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Die „Schaukelbrücke“ – Historie der Kreuznacher Hängebrücke

von Rolf Schaller, Bad Kreuznach

Vorwort

Die Geschichte der Kreuznacher Hängebrücke ist wesentlich ereignisreicher, als bisherige Veröffentlichungen erahnen lassen. Die Nutzung des Naheübergangs beim heutigen Oranienpark begann mit dem Aufschwung des Kurbetriebs um 1830 als „Kahnüberfahrt“. Diese Fähre war so bedeutend, dass Bürgermeister Küppers im Streit um die Fährrechte 1874 schrieb: „Außer der großen Nahebrücke und der Eisenbahnbrücke [Landfuhrbrücke] vermittelt die genannte Fähre den lebhaften Verkehr zwischen den beiden Stadttheilen, und ist darum deren Aufrechterhaltung ein öffentliches Bedürfnis.“ Dabei hat Küppers die Fähre am Viehmarkt „unterschlagen“.

Der folgende Bericht beschreibt die Entwicklung von der Fähre über den Holzsteg zur mehrfach erneuerten Hängebrücke, die bis heute im Volksmund „Schaukelbrücke“ heißt.

Von der Fähre zum Holzsteg

Mit dem Aufschwung des Kurbetriebs weitete sich die Stadt mehr und mehr nach Südwesten aus. Nach dem Stadtplan von P. Borniger von 1846 gab es damals auf dem Badewörth neben dem „Kurhaus“ (erbaut 1843) den „Englischen Hof“, den „Pariser Hof“ und fünf weitere Gasthäuser. Rechts der Nahe im heutigen Kurviertel standen – im damals noch völlig unbebauten Gelände vor den Stadtmauern – der „Gasthof zum Rheinstein“ (an der Einmündung der heutigen Badeallee in die Salinenstraße) und noch weiter westlich die Gebäude des „Oranienhofs“.

Um für die Kurgäste auch das linke Naheufer zu erschließen, richtete man in Höhe der heutigen Hängebrücke einen Fährbetrieb zur Haardt ein. Die Fährrechte nahmen die Fischer Engelsmann wahr. Auf der linken Naheseite in der Nähe der Anlegestelle ließ Dr. Heinrich Prieger, Sohn des Badbegründers Dr. Johann Erhard Peter Prieger, ein Restaurant mit dem Namen „Königsau“ (ein Gebäude aus Holz) errichten. 1870 verpachtete er Gelände und „Etablissement“ an Eduard Rabel. Anfang 1872 richtete Dr. Heinrich Prieger ein Gesuch an die Stadt Kreuznach auf Errichtung einer „Laufbrücke“ an dieser Stelle. Bürgermeister Heinrich Küppers (1851-1875) befürwortete das Vorhaben in seiner Stellungnahme an Landrat Agricola am 9.01.1872: „Die Brücke soll auf beiderseitigem Eigentum des Antragstellers errichtet werden und bedeutet ... zur Kurzeit eine große Annehmlichkeit für die Kurgäste, da dieselben aus den Bade-Anlagen nach der Haardt promenieren und zu dem Zwecke [derzeit] die Fähre am Oranienhof benutzen“. Weiter schrieb Küppers: „Das Fährgeld beträgt ebenfalls 3-4 Pfennige pro Kopf“. Außerdem meinte er: „Da die Stadt im Besitz des Fährrechts ist, fällt auch die Conzessionierung der Brücke in ihre Zuständigkeit. Die Haltbarkeit und Sicherheit, insbesondere bei den jährlich auf der Nahe stattfindenden Feuerwerken, muß jedoch gewährleistet sein“.

Das Vorhaben stand jedoch unter einem ungünstigen Stern. Es tat sich nichts und so beschwerte sich Dr. Prieger am 12. April bei der Provinzial-Regierung in Koblenz: „Bis jetzt ist mir keine Antwort zu Theil geworden. Da die Zusammenfügung der Brücke einige Wochen in Anspruch nehmen wird, bitte ich den Bescheid auf mein Gesuch beschleunigen zu wollen“. Die Provinzial-Regierung stimmte dem Plan Priegers zu: „Die Brücke ist im Interesse des Bades und der Besucher“, und leitete den Antrag am 18.04.1872 an die Staatsregierung in Berlin weiter. Am 27.04.1872 legte der Fährpächter Karl Engelsmann wegen der „Beeinträchtigung der Fährrechte“ Einspruch gegen das Vorhaben ein. Sein „Contract“ vom 7. Dezember 1868 sei noch zwei Jahre gültig.

In der Antwort aus Berlin vom 22. Mai an die Provinzial-Regierung war als erstes festgehalten, dass „Polizey- und Steuerbeamten“ die unentgeltliche Benutzung der Brücke zu gestatten sei. Außerdem sei zu klären, ob mit dem vorgesehenen Brückengeld von 3 Pfg. die Amortisation des Anlagekapitals gesichert werden könne. Dazu habe der Antragsteller über die Einnahmen und Ausgaben Buch zu führen. Des Weiteren wurde die Frage angesprochen, wer den Pächter der Fährberechtigung zu entschädigen habe.

Mit dem letzten Punkt wurde ein Streit ausgelöst, der sechs Jahre lang – von 1872 bis 1878 – andauern sollte. Nachdem der Provinzial-Steuer-Direktor aus Köln am 9.07.1872 geschrieben hatte, Dr. Prieger als Erbauer der Brücke habe den Fährpächter zu entschädigen, antwortete Berlin am 25. August, die Stadt Kreuznach sei gar nicht im Besitz des Fährrechts. Die Fährrechte seien vielmehr gemäß dem Gesetz vom 6. Frimaire des Jahres VII (26. Nov. 1798) rechtlich Eigentum des Staates und der Stadt lediglich zur Nutzung überlassen. Das Problem solle zwischen der Stadt und dem Fährpächter geklärt werden, um einen Streit vor Gericht zu vermeiden. Bürgermeister Küppers antwortete der Provinzial-Regierung am 10.09.1874 bezüglich des Fährrechts: „Außer der großen Nahebrücke und der Eisenbahnbrücke [Landfuhrbrücke] vermittelt die genannte Fähre den lebhaften Verkehr zwischen den beiden Stadttheilen und ist darum deren Aufrechterhaltung ein öffentliches Bedürfnis. Eine Aufhebung dieser – noch unter [französischer] Fremdherrschaft durch die in jener Zeit zuständigen höchsten Behörden – an die Stadt abgetretenen Fährberechtigung würde das öffentliche Interesse schädigen“. Zur geplanten Brücke ergänzte der Bürgermeister: „In Bezug auf das Projekt Priegers ... bemerke ich gehorsamst, daß dieser bisher keine Schritte zur Ausführung des Projekts gethan hat, vielmehr jetzt die Absicht hat, auf den Bau einer solchen Brücke über die Nahe am Schießgraben, wo er in letzter Zeit Eigenthum erworben, hinzuwirken“.

Der Schriftwechsel dauerte an, doch am 15.11.1874 schloss die Stadt ungeachtet der umstrittenen Zuständigkeit mit den Brüdern Engelsmann einen neuen Pachtvertrag für die Fähre auf weitere sechs Jahre ab. Am 25.02.1875 schließlich hatte der Kölner Provinzial-Steuer-Direktor seine Meinung geändert und schrieb, dass es der Stadt „jederzeit freistehe, einem Dritten die Anlage einer Brücke über die Nahe zu gestatten, ohne daß der Fährpächter eine Entschädigung in Anspruch nehmen kann“. Dr. Prieger hatte inzwischen wohl resigniert und die „Königsau“ 1877 an den bisherigen Pächter Eduard Rabel verkauft. Anfang 1878 stellten nun die Fährpächter Jacob und Karl Engelsmann ihrerseits ein Gesuch, eine Laufbrücke zur Königsau errichten zu dürfen. Die Provinzial-Regierung in Koblenz wies das Gesuch ab mit dem Hinweis auf den Vorrang des bereits vorliegenden Antrags von Dr. Prieger aus dem Jahre 1872 (Schreiben vom 24.05.1878).[Anm. 1]

Das Kreuznacher Tageblatt berichtete dann aber am 14. Mai 1878, dass die Brücke von der Luisenstraße zur Königsau von Karl Schäfer errichtet werde. Karl Schäfer (1845-1920) war der älteste Sohn des Fischers Peter Schäfer und seiner Frau Elisabeth Beisiegel. Karl Schäfer war ein geschäftstüchtiger Zeitgenosse. Schon in jungen Jahren verpachtete er im Winter Eisflächen auf der Nahe und verlieh Schlittschuhe, baute die Holzbrücke von seinem Grundstück in der Karlstraße zum Viehmarkt („Schäfers Briggelsche“) und errichtete Mitte der 1870er Jahre eine „Flussbadeanstalt“ am Beginn der heutigen Priegerpromenade. Karl Schäfer brachte es in der Folge zu beachtlichem Wohlstand. Der Schäfer'sche Holzsteg zur Königsau wurde am 25. Mai 1878 fertiggestellt.

Gut zwei Jahre später, am 21. November 1880, beklagte sich Eduard Rabel bei Bürgermeister Gerhard Bunnemann (1875-1881) über die schlechten Geschäfte und bat um die Freigabe des Brückenübergangs: „Endestunterzeichneter ist schon 10 Jahre Restaurateur auf der ‚Königsau'. ... Ich habe in den letzten Jahren vieles Geld zugesetzt und konnte meinen Verpflichtungen Herrn Dr. Prieger gegenüber nicht nachkommen“. Weiter schrieb Rabel, Bürgerschaft und Kurgäste würden sich bitter über das zu zahlende Brückengeld von 3 Pfg. beklagen, obwohl sie doch früher gerne für die Fähre 4 Pfg.[sic!] gezahlt hätten. Er sei seit 1877 Eigentümer der Königsau, habe „sogar schon ein Loch ausgeschachtet“ für einen Restaurant-Neubau, aber er müsse nun wohl verkaufen: „Solange die Passage nicht frei ist, kann dort kein Wirth bestehen“. Sein Gesuch wurde vom Stadtrat abgelehnt. Rabel gab auf und ging nach Bad Münster.[Anm. 2]

Der Bau der ersten Hängebrücke

Ab 1881 firmierte der neue Besitzer, der Trierer „K.K. Hofconditor“ Ferdinand Clüsserath, auf der nun umbenannten „Kaiser-Au“. Am 20.11.1881 richtete Clüsserath ein Gesuch an die Stadt, die Holzbrücke zu seiner „Kaiser-Au“ selbst errichten zu dürfen. Der Antrag wurde am 24.12. zu Gunsten von Karl Schäfer abgelehnt. Doch in Clüsserath hatte Schäfer seinen Meister gefunden. Clüsserath gelang es nämlich, auch das Gelände, auf dem Schäfer seine Flussbadeanstalt unterhielt, zu pachten. Im März 1883 einigten sich die Beiden: Schäfer verzichtete auf seine Rechte an der Brücke und durfte dafür seine Badeanstalt weiter betreiben.

Am Sonntag, dem 26. November 1882, trat „in Folge der voraufgegangenen starken Niederschläge und der plötzlich eingetretenen Wärme, wodurch der im Gebirge liegende Schnee ungemein rasch abging, ein solches Hochwasser ein, wie es seit dem Jahre 1844 nicht zu verzeichnen gewesen ist. Die Verwüstungen an Gebäuden, Wegen und Anlagen waren groß“.[Anm. 3] Wahrscheinlich fiel dem Hochwasser auch Schäfers Holzbrücke an der „Kaiserau“ zum Opfer. Am 26. August 1883 stellte Ferdinand Clüsserath einen Antrag auf Errichtung einer „Drathseilbrücke“ anstelle des Schäferschen Holzstegs „nach neuester Construction und Erfahrung der Baukunst ohne Gefahr, daß eine solche bei einem Eisgange zerstört wird, damit meine Restauration das ganze Jahr hindurch besucht werden kann“. Möglicherweise wurde diese kühne Idee von dem vor einigen Wochen gemeldeten Bau der „Brooklyn Bridge“ in New York inspiriert. Die damals längste Hängebrücke der Welt, die von dem Deutschen Johann August Roebling geplant worden war, wurde am 24. Mai 1883 eingeweiht. Die Bauarbeiten an der Kreuznacher Hängebrücke begannen im März 1884. Nach der Gründung der eisernen, 4 ½ m hohen Pylonen auf beiden Seiten der Nahe war die Brücke nach einer Bauzeit von nur 14 Tagen fertiggestellt. Die Brücke bestand aus einem schmiedeeisernen Fachwerkträger, der mit im Abstand von 1,5 m angebrachten „Hängeeisen“ an zwei „Drathseilen von 55 mm Dicke“ hing. Das Geländer war aus filigranen, diagonal angeordneten Eisenprofilen gefertigt, der Laufsteg aus hölzernen Bohlen. Die umfangreichen Skizzen und Berechnungen des Ingenieurs und „Fabrikanten“ Johann Schön aus Malstatt-Burbach vom 15. August 1883 sind bis heute im Stadtarchiv erhalten. Die Hängebrücke war 57 Meter lang und 1,30 Meter breit. Die Tragfähigkeit betrug 300 kg/qm. Clüsserath ließ sich seine Hängebrücke 8.000 Mark kosten.

Am 15. April 1884 wurde die Hängebrücke für den Fußgängerverkehr freigegeben. Die Abnahme der Tragseile fand Ende April statt: Man unterzog ein Stück des von der Firma Georg Heckel aus St. Johann a. d. Saar gelieferten „Drathseils“ einer Zerreißprobe in einer „königlichen Grube“. Am 9. Juli 1884 erfolgte vor Ort die Brücken-Belastungsprobe: „Im Beisein des Erbauers wurden 40 Eisenbahnschienen á 5 Ctr. = 200 Centner [10.000 kg] aufgelegt. Dabei hat die Brücke nur unwesentlich nachgegeben“. Der Brückenzoll betrug 3 Pfg. Nach dem Erbauer erhielt die Hängebrücke den Namen „Ferdinandsbrücke“. Ferdinand Clüsserath starb am 28. November 1886 und sein Sohn Gustav Wilhelm übernahm die „Kaiserau“.[Anm. 4]

Anlässlich der Brückenrevision im Sommer 1888 berichtete Stadtbaumeister Hartmann, bei Feuerwerk und Wassercorso hätten sich zeitweise über 120 Personen auf der Brücke befunden (offensichtlich unbeschadet). Außerdem bemängelte er den Zustand des rechten Brückenkopfes.

Doch dem Hochwasser der Nahe war auch die nach „neuester Baukunst“ errichtete Hängebrücke Clüsseraths nicht gewachsen. In der Nacht vom 23. auf den 24. Januar 1890 ereignete sich ein Hochwasser katastrophalen Ausmaßes, viel schlimmer als das von 1882. Das Kreuznacher Tageblatt berichtete am 24. bzw. 25. Januar: „Um 10 Uhr verkehrte man in der Karlstraße nur noch mit Nachen. Den leichtgebauten Fischerhäusern drohte der Einsturz und sie mußten geräumt werden. Zahlreiche Häuser beider Stadtteile waren stundenlang von jedem Verkehr abgeschnitten. Schauerlich war der Aufenthalt auf der sturm- und flutumtosten Stadtbrücke. Kaum 1½ Meter unter dem Flutzeichen von 1844 brausten die Wassermassen dahin und machten von Zeit zu Zeit das alte Bauwerk erzittern. Von den prächtigen Platanen an der Pauluskirche wurden mehrere entwurzelt und zur Erde geschleudert, alle anderen so schief gedrückt, daß die Allee wohl kaum ihre frühere Schönheit wieder erlangen wird. Die Kurhausstraße glich einem Flussbett ... Am Hotel Kauzenberg sind die Treppenstufen fortgerissen. Der das Besitztum der Soolbäder-AG umgebende eiserne Zaun liegt auf der Erde, die Buden in den Kolonnaden sind arg mitgenommen und zollhoch mit Schlamm angefüllt. An der Wandelbahn ist ein eiserner Träger umgestürzt und das Pflaster aufgerissen. Der Kurpark ist derartig demoliert, daß es der angestrengtesten Arbeit bedürfen wird, um denselben bis zum Beginn der Saison wieder in den früheren Stand zu setzen. Quer vor der großen Badebrücke liegen zwei mächtige Pappeln, deren eine einen Teil des Brückengeländers eingedrückt und die ganze Brücke durch die Wucht des Anpralls ins Wanken gebracht hat“. Auch die Gasleitungen wurden beschädigt: „Im Laufe des gestrigen Tages (24. Januar 1890) verlöschten nach und nach sämtliche Gasflammen der Stadt“. Weiter berichtete die Zeitung: „Die Hängebrücke nach der Kaiserau hat, augenscheinlich durch einen antreibenden Baumstamm, eine nicht unerheblich Beschädigung erlitten“. Über die Art der Beschädigung ist nichts vermerkt.

Im Jahre 1891 beanstandete Stadtbaumeister Hartmann wieder den Zugangsschacht am rechtsseitigen Pfeiler: „Die Seilenden an den Ankerplatten liegen unter Wasser und sind teilweise verrostet. Gegebenfalls muß die Brücke gesperrt werden“. Hartmann ließ nach dem Hochwasser sogar die Brückenberechnungen überprüfen. Im Gutachten des „Ingenieurs für Eisenconstructionen“ Anton Winkler aus Köln vom 11. Juli 1891 hieß es jedoch: „Hiernach erscheint die Brücke selbst für den lebhaften Verkehr vollständig ausreichend, vorausgesetzt, daß nicht ein Sturm die Brücke in heftige Schwingungen versetzt. Allerdings ist die Zahl der Personen, die gleichzeitig die Brücke betreten, auf 40 zu begrenzen. Bei den eher seltenen Gelegenheiten [Feuerwerk, Wasserkorso] ist die Brücke durch Sperrung zu schützen“. Außerdem empfahl er, alle 2-3 Jahre eine Revision durchzuführen, bei der die Brücke mithilfe von Wasserfässern mit mindestens 18.000 kg belastet werden solle.

Ende 1894 verkaufte Gustav Wilhelm Clüsserath – vermutlich aus gesundheitlichen Gründen – die „Kaiserau“. Restaurant und Hängebrücke gingen in den Besitz der Solbäder-AG über. Das Restaurant wurde wieder verpachtet. Die Hängebrücke konnten Bürger und Kurgäste nun kostenlos benutzen.

Ein Problem blieben die seitlichen Schwankungen der Hängebrücke. Nicht ohne Grund heißt die Brücke bis heute im Volksmund „Schaukelbrücke“. Die Solbäder-AG forderte bei großen Veranstaltungen mehrfach „eine polizeiliche Überwachung des Verkehrs über die Hängebrücke“ an. Bei der nächsten Revision bemängelte die Baupolizei in einem Schreiben vom 12. August 1896 die „Seitenschwankungen, die zu großen Bedenken Anlaß geben“. Nach dem Wasserkorso am 2. Juli 1897 berichtete Polizeikommissar Kußmahly: „Die Brücke schwankt trotz geregeltem Verkehr mehr als in früheren Jahren. Kurfremde ängstigen sich und auch beim hiesigen Publikum erregen die sehr bedeutenden Schwankungen abfällige Bemerkungen und Ärgernis. Eine schnelle Abhülfe ist dringend erforderlich“. Der Solbäder-AG als Eigentümerin wurden Änderungen vorgeschrieben, die umgehend auszuführen waren. An den Pylonen stabilisierte man die langen Hängeeisen mit diagonal angeordneten Stahlseilen. Außerdem wurde die Hängebrücke mit je vier zusätzlichen Abspannseilen auf jeder Seite ausgestattet. Die an den Ufern verankerten Drahtseile sollten die gefährlichen Schaukelbewegungen verhindern. Außerdem mussten Hinweisschilder angebracht werden mit dem Text: „Schaukeln und Stehenbleiben polizeilich streng verboten“.[Anm. 5] Erst von dieser Hängebrücke gibt es die ersten Fotographien.


Doch der Hängebrücke war keine Ruhe vergönnt. Am 24. Februar 1899 meldete das Kreuznacher Tageblatt: „Gesperrt wurde heute Morgen die Kaiseraubrücke, nachdem eine Anzahl Weinbergsarbeiter und –Arbeiterinnen aus Hackenheim dieselbe so lange mutwillig in Schaukelbewegung gesetzt hatten, bis eine der neu angebrachten Drahtseil-Befestigungen gebrochen war. Es wird dieses ein ziemlich kostspieliges Vergnügen werden“. Wieder konnte die Hängebrücke vorübergehend nicht genutzt werden.

Auf dem Höhepunkt des Kurbetriebs in Kreuznach genügte das alte Kurhaus nicht mehr den Anforderungen. Es wurde 1912 abgerissen und durch einen Neubau ersetzt. Mit dem Abbruchmaterial des alten Kurhauses wurde auf der Kaiserau ein neues Hotel, der „Quellenhof“, errichtet. Dieser wurde am 4. Mai 1913 eingeweiht. Der Ausbruch des Ersten Weltkriegs am 1. August 1914 brachte den Kreuznacher Kurbetrieb in wenigen Tagen zum Erliegen. Nach Beendigung des rumänischen Feldzugs – in Deutschland herrschte noch große Zuversicht bezüglich des Kriegsverlaufs – verlagerte sich der Schwerpunkt der deutschen Kriegsführung auf den westlichen Kriegsschauplatz. Im Februar 1917 wurde das „Große Hauptquartier“ nach Kreuznach verlegt und bliebt dort bis zum März 1918.

Am 16. Januar 1918 – die Pläne für den Abzug des Hauptquartiers nach Spa lagen schon vor – kam es zu dem schwersten Hochwasser seit 1844. Die Verwüstungen in der Stadt waren verheerend. Die von Ferdinand Clüsserath erbaute Hängebrücke wurde von den Wassermassen völlig zerstört. Übrig blieben nur die Pylonen.

Auf beiden Seiten hingen noch Teile des verbogenen Fachwerkträgers an den Drahtseilen. Die politischen und wirtschaftlichen Verhältnisse ließen an einen Wiederaufbau der Hängebrücke vorerst nicht denken.


Die zweite Hängebrücke – eine „Notbrücke“

Als Ersatz wurde erst einmal wieder ein Holzsteg errichtet. Am 24. April 1918 berichtete der Generalanzeiger: „Die neue Holzbrücke der Nahe, die zwischen dem letzten naheseitigen Haus der Luisenstraße und dem Ponton-Gelände [Schäfer'sche Badeanstalt] angelegt ist, wird vom Publikum viel und sehr gerne benutzt. Es ist eine angenehme Gelegenheit zum Uferwechsel der Spaziergänger diesseits und jenseits der Nahe“. Erbauer war noch einmal Karl Schäfer.

Am 11. November 1918 war der Erste Weltkrieg zu Ende gegangen. In der Sitzung vom 21.11.1918 beriet die Baukommission der Stadt über den möglichen Wiederaufbau der Kaiseraubrücke. Am 22. Januar 1919 wurden die Beratungen fortgesetzt. Es wurde ein Gutachten beauftragt, ob die Brücke in der bisherigen Version oder als Neukonstruktion errichtet werden solle. Im Falle eines Neubaus sollte die Brücke auf den Hochwasserpegel vom Januar 1918 angehoben werden, außerdem eine lichte Breite von 1,5 Metern und einen Belag aus „Leichtbeton“ erhalten. Doch am 19.03.1919 behandelte die Baukommission erst einmal den Antrag der Solbäder-AG auf „Aufstellung einer Behelfsbrücke [eines Holzstegs] neben der ehemaligen Brücke zum Quellenhof“ für die neue Saison.[Anm. 6]

In der Nacht vom 12. auf den 13. Januar 1920 brach das nächste Hochwasser über die Stadt herein. Der OeA berichtete: „Erstmals seit Jahren wurde wieder das Läuten der Sturmglocke auf der Pauluskirche angeordnet. Gegen vier Uhr heute morgen bildeten Nahe, Kurhausstraße, Luisenstraße, Mühlenteich, Kreuzstraße und andere Straßenzüge einen einzigen reißenden Strom. In der Kurhaustraße hat das Wasser große Löcher in den Boden gewühlt und die schweren Trottoirplatten mit fortgerissen. Am Butterfaß brachte die Wucht des Wogenpralls die große Mauer zum Einsturz. Das Wasser blieb etwa 40 cm hinter dem Stand des großen Wassers vor zwei Jahren zurück“.

Kaum war die Nahe in ihr Bett zurückgekehrt, gab es am Morgen des 14. Januar den nächsten Alarm, doch ging die zweite Flutwelle nach dem Bericht des OeA vom 15. Januar „fast schadlos vorüber“. Immerhin stieg die Nahe so hoch, daß wieder viele Straßen überschwemmt waren.

Nachdem vier Jahre lang jeweils zu Saisonbeginn ein Holzsteg zum „Quellenhof“ aufgebaut worden war, bewilligte die Stadtverordnetenversammlung in der Sitzung vom 5. Mai 1922 endlich die Mittel für den Wiederaufbau der Hängebrücke in Höhe von 40.000 Mark. Beschlossen wurde der Bau einer „leichten Holzhängebrücke“ unter Verwendung der alten Pylonen. „Dieselbe kann so eingerichtet werden, daß sie nur 1m unter dem Stand des Hochwassers von 1918 zu liegen kommt, sodaß selbst bei kleineren Hochwassern die Brücke noch erhalten bleibt“. Am 8. Juni wurde mit dem Wiederaufbau begonnen und bereits am Samstag, dem 24. Juni 1922, berichtete der OeA über die Fertigstellung: „Die vom Hochwasser 1918 zerstörte Kaiserau-Brücke ist in zeitgemäßer Weise als Behelfssteg in Holz und Eisen aus den Resten der alten Eisenkonstruktion und des früheren Laufstegs wieder hergestellt worden und kann von morgen [Sonntag] ab benutzt werden“. Ausgeführt wurde die Baumaßnahme von Arbeitern des Stadtbauamtes unter Hinzuziehung einheimischer Firmen. Der „Oeffentliche“ berichtete weiter: „Eine starke Belastungsprobe lieferte den Beweis für die volle Verkehrssicherheit der 57 Meter langen Hängebrücke. Trotzdem ist bei der leichten Konstruktion schonende Benutzung geboten. Mehr als 20 Personen dürfen den Laufsteg nicht gleichzeitig betreten. Das Publikum wird gebeten, diese Vorschrift zu beachten und unvernünftigen jungen Leuten beim etwaigen Wippen oder Schaukeln entgegenzutreten. Derartiger Mißbrauch wird streng bestraft werden“. Statt des eisernen Fachwerks waren bei der „neuen“ Hängebrücke nur noch Rundhölzer verwendet worden. Der Laufsteg bestand aus Holzbrettern, das Geländer aus Holzlatten.

1934 war die Hängebrücke wieder Gegenstand einer baupolizeilichen Untersuchung. Am 25. Mai hielt die Baukommission fest: „Die Hängebrücke ist seinerzeit nur als Notbrücke errichtet worden und befindet sich in bedenklichem baulichen Zustand. Es ist ein Kostenanschlag für eine Erneuerung aufzustellen“.[Anm. 7]

Doch wie so oft blieb ein Provisorium viel länger erhalten als gedacht. Auch den Zweiten Weltkrieg hat die „Notbrücke“ fast unbeschädigt überstanden. Wie Herbert Scheick, Bad Kreuznach, berichtete, haben nach der Sprengung der Fahrbrücken über die Nahe am 16. März 1945 Unbekannte versucht, die Hängebrücke mit Benzin in Brand zu stecken. Der Brand konnte jedoch von beherzten Anwohnern gelöscht werden, bevor die Holzbretter richtig Feuer fingen. So blieb die Hängebrücke für Wochen die einzige Verbindung zwischen den Stadtteilen für die Zivilbevölkerung.

Auch das Hochwasser mit schwerem Eisgang vom 4. auf den 5. Februar 1946 und das Doppelhochwasser vom 1. und 21. Dezember 1952 hat die Brücke schadlos überstanden. Nach über 30 Jahren war die hölzerne Hängebrücke jedoch so marode geworden, dass sie Anfang 1953 vom Bauamt gesperrt werden musste.



Bau der dritten Hängebrücke

Mit dem Beginn der Kursaison 1953 richtete man unmittelbar neben der Hängebrücke wieder einen Fährbetrieb ein. Fischer Heinrich Engelsmann setzte die Kurgäste in seinem Nachen über. In der Sitzung vom 30. September 1953 beschloss der Stadtrat, die alte Brücke abzubrechen und durch einen vollständigen Neubau zu ersetzen. Veranschlagt wurden 65.000 Mark. Durch entsprechende Rampen sollte die Brücke weit über dem Hochwasserstand von 1918 zu liegen kommen und erheblich breiter werden. Am 13. November 1953 wurde mit dem Abriss der alten Hängebrücke begonnen. Ab dem 14. Dezember betonierte die Kreuznacher Baufirma Gerharz die neuen Fundamente. Bis zum 17. Februar 1954 hatte die Offenbacher Firma LAVIS die neuen Pylone aufgestellt und begann mit der Aufhängung der Segmente des 110 m langen Stahlbogens. Die AZ schrieb dazu am 20.02.1954: „Fußgänger können sich in Massen auf dieser verkleinerten Ausgabe der ‚Golden-Gate'-Brücke von San Franzisko aufhalten, ohne befürchten zu müssen, daß der Holzwurm das Gebälk morsch gefressen hat“. Die 30 Tonnen schwere und 2 m breite Hängebrücke hing an zwei 46 mm dicken Stahlseilen.

Am 11. März 1954 wurde die neue Hängebrücke eingeweiht und freigegeben. Oberbürgermeister Dr. Jungermann, „Klein-Elfriede“, Tochter des Quellenhofbesitzers Georg Büttner und Robert Lavis überschritten als erste die Brücke. Die Eröffnungsfeierlichkeiten fanden im Hotel „Quellenhof“ statt. Noch keine drei Wochen später, am 1. April 1954, vermeldete der „Oeffentliche“ die nächste Katastrophe: „Quellenhofbrücke eingestürzt“. Für die gerade fertiggestellte Hängebrücke habe sich „eine amerikanische Truppeneinheit, die im Gleichschritt die neue Brücke passierte, als zu große Belastung“ herausgestellt. Glücklicherweise stellte sich die groß aufgemachte Meldung als Aprilscherz der Redaktion heraus

Erst im Herbst 1954 konnte auch der Anstrich der Brücke fertiggestellt werden und die dritte Hängebrücke trotzte 30 Jahre lang Wind und Wetter.

Eine Brückenrevision im Jahr 1984 brachte erneut schwere bauliche Mängel zutage. Ausgerechnet zum Beginn der Kursaison 1985 wurde die Brücke am 9. April wieder gesperrt. Die Betonplatten der Lauffläche wurden gegen Stahlplatten ausgetauscht. Die Korrosionsschäden waren größer als angenommen. Die Tragseile waren derart vom Rost zerfressen, dass sie durch neue ersetzt werden mussten. Anschließend wurde noch das Tragwerk verstärkt.

So dauerten die Reparaturarbeiten zum Leidwesen des Quellenhofbesitzers Alex Jakob erheblich länger als geplant. Statt einiger Wochen war die Brücke am Schluss fast fünf Monate lang gesperrt. Am 24. August 1985 stand zwar immer noch das Gerüst auf der Brücke, weil der Anstrich noch nicht vollendet war, aber die Hängebrücke wurde, wie Baudezernent Horst Pfeifer sagte, „ohne Bohei“ wieder für Fußgänger freigegeben. Heute sind – selbst wenn viele Personen die Brücke gleichzeitig überqueren – nur noch leichte Schwingungen zu verspüren und auch die Warnschilder sind überflüssig geworden. Aber die Bad Kreuznacher „Schaukelbrücke“ ist im ganzen Naheraum etwas Besonderes geblieben.

Nachweise

Verfasser: Rolf Schaller

Redaktionelle Bearbeitung: Dominik Kasper

Quellen und Literatur:

  • Landeshauptarchiv Koblenz (LHA KO).
  • Stadtarchiv Bad Kreuznach (StA KH).
  • Kreuznacher Tageblatt (KTB).
  • Generalanzeiger (GA).
  • Oeffentlicher Anzeiger (OeA).
  • Allgemeine Zeitung (AZ).
  • Reiniger, Wolfgang: Landkarten und Ortspläne des Kreises Bad Kreuznach, 1987.
  • Dr. Senner, Martin: Dr. Senners Stadtgeschichten, Manuskript.
  • Zapp, Bodo: Vortrag vom 08.08.1996, Manuskript.

Erstellt: 29.10.2010

 

Anmerkungen:

  1. LHA KO, Best. 441/22739. Zurück
  2. StA KH, Nr. 1077. Zurück
  3. StA KH, Verwaltungsbericht 1882. Zurück
  4. Dr. Senner, Martin: Dr. Senners Stadtgeschichten, Manuskript. Zurück
  5. LHA KO, Best. 441/18822 und StA KH, Nr. 1077. Zurück
  6. StA KH, Nr. 2563. Zurück
  7. StA KH, Nr. 3303. Zurück