzos, die römische Brücke sei die "matrice" der Stadt Mainz, ist zwar erklärbar aus seiner Sicht der Ein- und Erstmaligkeit des römischen Brückenbaus, aber diese Brücke wurde von den Römern nicht in eine unberührte Geographie gesetzt, sie war nur die Verbesserung und Verfestigung eines bereits bestehenden Übergangs, der während der Germanenkriege auch für die römischen Eroberer allerhöchste Bedeutung bekam, wie Abb. 1 (übergeordnete verkehrsgeographische Leitlinien für Gallien und Germanien) belegt.

Mogontiacum trug wie im übrigen Gallien Vesontio, Mastico, Cabillonum, Tullum, Lugdunum, Autissiodurum usw. einen vor-römischen, nur in der Endung latinisierten substantivischen Namen, im Gegensatz zu Neugründungen wie Köln, Xanten, Autun, Arae Flaviae usw., im Gegensatz auch zu attributiven Namen wie Augusta Treverorum, Colonia Ulpia Traiana, Civitas Nemetum, Aquae Mattiacae. Dies, wie auch die Funktion des Platzes für Verkehr, Handel und Krieg, lässt auf eine größere vor-römische Siedlung mit einer gewissen Kontinuität in die Römerzeit schließen. Ihren genauen Standort kennen wir nicht, so wenig wie den Kern der frühen römischen Zivilsiedlung. Gewiss gilt die Feststellung, „… die Provinzhauptstadt Mogontiacum/Mainz stellte in ihren außerhalb des Lagers gelegenen Bereichen lange Zeit nichts anderes als eine Agglomeration von vici dar.“[Anm. 5] Aber einer war namengebend, der wichtigste, wohl der, der den Rheinübergang kontrollierte.

Im Gegensatz auch zu Neugründungen wie Köln und wohl auch Trier (an der strategisch wichtig gewordenen Kreuzung von Land- und Wasserweg von Metz nach Niedergermanien) und zahllosen Beispielen aus Frankreich und den mediterranen Ländern wurde für Mogontiacum (hier und im folgenden meine ich damit die Gesamtstadt) kein Bezug zum hippodamischen System gefunden, der rasterartigen Verteilung von Straßenraum und Bebauung, einem der Hauptkriterien für bewusste antike Stadtplanung. Für Mogontiacum ist eine Regelmäßigkeit der sehr vereinzelt gefundenen und nicht immer sorgfältig kartierten, sowieso kaum je zu datierenden innerstädtischen Straßen nicht zu erkennen. Wir können auch nicht von der Bebauung ausgehen, da wir von wichtigen Anlagen (etwa Praetorium, Forum, Kapitol, Amphitheater) noch immer nicht wissen, wo sie lagen, nicht einmal, wo sie gelegen haben könnten. Aus den bisherigen Fundberichten sind auch die römerzeitlichen Begräbnisse selten ganz genau zu lokalisieren und zu datieren, was wegen ihres Bezugs zu Straßen und ihrer Lage außerhalb der Siedlung Aufschlüsse gäbe. Die spätrömische Stadtmauer mit ihren Toren hilft wenig; sie wurde bei ihrem in Etappen erfolgten Bau nachträglich den mittlerweile entstandenen Gegebenheiten angepasst.

Auch eine spätere Geschichte mit Zerstörung, Verfall und Neuaufbau auf planiertem Ruinenfeld kann den Mangel erkennbarer städteplanerischer Struktur nicht erklären. Ist also Mogontiacum "gewachsen"? Aus welchen Voraussetzungen? Hilft heuristisch vielleicht die Frage nach weiteren vorgegebenen, den Grundriss von Mogontiacum bestimmenden "Ur"-straßen, wie wir eine in der Emmeranstraße erblicken können?

0.1.Allgemeine Voraussetzungen der Altstraßenforschung

Altstraßen-Forschung ist ein Tummelfeld für archäologische Dilettanten wie mich. Gerd Rupprecht, Marion Witteyer und vor allem Jens Dolata von der staatlichen Denkmalpflege haben mir große Hilfe geleistet, wohl weil sie von einem Nicht-Archäologen in dieser Materie Ergebnisse erwarten. Denn unerlässlich ist eine Zusammenschau von Einzelbeobachtungen aus unterschiedlichen Disziplinen: Archäologie, Geschichte, Quellenkunde (historische Kartographie), Etymologie (Flurnamen, Hodonymie), Geländekenntnis, Siedlungsgeschichte. Eine Vertiefung und Überprüfung der Vogelperspektive durch örtliche Einzeluntersuchungen kann das Bild korrigieren und bereichern, aber auch umgekehrt; man muss immer gleichzeitig in mehreren Maßstäben denken. Dabei ist vorauszuschicken, dass Altstraßen oft schon lange vor der Römerzeit benutzt wurden. Man darf sie gleichwohl Römerstraßen nennen, da vor 1800 nur in den etwa fünf Jahrhunderten Römerherrschaft ein systematischer Ausbau des damals besonders intensiv benützten Straßennetzes stattfand.

Für das römische Straßennetz im linksrheinischen Vorfeld von Mainz gibt es leider nur überholte und teilweise irrige Darstellungen. Für die ehemalige Rheinprovinz ist das historische Straßennetz von Hagen und Beier in größerem Zusammenhang untersucht worden.[Anm. 6] Für das ehemalige Rheinhessen (un-preußisches Ausland) verlassen beide sich auf Sekundärliteratur. Die bisherigen kartographischen und textlichen Darstellungen der historischen Straßen in Rheinhessen sind jedoch lückenhaft und unzuverlässig.[Anm. 7] Es gibt einige Grundgesetzlichkeiten für Altstraßen: Möglichst direkte Führung nahe der Luftlinie, selbst auf Kosten von (bis 20 %, in Ausnahmefällen fast 30 %) steilen Anstiegen, Bevorzugung der Wasserscheiden, Vermeidung der Führung entlang von überschwemmungsgefährdeten, gewundenen Wasserläufen, Parallelstrecken. Man muss sich nur klarmachen, dass diese Straßen nicht schnellen PKWs dienten, sondern hauptsächlich Fußgängern und Reitern, Treibern von Saumtieren und Viehherden oder auch Karrenführern; für alle bedeutete jeder Kilometer Umweg einen erheblichen, militärisch vielleicht verhängnisvollen Zeitverlust. Bei den Fahrzeugen überwogen die einachsigen Karren; nur wenige Strecken waren für vierrädrige Karrossen und Wägen vorgesehen. Massengüter (Getreide, Baumaterialien, Brennstoffe, Wein, Öl) wurden auf den Wasserwegen transportiert, mit denen ich mich nicht beschäftige, deren Bedeutung für Mainz auch immer besser erforscht wird.

Selbst wenn ein alter Straßenzug nicht an jeder Stelle genau lokalisierbar ist, kann man ihn im Ganzen erstaunlich gut verfolgen. Eine Straße endet nicht plötzlich, um ein paar Kilometer weiter wieder neu zu beginnen. Sie macht auch nicht ohne ganz gewichtigen Grund plötzlich eine "Parallelverschiebung", wie etwa bei Wackernheim (s. Abb. 9). Dies wird von einer heute ungebräuchlichen Erscheinung begünstigt. Im Gegensatz zu den auf dem rechten Winkel beruhenden Stadt- und Lagergrundrissen und Grenzziehungen der Gromatik (römischer Landesvermessung) geschahen die Überquerungen (und Einmündungen, bzw. Abzweigungen) meist so spitzwinklig, wie sich Luftlinien eben schneiden, was beim Abschwenken zum anderen Ziel den Umweg minimiert. Von "Kreuz"ungen darf man eigentlich nicht reden. Ich will nicht Wörter wie "Ix"ung oder "Andreaskreuz"ung benutzen, doch entsprächen sie besser. Die gut dokumentierten Wegungen von Belginum nach Koblenz, Boppard, Kirchberg bilden einen so engen Fächer, dass die Reisenden noch nach einer Meile einander zurufen konnten. Offensichtlich hat man den Grundstücksverbrauch beim Straßenbau damals noch vernachlässigt. Fernstraßen waren, wo es das Gelände erlaubte, sehr breite Streifen. Wenn es – selten – eine gepflasterte Bahn gab, stiefelte man lieber auf einem parallelen Trampelpfad. Und je nach Wetter und Jahreszeit wechselte man die Spur, manchmal sogar die Straße. Das gilt auch für die Reittiere (ohne Hufeisen!) usw., die außerdem einen Grünstreifen für ihre Verpflegung benötigten. Da also diese Seitenstreifen (auch der Sicherheit halber) von Wald und Gesträuch frei waren, boten sie sich für Begräbnisstätten an, die ins Auge fallen sollten. Das war schon lange vor den Römern so.

Das römische Straßennetz war außerdem sehr viel dichter, als man annehmen möchte. Ich mache keine Unterschiede nach Ausbau (Marschierwege, gepflasterte Fahrstraßen[Anm. 8]) und juristischem Rang der Straßen (Privatwege, lokale Wege, Staatsstraßen). Dies variierte gewiss anhand der Wichtigkeit und Entfernung des jeweiligen Zieles und der Bodenbeschaffenheit und änderte sich, wenn diese an Bedeutung verloren oder gewannen. Im Vorfeld der Provinzhauptstadt waren wohl alle Straßen gepflastert und für Fuhrverkehr eingerichtet, sonst aber keineswegs.

Im Gegensatz zu heute mieden die wichtigeren Straßen auch die Siedlungsplätze (ausgenommen die typischen "Straßenvici" als Infrastruktur des Verkehrs). Ein Wohnplatz (meist als Einzelsiedlung, villa) sucht das Wasser, die Straße meidet es. Auch umgekehrt galten Gründe. Columella (1,5,6) gibt für den Bau einer villa den Rat, sie nicht an eine Fernstraße zu legen (nec iunctam militarem viam), weil eben viele Militärs und Beamte das Recht hatten, kostenloses hospitium einzufordern, wozu sogar die Gestellung von Zug- und Reittieren gehörte.

Im allgemeinen sind alte Straßen unter späteren begraben oder nicht mehr vorhanden, denn eventuelle Pflasterung diente als Steinbruch, und an Gefällstrecken ist selbst der Unterbau erodiert, bis nur mehr Hohlwege übrig blieben. Schon die Römer haben ihre Straßen immer wieder ausgeflickt, dadurch noch höher gelegt (Flurnamen "Damm" u. ä.), überbaut, je nach Bestimmungszweck und Ausbaustadium, und längst nicht alle waren "Steinstraßen", viae plateae (Flurnamen "Platz/Platte/Plätsch", "Zeil" u. ä.). Archäologische Aufschlüsse sind daher selten. Eine Freilegung auf längerer Strecke ist sowieso unmöglich. Querschnitte unterrichten uns über den römischen Straßenbau, auch über die Ausgestaltung und damit Zweckbestimmung der jeweiligen Straße, über Ausbesserungen u. ä., kaum je über genaue Datierungen von Anlage und Aufgabe. Für den Verlauf sind sie Anhalts"punkte". Archäologische Einzelnachweise von Straßenstellen bergen auch die Gefahr, dass sie falschen Straßenzügen zugeordnet werden und so eine irrsinnige Linienführung erschlossen wird. Als abschreckendes Beispiel diene die postulierte Rheinuferstraße zwischen Mainz und Bingen.[Anm. 9]

Vor allem die Untersuchungen von Beier machen deutlich, dass es für die meisten römerzeitlichen Fernstraßen „parallele“ Alternativen und zwischen diesen Verbindungslinien gab. Oft unterscheiden sich diese Varianten durch die Wahl zwischen Bergigkeit (Verlusthöhe, Längsneigungen) und Mehrweg als für Fuhr- oder Marschierverkehr bestimmt. Andere dienten zur Andienung von Abzweigungen und Kreuzungen. Doppel- oder Ausweichrouten gab es wohl auch aus militärischen Gründen: Damit ein möglicher Gegner nicht eine einzelne Straße sperren konnte, und auch damit sich die lange Schlange eines "Heerwurms" auf zwei oder mehr Wege verteilte, was die Verpflegungs- und Übernachtungs-Ressourcen verdoppelte und das Eintreffen der Nachhut beschleunigte. Natürlich gibt es in den wenigsten Fällen eine genaue Zeitstellung, ob die Alternativen gleichzeitig oder einander ablösend in Gebrauch waren.

Das überregionale Straßennetz  dürften die Römer auch im östlichen Gallien in seinen Grundzügen übernommen und ausgebaut haben, das beweist schon die Wahl des Standorts Mainz. Bestimmte es aber auch Lager- wie Städtebau? Zur Beantwortung dieser Frage versuche ich zunächst, das durch Mainz de-terminierte (durch den Ziel- bzw. Durchgangsort vorbestimmte) Straßennetz darzustellen, das die Trassen im Mainzer Stadtgebiet vorzeichnen müsste.

Es ist dies eine undankbare Aufgabe, denn leider sind die unter Napoleon angelegten "Urkataster" von Mainz und Rheinhessen weitgehend verloren oder zumindest unzugänglich, während sie in der preußischen Rheinprovinz und ausnahmsweise für Worms archiviert vorliegen. (In Laubenheim sollen sie noch in der Ortsverwaltung liegen, die Bretzenheimer sind in diesem Sommer abgeliefert worden.) Für Rheinhessen haben wir auch keine Karten der französischen Aufnahme unter Tranchot. Noch ältere Karten geben wie die vielen Festungspläne wenig sichere Auskunft. Der allernächste Umkreis von Mainz ist zusätzlich durch die Festungsbauten seit der Zeit des Barock arg überformt. Bodenfunde wurden dabei großflächig überbaut oder zerstört.         

0.2.Die Fernstraßen nach Mainz

Metropolen waren damals wie heute Ausgangs- und Zielpunkt erheblichen Verkehrs. Wir finden in alten Karten ein fast radial auseinanderlaufendes System von außerhalb des Stadtgebiets fast schnurgeraden Straßen und Wegen. Mainz war in der Römerzeit eine Metropole. Wie stand es mit ihren Verbindungen? Schauen wir zunächst einmal nicht so genau hin, bleiben wir im Maßstab von etwa 1:1 000 000 (Abb. 2). Welche Fernverbindungen waren zur Römerzeit notwendig und wie führten sie? Ich behandle sie gegen den Uhrzeigersinn, und bei denen, die bisher nicht oder nicht genügend untersucht wurden, bleibe ich etwas länger. Eine stichhaltige Darstellung müsste sich jeder einzelnen Trasse minutiös widmen. Obwohl ich solche Detailforschung nicht immer leisten konnte und hier nicht ausbreiten will, glaube ich, dass die folgende Übersicht über die linksrheinisch in Richtung Mainz ziehenden Fernstraßen im Großen und Ganzen richtig ist. Ich bezeichne die Straßen mit der Abkürzung des jeweils wichtigsten Ziels: –BIN– für Bingen (Bingium),  –CCAA– für Köln (Colonia Claudia Agrippina Augusta), –TRE– Trier (Augusta Treverorum), –DIV– Metz (Divodurum), –ALT– Alzey (Altiaia), –ARG– Straßburg (Argentorate), –BOR– Worms (Borbetomagus).

Die von Kastel in die innergermanischen Gebiete und darüber hinaus führenden Straßen und auch die nach Noricum und zu den Agri decumates sind besser erforscht und interessieren in unserem Zusammenhang weniger.

0.2.1.Keine "Rheinuferstraße" (–BIN–, –BOR–)

Gleich zu Beginn muss ich die gängige Vorstellung von einer überregional bedeutenden Rheinuferstraße von Köln nach Basel wegen ihrer umwegigen und immer hochwasserbedrohten Führung revidieren. Wenn auch die antiken Itinerarien die für hohe Beamte kostenfreien Verbindungen in komfortablen Karossen, die der Cursus publicus[Anm. 10]Heinzelmann, Mogontiacum stellte, am Rhein (oder auf Schiffen?) mit Stationen in Mainz, Worms und Speyer verlaufen lassen,– Truppenbewegungen und Kurierdienste geschahen vorzugsweise auf der kürzeren Strecke durch das Landesinnere. Schon Beier weist auf die Abkürzung des Mainzer Rheinknies hin, die er von Bingen über Alzey hauptsächlich nach Worms verlaufen lässt (Abb. 5). Ich möchte die von ihm auch dargestellte Direktführung Alzey-Grünstadt und weiter am Fuße der Hardt entlang ins Elsass für wichtiger halten. Von Bingen nach Worms ging es außerdem bequemer und direkter als via Alzey über die fast durchgehend belegte Wasserscheidenlinie via Rochusberg, Ockenheim, Wörrstadt, Biebelnheim usf. und/oder die spätere Leinereiterstraße via Flonheim.

Natürlich gab es Verbindungen von Mainz nach Bingen und Worms. aber sie führten nicht am Ufer entlang. Deutlich wird dies vor allem bei der von Dotzauer postulierten Straße vom Kästrich-Lager über Mombach-Budenheim-Heidesheim-Gaulsheim nach Bingen. Sie als Hauptstrecke anzusehen, verbieten schon die übereinstimmenden antiken Entfernungsangaben von 12 Leugen (≈27 km) von Bingen nach Mainz, die nur zur Direttissima passen. – Für die rheinnächste Wegung nach Süden wählte Dolata den treffenden Ausdruck „rheinparallele Verbindungsstraße zwischen Mainz und Worms“. Jens Dolata, Ein römisches Ziegeldach mit gestempelten Ziegeln in Opppenheim…, in: Oppenheimer Hefte 22 (2000), S. 40–53.Heinzelmann, Mogontiacum Die –BIN– entspricht ihr als rheinparallele Straße zwischen Bingen und Mainz.

Natürlich gab es längs des Rheinufers (wohl schon vor den Römern) einen Treidelpfad, der, solange der Rhein als militärische Verteidigungslinie diente, also vor Errichtung des obergermanisch-raetischen Limes und dann wieder nach seiner Aufgabe, auch Grenzweg (limes) für Wachpatrouillen war. Das Treideln geschah aus Sicherheitsgründen linksrheinisch, rechtsrheinisch wohl nur beim Binger Loch, in der von keiner Nahemündung behinderten und auch schiffbareren „Innenkurve“, was über den „Kaufmannsweg“ eine rasche Rückkehr der Treidelmenschen und -tiere nach Lorch erlaubte. Dies blieb so bis in die Neuzeit und beweist wohl wie die Bergwerke in Braubach und die Bäder in Wiesbaden, dass auch nach dem Fall des Limes rechtsrheinisches Gebiet „römisch“ war, wenn auch ohne stationierte Truppen, quasi als Glacis.

     

0.2.2.Trier – Mainz (–TRE–)

Aus Richtung Trier führte auf alle Fälle der bequemste Weg nach Innergermanien über Mainz, eine Trasse, die beim Naheübergang (oder etwas vorher) zusätzlich auch die linksrheinischen Wegungen von Boppard, Treis/Karden und vielen anderen Ausgangspunkten im Winkel zwischen Trier und Köln aufnahm. Man konnte natürlich den Rhein auch bei Rheindiebach/Lorch überqueren und die „Hohe Straße/Rennpfad“ längs über den Taunuskamm nehmen, aber das bereitete gewiss mehr Mühen und brachte kaum Zeitgewinn.[Anm. 11]

Wir müssen uns auch bei der Verbindung Mainz-Trier von der Vorstellung lösen, dass es nur eine einzige Linie während der gesamten Dauer der Römerzeit und für alle Verkehrsarten gegeben habe. Man überschätzt leicht die zufällige literarische Überlieferung (Ausonius) für die komfortable Karossen-Reise eines hohen Beamten in einer Zeit des Wiederaufbaus, auch lokalisiert man die benutzte Linie teilweise sogar falsch: Ausonius schildert die direkte Strecke von Bingen über Stromberg. „Die Umgehung des Soonwaldes“ (über den Kandrich) "erbringt keine Vorteile, da trotz des Mehrweges von 2,4 km … nur geringfügig niedrigere Längsneigungen … eine rund 70 m größere Verlusthöhe…"[Anm. 12]

Selbst die antiken Quellen deuten auf zwei Haupt-Trassen. Das bisher für eine Verwechslung mit Salzig gehaltene Salisso des Itinerarium Antonini Augusti muss mit Sulzbach am Heuchelheimer Markt identifiziert werden. Wenn man mit Beier Baudobriga beim Berger Wacken lokalisiert, gibt es von hier drei mögliche, gleichlange Wegungen nach Sulzbach. Genau so gut könnte es auch über Thiergarten als Baudobriga gehen. So oder so ist diese Strecke bis Bingen mit 94 km (zutreffende 63 Itinerar-Meilen) gegenüber den 52 Leugen(ca. 115 km) der Tabula Peutingeriana deutlich kürzer. Ein unweit Kloster Dalheim, also nahe der –DIV–, gefundener Meilenstein Kaiser Hadrians (139) spricht von 88 Meilen nach Trier, also ca. 130 km oder 59 Leugen (Luftlinie etwa 115 km).[Anm. 13]

0.2.3.Metz – Mainz (–DIV–)

Nur Beier hat sich mit dieser äußerst wichtigen Verbindung befasst, auf vielen Geschichtskarten fehlt sie, selbst französischen (vgl. Abb. 4). Ihre strategische Bedeutung im Reichsmaßstab verdeutlicht Abb. 1. Beiers eingehende Beschreibung[Anm. 14] ihrer Wegführungen in zwei Hauptlinien, die sich in Tholey verknüpften, erspart es mir, hier die trotz des ungünstigen Geländes überaus direkten Strecken von Metz bis Kreuznach zu behandeln. Die erstaunlich geringe Mehrlänge gegenüber der Luftlinie nach Mainz (6,37 % und 8,27 %) ist tatsächlich noch geringer, da Beier in Rheinhessen die kürzeste Verbindung nicht erkannte. Am wichtigsten war zwar – nach dem ersten Abschnitt von Kreuznach bis Welgesheim und dem Aufstieg über die "Heerstraße" auf die Höhe – die von ihm nach Schumacher dargestellte Abschwenkung nach Süden zum "Zollstock", und dann über Engelstadt und den "Mainzer Weg" und/oder über die Wasserscheide des Bleichkopfs zum Elftausend Mägdeturm. Nach Überquerung der Selz führte sie über Elsheim–Essenheim ("An der Hohen Straße", auf Marienborner Flur: „Kreuznacher Straße“) –Bretzenheim geradewegs nach Mainz.[Anm. 15] Diese Trasse diente aber in erster Linie für eine weitere Wegung nach Metz, die den Umweg über Kreuznach vermeidet. Diese setzt die „Metzer“ Straße bei Feil (Beiers Trasse B) über Altenbamberg und die „Zeil“südlich Hackenheim fort.

Zwei kürzere nördliche Varianten zielten auf den Layenhof und den "Draiser Weg". Die nördlichere käme über die "Klopp" (Dieser Flurname ist anscheinend immer mit einem Straßenanstieg verbunden), hätte zusätzlich den Welzbach zu überqueren und führt dann über den Westerberg und Groß-Winternheim. Die Alternative via Ober-Hilbersheim, Bubenheim, (Sauer)-Schwabenheim und wieder einen "Mainzer Weg" erspart die erste Taldurchquerung.

Südlicher mündet bei Bretzenheim eine Strecke, die von Ober-Olm über einen weiteren "Mainzer Weg" und Marienborn herkommt, vermutlich aber noch weiter her vom heutigen Wolfsheimer Sender über die "Platte" an Stadecken vorbei und den "Kreuzweg". Zu diesen Varianten meint Schumacher (S. 299 ff.), ein römischer Ursprung sei „sehr fraglich… da mehrere mittelalterliche Heerwege die gleiche Richtung einschlagen“. Die merkwürdige Begründung halte ich im Gegenteil für ein positives Argument. Von Sprendlingen aus ging es wohl besser über die beschriebene Haupttrasse ("Zollstock", Elsheim, Essenheim…) (Auf Abb. 3 sind nicht alle diese Wege eingetragen).

Weniger bedeutend dürfte eine Variante in Sichtweite der Provinzmetropole gewesen sein, der heutige „Bergweg“, der hauptsächlich ein Berger Weg zu dem nicht mehr existenten Berger Hof (Birka) westlich des Ober-Olmer Walds war. Aber gerade er vermittelt uns einen schriftlichen Beweis für diese Metzer Straße durch eine Tauschnotiz des Klosters Eberbach, das den Birker Hof als Grangie gegründet hatte und bewirtschaftete: Concambium fecimus cum Abbate de Tolei dante ei duos iurnales agri in Breitwisen et recipientes ab eo aream in Isenheim et viam, que transit bona nostra (Oculus Memorie, Eberbacher Güterverzeichnis von 1211, Kap. XI, § 88). Dass die (oder: eine) Straße von Metz nach Mainz, an der Tholey als entscheidende Station gegründet wurde, in der Stauferzeit noch im Eigentum des dortigen, bereits in der Merowingerzeit existenten Klosters stand, beweist die Existenz der Straße; dass es sie vertauschte, beweist, dass die Straße (zumindest dieser Zweig) an Bedeutung verloren hatte. Was sich noch hinter dieser Meldung verbirgt, überlasse ich (Rechts‑)Historikern. Kloster Tholey hatte auffällig viel Besitz entlang den Verbindungen Metz-Mainz (u. a. Wallerfangen, Baumholder, Medard, Altenbamberg, Frei-Laubersheim, Essenheim). Die Wendelinus-Kapelle im Gonsenheimer Wald gilt dem Patron des Klosters, am Schnittpunkt der Straße zur Budenheimer Fähre mit einer sehr weit durchgehenden Gemarkungsgrenze (die einer aufgegebenen Wegung vom Geiersköpfel und weiter her von Heidesheim entspricht). Auch in der Neustadt (Wendelinusweg) gab es eine Wendelinuskapelle. Deren Entstehung dürfte mit dem späteren Kult des Heiligen zusammenhängen.[Anm. 16]

Die Bedeutung von Klöstern (Weißenburg, Gorze, Disibodenberg, St. Alban in Mainz, Prüm mit St. Goar) für Straßenbau und Verkehrsorganisation im Frühmittelalter wurde bisher nur von Staab[Anm. 17] untersucht. Die Cella von St. Goar z. B. diente der Rheinschifffahrt und einer Fähre. Eine systematische Untersuchung dürfte weitere Erkenntnisse bringen.

0.2.4.Die „Pariser Chaussee“ (–ALT–)

In Nieder-Olm gibt es eine nördliche Abzweigung nach Nieder-Saulheim (und weiter sowohl nach Vendersheim als auch nach Wörrstadt) und eine südliche (genau geradeaus führende) nach Sörgenloch  und weiter. Der Hauptast ("Kaiserstraße") führt auf der Höhe schnurstracks Richtung Wörrstadt und biegt dort 20° um nach Süden, d. h. nach Alzey (sw. Albig Flur "Auf der Platt"). Es gibt für diesen topographisch sinnvollen Bogen eine Sehne: Mit Anlauf von Nieder-Saulheim her biegt eine Trasse (fast auf der der A 63) nach Spiesheim und von dort weiter ("Mainzer Weg") nach Albig, Alzey, oder nach Bermersheim, Nack usw.

Diese Straße ersetzte spätestens seit der Stauferzeit als "Pariser Chaussee" (B 40) die Direktverbindung nach Metz über Tholey. In der Römerzeit erschloss diese –ALT– das fruchtbare Hinterland; dass sie zum Donnersberg führte, konnte nur solange wichtig gewesen sein, als es dort ein oppidum gab. Offensichtlich führte sie zu südlich von Metz gelegenen Stationen an der Via Agrippina. Dass es eine Abkürzung westlich des Donnersbergs bis etwa Landstuhl gab, deuten mehrere belegte Bruchstücke an.[Anm. 18] Die Trasse nach Saarbrücken hatte die Funktion einer Verbindung nach Tullum (Toul), sei es via den vicus Le Hérapel bei Cocheren, wo eine Straße nach Metz abbog, Falkenberg/Faulquemont und Scarponna (bei Dieulouard), sei es über Château-Salins (also das wichtige Salinengebiet von Marsal) in den Bereich von Nancy. Von Nancy führt eine Altstraße über Pont St. Vincent auch nach Colombey-les-Belles. Dorthin führte ab Landstuhl auch die "Salz"- oder "Duzer" (Dieuze) Straße in Richtung Saargemünd, Château-Salins und weiter; ab Homburg parallel zu ihr ein (Haupt)-Ast via Schwarzenacker, Blieskastel, Habkirchen.

Ich vermute aber auch eine direkte Verbindung von Sarreguemines in die Nähe von Vittel, von wo eine von Burnand und selbst auf den Michelin-Karten eingetragene „Voie ancienne romaine“ in gleicher Richtung weiterführt. Diese deutlichste Abkürzung nach Langres und Lyon bedeutet aber auch eine gute Verbindung zum westlichsten Teil der Germania superior, denn die Gebiete der Lingonen (von etwa Grand bis Nuits-Saint-Georges, Hauptstadt Langres) und der Sequaner (Hauptstadt Besançon, westlich bis Dôle) gehörten von 89 bis mindestens 150, spätestens 226, zur von Mainz aus geleiteten Provinz. (Das römische Straßennetz in Lothringen ist vor allem für die innerfranzösischen Verbindungen erforscht, so fehlt z. B. die von Beier gut erforschte Direktverbindung nach Mainz entlang der Nied, wobei die auf Metz ausgerichtete Straßenspinne vielleicht in Anlehnung an das seit Ludwig XIV. auf Paris ausgerichtete französische Netz überbetont wurde.[Anm. 19] (Abb. 4)

0.2.5.Straßburg – Mainz (–ARG–) und Worms – Mainz (–BOR–)

Von Mainz aus ging es über die „Gaustraßen“ via Harxheim, Mommenheim ("Alte Mainzer Straße") direkt nach Weinolsheim, dort Gabelung in „Gaustraße“ (Dolgesheim, Westhofen, Grünstadt mit Endziel Straßburg) und "Heerstraße" (Eimsheim, Osthofen nach Worms). (Abb. 5) Die „Heerstraße“ war wohl gleichwertig einem Abzweig über Bodenheim nach Nierstein/Oppenheim und von dort weiter über eine sehr günstige (d. h. hochwasser- und relativ umweg- und steigungsfreie) Straße (etwa entlang der B 9 bzw. L 439) nach Worms. Die von ihr bediente "Niersteiner" Fähre hatte für den Verkehr von und nach Mainz wohl weniger Bedeutung. Hauptsächlich diente sie dem Querverkehr aus Rheinhessen nach Groß-Gerau–Guntheim–Frankfurt oder –Dieburg und weiter. Wenn man der v. Schmitt'schen Kriegskarte von 1797 Glauben schenken dürfte, fuhr sie damals ca. 500 Meter rheinaufwärts, etwa beim heutigen Hafen von Oppenheim. Hier wurde in den letzten Jahrhunderten die Geographie durch die Tullasche Rheinregulierung und den großen Kalksteinbruch völlig verändert. Die etwas ältere "Kriegskarte" von Felsing und Johann Heinrich Haas (1788–1813) zeigt sie dagegen an der heutigen Stelle, verbunden mit einem Ankersymbol auf einer etwas stromaufwärts gelegenen Insel, was auf eine Gierfähre hinweist. Freilich haben wir mittelalterliche Hinweise auf eine noch andere (zusätzliche?) Fährstelle deutlich rheinabwärts von der heutigen.:… apud Rodebach (Wüstung nördlich Nierstein) iuxta transitum navium (Oculus Memorie XVA, § 20). Oder ist damit ein Uferwechsel des Leinpfads gemeint?

Die von Dolata[Anm. 20] wieder vorgeschlagene Gleichsetzung von Oppenheim (nicht Nierstein) mit der Straßenstation Buconica/Bonconica möchte ich etwas weiter fassen: „im heutigen Stadtgebiet von Oppenheim“, denn die Entfernungen der Station von Mainz und Worms sind nur auf der Tabula Peutingeriana 9 und 11 Leugen, dagegen 8 und 11 auf dem Meilenstein von Tongern, 11 und 13 im Itinerarium Antonini. Nach Beier, S. 113 ff. scheinen selbst die kürzesten Angaben noch zu hoch. Übrigens scheint es hier eine Grenze von Civitates (im Mittelalter die zwischen den Bistümern Mainz und Worms) gegeben haben, sodass eine Straßenstation fast zu erwarten ist.

0.2.6.Rechtsrheinische Verbindungen

Hier kann die Übersicht knapper ausfallen, da für Hessen die Altstraßenforschung recht gute Veröffentlichungen vorgelegt hat. Auch sind sie eher Konsequenzen als Voraussetzungen für Mogontiacum, in unserem Zusammenhang der Topographie der linksrheinischen Stadt also weniger interessant. Es kam ja wegen der Aufgabe des Limes nicht zur Ausbildung einer Schwesterstadt am anderen Ufer; Kastel blieb bloßer Brückenkopf oder Vor-Ort.

Südlich des Mains gab es eine Hauptstrecke durch das Ried nach Ladenburg. Von dort führte der wichtigere Zweig nach Cannstatt und weiter ins Allgäu-Raetien, doch gab es auch eine Strecke zum Oberrhein (Badenweiler, Augst u. a.). Außerdem gab es auch Straßen in südöstlicher Richtung, von denen die nach dem Knotenpunkt Dieburg genannt sein soll.[Anm. 21] Eine direkte Strecke zum nördlichen Bogen der Donau dürfte es auch gegeben haben, man denke an die zahlreichen Truppenverlegungen aus den germanischen Provinzen nach Pannonien, Dakien, Moesien… Auch die Linie des zweiten Limes lässt darauf schließen. Gleichwohl sind alle diese Trassen sekundär: Von Süd- und Innergallien her benutzte man Straßen durch Schweiz, Elsass, Pfalz, ohne bis Mainz auszuholen.

Ursprünglicher und wichtiger waren die Straßen, die nördlich des Mains weiterführten.

Zunächst eine mainparallele Strecke, die außerhalb des Limes in drei Hauptsträngen das Land der späteren Thüringer erschloss: eine durch den Spessart nach Würzburg und Schweinfurt, zwei auf den Höhen westlich und östlich der Kinzig vor allem via Fulda.

Die fast geradlinige Fortsetzung der –BIN– war die "Elisabethenstraße" (weil man auf ihr im Mittelalter zur heiligen Elisabeth pilgerte), die sich nach der Umgehung des Taunus auch bald in mehrere Äste teilte.[Anm. 22]

Schon in Kastel trennten sich die Straßen, die über den Taunus führten: Eine in Richtung Wetzlar, Waldgirmes und weiter. Eine weitere führte über die "Platte" zum Lahnübergang bei Runkel. Die "Hünerstraße" führte nach Limburg. Die "Bäderstraße" war über die "Eiserne Hand" sowohl via Wiesbaden als auch via Dotzheim in zwei getrennten Trassen von Kastel aus zu erreichen. (vgl. Abb. 6 und 15)

0.2.7.Mainz – Köln (Koblenz) (–CCAA–)

In allen archäologischen Handbüchern werden für die Verbindung von Koblenz nach Mainz nur zwei Trassen angegeben: Die umwegige und hochwassergefährdete im Rheintal (ca. 62 km) und eine bereits vorgeschichtliche über die Hunsrückhöhe (ca. 64 km), beide nach Bingen und von dort weiter. Es ist kein Zweifel, dass sie existierten, und nicht nur für die Verbindung Köln–Straßburg und weiter dienten, sondern zeitweise auch für ein sicheres Erreichen von Mainz.

Indes, solange und soweit die ersten rechtsrheinischen Gebiete befriedet waren, schnitt man das Binger Rheinknie über den Taunus ab. Die Luftlinie von Koblenz nach Mainz ist so lang wie die Wegstrecken nach Bingen, noch dazu sind die Trassen über den Taunus beinahe günstiger. Die Ersparnis ist also der Tagesmarsch Mainz–Bingen, 27 km. Diese rund 40 % des Wegs ergeben allemal eine kürzere Marschierzeit, selbst unter Einrechnung der Verzögerung durch zwei Fähren, bzw. die Umwege über die Rheinbrücken von Koblenz und Mainz, sofern man diese benutzte (Abb. 6).

Am bequemsten geht es (Fähre Budenheim) über Walluf oder Steinheim über Rauental, Galgenkopf zur Bäderstraße via Kemel (Name von caminus) und die Kreuzung mit der Hessenstraße (Kastell Holzhausen). Bei Pohl verlässt man die Bäderstraße und kommt an Dachsenhausen vorbei direkt hinunter nach Braubach, oder weiter nach Becheln und von dort hinunter nach Oberlahnstein. Kürzer war die Strecke über Hausen v. d. H. und eine Durchquerung des Wispertals bei der alten Burg Geroldstein (oder der Lauksburg) via Lipporn (sehr früh belegt, der künstliche Berg mit rechteckigem Grundriss, auf dem die Kirche, früher Kloster, liegt, war ursprünglich wohl militärisch genutzt) und weiter via Gemmerich (Name von caminus?). Von Braubach bzw. Oberlahnstein war Koblenz bequem zu erreichen, für Rhein- und Lahn-Überquerung gab es mehrere, gleichzeitige oder sich ablösende Möglichkeiten. Genau diese Strecken wurden vom Taunus-Limes geschützt. (s. Abb. 6)

Dass diese Strecken noch Jahrhunderte lang benutzt wurden, kann man etwa bei Einhard (Translatio et Miracula ss. Marcellini et Petri[Anm. 23]) und Clemens Brentano (1793 über Delkenheim, Wiesbaden, von dort – zweite, miserable Übernachtung in Nastätten – nach Braubach) nachlesen.

0.3.Die Straßen im Vorfeld der Stadt

Wenn wir den Maßstab vergrößern und nur die nähere Umgebung von Mogontiacum betrachten, gewahren wir neben den deutlicher werdenden Fernstrecken auch einige eher regionale Wege. Zu ihnen gehören zwei im Bereich des alten "Gartenfelds" nach Nordwesten belegte Straßen. Die rheinnähere führte zur römischen Siedlung "Dimesser Ort"; die andere zog am Fuße des Hartenbergs entlang und führte eventuell zu einer Fähre oder ausgebauten Furt nach Schierstein (linksrheinisch "Steinerner Weg"). Ungeklärt ist auch der Zielpunkt (Schierstein?) des seit dem Mittelalter von Bretzenheim bis zur Hohl am Hartenberg belegten "Bruchwegs", der nordwestlichen von mehreren Mainz-Tangenten.

0.3.1.–CCAA–

Von Mainz aus war die Fähre in Budenheim sehr gut zu erreichen, quasi als Sehne des Rheinbogens, dessen Außenkurve man nehmen musste, wenn man die Brücke benützte. Neben dieser geographisch sich anbietenden und noch mittelalterlich belegten, in Rudimenten noch heute existierenden Fährstelle gab es noch eine in Heidenfahrt/Erbach. Zu letzterer führten auch wichtige Wege aus Rheinhessen ("Bruderweg/ Heidesheimer Weg"). Die zweifellos ebenso alte Fähre bei Frei-Weinheim nach Mittelheim, dem Zentrum des alten Winkel (direkt an der Anlegestelle die Burg der „von Winkel“/„Rheingrafen“, mit Wasserscheidenweg zur Rheinberg im Wispertal und von dort nach St. Goar oder Braubach) hatte für Mainz selber keine Bedeutung.

Von der Mombacher Straße zweigte über die Gonsenheimer Hohl eine kaum mehr nachvollziehbare Verbindung über Gonsbachtal und die Wendelinus-Kapelle ab.

Über den "Dreispitz" führte ein Weg, der nach Überquerung des Gonsbachs sich in einen über die Wendelinus-Kapelle nach Budenheim und einen durch den Lennebergwald nach Heidenfahrt gabelte.

0.3.2.–BIN–/–TRE–

Wesentlich ist in unserem Zusammenhang nur die Strecke ab Bingen (B 9). Dort zweigten vor und nach dem Kastell (die –TRE– führte direkt unter der Kastellmauer entlang) die Verbindungen nach Alzey und Worms ab. (Abb. 7)

Ab Gaulsheim ist die Geradlinigkeit der Straße nach Mainz belegt, heutzutage sind ein paar hundert Meter durch die Autobahn abgeschnitten. Aber noch immer hat man von der Einfädelspur BIN-Gaulsheim eine nach dem Laubfall frappierende Sicht auf den Richtung Mainz kilometerweit geradlinigen Verlauf bis auf die "Steig" zur Wackernheimer Höhe. Dort oben setzt er sich dann noch eine geraume Strecke fort. Dann biegt die Straße schräg ab, um oberhalb Wackernheim in eine ebenso geradlinige Trasse via Finthen nach Mainz einzumünden.

Die beiden Geraden sind nicht erst dem Ausbau der napoleonischen Zeit zu verdanken, sondern vorgeschichtlich und römisch,– wie schon die Itinerarangaben belegen. Ihre Linien (Abb. 9) passen aber nicht zusammen; die Umgehung der Wackernheimer Delle ist wohl nicht ursprünglich oder sie war als Querverbindung für Fuhrverkehr bestimmt. Je älter die Karten sind, desto deutlicher wird, dass es stadtauswärts ab Finthen zwei Straßen waren: Eine nördliche Gabel in Richtung Bingen direkt durch Wackernheim an der Kirche vorbei und wieder hinauf zur Höhe, dann an der Pfalz vorbei, die gewiss einen römischen Vorläufer hatte, und weiter auf der Strecke via Gaulsheim (Abb. 8); und eine südliche, mit einer über Ober-Ingelheim weiterziehenden Trasse ("Mainzer Weg"), die nicht nur gedanklich nach Gau-Algesheim, Ockenheim und weiter führt, ebenso wie eine Alternative über den "Hornweg". Gehörte sie zu einem direkten Marschierweg nach Trier, am südlichen Fuß des Soonwalds entlang? Sollte der nach Süden, Westen und Norden vorzüglich angeschlossene "Palast" in Münster-Sarmsheim eine Direktverbindung nach Mainz gehabt haben? Auf einer historischen Karte von Maskopp (ca. 1570) führt durch die Gemarkung Dietersheim ein Fuhrweg von Mainz nach Kreuznach. Ich habe die beiden Trassen in Abb. 3 vorweggenommen.

In Finthen mündete in die Straße nach Bingen eine Diagonalverbindung vom "Draiser Weg" her durch den "Kemperich" (von caminus). Wenn mich nicht einzelne, schon 1850 nicht mehr verbundene Wegstücke täuschen, führte sie weiter nach Heidenfahrt.

0.3.3.–DIV–

Das Gebiet des Ober-Olmer Waldes, der sich einmal fast bis zur Kante des Selztals erstreckt hat, haben wir bereits behandelt. Hier gibt es aufschlussreiche Flurnamen ("Platte") und z. T. überaus früh anmutende, geradlinige, rechtwinklig aufeinander stoßende Grenzen, die nicht selten mit den Altstraßen zusammenfallen.[Anm. 24]

Wie die verschiedenen Stränge ursprünglich im Detail durch die Bretzenheimer Gemarkung zogen, muss der Ortsforschung überlassen bleiben. Offensichtlich hat die sehr regelmäßige und befestigte Anlage von Bretzenheim einzelne Linien streckenweise abgelenkt. Auch Drais zog die "Draiser Straße" an sich.

Trotzdem werden im Winkel zwischen der Straße nach Bingen (nördliche Gemarkungsgrenze) und der "Pariser Chaussee" die fächerartig WSW ziehenden Wege deutlich, die ich als Anfangsstücke des Straßenbündels nach Metz ansehe, was bei der "Draiser" und der "Essenheimer Straße" kaum zu bezweifeln ist und teilweise ja schon bisher so dargestellt wurde. Auffällig, aber in unserem Zusammenhang weniger wichtig sind die zu diesen Strahlen diagonal führenden Querverbindungen, quasi Umgehungsstraßen für die Stadt, vor allem Zubringer zu den Fährstellen, vor allem der noch nicht erwähnten in Weisenau.

0.3.4."Pariser Chaussee" (–ALT–)

Von Mainz bis Nieder-Olm erkenne ich nur eine einzige Linie. Die schnurgerade Führung wurde von je her auf antike Trassierung zurückgeführt. Etwa gegenüber dem Forsthaus auf Marienborner Gemarkung an die Straße grenzend die Flur "Platte", eine gleichnamige Flur auch in Klein-Winternheim an der Straße. Die Abstände von Grenzen, Bachläufen und vor allem Wegquerungen erscheinen so regelmäßig, dass man einen „Emploi de mesures“ annehmen kann.[Anm. 25]

0.3.5.Die beiden "Gaustraßen" (–ARG– sowie –BOR–)

Aus der Stadt führte der heutige Hauptstrang durch die Gaugasse und das Gautor hinaus. Bis Mommenheim ist die Haupttrasse klar, obwohl geradeaus ein „Ebersheimer Weg“ (den es längst nicht mehr gibt) die Richtung nach Zornheim und außerdem zur Steinbrucke (Oculus memorie, Kap. XVII mehrfach) und nach Gau-Odernheim weiterführt. (Abb. 10) Die zweite Trasse verlief ebenfalls genau nach Süden, also fast parallel zur vorigen, durch Hechtsheim und dann über den "Attigbusch"[Anm. 26] und/oder das Kesseltal nach Harxheim oder "Auf der Platte" östlich daran vorbei. Übrigens hieß sie auf den Karten des 19. Jahrhunderts gleichfalls "Gaustraße".

Von dieser "Hechtsheimer"-/Gaustraße zweigt die „Bodenheimer Straße“ ab, die an der Laubenheimer Höhe vorbei nach Bodenheim zog, und weiter über den Hohberg und den Königstuhl zur Niersteiner Warte, und nach Überquerung des Tales (und des Galgenbergs?) via Buconica nach Worm s. Dass sie abzweigte, kennzeichnet sie als zeitlich sekundär.

0.3.6.Richtung Südosten

Die "Via sepulcrum Moguntiaci", wie Schilder in bestem Neu-Latein verkünden, wird von Grabstätten begleitet. Wie sie sich zu den dort beim Rohstoff (Flur "Im Leimen") angesiedelten Großtöpfereien verhielten, bleibe offen. Sie zog, fortgesetzt vom "Laubenheimer Weg", wohl nicht nur zum Weisenauer Lager, sondern weiter zur Laubenheimer Hohl und quer durch das heutige Laubenheim über den Neuberger Weg nach Bodenheim, mit Anschluss an die Verbindung nach Oppenheim–Worms.

Die östlichere, archäologisch belegte Verbindung (vorbei an St. Victor) nach Weisenau hatte weniger Bedeutung für den Fernverkehr, sondern mehr für das dortige Lager, die Siedlungen und die Rheinüberfahrt. Das gleiche gilt für eine denkbare Uferstraße in Fortsetzung von Augustinergasse und Neutorstraße.

Bei Weisenau und Laubenheim sind Flussbett, Inseln und die gegenüber liegende Mündung des "Rest-Neckars" für jene Zeit nicht zu rekonstruieren. Der Übergang könnte drei verschiedene Stellen benützt haben. Der mittlere bei Stromkilometer 494 ist durch ältere Flussfunde belegt; er zeichnet sich im rechtsrheinischen Straßennetz noch spurenhaft ab ("Dammweg"/"Hoher Weg"); linksrheinisch ist durch die Zementfabrik und ihren monströsen Steinbruch alles vernichtet. Das Auxiliarlager Weisenau ist wohl zur Sicherung dieser Fährstelle angelegt worden. Zwei Straßen, die zum "Tanzplatz" führen, lassen auch dort (km 495,1) einen Rheinübergang vermuten, auch hier gab es im Rhein Funde (die aber genauso gut angeschwemmt worden sein können und sowieso nicht mit GPS lokalisiert wurden). Der stromaufwärts (km 492-493) gelegene „Laubenheimer Grund“ bildete eine seichte Stelle im Strom, die nur etwa 1,20 m unter dem normalen Wasserspiegel lag. Er könnte die beste Furt im heutigen Mainzer Stadtgebiet gebildet haben. Hier sind nur vorgeschichtliche Funde gemacht worden. Hinweise auf römische Benützung kenne ich nicht. Allerdings zeigt noch Maskopp 1576/77 einen Weg zum Rheinufer gegenüber Ginsheim, der sich auch in den Karten der letzten Jahrhunderte noch zeigt: von Hechtsheim zwischen Hechtsheimer und Laubenheimer Höhe her (wie noch heute), aber die Steig-Kurve abkürzend und auch danach in Bruchstücken geradeaus weiter. (Abb. 10)  Gerade hier sind römerzeitliche starke Baureste gefunden worden („Burg“, auf der Karte R 2). Die römerzeitliche Situation ist von Kurz unvollständig und vielleicht auch falsch dargestellt.[Anm. 27]

Einer der beiden anderen Übergänge (wahrscheinlich der untere) ist noch bis ins Mittelalter benutzt worden: transnavigatio, quod dicitur Steinzeuare /transnavigatio vicina Wizenouwe (Oculus Memorie XV B 8 / Nachtrag 10). Der wichtigste linksrheinische Anschluss war wohl "Heilig Kreuzweg" – "Diebsweg" – "Heidesheimer Straße" (Richtung Heidenfahrt bzw. über Ober-Ingelheim nach Bingen). Alle diese Straßen sind nur auf Karten des 19. Jahrhunderts richtig zu beobachten.

0.3.7.Anschlüsse rechts des Rheines

Vom Brückenkopf aus ging die Verbindung zur archäologisch auf Ende des 1. Jahrhunderts datierte Kostheimer Mainbrücke. Nach ihr gabelte sie sich in eine bis Rüsselsheim einheitliche Verbindung nach Osten (von dort u. a. die "Bischofstraße" nach Aschaffenburg, wichtiger die Strecke nach Dieburg), sowie in eine nach Groß-Gerau. In die mündete kreuzend auch der "Dammweg/Hoher Weg" von der Weisenauer Überfahrt, die durch den Weg über die beiden Brücken an Bedeutung verlor, sodass – wie die Funddatierungen aussagen – das Weisenauer Lager aufgegeben werden konnte.

Nach SO gab es eine alte Straße via Hochheim nach Höchst, Seckbach, Kesselstadt und weiter (generell nach dem frühmittelalterlichen "Thüringen" zwischen Main und Unstrut) und gewiss einen Treidelpfad. Nach ONO führte die Elisabethenstraße (streckenweise auch "Hohe Straße") zunächst nach Delkenheim, Hofheim, Nida, in die Wetterau und weiter. Nach NO führte der "Schmalweg" zumindest bis Mechtildshausen. Nach NNO (Erbenheim/Igstadt/Esch[Anm. 28]) ging es in Richtung Wetzlar, Waldgirmes, Niederhessen. Nach NNW ging die Wiesbadener Straße ab, die sich bald gabelte: Über Wiesbaden führten verschiedene Stränge über die "Platte" zum Lahnübergang bei Runkel oder über die Hünerstraße nach Limburg bzw. zur Eisernen Hand; über Dotzheim ging es zur Eisernen Hand bzw. nach Kemel. Und zu guter letzt (wichtig erst nach Erbauung der Brücke) ging noch eine ufernahe Strecke ab, nach Biebrich, Schierstein, Walluf, eine Alternative zur Budenheimer Fähre.

0.4.Zielpunkt Mainz: Eine Ortsbetrachtung

Da die verschiedenen Strecken auch im geometrischen Sinne "Strecken" sein sollten, nämlich geradlinige Verbindungen zwischen zwei Punkten, fragt es sich, ob eine Fläche, wie selbst im mittelgroßen Maßstab das Gebiet des bebauten Mogontiacum eine darstellt, als Zentrum des Straßenspinne angesehen werden darf oder ob man einen genauen Zielpunkt findet.

Verengen wir also nochmals die Übersicht und betrachten wir das Gebiet der Stadt in noch größerem Maßstab, damit wir "Punkte" erkennen. Wohin zielten die Straßen innerhalb des Stadtgebiets? Es ist nicht leicht, ihre ursprüngliche Trasse zu erkennen. Dass infolge der nicht nur für die Altstraßenforschung abscheulichen Festungsbauerei in römischer, mittelalterlicher, barocker und neuerer Zeit Straßen verbaut und – in beiderlei Wortsinn verlegt – wurden, weiß man gut vom Gautor, das im Mittelalter durch den späteren Pulverturm geführt wurde, und vom Altmünstertor, das es so erst seit dem 17. Jahrhundert gibt.

Meine Darstellung (Abb. 13) basiert auf einer Karte, die Marion Witteyer schuf als die aktuellste Darstellung dessen, was wir von Mogontiacum wissen, eingetragen in einen heutigen Stadtplan. Ich habe zunächst die historische Mainmündung und die ungefähre Strombreite nach Anlage der rheinseitigen Stadtmauer (hellblau) eingetragen. (Zu Beginn der Römerzeit scheint an einzelnen Stellen der Rhein noch 200 m weiter landeinwärts gereicht zu haben, ganz zu schweigen von Inondationsflächen.) Danach habe ich versuchsweise die belegten Straßenlinien ins Stadtinnere verlängert, nach dem Hauptprinzip antiker Wege: so gerade wie möglich. Diese Verlängerungen sind also virtuell, Striche auf der Karte. Aber das Experiment erweist sich als hilfreich: Die Linien ergeben eine erstaunliche Struktur: Alle Fernstraßen münden ineinander am Rhein, aber es ergeben sich zwei Endpunkte, nicht einer! Ich habe die Straßenzüge auf der Karte der Übersichtlichkeit halber eingefärbt, je nach Zielpunkt im Stadtgebiet, und mir Mühe gegeben, sie so genau wie möglich einzutragen. Wie bei Überlandstraßen fallen spitzwinklige Überquerungen (und Einmündungen, bzw. Abzweigungen) auf, was beim Abschwenken zum anderen Ziel den Umweg minimiert.

Die nun folgende Kommentierung ist also teilweise Voraussetzung, teilweise Ergebnis der Karte. Sie folgt im Uhrzeigersinn den durchnumerierten Straßen und Linien.

Die Straße vom "Dimesser Ort" dürfte "erst" in die römische Zeit zu datieren sein. Sie ist weitgehend archäologisch belegt. Da es an ihr Gräber gab, bestand zwischen Stadt und dieser Siedlung kein baulicher Zusammenhang. Ort bedeutet übrigens im Althochdeutschen "Spitze, äußerstes Ende, Ecke" (wie Darßer Ort, Ruhrort, Ort in Passau direkt an der Spitze zwischen Donau und Inn).[Anm. 29] Hier schenkt ein Lantfrid 791 September 15 dem Kloster Fulda arialem … domibus constructam et aedificiis … omnemque laborem meum (labor scheint „Werkstätte, Unternehmen“ zu bedeuten), begrenzt von Grundstücken der offensichtlich sehr alten Kirchen St. Clemens, St. Petrus, St. Theomastus und vom Rhein.[Anm. 30] St. Theomastus/Theonestus ist übrigens auch Patrozinium in Kaub[Anm. 31] , St. Clemens bei Trechtingshausen, auch direkt am Rhein. In älteren archäologischen Stadtplänen erscheint auch eine Straße vom "Dimesser Ort" zum Lager, die ich nicht bestätigen, aber auch nicht ausschließen kann.

Die heutige Mombacher Straße zielt genau zum Lager und dürfte nicht älter als dieses sein. Sie ist nachgewiesen und von mehreren Gräberfeldern begleitet. Von ihr geht am Fuße des Hardenbergs der Bruchweg ab, der hier durch eine Hohl auf die Höhe gelangt. Der Abzweig ins Stadtinnere ist mindestens bis zum (natürlich späteren) Stadttor archäologisch bezeugt.     

0.4.1.(–CCAA–)

Die nördliche der beiden Strecken von der Budenheimer Fähre her kommt über die Gonsenheimer Hohl herunter. Sie ist genau zum Brückenkopf ausgerichtet, aber meines Wissens jenseits der "Mombacher Straße" nicht nachgewiesen. Eine Verbindung von Rheinübergang zu Rheinübergang kann nicht übermäßig bedeutsam gewesen sein, Endziel und Ausgangspunkt war das Stadtgebiet allgemein.

(–CCAA–)

Zum Lager, aber auch zum Süden der Stadt führte die südliche Strecke von der Budenheimer Fähre (im Kartenausschnitt identisch mit der heutigen Straße "An der Allee"), sie wird in allen bisherigen Übersichten als römerzeitlich angenommen. Meine Verlängerung bis ins Vorfeld von Weisenau ist virtuell, aber wahrscheinlich, weil sie die noch nicht genau lokalisierte Porta decumana und das Weisenauer Lager gut andient.

0.4.2.(BIN / TRE)

Die Verlängerung der über Finthen bis vor 50 Jahren schnurgerade herziehenden –BIN–/–TRE– ist bis zum längst wieder abgerissenen Fort Hauptstein ein durch zahlreiche ältere Karten bis ins 19. Jahrhundert nachvollziehbarer Weg "Am Taubertsberg". Mit der Anlage des Urnenhains und anderer Bebauung wurde er immer wieder verlegt. Der weitere virtuelle Verlauf zum Brückenkopf schneidet sich mit dem Stadt-Zweig der Mombacher Straße genau an der archäologisch für ein Stadttor nachgewiesenen Stelle. Die heutige Saarstraße war also nicht die Hauptlinie, sondern zweigte zum Lager ab, wohl zur noch nicht lokalisierten porta principalis sinistra (im Plan also blau). Möglicherweise führte ein Abzweig des Abzweigs über die halbe Kästrichhöhe an der Nordecke des Lagers vorbei zur Stadtmitte, grosso modo die spätere Altmünstergasse.

0.4.3.(–DIV–)

Die "Draiser Straße" wurde bisher nicht als Altstraße angenommen, obwohl begleitende Grabstellen dies wahrscheinlich machen.[Anm. 32]

Einer der ältesten halbwegs brauchbaren Festungspläne (ca. 1740) von Mainz stammt von einem französischen Geometer Beaurin, der wohl nie vor Ort war, und zumindest Mainz und Umgebung nie trigonometrisch, sondern nach Spionageberichten und deutschen Karten aufgenommen hat. Wir finden bei ihm einige ganz aparte Informationen, z. B. dass die Draiser Straße für ihn noch immer eine Straße nach Kreuznach (Chemin de Crucenac) war. Ob die Truppen Ludwigs XIV. via Tholey anrücken wollten?

Die "Draiser Straße" setzt sich jenseits des Zaybachtals, das nahe dem Aquädukt überquert wird, und einem gewiss geradlinigen Anstieg mit der sehr alten und geradlinigen "Oberen Zahlbacher Straße" fort. Diese führt nicht zum Gautor, sondern daran vorbei, indem sie die (Gaustraße) beim Fichteplatz schneidet. (Dort stand seit dem Mittelalter der Galgen.) Das Abschwenken zur Stadt war hier möglich. Geradeaus aber ging es zum (damaligen) Rhein bei einer Stelle etwas südlich von St. Ignaz.

Ob die "Backhaushohl" (ungefähr in Richtung der Wasserleitung, vermutlich eine Querverbindung zur –TRE–) und die "Lanzelhohl" andere der Straßen nach Metz bedienten, kann ich mangels Belegen und den Verlegungen durch die Ortschaft Bretzenheim nicht entscheiden.

(–DIV–)

Bei der "Essenheimer", im Urkataster "Olmer Straße", liegt die Vermutung nahe, dass sie auf der Höhe blieb und dann den Wildgraben ungefähr so überquerte, wie ich punktiert in der Karte eingezeichnet habe ("Entenpfuhler Weg" neben der Flur "Auf der Steig2). Sie käme dann mitten durch das vielleicht größte Mainzer Gräberfeld im "Schlesischen Viertel", was ihrer auf die Römerzeit beschränkten Bedeutung als Verbindung nach Metz entspräche. Die gedankliche Verlängerung schneidet wenig weiter –ALT– und –ARG– und führt gleichfalls zu dem ominösen Punkt bei St. Ignaz.

0.4.4.(–ARG–)

Die "Gaustraßen" machen Probleme schon bei der Benennung: Die "Gaugasse" (vom Schillerplatz zum Gautor) glaubte man nach dem Krieg wie auch sonst in Mainz dadurch psychologisch verbreitern zu können, dass man sie Gaustraße nannte. Die "Gaustraße" außerhalb der Innenstadt nannte man deshalb "Geschwister-Scholl-", bzw. "Rheinhessenstraße".

Diese Ausfallstraße nach Süden machte, wie in "Im Vorfeld" beschrieben, am Wildgraben (knapp außerhalb der Kartenbildes) einen Schwenk Richtung Ebersheim. Diese Richtung hat ihren Ursprung im hier einmündenden "Karcherweg", der, mit einem Knick beim Überschreiten der "Landwehr", den "Ebersheimer Weg"  fortsetzt. Über dessen eigentliches Ziel habe ich keine sicheren Anhaltspunkte, daher habe ich ihn nur als punktierten Pfeil und ohne Nummerierung eingetragen. Genau genommen verbindet er sich mit der 8  durch die Querverbindung "Heiligkreuzweg–Diebsstraße".

Die "Gaugasse" und ihre leicht abbiegende innerstädtische Fortsetzung "Emmeranstraße" sind die einzigen der besprochenen Straßen, die innerhalb des spätrömischen Mauerrings fast durchgehend nachgewiesen sind. Beide sind nicht ganz geradlinig. Dafür sind mehrere Gründe denkbar. Bei der Isiskultstätte war noch Mitte des 1. Jahrhunderts keine Bebauung. Eine Straße auf offenem Feld aber hatte sehr breite Randstreifen, die bei Bebauung unregelmäßig verengt werden konnten; mal knapste man rechts, mal links etwas vom Straßenraum. Dass die Gaugasse in der Neuzeit nicht geradenwegs die Höhe gewinnt, überrascht weniger, dafür gibt es weitere Gründe: Anstiegserleichterung für den Schwerverkehr, städtebauliche Eingriffe, zu allererst natürlich der Bau des castrum.

Aber auch im Gesamtverlauf gab es eine Richtungsänderung. Wo war der Knick? Gab es am Schillerplatz, bei der Querung des Abzweigs von der Saarstraße her, vielleicht einen Platz, den die Straßen versetzt verließen, wie man es von einigen antiken Stadtplänen kennt? Hier, am "Dietmarkt" wurde das Forum vermutet.

Noch weniger passt der Knick am Fichteplatz außerhalb des Gautors in mein Konzept. Da die Straße sich auf einer Linie fortsetzt, die zur vermutlichen porta principalis dextra führt, bietet sich die Hypothese an, dass dies die vorrömische Trasse war und die Straße durch das Terrain des Lagers zog und erst, als das castrum errichtet wurde, in das nahe Bachtälchen (wo man sich sehr gut einen frühen Wohnplatz vorstellen könnte, den man anfänglich wie auch das Tälchen umgehen wollte) verlegt wurde.

0.4.5.(–ARG–/–BOR–)

Keine der einander ergänzenden oder widersprechenden Veröffentlichungen zu Mogontiacum erkennt die "Hechtsheimer Straße" (auf Hechtsheimer Gemarkung früher "Gaustraße", jetzt "Alte Mainzer Straße") als Römerstraße, auf keinem der Pläne erscheint sie. Es war aber die Hauptausfallstraße nach Süden (Straßburg, Basel, Alpenpässe oder Besançon, letztlich immer Rom). Zu ihr gehörten die Gräberfelder und Kirchen von St. Maria in campis/Heilig Kreuz und nicht zuletzt St. Alban. Mein Foto (Abb. 14) zeigt nur einen Teil der 2,5 km geraden Strecke.

Zweifellos diente diese in genau nördlicher Richtung zum Scheitelpunkt bei St. Ignaz zielende Straße als repräsentative Verbindung von Straßburg her. Im Mittelalter verlor sie diese Funktion weitgehend zugunsten der 8. Trotzdem (oder deshalb?) behielt sie ihre wie mit dem Lineal gezogene Trasse über Tal und Berg, vom Ortsrand von Hechtsheim bis an die Terrassenkante, wo "Die Steig" den Steilhang überwand und das römische Theater umging.

0.4.6.(–BOR–)

Die Priorität von 9 (–ARG–) zeigt sich auch daran, dass der immer als römische Hauptverbindung nach Worms angesehene "Bodenheimer Weg" von ihr abzweigt, und zwar genau bei der Überquerung der "Landwehr". Das nur bis Mitte des 19. Jahrhunderts erhaltene Anfangsstück bildet mit der "Gaustraße" und dem "Heiligkreuzweg" ein Dreieck, das durch das Stift St Maria in campis/Heilig Kreuz akzentuiert wurde.

Diese Linie (') wird nur noch als Bruchstück bei Weisenau (Im Leimen, Laubenheimer Straße) greifbar, dann ist sie von der Portland-Zement abgegraben.

Die besten Übersichten zeigen, dass von Kastel aus ein Fächer von Straßen ging: Ihr Ausgangspunkt war zunächst wohl die Anlegestelle der Fähre, bzw. das Ende der Brücke, wurde aber später zum einzigen Tor des Brückenkopfkastels verlegt. Dort fand man auch zwei Meilensteine, einen von 122 n. Chr. (Hadrian), den anderen etwa 100 Jahre jünger, die die Entfernung ab Aquis Mattiacorum mit 6 Meilen, bzw. 4 Leugen (≈ 9 km) angaben.[Anm. 33]

0.5.Zwischenergebnisse

Selbst wenn man von den virtuellen Verlängerungen einige abzöge – deutlich wird, dass die nach Mainz führenden linksrheinischen Altstraßen zwei Zielpunkte hatten. Der eine ist erwartungsgemäß der damalige Brückenkopf (etwa auf dem heutigen Mitternachtsplatz), der andere überraschenderweise eine Stelle etwas südlich der St. Ignaz-Kirche, also zu Füßen von Drususdenkmal und römischem Theater.

0.6.Kontinuität der nordmainischen Rheinüberquerung als Straßenziel

Im heutigen Stadtgebiet waren die Höhenunterschiede vom Straßenverkehr ohne Serpentinen u. dgl. zu überwinden, denn für zweirädrige Karren waren Steigungen selbst von 16 % noch akzeptabel, zu Fuß überwanden die Legionäre auch 30 %. Es gab nur ein, freilich entscheidendes Hindernis: den Rhein. Er war damals noch nicht begradigt und ausgebaggert. Wie weit reichten Ufer, Sumpf- und Überschwemmungsgebiete? Gab es damals schon die Petersaueund die Bleichaue; wo begannen, wo endeten sie?[Anm. 34]  Von der historischen Geographie gibt es keine genauen Auskünfte über die Gewässer zu jener Zeit. Nur punktuell hat man durch Grabungen oder Sondagen Sedimente gefunden, die man datieren konnte. Fest steht nur, dass der Main durch den heutigen Altarm östlich der Maaraue floss, also etwa 1 km weiter flussabwärts in den Rhein mündete als heute. Einen wesentlichen Hinweis darauf gibt die Lage der römischen Mainbrücke, die den heutigen Lauf schräg überquert. Eine Delta-Mündung mag nicht ausgeschlossen sein.

Erst in jüngster Zeit spricht man von einem römerzeitlich noch schiffbaren "Rest-Neckar", der etwa bei Ginsheim in den Rhein mündete. Er benützte das Bett des seit dem Ende der Eiszeit nicht mehr hier fließenden Ur-Neckar.[Anm. 35] Furten (wahrscheinlich mit befestigtem Grund) gab es vielleicht rheinabwärts bei Schierstein und bestimmt rheinaufwärts (in Weisenau/Laubenheim). Das gilt auch für die Römerzeit: « Les ponts doublent souvent les gués, plus qu'ils ne les remplacent… »[Anm. 36] Doch waren die Furten gewiss bei Hochwasser nicht benutzbar, auf keinen Fall durchgehend militärisch „einsatzbereit“. Noch weniger konnte man sich auf eine tragende Eisdecke einrichten, wie eine den Saturninus-Aufstand scheitern ließ. Die beim Isisheiligtum gefundenen Grabhügel sind noch vorkeltisch, also wohl auch die Straße, bei der sie lagen. Die wiederum zielte zum Rhein, und das heißt sinnvoller Weise: zu einem Rheinübergang. Hier führte tatsächlich eine hochwasserfreie Landzunge (der südliche Schwemmhügel des Zay-/Umbachs) nahe ans Flussbett. Wer aus Westen und Süden in die Gebiete nördlich des Mains wollte (ins Chattenland, nach Thüringen und darüber hinaus), fand keine bessere Stelle zum Überqueren als diese zwischen Mainz und Kastel."„Hohe Ufer" waren in flachem Schwemmland immer hervorgehoben: Hannover, Altrip, Rivesaltes u. a. haben sogar den Namen davon. Und hier gab es auf beiden Seiten kaum einen Schwemm- und Überschwemmungssaum. Weil hier der Rhein, selbst als er sehr viel breiter floss als heute, auch relativ schmal war, ist es aufgrund des notwendigen Querschnitts für die Wassermassen oder erhöhter Fließgeschwindigkeit unwahrscheinlich, dass es an dieser Stelle eine bei Normalwasser benutzbare Furt gab. Die Emmeranstraße führte also bereits in vorrömischer Zeit zu einer Fähre. Das war logisch: Die Fähre fuhr in dem knappen Bereich zwischen der damaligen Mainmündung und der Petersaue. Diese Insel wäre zwar für eine Brücke oder Furt vorteilhaft gewesen, verhinderte aber eine Fährverbindung.

Von Rom aus führten ins innergermanische Gebiet zwischen Paderborn und Eisenach und darüber hinaus alle direkten Wege via Mainz und den Mainzer Rheinübergang (Abb. 1). Dieses Ziel aber hatten die Römer seit der Zeit des Drusus. Sobald sie einen ersten Streifen rechtsrheinischen Landes für sich gesichert hatten, bauten sie die Brücke. Deren Bedeutung wird allein schon daraus ersichtlich, dass sie zwei Fahrspuren hatte und es sich lange Zeit (bis unter Trajan und Konstantin die Brücken am Unterlauf der Donau entstanden) mit vermutlich 834 m Länge um die längste Brücke im römischen Reich handelte, wobei freilich die vollständig gemauerte in Mérida fast genau so lang gewesen sein dürfte.[Anm. 37] Ob nun nach verbreiteter Auffassung die bisher nachgewiesene Brücke erst zur Vorbereitung der Chattenkriege (also Anfang der 80er Jahre n. Chr.) oder, wie neue Funde nahe legen, bereits um 29 n. Chr. erbaut wurde,– man darf annehmen, dass es, vielleicht schon unter Drusus, spätestens aber in den beiden ersten Jahrzehnten des ersten Jahrhunderts, zumindest zeitweise eine Schiffsbrücke gegeben hat.[Anm. 38] Ich tue dies ohne Beleg, aber wie soll eine Schiffsbrücke archäologische Spuren hinterlassen? Wenn auf Feldzügen zweimal ein Caesar und später selbst ein Attila aus Schwarzwaldstämmen provisorische Rheinbrücken bauen konnten (Sidonius Apollinaris, Panegyr. Avit. 325–326), kann das den Legionen des Drusus kein Problem bereitet haben. Auch eine andere Überlegung führt zu dieser Annahme: Fester Fährbetrieb wurde am praktischsten mit einer Gierfähre betrieben. Zwei Gierfähren an gleicher Stelle mussten schon aufeinander und auf die allgemeine Schifffahrt Rücksicht nehmen, drei waren unmöglich. Die Römer hatten sehr große Kontingente eilig über den Rhein zu verfrachten.

Zwischen Quelle und Mündung war jedenfalls die ganze Römerzeit hindurch kein Rheinübergang bedeutender als der bei Mainz.

0.7.Das zweite Ziel am Rhein

Selbst wenn nicht alle meine virtuellen Linien in vorrömischer oder frührömischer Zeit Realität gewesen wären, wäre doch deutlich, dass im Süden der Stadt ein zweiter wichtiger Zielpunkt war.

Wer in die Gebiete südlich des Mains wollte, hätte bei einer Rheinüberquerung stromabwärts der Einmündung noch einmal den Nebenfluss zu überqueren gehabt. Dementsprechend könnte man eine zweite, südlichere Fähre oder Furt annehmen. Von ihr ließe sich rechtsrheinisch nichts mehr nachweisen, da die Kostheimer Brücke sie überflüssig gemacht und der seine Mündung verlegende Main und die Anlage der Gustavsburg alle Spuren getilgt hätten. Diese verkehrsgeographische Begründung für den zweiten Zielpunkt verfängt aber kaum. Denn hierher führten vor allem die Straßen aus Süden und Südwesten, bestimmt nicht wegen einer Fähre. nach Südosten, also so gut wie zurück. Auch lag die Weisenauer Fähre für die von Mainz aus geringeren Verkehrsziele südlich des Mains in günstigerem Gelände.

Es gibt nur eine Erklärung für diesen Zielpunkt im Süden des Stadtgebiets: Hier gab es ein Siedlungszentrum.[Anm. 39] In seiner Nachbarschaft errichteten die Römer die frühesten und wichtigsten architektonischen Symbole ihrer Herrschaft, das Drusus-Kenotaph und das Theater, zu dem alljährlich die Repräsentanten der Provinz zu Tausenden kamen, mit bester Verkehrsanbindung. Möglicherweise wurden die hierher zielenden Straßen erst von den Römern angelegt, mit den Perspektivpunkten Kenotaph und Theater, vielleicht auch dem noch immer nicht gefundenen Gouverneurspalast, dem Praetorium. Eher war es aber umgekehrt: Die Großbauten baute man als Perspektivpunkte. (Ganz parallel zu den analogen Bauten in der Metropole Lyon.)

Auf jeden Fall waren die Straßen zu den beiden Zielpunkten mehrfach verschränkt und durch Querwege verbunden.

0.8.Das Lager und das Straßennetz

Zunächst einmal negativ: Keine der Fernstraßen zielt auf das Lager der Mainzer Legionen, abgesehen von dem Sonderfall der (–ARG–). Dabei war keiner der mehr oder weniger steilen Hänge, die das castrum auf drei Seiten umgeben, für eine Altstraße mehr als unbequem. Trotzdem führte keine durch das Lager. Das ist selbstverständlich; schließlich duldet kein Befehlshaber eine militärische Anlage, durch die Fernverkehr unkontrollierbarer Passanten führt. Für die Römerzeit muss man daher als Prämisse annehmen, dass das Zweilegionenlager zwar die zivilen Verkehrswege kontrollieren sollte (etwa die an der Südecke direkt unter der Mauer vorbeiführende Gaustraße, die (–CCAA–) entlang der Südwestmauer, die (–DIV–) an der Südecke), diese aber auf keinen Fall durch das Lager führten.[Anm. 40][1] Natürlich führten aus den Lagertoren möglichst direkte Verbindungen zum überregionalen Straßennetz. Einige von ihnen sind archäologisch nachgewiesen. Für kein Tor gibt es freilich einen archäologischen Beweis seiner genauen Lage. Wie im Süden des Lagers nachgewiesen, gab es direkt vor der Lagermauer eine parallele Straße, nicht zu verwechseln mit der „Oberen Zahlbacher Straße“, einem Teilstück der (–DIV–). Dies hatte strategischen Sinn: Bei einem Alarm zum Eilmarsch z. B. über die Brücke hätten sich die Legionäre sonst alle gleichzeitig durch die porta praetoria zwängen müssen. So konnten die aus dem hinteren Lagerteil (retentura) auch die portae principales benützen, ohne dass der kleine Umweg allzuviel Zeit kostete. Angesichts der Präzedenz des Straßensystems möchte ich sogar die Schlussfolgerung umkehren: Es war nicht so, dass keine Fernstraßen über den Kästrich führten, weil dort das Lager war. Umgekehrt wird eine Legionärssandale daraus: Das Lager wurde auf dem Kästrich errichtet, weil dort keine Straße verlief und die Topographie vorteilhaft war. Es war eh keine Festung im spätrömischen Sinne.

Aber das Legionslager musste auf ältere Straßen Rücksicht nehmen und wurde wohl deshalb ein unregelmäßiges Sechseck statt ein Rechteck. Auf einer unbebauten Kästrich-Höhe hätte ein solches in genügender Größe errichtet werden können…          

0.9.Das spätrömische Tor auf dem Kästrich

Es dürfte kein echtes "Stadt"tor gewesen sein. Keine frühere oder spätere Fernstraße führte hier aus der Stadt, nur die principalis des Lagers war hier verlaufen. So schwache Befestigungen und nur eine Fahrbahn hätten die Römer auch in ihren schlimmsten Zeiten für das Tor einer Metropole als zu mickrig angesehen. Schon die Breitspur der Fahrrillen, die die römischen Normen für Karren deutlich übertrifft, deutet auf eine andere Bestimmung hin, ebenso die für normalen Verkehr sehr hinderliche Schwelle. Hier fuhren nur Schwertransporte, gewiss mit abgerissenem Baumaterial zur Zweitverwendung. Das kann nicht lange gedauert haben; als die Arbeit beendet war, schloss man den Einlass.

Bei der Freilegung wurde freilich nur eine mittelalterliche Vermauerung festgestellt, allerdings war die ganze Mauer im Aufgehenden mittelalterlich. Wir brauchen uns nur die Militärlogik des Vorgehens zu vergegenwärtigen. Es existieren das – wegen Truppenverlegung – inzwischen zu große Lager und die nun befestigte Stadt, deren Mauern sich zangenartig an die beiden Seiten des Lagers anlegen. (Die Ausdehnung des ummauerten Gebiets nach Süden ist freilich nach neuesten Erkenntnissen offen, die mittelalterliche Stadtmauer ruht bestenfalls zwischen Weißgasse und Eisgrubweg auf römischem Fundament.) Nach den Verheerungen der 350er Jahre verbindet man die Mauer quer durchs Lager. Man baut die neue Mauer mit den Steinen der porta praetoria und überhaupt der stadtseitigen Lagerbauten und -befestigung. (Oder blieb diese zum Schutz eines militärischen Sonderviertels erhalten? Im Frühmittelalter gab es hier noch eine murus Kestrina.[Anm. 41][1]) Als die Stadtmauerverbindung funktionsfähig war, konnte man das äußere Lager aufgeben und musste es auch abreißen, d. h. zum Glacis machen, damit kein Feind sich auf der höchsten, gefährdetsten Stelle vor der Stadt in den sicher großen Gebäuden verschanzen konnte. Es fragt sich nur, was man mit all dem Steinmaterial in der Stadt anfing, wo gewiss keine große Baukonjunktur herrschte. Wurde damit die Mauer längs des Rheins errichtet? Wurden die anderen Mauern verstärkt? Wurden Menschen und Werkstätten von der Höhe in die Unterstadt umgesiedelt?  

0.10.Rheinübergänge im weiteren Gebiet

Die Fähren und Furten zwischen Bingen und Worms (Frei-Weinheim, Heidenfahrt, Budenheim, Weisenau, Nierstein, Gernsheim) dienten regional bedeutenden Querverbindungen, die eigene Untersuchungen verdienen. In die Gebiete südlich des Mains kam man von Innergallien aus besser über Worms, in die südlich des Neckars über Altrip und Speyer; weiter stromaufwärts gab es noch zahlreiche, aber neben Mainz sekundäre Möglichkeiten.

Dieser Gesichtspunkt sollte auch für die Linienführung des obergermanisch-raetischen Limes beachtet werden: Er diente nicht zuletzt der Sicherung der wichtigen Straßenzüge, die die Rheinknie von Bingen und Basel abkürzten und die rascheste Verlegung der Legionen zwischen den germanischen Provinzen und Raetien, Noricum und Pannonien ermöglichten. Selbst die mit einem Limesbogen einbezogene Wetterau war nicht nur fruchtbar, sondern hatte auch eminente Verkehrsbedeutung.

Die von Domitian ausgebaute Straße über Ladenburg–Bad Cannstatt nach Augsburg konnte von vornherein die Brücken über den Rhein und den Main benützen; aber auch die Fähre in Weisenau dürfte ihr Verkehr zugebracht haben.

0.11.Die historische Dimension

Langlebige Elemente der Infrastruktur, wie es Straßen sind, lassen sich meistens sehr schlecht datieren. Die Straßen machen ihren Weg durch die Jahrtausende. Das hat natürlich mit geographischen Voraussetzungen zu tun, es geht um eine recht natürliche Kontinuität. Oft haben wir Belege aller Art, zu welchem Zeitpunkt eine Straße in Gebrauch war: Meilensteine, Streufunde, urkundliche und historiographische Quellen geben uns zuweilen Stichjahre. Aber die Anfänge eines systematisch begangenen Wegs liegen fast immer im Dunkel, und genau so (meist) sein Ende: Der Verkehr verlässt ihn allmählich, weil er überhaupt geringer wird, weil bessere Verkehrsmittel andere Trassen erfordern oder weil der Zielpunkt an Attraktivität verliert. Einzelne Teilstücke dienen dann noch dem Nahverkehr, vor allem der Land- und Forstwirtschaft.

In Mainz gibt es in keinem der (rekonstruierten) Stadtpläne für zwei Jahrtausende deutliche Durchgangsstraßen außer der vom Gautor zum Brückenkopf. Ursache dafür ist in erster Linie, dass die Stadt nicht mehr Durchgangsgebiet war, sondern selber zum Ziel wurde, zu mindestens zum Etappenziel. Daraus folgert, dass mein schönes Tableau mit den geradlinigen Trassen durch den Bereich der Stadt nur gelten kann für die Zeit, als dieser noch nicht oder nur wenig bebaut war, also die vor-, vielleicht auch die früh-römische.

0.11.1.Vor den Römern

Die verkehrsgeographische Schlüsselstellung von Mainz, noch dazu in einem klimatisch und von der Bodengüte begünstigten Gebiet, ist so evident, dass ich hier nicht auf die vorgeschichtlichen Funde hinweisen muss. Allgemein wird von Archäologen bemerkt, dass für die Latènezeit gegenüber früheren Epochen ein Fund- und wohl auch Siedlungsrückgang konstatiert wird. Ein Oppidum wie im Heidetränktal oder auf dem Donnersberg gab es direkt am Rhein offensichtlich nicht.#

Irgendwo muss aber der Ort gelegen haben, der den Namen Mogontiacum trug und ihn auf das Lager und die römische Stadt übertrug. Die durch Funde belegte Siedlung in Weisenau war es schwerlich. Man wird überhaupt von mehreren Einzelsiedlungen ausgehen dürfen, die vielleicht noch in den aus der Römerzeit zwar inschriftlich belegten, aber nicht lokalisierbaren verschiedenen vici im Stadtgebiet weiterlebten. In ein Vakuum kamen die Römer jedenfalls nicht. Wenn Mogontiacum schon vor Drusus zum Gebiet der Treverer gehörte und Rom assoziiert war, war damals die Straße von Trier her (–TRE–) am wichtigsten. Darum wohl geben frühe Mainzer Meilensteine die Entfernung nach dort an.[Anm. 42]

0.11.2.Die Römerzeit

Zur geplanten Eroberung Germaniens wurden die Anmarschwege aus Gallien (–DIV–, –ALT–, –ARG–) wichtig. Gleichwohl, eine absolute Chronologie für Veränderungen im Straßennetz kann es nicht geben, selbst wenn einzelne Daten feststehen. Für die Straßenführung wichtig waren:

  • Der Bau des Zweilegionenlagers (Drusus, spätestens 13/12 v. Chr.) auf dem Kästrichplateau, das, weil wasserarm, offensichtlich vorher unbesiedelt war. Der Aquädukt diente also nur dem Lager. Das tiefergelegene Stadtgebiet hatte Wasser und Brunnen genug.
  • Der Bau der Brücke über den Rhein (wahrscheinlich 29 n. Chr.) und derjenigen über den Main (wohl domitianisch), was die benachbarten Fähren und Furten um einen Teil ihrer Bedeutung brachte.
  • Der Bau der Stadtmauer in zwei oder drei Stufen und die Aufgabe des Lagers (ca. 260 und ca. 360).

Weniger Auswirkungen hatte anscheinend der Fall des obergermanisch-raetischen Limes, da die Straßen rechts des Rheins meist fortbestanden, zumindest im Vorfeld des Brückenkopfs.

0.11.3.Stadttore und Straßen

Weil das Straßennetz älter als das Lager war, sogar älter als die anzunehmende vorrömische Siedlung Mogontiacum und die größere römische Stadt, waren auch die Stadttore erst nachträgliche Zielpunkte, oder vielmehr scheinbare, weil sie wohl einfach an der Kreuzung der Straßen mit dem Zug der Stadtmauer errichtet wurden. Zwei Tore fast nebeneinander zu bauen vermied man aber doch, aus Kostengründen wie aus militärischen Überlegungen. So wurden die –TRE– (von der es schon eine Verbindung zur porta principalis sinistra des Lagers gab) und der Abzweig von der 2 durch ein gemeinsames Tor (ungefähr Gärtnergasse/Hintere Bleiche) geführt. Genauer: Man baute die Stadtmauer so, dass sie die beiden Straßen nicht einzeln, sondern an ihrem Schnittpunkt gemeinsam überquerte.

Dass aber Straßenführungen auch zugunsten von Toren verändert wurden, zeigt sich in Kastel. Hier führte die alte "Wiesbadener Straße" ursprünglich schnurstracks zur Anlegestelle der Fähre. Als der Brückenkopf zum castellum befestigt wurde, durch den man den Verkehr leitete, um ihn zu kontrollieren, musste sie um die kleine Befestigung herumführen und sich mit der Hauptstraße, der "Elisabethenstraße" (ältere Bezeichnung "Steinstraße") vor dem Triumph- und dem eigentlichen Festungstor vereinigen. Später wurde die Siedlung Kastel als ganzes ummauert.

0.11.4.Im Mittelalter

Was die Römer im Straßennetz als Erbe übernahmen, benutzten und ergänzten, hat das Mittelalter übernommen, manches umgestaltet und ausgebaut, anderes verfallen lassen, und so an seine Erben weitergegeben, zur Zeit also an uns. Auf den von Mainz-Kastel ins Innere Germaniens ausgehenden Straßen hat sich im Frühmittelalter das Mainzer Erzbistum seinen ungeheuren Sprengel erschlossen.

Nach der Römerzeit gibt es freilich deutliche Veränderungen. Einige Ziele verlieren an Bedeutung, das betrifft vor allem die Verbindung von Metz nach Mainz. (Diese Entwicklung wurde später verstärkt durch das Auseinandertriften von Deutschland und Frankreich.) Die Metzer Straße wurde zur Kreuznacher und schließlich zur Draiser Straße; umgekehrt eine Straße nach Alzey zur Pariser Chaussee. Während römische Fernstraßen landwirtschaftliche Ansiedlungen mieden (oder umgekehrt: denn Straßen meiden das Wasser, Ansiedlungen brauchen es), wurden die Straßen jetzt zu den Ortschaften geführt und verloren so ihre Geradlinigkeit (auch hier das Beispiel Drais). Die Transportmittel änderten sich. Bessere Anspannmöglichkeiten (Kummet) und besserer Wagenbau ließen nun auch Schwerverkehr über Land zu, was die kleineren Wasserwege zur Energienutzung freimachte (Bau von Mühlen) und einige der zu bergigen Straßen obsolet werden ließ. Da die nie absolute Grenzfunktion des Rheins völlig entfiel, konnte das Straßennetz seine Schwerpunkte nach Osten verlagern, was vor allem Frankfurt zugute kam.

Es gibt eine Reihe von frühmittelalterlichen Urkunden, die Straßen (regis platea, strata publica, via publica u. ä.) in Mainz als leider nicht lokalisierbare Grenzen nennen. Eine via regis begrenzte z. B. eine Hofstatt cum omni fabrica am Rhein ad hrachatom, das der auch am Dimesser Ort begüterte Lantfrid (s. o.) ungefähr gleichzeitig dem Kloster Fulda schenkt. Hier lag die Hrahhada porta und später die Rachede, wo die Schiffsmühlen offensichtlich an den römischen Brückenpfeilern verankert waren.[Anm. 43] Das fremde Wort hängt vielleicht mit "Reede" zusammen. Oder (Metathese) mit arcata?

Auf alle Fälle war die sancta sedes Moguntina zwar noch ein wichtiges Ziel, aber jeder nicht bloß lokale Weg wies denn doch wieder über Mainz hinaus. Das ist ja auch heute noch so. Und darum hatte Mainz immer zugleich eine zentrale und eine Durchgangs-Bedeutung. Durchgangsstraßen im gewachsenen Stadtgebiet konnte man freilich erst nach den Zerstörungen des II. Weltkriegs planen und teilweise sogar verwirklichen.

0.12.Offene Fragen

Es ist wohl deutlich geworden, dass die Römer Mogontiacum wegen seiner Verkehrsbedeutung zum zentralen Truppenstandort und schließlich zu einer Metropole machten, und nicht umgekehrt die Fernstraßen wegen des Lagers und der Stadt entstanden. Die neuen Herren mussten sich nach dem vorhandenen Straßensystem und vorhandenen Siedlungen, sowie nach der Topographie richten. Wo aber lag das vorrömische Mogontiacum? Das ist nur eine der vielen Fragen, die sich auftun, wenn man meint, auf andere Fragen eine Antwort zu haben.

Was bedeutet die Ansammlung von Zentral- und Zielfunktionen zwischen Holzturm und Steig? Welche Funktion hatten "Dimesser Ort" (wohl erst römisch) und Weisenau (wohl schon keltisch)? Was war am "Bruch" (sumpfiges Gelände) los, dass dort drei Nebenstraßen hinführen? Lässt sich die innerstädtische Lagermauer nicht vielleicht kartographisch nachweisen? Zur Zeit werden die gefundenen Gräber(felder) von Marion Witteyer im Auftrag von Thyssenstiftung/DFG in eine diachrone Karte eingezeichnet. Daraus wird man sehen können, wann eine Stelle "außerorts" war.

Offensichtlich hatte Mainz nicht nur ein einziges Zentrum, sondern mehrere Kristallisationspunkte. Nur eines ist sicher: Dass das Straßennetz älter war als das römische und wahrscheinlich sogar älter als das vorrömische Mogontiacum.

Anmerkungen:

  1. Raymond Chevallier, LesVoies Romaines, Paris (Picard) 1997, S. 299ff. Besonders anregend ist auch die sehr pragmatische „Théorie des voies romaines“ bei Albert Grenier, Manuel d'archéologie gallo-romaine, Deuxième partie: L'Archéologie du sol. Les routes (Manuel d'Ar­chéologie préhistorique, celtique et gallo-romaine par J. Déchelette VI, 1 et 2), Paris 1934. Während in Frankreich, Österreich und der Schweiz die Altstraßenforschung ausgesprochen intensiv betrieben wird („Inventar der historischen Verkehrswege der Schweiz“, www.viastoria.ch), gibt es in Deutschland meines Wissens nur beim Limesmuseum Aalen eingehende und stichhaltige Publikationen der letzten Jahrzehnte (Reihe „Itinera Romana“, u. a.: Helmut Bender, Römischer Reiseverkehr; Gerold Walser, Die römischen Straßen und Meilensteine in Raetien; Gerhard Winkler, Die römischen Straßen und Meilensteine in Noricum – Österreich). Zurück
  2. Vittorio Galliazzo, I Ponti Romani, 1 (Esperienze preromane – storia – Analisi architettonica e tipologica – Ornamenti – Rapporti con l'urbanistica – Significato), Treviso o. J. (1995), S. 591. Zurück
  3. Arno Reinfrank, Wie Münze, deren Wert geläufig, in: Pfälzer Heimat, Jg. 23 (1972), S. 41. Zurück
  4. J. Malaise, Les Conditions de pénétration et de diffusions des cultes égyptiens en Italie, (EPRO 22), Leyden 1972, S. 343ff. weist auf den engen Zusammenhang: 23 Kultstätten liegen an Straßengabelungen, 35 nahe bei einer Straße, 15 nicht weit entfernt. Nur 9 von insgesamt 131 liegen nicht an der Küste oder an einer Fernverbindung. – Marion Witteyer, Göttlicher Baugrund. Die Kultstätte für Isis und Magna Mater unter der Römerpassage in Mainz. Eine Schrift der „Initiative Römisches Mainz“ und der Archäologischen Denkmalpflege zur Eröffnung der Römerpassage im Februar 2003. Zurück
  5. Hermann Ament, Zur nachantiken Siedlungsgeschichte römischer vici im Rheinland, in: Landesgeschichte und Reichsgeschichte, Festschr. für Alois Gerlich zum 70. Geburtstag (hg. v. Winfried Dotzauer e. a.) (Gesch. LdKde 42), Stuttgart 1995, S. 19–34, hier S. 22. – Auffällig ist die Parallele zu Lugdunum/Condate/Canabae, die voneinander durch Saone und Rhône getrennt waren, die gleichfalls in historischer Zeit ihren Lauf veränderten (Jean Pelletier, Scharles Delfante, Atlas historique Grand LyonSeyssinet-Pariset 2004, S. 11ff.) Zurück
  6. Harm-Eckart Beier, Untersuchung der Gestaltung des römischen Straßennetzes im Gebiet von Eifel, Hunsrück und Pfalz aus der Sicht des Straßenbauingenieurs, Diss. Braunschweig 1971, ersetzt für die untersuchten Trassen auf weite Strecken die Darstellung von Joseph Hagen, Römerstraßen der Rheinprovinz (Erl. z. Geschichtl. Atlas d. Rheinprovinz 8), ²1931, die endlich einmal aktualisiert und auf die noch nicht behandelten Strecken ausgeweitet werden sollte.  Zurück
  7. F. Kofler, Alte Strassen in Hessen, in: WestdtZsGKunst, 20 (1901), S. 210ff mit Karte, und Karl Schumacher, Das römische Strassennetz und Besiedelungswesen in Rheinhessen, in: WestdtZsGKunst, 23 (1904), S. 277–309. Für Mainz fand ich noch weniger detaillierende lokale Beobachtungen. Ich nenne trotzdem Hans Jacobi, Mogontiacum, Das römische Mainz. 1996, passim. Dazu als Ergänzungs- und Belegband: Jacobi, Mogontiacum, Das römische Mainz, Antike Eurovision.– Commentarien, 2000, passim. (Die Karte in den inneren Umschlagseiten hinten hat das Verdienst die für damals vermuteten Uferlinien samt Einmündung des Mains einzubeziehen.) – Otto Roller, Wirtschaft und Verkehr, in: Die Römer in Rheinland-Pfalz, hg. v. Heinz Cüppers, 1990, S. 258–296, führt nicht darüber hinaus. Ungenügend die Karte:  „Das frührömische Mainz“ (Abb. 40, ebd. S. 84). Besser schon Abb. 374, S. 459. – Mainz, Führer zu vor- und frühgeschichtlichen Denkmälern 11, 1969 behandelt Straßen nicht. – Für unser Thema enttäuschte die Ausstellung im Landesmuseum Mainz und der Katalog „Die Römer und ihr Erbe. Fortschritt durch Innovation und Integration“, die keinen Fortschritt, keine Innovation und keine Integration verschiedener Disziplinen brachte. Das Mainzer Straßennetz ist – wie ich nachzuweisen glaube, teilweise noch heute – römisches Erbe, es wird von der Ausstellung nicht behandelt. Stattdessen geht es um römische Helme, Schwerter, Dolche, Götterbilder, Tafelgeschirr und Gläser. Weit ist man von den ausgestellten Mainzer „Antiquaren“ des 19. Jahrhunderts nicht entfernt. Zurück
  8. Beier, Untersuchung… (wie Anm. 6), S. 151f: „Diese unterschiedlichen Bauweisen wechseln u. U. sogar innerhalb der einzelnen Linienzüge. … Im Nahbereich der größeren Siedlungen … am sorgfältigsten und aufwendigsten. Auf den Zwischenstrecken … oft nur Kiesschüttungen, bei genügend festem Untergrund u. U. gar keine Befestigungen … Dennoch muss der Ausbau ausreichend gewesen sein, wie die überlieferten Reisegeschwindigkeiten und Marschleistungen beweisen.“ – Ein Sonderfall sind die Geleisestraßen (orbita), die bei Anstiegen auf felsigem Gelände nicht auf den Boden aufgebaut, sondern in den Felsen eingeschlagen wurden. Dazu gibt es besonders in der Schweiz viele gut untersuchte Beispiele, die meist bis ins 18. Jahrhundert immer wieder erneuert (höher- oder tiefergelegt) und benutzt wurden. Zurück
  9. Winfried Dotzauer, Mainz – Bingen – Trier. Die Geschichte eines bedeutenden Verkehrsweges von der Römerzeit bis heute, in: JbVFreundeUnivMainz, 23/24 (1974/75), S. 1–20.  Zurück
  10. Anne Kolb, Transport und Nachrichtentransfer im Römischen Reich (KLIO. Beitrr. z. Alten Geschichte. Beihefte NF 2)., S. 123–139, 206ff. Michael Alexander Speidel, Heer und Straßen – Militares viae, überarbeiteter Aufsatz unter www.mavors.org verbindet die Benennung Via militaris mit der Beherbergungspflicht für Kuriere und Offiziere mit evectio bzw. diploma, hält sie also für ein Synonym mit via publica.  Zurück
  11. Die vielen Abstiege nach Rheindiebach beweisen die Bedeutung dieser Strecke. Die Fähre wurde nach Niederheimbach verlegt, das wie Lorch kurmainzisch war (Josef Heinzelmann, Der Weg nach Trigorium… Grenzen, Straßen und Herrschaft zwischen Untermosel und Mittelrhein im Frühmittelalter, in: Jahrbuch für westdeutsche Landesgeschichte 21 (1995), S. 9–132.) Zurück
  12. Beier, Untersuchung… (wie Anm. 6), S. 69, S. 110 ff. – Auf den Römerstraßen ins Mittelalter. Beiträge zur Verkehrsgeschichte zwischen Maas und Rhein von der Spätantike bis ins 19. Jahrhundert, hg. Friedhelm Burgard und Afred Haverkamp (TriererHistForsch 30), 1997, abgeschlossen schon 1993, enthält mehrere wichtige Beiträge (vor allem Wolfgang Haubrichs über die volkssprachlichen Bezeichnungen für alte Fernwege, Ingemar König über die Römerstraßen in Nordgallien), der über die „Ausoniusstraße“ ist überholt und unzuverlässig. Zurück
  13. Auch der Fundort weist auf eine Direktstrecke nach Trier hin, trotzdem reiht CIL 18 (Miliaria Imperii Romani), 2 (Narbonensis Galliarum Germaniarum), 1986, S. 219, Nr. 561 den Stein bei der Strecke nach Köln ein. Übrigens betrachtet der Hg. Gerold Walser die Ausoniusstraße als Fortsetzung der Via Agrippae und kennt die Arbeit von Beier nicht. Zurück
  14. Beier, Untersuchung… (wie Anm. 6), S. 122 ff. Zurück
  15. Ronald Knöchlein, Drais und Marienborn. Die ältesten Besiedlungsspuren bis zu den ersten historischen Erwähnungen (Archäol. Ortsbetrachtungen 6), 2004, S. 19, meint, „ein sicherer Beweis für römischen Ursprung“ sei mit den Hodo- und Toponymen nicht erbracht.  Zurück
  16. Wolfgang Haubrichs, Basenvillare – Königsort und Heiligengrab. Zu den frühen Namen und zur Frühgeschichte von St. Wendel, in: Zeitschrift für die Geschichte der Saargegend 28 (1980), S. 7–89, insbes. S. 11ff. Zurück
  17. Franz Staab, Untersuchungen zur Gesellschaft am Mittelrhein in der Karolingerzeit (Geschichtliche Landeskunde 11), 1975, S. 32-64. Zurück
  18. Im Pfalzatlas Fehlanzeige zum römischen Straßennetz. Zurück
  19. Yves Burnand, De César à Clovis (Encyclopédie illustrée de la Lorraine. Histoire de la Lorraine, Les temps anciens. 2), Metz/Nancy 1990, S. 19–30. Zurück
  20. Dolata, Ein römisches Ziegeldach… Zurück
  21. Alfred Kurt, Zur Geschichte von Straßen und Verkehr im Land zwischen Rhein und Main, Frankfurt am Main, Univ., Diss., 1957. Zurück
  22. Willi Görich, Taunus-Übergänge und Wetterau-Straßen im Vorland von Frankfurt (MittVGLdeskde Bad Homburg vor der Höhe 23), 1954. Während er die Kontinuität von vorrömischen zu römischen Straßen betont, schließt er die von römischen zu karolin­gischen fast aus. Immerhin wird die starke Umwertung des Straßennetzes in seinem Untersuchungsbereich deutlich, verursacht durch eine dort schwächere Kontinuität von der Antike zum Mittelalter, die Umorientierung auf Frankfurt anstelle von Mainz und eine Veränderung der Verkehrsmittel (vor allem mehr Wagenverkehr: die "Weinstraßen" als "Wagenstraßen"). Dabei sind die Römerstraßen zu schematisch als immer schnurgerade  und als immer gepflastert angenommen. Zurück
  23. hrsg. v. G. Waitz, in: MG SS XV, 1, S. 243ff. Zurück
  24. Gerda Bernhard, Beitrag zur Geschichte alter Strassen im nordwestlichen Rheinhessen, in: MainzZ 27 (1932), S. 76-80 Zurück
  25. Chevallier, Voies Romaines… (wie Anm. 1), S. 161 ff. Zurück
  26. Attig von aquaeductus, bezeichnet auch einfache Wasserkanäle; die Flur Attach/Attich in Bretzenheim bestimmt die Wasserleitung. Eine Zwischenstufe "Ageduch" ist auszuschließen. Die angeblichen Grabsteine einer Ritterfamilie dieses Namens in Kloster Dalheim samt ihrem Wappen gehören zu den Fälschungen Bodmanns, sonst wären sie schon von Würdtwein behandelt worden, der sämtliche Dalheimer Grabsteine aufführt. Entsprechend zu korrigieren: Franz Stephan Pelgen, Aquädukt-Ansichten. Aus der Denkmalsgeschichte der Wasserversorgung für das römische Mainz (Archäol. Ortsbetrachtungen 5), 2004, S. 15f. Zurück
  27. Abb. 11 basiert auf der Karte bei Gebhard Kurz, Laubenheimer(!) in römischer Zeit, in: Laubenheimer Chronik, hg. Ortsverwaltung Mz-L, 1988, S. 21–34, hier S. 34. Merkwürdig die Frage, ob es sich bei der "Bodenheimer Straße" "um eine wirkliche Römerstraße handelt oder um einen vielleicht schon in vorrömischer Zeit bestehenden Weg"? Was ist das für eine Alternative! Leider wird in der Chronik auch auf den Urkataster von 1810 Bezug genommen, ohne den Fundort anzugeben. Daraus werden folgende Flurnamen ohne Lokalisierung zitiert: Adichrech, Am engen Pfad/Weg, Hochstraß, Keßweg, Platt/Platz, Steige, Steinbrücke, Ungass, Viehweg.  Zurück
  28. Warum liegen so viele Esch-Orte (Kaisersesch, Waldesch usw.) an Altstraßenkreuzungen? Zurück
  29. Zum Bedeutungsfeld gehört auch „Dachfirst, Gebirgskamm“; darum sind die Orteswege im Fuldischen nicht Teile einer einzigen Straße dieses Namens, sondern einfach Wasserscheidenwege. Zurück
  30. Adam Gottron, Wo stand die älteste Peterskirche in Mainz? (MainzZ 44/45, 1949/50, S. 67ff.) belegt, dass diese Peterskirche mit der ab 940 belegten Stiftskirche St. Peter nicht identisch ist. Am „Dimesser Ort“ muss es also eine größere Ortschaft gegeben haben, mit drei Kirchen! Zurück
  31. Staab, Untersuchungen… (wie Anm. 18), S. 87. Zurück
  32. Franz Stephan Pelgen, Mainz. Vom "elenden Steinklumpen" zum Denkmal. Aus der Geschichte der Mainzer Römerruinen (Archäol. Ortsbetrachtungen 3), 2003, S. 51-55. Abb. 30 lässt sie beim Anstieg westlich des Zaybachtals lokalisieren. Zurück
  33. CIL 17, 2, S. 242, Nr. 626f. Zurück
  34. Als älteste Karte ist mir die „Beschreibung der … erkauften Rheinaue bei Mainz“ von 1671 (LHA Ko 48, 1519) bekannt. Bei der Vermessung 1741 (LHA Ko 702 Nr. 17300) fällt auf, dass der nordöstliche Stromarm „Mayn fluss“ genannt wird. (Abb. und Hinweise in: Inventar der Akten und Amtsbücher des Archivs der Fürsten von der Leyen im Landeshauptarchiv Koblenz, bearb. v. Anja Ostrowitzki (V LdesArchivverw Rh-Pf 102), 2005, S. 417f., 443 und 455). An der Wasserfärbung erkenntlich vermischt sich der Main mit dem Rhein endgültig erst am Binger Loch. Zurück
  35. Paul Wagner, Riedstadt-Goddelau, Kreis Groß-Gerau: Holzbrücken im alten Neckarbett: Ausgrabungen  im Hessischen Ried 1976-1977 (Archäol. Denkmäler in Hessen 20), 1981. – Kontakt zum Teilprojekt Landschaftsarchäologie Hessisches Ried im Rahmen der Verbundforschung Archäologische Analytik an der Uni Frankfurt bekam ich nicht. Zurück
  36. Chevallier, Voies romaines … (wie Anm. 1), S. 127. Zurück
  37. Galliazzo, Ponti… (wie Anm. 2), 1, S. 278. Zurück
  38. Sibylle Bauer, Recycling in römischer Zeit: Spundbohlen einer frührömischen Brückenkonstruktion als Uferrandbefestigung in der Mainzer Holzstraße, in: Archäol. in Rheinland-Pfalz 2003, hg. v. Landesamt für Denkmalpflege, Mainz 2004, S. 35–38. Zurück
  39. Ronald Knöchlein, Zwischen Römern und Bonifatius. Siedlungsfunde der Merowingerzeit (Archäol. Ortsbetrachtungen 2), 2003, S. 13f. betont die Siedlungskontinuität. Zurück
  40. So ist es auch in anderen castra, z. B. Bingen und Boppard. Schumacher, Das römische Strassennetz … (wie Anm.  7), S. 280, behauptet freilich: "Die älteren römischen Strassenzüge gingen nach allen anderweitigen Erfahrungen vom Kastell, die jüngeren von der Stadtanlage aus…" Auch die neuste Referenz zur Topographie des römischen Mainz bezieht das rheinhessische Straßennetz auf das Lager: Marion Witteyer, Mogontiacum – Militärbasis und Verwaltungszentrum. Der archäologische Befund, in: Franz Dumont u. a. (Hg), Mainz, Die Geschichte der Stadt, S. 1021–1058, mit Stadtplan (Abb. 533) und Plan des Legionslagers (Abb. 534). Zurück
  41. Manfred Stimming, Die Stadt Mainz in karolingischer Zeit, WestdtZGKunst 31 (1912), S. 133–162, hier S. 138. Zurück
  42. Wahrscheinlich nahm diese Bedeutung während der ersten drei Jahrhunderte unserer Zeitrechnung ab, um dann mit der Aufwertung Triers in konstantinischer Zeit wieder zuzunehmen. Zurück
  43. Ludwig Falck, Mainz im frühen und hohen Mittelalter (G der Stadt Mainz, 2), 1972, S. 52. Zurück