Nieder-Olm in Rheinhessen

St. Georg zu Nieder-Olm. Bau- und kunstgeschichtliche Anmerkungen zur katholischen Pfarrkirche - von Hans-Peter Plattner

Neben dem klassizistischen alten Rathaus und dem modernen Gebäude der Verbandsgemeindeverwaltung prägt die katholische Pfarrkirche St. Georg den Nieder-Olmer Ortsmittelpunkt. Im Jahr 1779 - also vor 225 Jahren - wurde das barocke Kirchenschiff fertiggestellt. Dies gibt uns Anlaß, einen Rückblick auf die bau- und kunstgeschichtliche Entwicklung von St. Georg zu halten. In ihrer Bausubstanz weist die katholische Pfarrkirche drei Baustile auf: Den romanischen im Turm bis zum vierten Obergeschoß, den gotischen im Choranbau und den barocken im Kirchenschiff.

Romanik
Als wohl ältestes sakrales Gebäude ist im 7. Jahrhundert eine in Fachwerk ausgeführte Eigenkirchen mit Friedhof zu betrachten, die zu einem herrschaftlichen Gutshof gehörte. Der Schutzpatron dürfte auch damals schon der Heilige Georg gewesen sein, da es den fränkischen Adeligen gefiel, ihre Kirchen den streitbaren Heiligen wie Georg oder Martin zu weihen. Im 11ten Jahrhundert wurde an dieser Stelle eine steinerne romanische Kirche gebaut.
Die wahrscheinlich einschiffige Halle war in Ost-West-Richtung orientiert und an ihrer Ostseite stand ein fünfgeschossiger Turm, an dem sich wiederum an der Ostseite eine Apsis anschloß - ein halbkreisförmiges Chorhaupt, in dem der Altar stand und die 1984 durch Grabung belegt wurde. Der Turm ist durch Lisenen vertikal und durch Rundbogenfriese horizontal gegliedert. Von den Schlitzfenstern im Untergeschoß und im ersten Obergeschoß ist das untere an der Südseite mit Kerbschnittornamenten verziert. Die oberen drei Geschosse waren jeweils an allen vier Seiten mit gekuppelten Doppelfenstern versehen. Die Doppelfenster des zweiten und dritten Obergeschosses wurden in späterer Zeit - vermutlich während des Neubaus des barocken Kirchenschiffs -  so kunstgerecht zugemauert, dass sie heute nur noch im Innern zu sehen sind.
Das mit einem Kreuzgratgewölbe überspannte Turmuntergeschoß kann als Presbyterium angesehen werden - als Priesterraum mit jeweils zwei Sitznischen in der Nord- und Südwand, der im Osten von der Apsis abgeschlossen wurde. Apsis und überwölbtes Turmuntergeschoß bildeten gemeinsam den Altarraum, wo der Priester das Gebet leitete, das Wort Gottes verkündete und die Eucharistiefeier vollzog. Getreppte Chorbögen verbanden den Chorraum sowohl mit dem Kirchenschiff als auch mit der Apsis. Kirchen mit diesen Altarraumtürmen sind in Rheinhessen weit verbreitet. Wir finden sie beispielsweise in Dexheim, Nierstein, Jugenheim, Wörrstadt und Wonsheim. Als Baumaterialien kommen Sandsteine und Bruchsteine in Frage: Der Sandstein war geschlemmt und das Bruchsteinmauerwerk in der Regel verputzt.

Gotik
Um 1400 wurde die Apsis abgerissen und der Altarraum durch einen gotischen Chor mit 5/8-Schluß erweitert. Das Kreuzrippengewölbe des Chores krönen zwei Schlußsteine mit Blattornamentik. An der Außenseite  sind fünf Strebepfeiler angesetzt, die die Schubkräfte des Rippengewölbes aufnehmen. Bei den Grabungen im Jahr 1984 wurde im Innern des Chores das Fundament eines Altares mit einem davorligenden Grab gefunden.
Eine gotische Tür mit Spitzbogen wurde in die Nordseite des romanischen Turmes gebrochen, wobei eine der Sitznischen zerstört wurde. Ebenfalls führte von Norden eine weitere Tür in den gotischen Chor, so daß dort Anbauten aus Holz vermutet werden können, die vielleicht als Sakristei dienten. Diese Annahme könnte auch den folgenden Sachverhalt erklären: An der Nordseite des Chores fehlen zwei Spitzbogenfenster und der Strebepfeiler zwischen dem ersten und zweiten Joch.
Der im Jahr 1577 von Mathes Maskopp gefertigte Stadtplan von Nieder-Olm zeigt die Kirche in diesem Bauzustand, der jedoch durch die verzerrende Vogelperspektive des Plans nur undeutlich wiedergegeben wird. Der ummauerte Friedhof bildete mit der Kirche quasi eine Zitadelle, die in kriegerischen Zeiten zusammen mit der St. Laurentziburg als letzte Zufluchtsstätten dienen konnte. Auf dem maskoppschen Plan ist in der nordöstlichen Ecke des Friedhofes ein „Kerner“ dargestellt - ein Gebeinhaus.
Grabsteine von Priestern, adliger Burgmänner und deren Ehefrauen wurden beim Bau des barocken Kirchenschiffes von 1776  bis 1779 in die Friedhofsmauer eingelassen oder an den Neubau gestellt. Heute sind die Inschriften auf den verwitternden Sandsteingrabmälern fast alle verwischt. Die dem Finthener Schutzmantelbildnis sowie der Eltviller und der Rauenthaler Muttergottesfiguren ähnelnde Madonna stammt aus der Zeit um 1500 und wird dem sogenannten „Eltviller Meister“ zugeschrieben. In dem gleichen Zeitraum wurde auf dem Chorbogen zum Turmuntergeschoß das von Engeln gehaltene  Wappen des Reichskanzlers und Mainzer Erzbischofs Berthold von Henneberg (gest. 1504).
Aus den Visitationsberichten des seit 1600 bestehenden Olmer Landkapitels aus den Jahren 1696 und 1701 ist zu ersehen, dass die Kirche sich in dieser Zeit in einem sehr schlechten Bauzustand befand: Dach und Fenster waren  erneuerungsbedürftig. Das Spruchband über dem Chorbogen deutet auf eine Behebung der Schäden um 1750 hin.

Barock
Im Jahr 1776 entschloß sich Pfarrer Johann Jacobi, das alte, immer anfälliger werdende Kirchenschiff abzureißen und ein neues zu errichten. Romanischer Turm und gotischer Chor blieben stehen. Bis 1779 entstand die nord-südlich ausgerichtete barocke Hallenkirche mit der eindrucksvollen Giebelseite zum Ortsmittelpunkt hin. Die als attraktive Schauseite gestaltete Fassade ist mit Pilaster - flachen Wandpfeilern - in drei vertikalen Achsen gegliedert. Die breite Mittelachse enthält das Hauptportal mit dem darüberliegenden Fenster. Ein Gesims trennt die untere Fassade vom Giebel, der von Feuervasen auf den Eckpilastern und geschwungenen Bögen eingerahmt und durch einen dreieckigen Giebelaufsatz mit einem Kreuz abgeschlossen wird. In der Mittelachse des Giebels steht in einer Nische die von Nikolaus Binterim geschaffene Figur des Patronatsheiligen der Pfarrkirche: St. Georg, den Drachen tötend. Je drei Fenster in den beiden Längsseiten und vier in den Wänden des dreiseitig geschlossenen Chores dienen zur Beleuchtung des hohen und langgestreckten Saales.
Der gotische Chor wurde durch eine Mauer mit Tür vom romanischen Turmuntergeschoß abgetrennt und diente von nun an bis gegen Ende des 20ten Jahrhunderts als Sakristei. Eine Tür wurde in die Südseite des Turms gebrochen, die auch heute noch benutzt wird. Im barocken Chor stand der Hochaltar unter dem Baldachin, dessen geschwungenen Voluten auf vier Säulen mit korinthischen Kapitellen ruhen. An der Ostseite des Schiffes fand eine Kanzel mit Schalldeckel ihren Platz und im Süden wurde eine Orgelempore errichtet. Die heutige Orgel stammt aus der Armklarenkirche in Mainz und wurde 1770 von Michael Kohlhaas gebaut. Die meisten Heiligenfiguren, von denen die der Heiligen Katharina besonders hervorzuheben ist, stammen aus dem 18ten Jahrhundert.
Auffällig ist, dass die Kirche erst am 28. September 1783, also vier Jahre nach der Fertigstellung, vom Mainzer Weihbischof Valentin Heimes - einem ehemaligen Nieder-Olmer Kaplan - geweiht wurde, obwohl die erste Heilige Messe am 18. September 1779 gelesen worden war.

19. Jahrhundert
Dekan Anton Greipp ließ 1837 den Kirchturm um ein weiteres Stockwerk erhöhen und nach dem Vorbild der Nieder-Ingelheimer Pfarrkirche mit einem Faltdach versehen, womit die Nieder-Olmer Kirche ihr heutiges Aussehen erhielt. 1874 wurde St. Georg renoviert und mit Gemälden an Decken und Wenden ausgestattet. 1888 erhielt sie ein neue Geläut mit vier Glocken, die dem Heiligen Georg, der Heiligen Maria, der Heiligen Katharina und dem Heiligen Sebastian geweiht waren. 1890 erfolgte der Einbau einer Turmuhr. 1900 wurden wieder Renovierungsarbeiten durchgeführt und ein neuer Hochaltar errichtet.

20. Jahrhundert
1944/45 beschädigten Bombenangriffe und Artilleriebeschuß die Pfarrkirche, die nach dem Zweiten Weltkrieg zunächst nicht mehr für den Gottesdienst benutztbar war. Unter großen finanziellen Anstrengungen wurde sie wieder wiederhergestellt: 1948/49 der Turm und 1950/51 das Kirchenschiff. Am 22. September 1951, sechs-einhalb Jahre nach Kriegsende, zog die katholische Gemeinde mit Pfarrer Vitus Becker in das Gotteshaus ein. Bis dahin fanden die Gottesdienste im katholischen Schwesternhaus, dann in der evangelischen Kirche und anschließend im Saalbau Mertens statt. Erst 1955 waren die letzten Kriegsauswirkungen beseitigt: Bischof Albert Stohr weihte die drei neuen Glocken, die das Geläut wieder vervollständigten, da im Laufe des Krieges außer der kleinen Katharinenglocke alle anderen eingeschmolzen worden waren. Bei dem Wiederaufbau wurden die Wand- und Deckengemälde nicht mehr aufgehängt und die Kanzel von der Ost- an die Westseite des Triumphbogens versetzt.
1964 ließ Pfarrer Nikolay die Kirche renovieren, dabei wurden die Kanzel, die Empore und die Orgel marmoriert, wodurch die Kirche ihre ernste Atmosphäre verlor und sich eine feierliche einstellte. In der Scheitelwand des Chores wurde damals ein Rundfenster eingebracht, dessen Glasmalerei den auferstanden Christus zeigt.
Infolge der Reformen des Zweiten Vatikanischen Konzils, die hinsichtlich der Liturgie vorsehen, daß der Priester die Messe zum Volk hin zelebriert, veranlaßte Pfarrer Norbert Pfaff zu Beginn der 70er Jahre des 20ten Jahrhunderts, den Altar aus dem Chor herauszuholen und ihn auf einem hölzernen Unterbau im Kirchenschiff zu stellen, während die Orgel von der Empore heruntergeholt wurde und ihren Platz unter dem Baldachin im Chor fand. Diesem Provisorium bereitete die Innenrenovation 1977/78 ein Ende: Der Altar und der Baldachin rückten unter den Triumphbogen, die Kanzel wurde abgebaut und die Empore um einen Meter tiefer gesetzt; unter ihr entstanden beidseitig des Eingangs die Sakristei und ein Beichtzimmer; die Orgel fand wieder ihren alten Platz auf der Empore.  Weiterhin erhielt die Kirche auch einen neuen Wand- und Deckenanstrich mit natürlichen Kalkfarben sowie einen Fußbodenbelag aus gelbem Jurastein und rotem Veronastein im Diagonalverbund.
Nach der Innenrenovation wurde unverzüglich mit der Außenrenovation begonnen, die vor 20 Jahren im Herbst 1984 abgeschlossen werden konnten. Neben den Ausbesserungs- und Malerarbeiten an den Wänden wurde auch der Turmhelm durchgedeckt, dass heißt, schadhafte Schieferplatten durch neue ersetzt. Weiterhin wurden am Haupt- und Seitenportal des Kirchenschiffes neue Treppen angebracht. Ebenfalls wurde der romanische Turm an der Nordseite um ein Treppentürmchen ergänzt, das seit dem den Zugang über das erste Turmgeschoß sicherstellt.
Nach der Innenrenovation begannen im Turmuntergeschoß und im gotischen Choranbau Grabungsarbeiten, die 1984 ihren Höhepunkt fanden. Dabei entdeckte man die romanische Apsis, das Fundament eines Altars im gotischen Chor und ein Grab vor dem Altarfundament. Nach und nach wurden diese Räume hergerichtet und dienen seit Weihnachten 1986 als Sakramentskapelle.
Zu Beginn des 21. Jahrhunderts stehen wiederum umfangreiche Sanierungsmaßnahmen an, deren Notwendigkeit von Pfarrer Hubert Hilsbos und dem Vorsitzenden des Pfarrgemeinderates Adalbert Duhr erkannt worden sind. Ebenso hat sich der im März 2004 gegründete Verein der Freunde und Förderer der Kirche St. Georg Nieder-Olm e.V. unter Vorsitz von Gerhard Strümper - kurz „Kirchenbauverein“ genannt - zur Aufgabe gesetzt, diese Renovierungsarbeiten finanziell zu fördern.