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Leben und Arbeiten im Westerwald

Karte des Westerwaldes. Die rot eingefärbten Orte waren von besonderer Bedeutung in
Raiffeisens Leben. Die gelben Linien zeigen die Raiffeisenstraßen.
[Bild: IGL]

Raiffeisen wird häufig als Westerwälder bezeichnet. Wo liegt eigentlich der Westerwald? Die Region grenzt im Norden an die Sieg, im Westen an den Rhein, im Süden an die Lahn und im Osten an die Dill. Sie
ist somit Teil des Rheinischen Schiefergebirges. Raiffeisen ist am Nordrand des Westerwaldes geboren und verlagerte seinen Wohnsitz im Laufe des Lebens immer weiter südlich bis nach Neuwied. Das heißt, er war vor allem im flacheren westlichen Westerwald und dann am Rhein aktiv.

Ein mit Reet gedeckter Bauernhof im Kreis Altenkirchen um das Jahr 1900.[Bild: Kreisarchiv Altenkirchen KreisA AK, F16/FG0198]

Durch die unterschiedlichen Höhenlagen und die damit einhergehenden klimatischen Verhältnisse, Bodenbeschaffenheit und Verkehrsanbindung verlief die wirtschaftliche Entwicklung nicht einheitlich. Im westlichen Teil des Westerwalds war aufgrund von Tonvorkommen das Pfeifen- und Kannenbäckerhandwerk verbreitet. Im Neuwieder Becken und an der Sieg wurden seit über 2000 Jahren Metalle und Basalt, ab dem 19. Jahrhundert im Nordosten auch Braunkohle abgebaut. Doch neben einer Tätigkeit im Bergbau oder in der Industrie waren die Menschen nach wie vor auf die Landwirtschaft angewiesen. Andere Teile des Westerwalds, zumal von den Flüssen entfernte, waren fast ausschließlich landwirtschaftlich geprägt, so wie Weyerbusch oder Anhausen. Eher ungünstige klimatische Verhältnisse mit viel Regen und die mäßige Bodenqualität ließen im Allgemeinen keinen Gewinn versprechenden Ackerbau zu. Mitte des 18. Jahrhunderts wurde die Kartoffel eingeführt. Da ihr der karge Boden genügte, wurde sie viel angebaut. Überwiegend betrieben die Bauern aber Viehwirtschaft, vor allem Rinderzucht.

Kartoffelernte im Westerwald, ca. 1910.[Bild: Kreisarchiv Altenkirchen KreisA AK, F26/FWP0309, Peter Weller]

Im Westerwald galt die Realteilung, das heißt, beim Tod der Eltern erhielt jeder Erbe einen gleichen Anteil der landwirtschaftlichen Flächen. Dadurch wurden die Parzellen im Laufe der Zeit immer kleiner, sodass die Erträge nicht mehr ausreichten. Gleichzeitig stieg die Bevölkerungszahl seit dem 18. Jahrhundert an. Daher mussten die Menschen Nebentätigkeiten, zum Beispiel textile Heimarbeit, ausüben.

Männer und Frauen beim Beladen eines Ochsengespanns im Westerwald, ca. 1910. [Bild: Kreisarchiv Altenkirchen KreisA AK, F26/FWP0305, Peter Weller]

Im 19. Jahrhundert führte die zunehmende Mechanisierung jedoch zu deren Verdrängung. Für Viehwirtschaft wurde ein gewisses Anschaffungskapital benötigt. Kleinbauern erhielten nur selten Kredite, sodass sie sich an „Wucherer“ wenden mussten. Daher suchten im 18. und 19. Jahrhundert viele Westerwälder ihr Glück in Übersee. Diese Situation bewog Raiffeisen, Vereine zur Bereitstellung von fairen Darlehen zu gründen.