Kusel in der Pfalz

0.Kusel im Ersten Weltkrieg

Eine Kleinstadt im westpfälzischen Bergland

„Wenn man den Wanderer in der Fremde fragt: ‚Wo kommst du her?‘ und er spricht: ‚Von Kusel‘, so ists, als ob dabei ein eigener Unterton mitklänge und bei dem Fragenden im langgezogenen Nachsprechen des Wortes ‚Von Kusel!?‘ ein stilles Bedauern und Mitleid sich hören ließe: Wie kann man nur von Kusel sein? Wo liegt denn Kusel? Wie kommt man dahin? Und dieses Leiden und Bedauern von Kusel zu sein, geht durch die ganze Pfalz am Rhein und zieht sich durch die deutschen Lande, soweit die Kuseler Zunge dringt." [Anm. 1]

Ludwig Heinrich Baum stimmte ein Jahrzehnt nach dem Ende des Ersten Weltkriegs den Leser mit diesen Fragen in seine Stadtchronik über Kusel ein. Es handelt sich dabei um das einzige bisher erschienene Übersichtswerk über dieses kleine Städtchen im westpfälzischen Bergland. Es überrascht wenig, dass jenes scheinbar bedauernswerte Kusel im Zusammenhang mit dem Ersten Weltkrieg gerade keine herausragende Rolle einnahm und aus militärischer und politischer Perspektive von eher geringer Bedeutung war. Die historische Befassung mit einer solchen Stadt vermittelt heute jedoch hervorragend den Kriegsalltag der Zivilbevölkerung in der Heimat.

0.2.Allgemeines

Der noch erhaltene Teil der Tuchfabrik in Kusel aus Blickrichtung des alten Bahndamms. Das Gebäude wird heute unter anderem als Stadtbibliothek genutzt.[Bild: Simeon Pfeiffer]

Zu Beginn des Ersten Weltkriegs lag Kusel, dessen Bahnhof damals noch kein Kopfbahnhof war, in der Aufmarschroute der hessischen Truppen zur Westfront. Schon kurze Zeit später wurde die Stadt dann zu einem der vielen Auffanglager für Verwundete, die wieder von dort zurückkamen. Zu diesem Zweck wurden sowohl das gerade neu errichtete Volksschulhaus als auch die Vereinsturnhalle zu Lazaretten umfunktioniert. Für diejenigen jedoch, die ihr Krankenbett nicht mehr verließen, sowie für insgesamt einhundert gefallene Soldaten aus der eigenen Stadt, wurde die Errichtung eines Ehrenfriedhofs in Auftrag gegeben. [Anm. 2]

Insgesamt zählte Kusel damals ungefähr 3500 Einwohner. Die Industrialisierung war in der ganzen Pfalz bereits verhältnismäßig weit vorangeschritten und zeigte sich in der Stadt besonders in der florierenden Tuchfabrikation. Ein Großteil der Bevölkerung bestand dementsprechend auch nicht etwa aus landwirtschaftlichen Selbstversorgern, sondern vor allem aus arbeitenden Konsumenten.  Diese Feststellung ist wichtig, da man im Ersten Weltkrieg an der sogenannten Heimatfront nicht gegen den Feind, sondern vor allem gegen den Mangel an Rohstoffen und den Hunger ankämpfte. Allerdings profitierten die Kuseler in dieser Hinsicht, im Vergleich zu den Bewohnern von Großstädten, sehr stark von den ländlich geprägten Ortschaften in unmittelbarer Nachbarschaft. [Anm. 3]

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0.3.Der Kampf durch den Alltag

Im ganzen Reich wurden aufgrund der schlechten Versorgungslage immer mehr Produkte durch das Militär reguliert. Dabei sollte die Zuteilung fester Lebensmittelrationen anhand von Bezugskarten und die Vorgabe staatlicher Höchstpreise für knappe Produkte die zivile Ernährung absichern. Zudem wurde gleichzeitig immer stärker direkt in die Arbeit der landwirtschaftlichen Erzeuger eingegriffen. Die Bürgermeisterei und das Königliche Bezirksamt Kusel veröffentlichten zu diesen Themen nahezu täglich neue Bekanntmachungen und Verordnungen in den beiden städtischen Zeitungen. Viele dieser Maßnahmen waren jedoch nur sehr schwer umzusetzen und andere führten zu ganz unerwünschten Ergebnissen. Die Landwirte begegneten der Höchstpreispolitik oft entweder mit einer Zurückhaltung ihrer Erzeugnisse bis ihnen bessere Preise geboten wurden oder aber mit falschen Bestandsangaben,  die ihnen ermöglichten, ihre Waren unter der Hand zu verkaufen. Auch ein Ausweichen der Erzeuger auf noch nicht regulierte Produkte sowie das Verfüttern der Lebensmittel an das eigene Vieh waren Folgen, wodurch deren Angebot noch weiter verknappt wurde.[Anm. 4]

Um fehlende Produkte auszugleichen, begann man während des Kriegs damit auf verschiedenste Ersatzmittel zurückzugreifen. So rief beispielsweise das Königliche Forstamt in Kusel regelmäßig die Stadtjugend dazu auf, Eicheln und Bucheckern zu sammeln. Diese konnten zu Speiseöl zermahlen werden, oder so zubereitet werden, dass man sie als Ersatznahrungsmittel für Kaffee, Suppen, Kotelett, Kuchen oder Konfekt einsetzen konnte.[Anm. 5] Die Lage verschlechterte sich im sogenannten Steckrübenwinter zwischen den Jahren 1916 und 1917 noch einmal deutlich. Es mangelte bereits seit langem an ausreichend Mehl, um Brot zu backen und die Getreideernte fiel erneut schlechter aus, als im Vorjahr. Gleichzeitig fehlte nun wegen einer großen Kartoffelmissernte das verbreitete Streckmittel für das bisher mit getrocknetem Kartoffelpulver vermischte Kriegsbrot, das sogenannte K-Brot. Zur Herstellung von Roggenbrot wurde daher stattdessen auf annährend alle Rübensorten, außer Zuckerrüben, und zum Strecken von Weizenbrot auf die in Kusel ausreichend vorhandene Gerste zurückgegriffen. [Anm. 6]

Auch die Versorgung der Bevölkerung mit verschiedenen tierischen Eiweißen und Fetten brachte zur Zeit des ersten Weltkriegs erhebliche Probleme mit sich, die mithilfe der Höchstpreispolitik nicht gelöst werden konnten. Um illegalen Fleischerzeugnissen durch Schwarzschlachtungen vorzubeugen, wurden die Bestände der Erzeuger ständig neu erfasst und das Verheimlichen von Vieh unter harte Strafe gestellt.[Anm. 7] Sogenannte Nachschaukommandos überprüften dabei die von den Landwirten erbrachten Angaben stichprobenartig. Der Erwerb von Vieh zum Zweck der privaten Hausschlachtung war ab November 1916 nur noch Landwirten gestattet. Durch die daraus resultierende Möglichkeit der Selbstversorgung verloren diese jedoch, wie bei allen anderen Lebensmitteln, den Anspruch auf Bezugskarten. Darüber hinaus musste man in Kusel ab Dezember 1916, auf besondere Entscheidung des Landwirtschaftlichen Vereins, zusätzlich ein Pfund Fett für jede Hausschlachtung zum amtlichen vorgeschriebenen Höchstpreis an die entsprechende Sammelstelle abgeben. [Anm. 8] Auch für die Beschaffung von Hühnereiern fand man eine lokale Lösung: Das ebenfalls staatlich regulierte Hühnerfutter wurde nur noch dann verkauft, wenn die Sammelstelle zeitgleich Eier erhielt. [Anm. 9]

Um die Lage vor Ort zu verbessern sollten außerdem sämtliche Flächen nutzbar gemacht werden. Dazu lässt sich in der Kuseler Zeitung für März 1917 Folgendes lesen: „Helft die Volksernährung sichern! Pflanzt Gemüse! Erfüllet eine vaterländische Pflicht! Kein tragfähiges Grundstück darf in der Kriegszeit unverwertet bleiben. Wer sein Land nicht bestellen kann, sorge für eine Vergebung an Bedürftige. Die Nachfrage nach Garten- und Ackerbauland ist groß.“[Anm. 10] Auch von Seiten der Stadt wurden während des Kriegs sowohl unbenutzte Kleingärten an interessierte Bürger vergeben, als auch gezielt Wiesen zu neuen Gärten umgewandelt und Gartenbaukurse angeboten. [Anm. 11]

Da die Lebensmittelsituation trotz der weitreichenden Maßnahmen sehr unzureichend war, richtete das Rote Kreuz zusammen mit dem lokalen Frauenverein jeden Winter eine Suppenküche für Schulkinder ein. Diese wurde durch Zuwendungen der Stadt und der umliegenden Ortschaften, aber auch im erheblichen Ausmaß durch private Spenden finanziert.[Anm. 12]

0.4.Das Ende des Kriegs

Linke der beiden Gedenktafeln in der evangelischen Kirche in Kusel mit den Gefallenen des Ersten Weltkriegs.[Bild: Simeon Pfeiffer]
Rechte der beiden Gedenktafeln in der evangelischen Kirche in Kusel mit den Gefallenen des Ersten Weltkriegs.[Bild: Simeon Pfeiffer]

Das Stadtleben war geprägt vom ständigen Mangel an alltäglichen Dingen, insbesondere Lebensmitteln. Die stetig tiefergreifenden staatlichen Regulierungen konnten dieses Problem nicht zuverlässig lösen – einige Maßnahmen verschlechterten die Situation sogar noch weiter. Erst gegen Ende des Kriegs änderte sich dieser Zustand. Nach einer letzten fehlgeschlagenen Offensive der Deutschen hielt 1918 die sich im gesamten Reich ausbreitende Novemberrevolution auch in Kusel Einzug. Die Verwaltung der Stadt ging dementsprechend kurz vor Kriegsende für eine kurze Weile in die Hände von regionalen Soldaten- und Arbeiterräten über. Am 11. November des gleichen Jahrs schloss schließlich das Deutsche Reich mit den Entente-Mächten einen Waffenstillstand. Kurz darauf zogen die sich zurückziehenden deutschen Truppen ein letztes Mal durch die Stadt und überließen sie danach den Franzosen, welche am 5. Dezember siegreich einmarschierten. Ein Versuch der durch Belgien und Frankreich besetzten Gebiete sich im Jahr 1923 durch die Ausrufung einer Rheinischen Republik, später der Pfälzischen Republik, vom Deutschen Reich loszusagen scheiterte bereits wenige Zeit später. [Anm. 13]

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Literatur:

  • Baum, Ludwig Heinrich: Kuseler Chronik. Geschichte einer deutschen Kleinstadt. Aus gedruckten und ungedruckten Quellen gesammelt und verfaßt. Mit 24 Bildern. Kusel 1928.
  • Schlegel, Wolfgang/Zink, Albert: 150 Jahre Landkreis Kusel. Beiträge zur Verwaltungs- und Wirtschaftsgeschichte von 1818 - 1968. Otterbach-Kaiserslautern, 1968.

Verfasser: Simeon Thomas Pfeiffer

Erstellt am 18.03.2015

Anmerkungen:

  1. Zit. Baum, Heinrich Ludwig: Kuseler Chronik. Geschichte einer deutschen Kleinstadt. Aus gedr. und ungedr. Quellen gesammelt. Mit 24 Bildern. Kusel, 1928, S. 3. Zurück
  2. Vgl. Ebenda, S. 237-238. Zurück
  3. Vgl. Thalmann, Heinrich: Die Pfalz im Ersten Weltkrieg. Der ehemalige bayerische Regierungskreis bis zur Besetzung Anfang Dezember 1918. Kaiserslautern, 1990. (Beiträge zur pfälzischen Geschichte, Bd. 2), S. 26-27; vgl. Schlegel,Wolfgang/Zink, Albert: 150 Jahre Landkreis Kusel. Beiträge zur Verwaltungs- und Wirtschaftsgeschichte von 1818 -1968.Otterbach-Kaiserslautern, 1968, S. 172-173; vgl. Nahe am Großen Krieg - Rheinpreußen und die Pfalz 1914. Vortragsveranstaltung im Landtag Rheinland-Pfalz am 29. September 2004. Mainz 2004. (Schriftenreihe des Landtags Rheinland-Pfalz, Bd. 24), S.11. Zurück
  4. Vgl. Hemmerich, Evelyn: Dörflicher und kleinstädtische Kriegsalltag im Ersten Weltkrieg. In: Jahrbuch für westdeutsche Landesgeschichte 37 (2011). S. 343-380, hier S. 346-347; vgl. Chickering, Roger: Freiburg im Ersten Weltkrieg. Totaler Krieg und städtischer Alltag 1914 - 1918. Paderborn [u.a.], 2009, S. 157-159; vgl. Ziemann, Benjamin: War experiences  in rural Germany. 1914 - 1923. Oxford [u.a.], Engl. ed., 2007. (The legacy of the Great War), S. 169. Zurück
  5. Kleinschmidt, [Josef] (Hrsg.): Kuseler Anzeiger. Baumholder zeitung. Amtsblatt des kgl. Amtsgerichts und kgl. Bezirksamts Kusel. Gelesenste Tageszeitung, Ausgabe vom 03.11.1916. Zurück
  6. Vgl. Kuseler Anzeiger, 21.12.1916 und 22.11.1916; vgl. Müller, Karl (Hrsg.): Kuseler Zeitung. Verbreitetstes Tagesblatt der Nordwestpfalz, Ausgaben vom 25.11.1916, 9.12.1916, 12.12.1916, 22.02.1917, und 16.03.1917. Zurück
  7. Vgl. Kuseler Zeitung, 28.02.1917 und 22.11.1916. Zurück
  8. Vgl. Kuseler Zeitung, 22.12.1916 und 02.02.1917. Zurück
  9. Vgl. Kuseler Zeitung, 20.01.1917. Zurück
  10. Zit. Kuseler Zeitung, 06.03.1917. Zurück
  11. Vgl. Kuseler Zeitung, 25.11.1916, 19.12.1916 und 04.01.1917; vgl. Kuseler Anzeiger, 04.11.1916. Zurück
  12. Vgl. Kuseler Zeitung, 16.11.1916 und 27.03.1917; vgl. Kuseler Anzeiger, 04.11.1916 und 13.01.1917. Zurück
  13. Vgl. Baum, S. 238-240. Zurück