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Französische Planung: Wiederaufbau in Mainz nach 1945

von Wolfgang Stumme

Die Bilanz am Ende des ‚Tausendjährigen Reiches‘ war verheerend. Bei Bombenangriffen waren im Raum Mainz schätzungsweise 3.500 – 3.800 Menschen getötet worden. [Anm. 1] Mehr als die Hälfte der Wohnungen waren nicht mehr vorhanden; die restlichen größtenteils beschädigt. In der Innenstadt von Mainz waren ca. 80 % der Bausubstanz zerstört, im gesamten Stadtgebiet 61 %. Die Mainzer Wirtschaft beklagte große Verluste; nachdem Mainz am 9. Juli 1945 der neuen Besatzungszone zugeschlagen wurde, begannen die Franzosen zusätzlich mit der Demontage.
Für den Wiederaufbau setzte die französische Militärregierung eine Arbeitsgruppe ein. Zum Chef dieser ‚Section du plan‘ wurde Marcel Lods, ein Schüler von Le Corbusier, berufen. Lods sah die große Chance, endlich die Grundzüge der ‚Charta von Athen‘ [Anm. 2] zu realisieren. Aus dem zerstörten Mainz wollte er die „modernste Stadt der Welt“ machen. Die städtischen Funktionen (Wohnen, Handel und Gewerbe, Verwaltung) sollten konsequent räumlich getrennt werden. Teile der Altstadt südlich des Domes wollte er als Traditionsinsel erhalten, die aber nach seiner Planung durch neue Straßen zerschnitten worden wäre. Um ideologisch den Nationalsozialismus mit seinen städtebaulichen Leitbildern zu überwinden, sah der Rahmenplan für die Stadtentwicklung ein aufwendiges System neuer Straßen vor. Drei neue Rheinbrücken sollten die Verbindung zu einem neuen Hauptbahnhof und Flughafen auf der anderen Rheinseite herstellen.
Nach dem Abriss der nur teilzerstörten Neustadt wäre ein neues Wohngebiet vom Rhein bis zum Hartenberg entstanden. Zwischen den zehnstöckigen Scheibenhäusern sollten Grünflächen entstehen. Der Straßenverkehr war unterirdisch geplant. Und auch das in der Barockzeit entstandene Bleichenviertel, das Verwaltung und Gewerbe aufnehmen sollte, hätte – soweit es überhaupt noch stand – endgültig abgerissen werden müssen.
Lods scheiterte mit seiner Vision, denn weder die Mainzer Bürger, noch die Stadtverwaltung fanden Verständnis für diesen radikalen Einschnitt. [Anm. 3] Hinzu kam, dass die Realisierung des Verkehrskonzeptes, das ja die Einbeziehung rechtsrheinischer Gebiete vorsah, ohne die Zustimmung der amerikanischen Militärverwaltung nicht möglich gewesen wäre. Letztlich wäre die Planung an der fehlenden Finanzierung gescheitert, denn die Industriegebiete, die vor dem Krieg das finanzielle Rückgrat der Stadt bildeten, lagen nun in einer anderen Besatzungszone.
Bereits im September 1946 wurde der Stuttgarter Architekt Paul Schmitthenner von der Stadt Mainz mit der Erarbeitung von Wiederaufbauplänen beauftragt. Doch die die traditionellen Planungen von Paul Schmitthenner und Karl Gruber, der bereits seit 1943 an der Technischen Hochschule Darmstadt Vorschläge zum Wiederaufbau des Mainzer Stadtzentrums ausgearbeitet hatte, wurden ebenso wenig realisiert wie die futuristischen Pläne des Marcel Lods.
„Der Wiederaufbau von Mainz vollzog sich in den 50er Jahren als eine Folge von Kompromissen und Zufälligkeiten, die auch den Abbruch bedeutender historischer Bausubstanz mit einschloss.“ [Anm. 4] 1952 beschloss der Stadtrat, das Planungsamt aufzulösen. Erst fünf Jahre später setzte die Bezirksregierung in Neustadt an der Weinstraße durch, dass ein neues Stadtplanungsamt gegründet wurde. [Anm. 5]
Bis zu einem systematischen Wiederaufbau von Mainz dauerte es dann noch einmal etwa zwei Jahrzehnte.

Verfasser: Wolfgang Stumme

Redaktionelle Bearbeitung: Sarah Traub

Verwendete Literatur:

  • Busch, Dieter: Der Luftkrieg im Raum Mainz während des Zweiten Weltkrieges 1939 – 1945. Mainz 1988.
  • Custodis, Paul-Georg: Stadtplanungen für Mainz. In: Landesamt für Denkmalpflege Rheinland-Pfalz (Hrsg.): Denkmalpflege in Rheinland-Pfalz. Architektur und Städtebau der 50er Jahre. Mainz 1992, S. 29 – 31.
  • Metzendorf, Rainer: Mayence – Stadt der Zukunft. In: Mainz – Vierteljahreshefte für Kultur, Politik, Wirtschaft, Geschichte, 28. Jahrgang, 2006, Heft 4, S. 26 – 31.

Aktualisiert am: 03.08.2016

Anmerkungen:

  1. Busch, Dieter: Der Luftkrieg im Raum Mainz während des Zweiten Weltkrieges 1939 – 1945. Mainz 1988, S. 367. Zurück
  2. Die Charta von Athen wurde unter Federführung von Le Corbusier entwickelt. Sie wurde 1933 auf dem IV. Internationalen Kongress für moderne Architektur verabschiedet, 1943 veröffentlicht und 1947 ins Deutsche übersetzt. Die Übersetzung sollte dabei helfen, die spürbare Abneigung in der Mainzer Bevölkerung zu überwinden.  Zurück
  3. Selbst innerhalb der für Mainz zuständigen Franzosen gab es gegensätzliche Vorstellungen hinsichtlich des Wiederaufbaus. Der französische Stadtkommandant Colonel Louis-Théodore Kleinmann z. B. sicherte die für die Sprengung vorgesehenen Türme der Stephanskirche und der Christuskirche. Die dafür benötigten Stahlbänder besorgte er aus dem rechtsrheinischen Gebiet im Tausch gegen rheinhessischen Wein. Er hat mit viel Geschick erreicht, dass z. B. der Osteiner Hof und die Umgrenzung des Schillerplatzes – entgegen der bereits einsetzenden Kahlsanierung – restauriert wurden. Zurück
  4. Custodis, Paul-Georg: Stadtplanungen für Mainz. In: Landesamt für Denkmalpflege Rheinland-Pfalz (Hrsg.): Denkmalpflege in Rheinland-Pfalz. Architektur und Städtebau der 50er Jahre. Mainz 1992, S. 29 – 31. Zurück
  5. Vgl. Metzendorf, Rainer: Mayence – Stadt der Zukunft. In: Mainz – Vierteljahreshefte für Kultur, Politik, Wirtschaft, Geschichte, 28. Jahrgang, 2006, Heft 4, S. 26 – 31 (31). Zurück