0.Simultankirchen in Rheinhessen - Frühe Ökumene unter Kirchendächern
von Wolfgang Höpp
"Eine Kirche, drei Stromzähler" ist der Tenor eines Interviews, das der Bautzener Heinz Henke im Zusammenhang mit der Veröffentlichung seines Buches "Wohngemeinschaften unter deutschen Kirchendächern" einer katholischen Presseagentur gegeben hat. Es geht darin um den Begriff und die Bedeutung des Typus der "Simultankirche", auch "Simultaneum" genannt, einem von mehreren christlichen Glaubensrichtungen in konfessioneller Parität gemeinsam genutzten Sakralbau.
Die erste deutsche Simultankirche während und nach dem Beginn der Reformation war wohl der Bautzener Dom St. Petri. Hier wurde bereits 1524, also sieben Jahre nach dem Thesenanschlag Martin Luthers in Wittenberg, das Kirchengebäude durch ein Gitter in zwei Hälften geteilt. Das Langhaus, die Sakristei sowie die Orgelempore waren seitdem evangelisch, der Chor sowie die Erste Empore wurden ausschließlich von den Katholiken genutzt.
Rund 150 Jahre später, am 29. Oktober 1698, führte Kurfürst Johann Wilhelm II. von der Pfalz (1658-1716) unter anderem auch als Folge des 1697 geschlossenen Friedens von Rijswijk in der Kurpfalz das Simultaneum ein. Die Reformierten mussten ihre nach dem Reformationsbeginn anno 1517 erworbenen Kirchen für den katholischen Gottesdienst öffnen, die Katholiken hingegen konnten im Gegensatz dazu ihre neu gebauten Kirchen für sich behalten.
Durch einen erneuten Erlass des Kurfürsten vom 29. März 1707 wurde der Simultaneums-Erlass allerdings wieder aufgehoben. Denn im Rahmen der ab 1705 erfolgten Pfälzischen Kirchenteilung wurden die Gottes- und Pfarrhäuser ohnehin schon nach einem bestimmten Schlüssel neu verteilt und die bereits vorhandenen Simultankirchen in ihrem Bestand und ihrem ökumenischen Nutzungsrecht endgültig sanktioniert und festgeschrieben.
Die 64 heute noch bundesweit bestehenden Simultankirchen verteilen sich im Jahre 2021 auf neun Bundesländer, wobei es erstaunlicherweise die meisten, mit 29 an der Zahl, in Rheinland-Pfalz gibt. Das sind immerhin 45% aller Simultankirchen von ganz Deutschland!
Bei einer Rundreise durch Rheinhessen statten wir den acht noch verbliebenen Simultankirchen einen informativen Besuch ab:
0.1.Bechenheim
Die Entdeckertour beginnt in Bechenheim: Bereits vor der Reformation hatte der Ort einen dem heiligen Alban von Mainz gewidmeten Sakralbau, der 1535 wie alle unter der damals kurpfälzischen Verwaltung stehenden Gotteshäuser zunächst lutherisch, dann 1579 reformistisch wurde. Schon ab 1697 nutzten die reformierten und katholischen Christen das Gotteshaus als Simultankirche. Anfang 1755 wurde das durch einen Brand baufällig gewordene Gotteshaus abgerissen und eine weiterhin dem hl. Alban geweihte sogenannte "Trimultankirche" für die drei Konfessionen Reformierte, Lutheraner und Katholiken erbaut, feierlich gekrönt mit der Grundsteinlegung am 21. Oktober 1755. "Es war seit dieser Zeit so geregelt, dass der im Chor stehende Hochaltar der katholischen Gemeinde gehörte und die Kanzel von der evangelischen Gemeinde gestellt wurde. Ende der 1960er Jahre (nach dem II. Vatikanischen Konzil) wurde ein Altartisch aus Sandstein angeschafft, der von beiden Konfessionen genutzt wurde. Die Bänke im Kirchenschiff wurden immer schon von den anfangs dreien und nach der 1822 vollzogenen Kirchenunion von den beiden Konfessionen genutzt", verdeutlicht der evangelische Pfarrer von Nieder-Wiesen, Tobias Kraft eindrucksvoll. [Anm. 1]
0.2.Biebelsheim
Vor der Reformation bestand in Biebelsheim eine dem Hl. Martinus geweihte Kirche. Das spätgotische Gotteshaus stammt aus dem Jahr 1486 und ist ein Saalbau mit einem sterngewölbten Chor, einer Sakristei und einem sogenannten Dachreiter. Infolge der Reformation von 1517 und der anschließenden evangelischen Glaubensspaltung wurde den Katholiken der Sakralbau zunächst entzogen, ihnen aber nach der Pfälzischen Kirchenteilung 1705 das Mitbenutzungsrecht als Simultankirche auf Dauer eingeräumt. Daran änderte auch die rheinhessische Kirchenunion von 1822 bis heute nichts.
0.3.Bermersheim vor der Höhe
Infolge der Reformation wurde die seit 1141 bestehende Kirche St. Martin Anfang des 16. Jahrhunderts von Katholiken und evangelisch Reformierten gemeinsam genutzt. Im Zuge der Pfälzischen Kirchenteilung Anfang des 18. Jahrhunderts fiel das Gotteshaus am 31. Mai 1707 dann zunächst den Reformierten zu. Am 1. Mai 1719 wurde das Simultaneum allerdings wieder eingesetzt und zugleich die Hälfte der Pfarrbesoldung dem katholischen Pfarrer zugesprochen. Am 18. Oktober 1721 musste der katholische Pfarrer die Kirche indes wieder räumen.
Als 1732/33 das Simultaneum nach einigem Hin und Her wiederum erneuert wurde, kam es zu massiven Handgreiflichkeiten zwischen Katholiken und Reformierten mit der Folge, dass sämtliche katholischen Altäre im Gotteshaus zu Bruch gingen. Trotz aller weiteren Versuche der Reformierten, die Kirche St. Martin für sich allein weiter zu behaupten, hat das Simultaneum bis heute Bestand.
0.4.Bornheim
- Der Turm stammt aus der Zeit um 1200, das Kirchenschiff wurde 1714-27 neu errichtet. Die Kosten trug die lutherische Gemeinde. Um 1320 wurde im Erdgeschoss des Turms ein Gewölbe eingezogen, aus dieser Zeit stammen auch die Maßwerkfenster und die Wandmalereien. Die seitliche Sakristei wurde im 15. Jh. angefügt.[Bild: Harald Strube]
Mitte des 16. Jahrhunderts führten die Wild- und Rheingrafen in Bornheim die lutherische Religion ein. Zur Zeit der ersten französischen Besetzung um 1680 wurde es den Katholiken dort wieder ermöglicht, ihre alte Kirche zu benutzen. 1690 wurde diese durch Kriegseinwirkung größtenteils zerstört. Erhalten geblieben ist nur der Turm und darin der Chor sowie die Sakristei. Hier hielten die beiden Konfessionen fortan ihre Gottesdienste ab. Nach dem Abzug der Franzosen wurde den Katholiken ab dem 24. Juni 1698 der Zutritt zur "Kirche" jedoch wieder verwehrt. Als Folge des Friedens von Rijswijk 1697 und des Frankfurter Religionsvergleichs von 1700 wurde das Simultaneum schließlich wiederhergestellt und das zerstörte Kirchenschiff in den Jahren 1726/27 neu erbaut. Die Tatsache des katholisch-lutherischen Simultaneums wurde durch die Pfarr-Relationen von 1729, 1735, 1738 und 1790 bestätigt. Zeitsprung: 1912 und 1954 wurde das Gotteshaus gründlich renoviert und nach weit über 300 Jahren besteht das Simultaneum bis heute.[Anm. 2]
0.5.Gau-Odernheim
- Gau-Odernheimer Rufus-Kapelle.[Bild: Harald Strube]
Der gotische Bau im Herzen des Ortes wurde zwischen 1415 und 1420, der Chor zwischen 1497 und 1507 fertiggestellt. Zwei Jahrhunderte später erhielten im Rahmen der Pfälzischen Kirchenteilung die evangelisch Reformierten das Langhaus (Hauptschiff) und die Katholiken erhielten wie in den anderen Fällen auch den Chor des Gotteshauses zur ausschließlichen Nutzung zugesprochen.
Zunächst durch eine Bretterwand getrennt, wurde 1891/92 zwischen dem Chor und dem Langhaus eine steinerne Trennwand eingezogen. Der katholische Teil trägt weiterhin den Namen "St. Rufus" während der evangelische Gegenpart "ehemalige Stadtkirche" heißt.
Diese frühe aus der Not geborene ökumenische Lösung funktioniert in der täglichen Praxis bis heute reibungslos.
0.6.Bechtolsheim
Nur sechs Kilometer von Gau-Odernheim entfernt liegt die Gemeinde Bechtolsheim: Die dort befindliche spätgotische St. Maria und St. Christophorus geweihte Kirche wurde 1492 fertiggestellt. Zur Zeit der kurpfälzischen Reformation wurde Bechtolsheim Mitte des 16. Jahrhunderts lutherisch. Seit dem Palmsonntag des Jahres 1685 wird das Gotteshaus von der katholischen und der evangelisch-lutherischen Gemeinde als Simultankirche genutzt. Allerdings gab es im Laufe der wechselhaften Geschichte von beiden Konfessionen mehrere Versuche, das Simultaneum aufzuheben.
So musste 1741 die lutherische Gemeinde dem katholischen Pfarrer sämtliche zur Kaplanei gehörenden Güter und Einkünfte überlassen inklusive Wohn- und Diensthaus. Der erst neu errichtete lutherische Beichtstuhl wurde abgebrochen und der katholische wieder an seinen Platz zurückgebracht.
Damit nicht genug: Die im Streit von den Lutheranern abgebrochenen Chortüren wurden von den Katholiken wieder hergestellt und der Chor zu deren alleinigem Gebrauch übernommen. Anno 1790 versuchten wiederum die Protestanten allerdings wieder ohne Erfolg das Simultaneum zu beenden. Ein dritter Versuch ging 1802 schließlich vom Bischöflichen Ordinariat in Mainz aus. Es folgten danach immerhin noch drei weitere Ansätze, die aufgezwungene frühe ökumenische Zusammenarbeit für alle Zeiten zu beenden.
Von diesen Irrungen und Wirrungen ist heute im täglichen Miteinander der Christen Gott sei Dank nichts mehr zu spüren.
Im Gegenteil: Das Bechtolsheimer Gotteshaus ist eine der wenigen heute noch gut funktionierenden Simultankirchen in Rheinhessen, die ihren Namen völlig zu Recht trägt.
0.7.Pfeddersheim
Weiter geht es zur kreisfreien Stadt Worms am Rande des Wonnegaus und der dortigen Simultankirche Maria Himmelfahrt in Pfeddersheim: Die älteste urkundliche Erwähnung der Kirche stammt vom 25. Mai 754, als Bischof Chrodegang sie der Abtei Gorze verlieh. Das Gotteshaus wurde 1689 im Pfälzischen Erbfolgekrieg wie der Rest der Gemeinde gnadenlos niedergebrannt. Bei der anschließenden Pfälzischen Kirchenteilung war die Kirche dann nur noch eine bedauernswerte Ruine. Dennoch erhielt in der mit der Kirchenteilung verbundenen Religionsdeklaration vom 21. November 1705 die reformierte Gemeinde das Kirchenschiff, während den Katholiken der Chorraum zugesprochen wurde.
Beim Wiederaufbau der Kirche des reformierten Teils von 1708 bis 1721 und des katholischen Teils bis 1789 wurde eine faktische Trennung des Gotteshauses durch eine Steinmauer ohne Durchgangsmöglichkeit vollzogen.
Beide neu entstandenen Kirchenhälften erhielten in der Folge eigene Eingänge und der bisherige gemeinsame Zugang durch den Kirchenturm wurde vermauert.
Die im Dom- und Diözesanarchiv Mainz befindlichen Pfarrvisitationsberichte vom 3. Oktober 1741 und 27. Mai 1754 bestätigten und schrieben die einmalige Form eines "abgeschwächten" Simultaneums fest.
Die auch in Pfeddersheim in der Minderheit befindlichen Lutheraner hatten sich indessen schon 1714 in der Nähe der neu errichteten Simultankirche ihren eigenen Sakralbau errichtet.
Seit der rheinhessischen Kirchenunion von 1822 wird das Kirchenschiff von der jetzt unierten evangelischen Kirchengemeinde genutzt und ist sogar 1931 um einen Choranbau erweitert worden. Die lutherische Kirche hingegen dient seit den 1970er Jahren als evangelisches Gemeindehaus.
0.8.Rheindürkheim
Die Exkursion durch Rheinhessen endet im nördlichsten Vorort von Worms und zwar in Rheindürkheim: Die dortige der Gottesmutter, der hl. Maria geweihte Pfarrkirche von 1281 wurde erstaunlicherweise bereits Mitte des 16. Jahrhunderts simultan genutzt. Allein schon deshalb, weil die katholische Gemeinde nach der Reformation an enormem Mitgliederschwund litt und nicht mehr allein für den dauernden Erhalt der Kirche aufkommen konnte.
Die 500 Jahre alte Kirche wurde schließlich wegen zunehmender Baufälligkeit abgerissen und ein neues Gotteshaus im barocken Stil im Jahre 1776 ohne Turm errichtet. Zum Gottesdienst wird deshalb mit den Glocken des benachbarten Rathauses geläutet! Das nach dem Neubau im 18. Jahrhundert jetzt dem Hl. Peter geweihte Gotteshaus besitzt erstaunlicherweise noch viele typisch katholische Elemente wie beispielsweise eine Kreuzigungsgruppe von 1620, eine Madonna aus dem frühen 15. Jahrhundert und wird bis heute von der katholischen und evangelischen Gemeinde als Ausdruck gelebter Ökumene gleichermaßen genutzt und trägt in hohen Maße Vorbildcharakter für weitere friedliche Projekte dieser Art, sozusagen "Eine konfessionelle Wohngemeinschaft unter deutschen Kirchendächern![Anm. 3]
Nachweise
Verfasser: Wolfgang Höpp
Literatur:
- Brilmayer, Karl Johann: Rheinhessen in Vergangenheit und Gegenwart Mainz 1904. Nachdruck Weidlich Reprints Würzburg, 1985.
- Henke, Heinz: Wohngemeinschaften unter deutschen Kirchendächern. Die simultanen Kirchenverhältnisse in Deutschland - eine Bestandsaufnahme. Engelsdorfer Verlag, 2008.
- Rosendorn, Kurt: Die rheinhessischen Simultankirchen bis zum Beginn des 18. Jahrhunderts. Quellen und Abhandlungen zur Mittelrheinischen Kirchengeschichte Band 3. Speyer 1958.
Erstellt am: 23.04.2021
Anmerkungen:
- www. bechenheim.de: Die Geschichte der Simultankirche in Bechenheim, herausgegeben von Pfarrer Tobias Kraft, Nieder-Wiesen. Zurück
- https://bornheim-rheinhessen.de/historischer-ortsrundgang/die_evangelische_kirche/ Zurück
- https://www.worms.de/de/stadtteil/rheinduerkheim/Kirchen.php Zurück