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Vom Cauer-Kreuz auf der Alten Nahebrücke

von Rolf Schaller, Bad Kreuznach 2008

Über das von Ludwig Cauer (1866-1947) geschaffene Brückenkreuz ist viel geschrieben worden. Unter den Veröffentlichungen sind einige Ungereimtheiten zu finden.

Während Pastor Buslay und Dr. Ing. Carl Velten in der Chronik „Kloster, Kirche, Pfarrei St. Nikolaus 1266-1966“ (Bad Kreuznach 1966) geschrieben haben, die „Nazis“ hätten das Kreuz 1933 zerstört (und ansonsten viel über die angebliche „Gottesstrafe“ für die Übeltäter berichten – die es nachweislich nicht gab, denn Ludwig Helm hat zwar ein verkürztes Bein zurückbehalten, aber noch viele Jahre gelebt), hat Elke Masa in ihrem Buch „Die Bildhauerfamilie Cauer im 19. und 20. Jahrhundert“ (Berlin 1989) den Standort des Kreuzes sogar auf die Wilhelmsbrücke „verlegt“ und Ludwig Baron Döry behauptet in seiner interessanten Abhandlung „Altäre und Statuen des Barock in Kreuznach“ (Archiv für Mittelrheinische Kirchengeschichte, 53. Jg, Mz 2001, S. 343-345), das Brückenkreuz sei am 21. März 1934 ohne Korpus aufgestellt worden. Diesen habe man erst später angefügt.

Die damaligen Vorgänge wurden recherchiert und im Folgenden richtiggestellt.

Auf der Alten Nahebrücke stand von alters her ein Brückenkreuz, das Wahrzeichen der Stadt Kreuznach. Das Kreuz wurde im Laufe der Jahrhunderte mehrfach im Stil der jeweiligen Zeit erneuert. Bis zum September 1931 zierte ein Barock-Kreuz aus rotem Sandstein die Alte Nahebrücke. Es stand auf der flussabwärts gelegenen Seite des zweiten Flusspfeilers. Geschaffen hatte es in der ersten Hälfte des 18. Jh. der Mainzer Bildhauer Burkard Zamels (1690-1757). In der Nacht zum Samstag, dem 26. September 1931, nachts gegen zwei Uhr, wurde das Barock-Kreuz zerstört.

Der arbeitslose Chauffeur Ludwig Helm hatte am Vortag seine Arbeitslosenunterstützung abgeholt. Ende 1930 war er, nachdem er jemanden mit dem Auto überfahren hatte, zu sechs Monaten Gefängnis auf Bewährung verurteilt und von seinem Arbeitgeber entlassen worden. Nachdem er sich im Laufe des Tages in mehreren Wirtschaften aufgehalten hatte, kam er nachts gegen zwei Uhr mit ein oder zwei Zechkumpanen über die Alte Nahebrücke. In stark angetrunkenem Zustand und vermutlich aus Verdruss über seine derzeitige Lebenssituation, versuchte er das Brückenkreuz umzustürzen. Er hatte jedoch das Gewicht des Denkmals unterschätzt. Das Kreuz brach vom oberen Sockel und stürzte mit dem Betrunkenen auf die Brücke.

Zur Verteidigung des Ludwig Helm ließe sich allenfalls anführen, dass das Barock-Kreuz im Laufe der zwei Jahrhunderte stark gelitten hatte. Im Oktober 1929 hatte Stadtbaurat Hugo Völker den Kreuznacher Bildhauer Jakob Zimmer mit der Begutachtung des Kreuzes beauftragt. Zimmer berichtete damals, um 1900 hätte sein Vater Arthur Zimmer bereits Teile der Gliedmaßen ergänzt. Nun sei „unter dem Anstrich“ die Verwitterung weiter fortgeschritten. Karl Geib ergänzte in einer Stellungnahme, wohl nur der Corpus sei noch aus dem Buntsandstein des ursprünglichen Denkmals aus dem 18. Jahrhundert. Baurat Völker schlug im November 1929 vor, das Barock-Kreuz in einem überdachten Raum (dem geplanten Museum) unterzubringen.

Der Verletzte wurde ins Krankenhaus gebracht, wo noch nachts um 3 Uhr Sanitätsrat Dr. Josef Kallfelz zur ärztlichen Behandlung hinzugezogen wurde. Die vermeintlich schwere Kopfverletzung Helms stellte sich im Nachhinein als ungefährliche Platzwunde heraus, sein linkes Bein jedoch war zweimal gebrochen (Ludwig Helm behielt ein verkürztes Bein zurück und hat nachweislich noch viele Jahr gelebt, wie Reinhold Stenger berichtete). Bereits wenige Stunden später, in den Samstagsausgaben vom 26. September 1931, berichteten die Zeitungen von der „ruchlosen Zerstörung“ des altehrwürdigen Brückenkreuzes, dem „Bubenstreich“ und dem „teuflischen Tun“ des Chauffeurs Ludwig Helm. In der Montagsausgabe vom 28. September vermutete die der Zentrums-Partei nahestehende Kreuznacher Zeitung, die Tat habe einen politischen Hintergrund und sei „die Untat eines verhetzten Lümmels, der einer radikalen Partei [gemeint war die NSDAP] angehört, die Zeugnis gibt von dem Geisteszustand mancher Volksgenossen. Die Ernte der Gottlosensaat wirkt sich grauenhaft aus. Der Herrgott hat diesen Burschen bestraft“. Der Oeffentliche Anzeiger brachte am gleichen Tag eine Gegendarstellung der Ortsgruppe der NSDAP, die verlautete, Helm oder andere in diesem Zusammenhang genannte Personen seien weder Mitglied der Partei noch stünden sie dieser nahe.

Die „Hunsrückzeitung“ verbreitete das Gerücht, die ebenfalls bezechten Begleiter Ludwig Helms hätten „dessen Hut mit einem Spazierstock auf die Kreuzspitze praktiziert, von wo Helm ihn wieder herunter zu holen versuchte!“ [Diese Version wurde aber weder in den anderen Zeitungen erwähnt noch von Helm zur Verteidigung angeführt].

Der Verletzte wurde umgehend von der Polizei vernommen. Den Polizeibeamten gegenüber behauptete Ludwig Helm, nichts von dem Vorgang zu wissen. Das Kreuz müsse zufällig, als er vorüberging, umgefallen sein. Mehr Aufklärung kam durch einen „Begleiter“ Helms, der aussagte, selbst unbeteiligt gewesen zu sein, aber von der Absicht des Täters gewusst zu haben. Er habe versucht, Helm das Vorhaben auszureden und sich dann aber entfernt.

Am 29. September berichtete die Kreuznacher Zeitung weitere Einzelheiten: „Das Barock-Kreuz und der Christuskörper sind vollständig zerstört. Nur der Kopf ist, abgesehen von einigen Absplitterungen, ziemlich unversehrt. Eine Reparatur ist nach fachmännischem Urteil ausgeschlossen. So allgemein in der ganzen Stadt die Empörung über die Schandtat ist, so allgemein ist das Verlangen, dass ein neues Kreuz als jahrhundertealtes Wahrzeichen der Stadt an die alte Stelle kommt“. Die Bruchstücke des Kreuzes wurden vorerst im Gravius'schen Hof unter der Brücke gelagert. Später hat Karl Geib Teile des Barock-Kreuzes in das Museums-Depot (das Kreuznacher Heimatmuseum wurde erst am 3. Dezember 1933 eingeweiht) verbringen lassen. Die Bevölkerung war von der sinnlosen Tat tief betroffen. Schon bald begann man mit der Sammlung von Spenden für ein neues Brückenkreuz. Eifrige Sammelarbeit in der katholischen wie in der evangelischen Gemeinde brachte eine erhebliche Summe zusammen.

Am 12. April 1932 trafen sich Provinzialkonservator Baurat Wildemann, Karl Geib, Willibald Hamburger als Mitglied des Museumskuratoriums, Pfarrer Albert Rosenkranz und Dechant Kaspar Kranz vor Ort und berieten, ob das Kreuz aus den Bruchstücken rekonstruiert, als eine originalgetreue Kopie oder als eine völlige Neuschöpfung wiedererrichtet werden solle. Sie entschieden sich schließlich für eine Neuschöpfung des Brückenkreuzes, empfahlen aber vorher die Anforderung eines Gutachtens von Prof. Dr. Burger aus Mayen. Dieser schloss in seiner Begutachtung eine Wiederherstellung aus den Bruchstücken ebenfalls aus, aber der Landeskonservator, Graf Metternich, wollte nichts unversucht lassen, das alte Kreuz „in seiner liebgewonnenen Form“ wiedererstehen zu lassen. Am 10. Oktober 1932 wurde deshalb vom Regierungspräsidium bei der Kunstwerkstätte Gebr. Mezger, Überlingen, ein weiteres Gutachten bezüglich einer möglichen Rekonstruktion in Auftrag gegeben.

Eine Woche darauf, am 17. Oktober, reagierte Oberbürgermeister Dr. Robert Fischer (den Titel „Oberbürgermeister“ hatte man ihm anlässlich seiner Wiederwahl am 20. April 1932 verliehen) auf die weitere Verzögerung. In einem Schreiben an den Regierungspräsidenten trug er seine Befürchtung vor, „durch die Verschleppung der Angelegenheit werde das Interesse der Bevölkerung an der Wiedererrichtung wesentlich gemildert“. In ihrem Gutachten vom 21. Januar 1933 stellte auch die Fa. Mezger aus Überlingen fest: „Eine Wiederherstellung des Cruzifixes zwecks Aufstellung im Freien kommt nicht in Frage“.

Inzwischen nahm die politische Entwicklung in Deutschland einen verhängnisvollen Verlauf. Am 30. Januar 1933 leitete Reichspräsident von Hindenburg mit der Ernennung Adolf Hitlers zum Reichskanzler den Prozess der nationalsozialistischen Machtergreifung ein. Bei den Neuwahlen am 12. März 1933 gewann die NSDAP 10 der 31 Stadtratsmandate in Bad Kreuznach. Die NS-Stadtverordneten ergriffen sofort die Initiative. In der Stadtverordnetenversammlung vom 5. April 1933 beantragten sie unter Punkt 5 die Umbenennung von Schloßstraße und Schloßplatz in „Adolf-Hitler-Straße“ und „Adolf-Hitler-Platz“. Und unter Punkt 6 der Tagesordnung beantragte Franz Josef Potthoff, Mitglied der NSDAP und Vorsitzender des „Kampfbundes für deutsche Kultur“, ... das zerstörte Christuskreuz auf der Alten Nahebrücke, das alte Wahrzeichen der Stadt, alsbald in Form einer Neuschöpfung von Künstlerhand errichten zu lassen, um als Symbol der neuen Zeit, der Ordnung und des Aufbaus und als dauerndes Erinnerungszeichen der nationalen und religiösen Erhebung zu dienen. Die notwendigen Geldmittel sollen durch Einsparungen bei der städtischen Verwaltung beschafft werden“. Die Stadtverordnetenversammlung stimmte einstimmig zu.

In der Sitzung vom 2. Mai 1933 wurde eine „Kommission zur Vorbereitung der Wiedererrichtung des Brückenkreuzes“ eingerichtet, bestehend aus dem Stadtverordneten Franz Josef Potthoff, Regierungsbaumeister Jean Rheinstädter, Fabrikbesitzer Karl Kimnach (Lederwerke Ackva), Pfarrer Albert Rosenkranz und Pfarrer Friedrich Wessel. Bereits am 10. Mai 1933 schlug die Kommission die Beauftragung eines einheimischen Künstlers, nämlich von Prof. Ludwig Cauer, vor und regte angesichts der angespannten Finanzlage der Stadt eine Straßensammlung an, bei der unter anderem Postkarten vom alten Barock-Kreuz verkauft werden sollten (eine solche Postkarte befindet sich in der Sammlung des Verfassers). Im August 1933 stellten die Fachleute fest, dass der „Tabernakel“, der obere Sockel des alten Barock-Kreuzes, wegen des größeren Gewichts des neuen Kreuzes nicht wiederverwendet werden könne. In Abstimmung mit dem Provinzialkonservator wurde Ludwig Cauer auch mit dem Entwurf eines neuen Aufsatzes beauftragt.

Den ganzen Sommer über wurde weiter gespendet. Der Oeffentliche Anzeiger brachte regelmäßig Meldungen über die Höhe der eingegangenen Spenden. Am 18. September 1933 war im Oeffentlichen zu lesen: „Am 25. September jährt sich zum zweiten Mal der Tag, an dem unser schönes altes Barock-Kreuz auf der Nahebrücke zerstört wurde. Ein Kreuznacher Künstler ist dabei, ein neues Kreuz, ein Symbol der neuen Zeit zu schaffen. Schon in der nächsten Zeit wird das Gipsmodell [in Originalgröße] zur Probe für einige Stunden auf der Brücke Aufstellung finden. In großer Opferbereitschaft hat sich die ganze Bevölkerung an unseren Sammlungen im Sommer beteiligt. Am Samstag, den 23. September 1933, findet ein Konzert mit Liedertafel und Kurorchester zu Gunsten des neuen Kreuzes statt“.

Am darauffolgenden Dienstag meldete der Oeffentliche Anzeiger, dass das Konzert unter dem „Protektorat des Kampfbundes für deutsche Kultur“ schlecht besucht gewesen sei und der Große Kursaal erhebliche Lücken aufgewiesen habe. Nach den musikalischen Vorträgen habe der Abend durch die Ansprache eines Pfarrers Wolfrum aus Odenbach „eine besondere Note erhalten“. In der vom Oeffentlichen ausführlich wiedergegeben Rede zog der Pfarrer Vergleiche zwischen der Verehrung Gottes und der „Verehrung des Führers“, zwischen Christuskreuz und Hakenkreuz, zwischen den Bemühungen um die Wiedererrichtung des Brückenkreuzes und den Straßenkämpfen der Braunhemden. Er schloss seine abstruse Rede mit den Worten: „Das neue Kreuz wird ein Ausdruck unserer Tage sein, nicht wehleidig, sondern hart und heroisch. Ein nordischer Christus, ein Heliand soll es sein“.

Ludwig Cauer gestaltete in der Tat nicht mehr den leidenden, sondern den sieghaften Heiland, den Christus als Triumphator. Das durch seine herb-realistische Darstellung bestechende Werk aus gelbem Sandstein wurde, zusammen mit dem neuen Aufbau, auf dem alten Barock-Sockel aufgestellt. Am Mittwoch, dem 21. März 1934, wurde das neue Brückenkreuz „bei Donnergrollen und zuckenden Blitzen“ enthüllt. Neben NS-Kreisleiter Ernst Schmitt, Vertretern der Behörden, den Stadtverordneten und der Bevölkerung waren die uniformierten nationalsozialistischen Organisationen in großer Zahl angetreten. In seiner Propagandarede stellte Schmitt die Wiedererrichtung des Brückenkreuzes als Verdienst der NSDAP heraus. Oberbürgermeister Dr. Robert Fischer, der drei Monate später von den Nazis zwangsweise in den Ruhestand versetzt wurde, übernahm das Brückenkreuz in die Obhut der Stadt und sagte in seiner Rede: „Der Christus am Kreuz, der nun das Stadtbild wieder beherrscht, soll uns Mahner und Warner sein und als Symbol christlichen Glaubens Zeugnis geben von der Gläubigkeit und dem Gottvertrauen der Kreuznacher“.

Dem neuen Brückenkreuz waren nur elf Jahre beschieden. Am 16. März 1945, kurz vor dem Ende des zweiten Weltkriegs, wurde das Cauer-Kreuz bei der Sprengung des zweiten und dritten Bogens der Alten Nahebrücke durch deutsche Truppen zerstört. Nur der senkrechte Kreuzbalken hing noch in der Verankerung. Der Christuskopf und ein Arm des Gekreuzigten wurden 1947 von der Baufirma Ernst Gerharz bei Baggerarbeiten zur Beseitigung der Brückentrümmer in der Nahe gefunden. Als die Firma Gerharz in den Jahren 1962-1964 die neue Kirche in Waldalgesheim errichtete - es war der erste Kirchenbau der Kreuznacher Baufirma - befestigte man die beiden Spolien an der Außenwand gegenüber dem Turm, Bad Kreuznach zugewandt. Kopf und Arm sind leider vor einigen Jahren nacheinander herausgefallen und am Boden zerschellt.

Im Jahr 1937 hatte die evangelische Gemeinde zu Kreuznach beschlossen, die Pauluskirche mit einer Heizungsanlage auszustatten und einen Durchbruch zum Chor der Wörthkirche, der Pauluskapelle, herzustellen. Dadurch ergab sich die Notwendigkeit, den Boden der Kapelle auf die gleiche Höhe mit der Pauluskirche abzusenken. Unter der Leitung des Architekten Hans Best wurde die Pauluskapelle renoviert und ein Raum geschaffen, den man, wie Albert Rosenkranz 1951 in seiner „Geschichte der evangelischen Gemeinde Kreuznach“ schrieb, „getrost ein Schmuckkästchen nennen kann“. Anlässlich der Renovierung der Pauluskapelle schenkte Prof. Ludwig Cauer 1937 sein Gipsmodell des Brückenkreuzes der evangelischen Kirchengemeinde. Dort hat das Cauer-Kreuz, ein Gipscorpus auf einem Holzkreuz, den zweiten Weltkrieg und die Brückensprengung unversehrt überstanden und hängt, fast vergessen, an der Zwischenwand zur Pauluskirche.

Nachweise

Verfasser: Rolf Schaller

Redaktionelle Bearbeitung: Dominik Kasper

Quellen und Literatur:

  • Kreuznacher Zeitung.
  • Oeffentlicher Anzeiger.
  • Stadtarchiv Bad Kreuznach.
  • Albert Rosenkranz: Geschichte der evangelischen Gemeinde Kreuznach, Bad Kreuznach 1951.
  • Ludwig Baron Döry: Altäre und Statuen des Barock in Kreuznach. Archiv für Mittelrheinische Kirchengeschichte, 53. Jg., Mainz 2001.
  • Josef Buslay und Carl Velten: Kloster, Kirche, Pfarrei St. Nikolaus 1266-1966, Bad Kreuznach 1966.
  • Elke Masa: Die Bildhauerfamilie Cauer im 19. und 20. Jahrhundert, Berlin 1989.

Erstellt: 31.05.2010