Leiwen an Mosel und Saar

0.Adelheid Hoffmann Brief an ihren Sohn Ernst

Trier, Weidengasse 1, den 3. November 1945

Mein lieber Ernst!

Überaus groß war die Freude, als vor einigen Tagen das erste Lebenszeichen von Dir eintraf, wenigstens ein Lichtblick bei allem Elend. Wir freuen uns ja so, daß es Dir gut geht. Wir hatten schon Sorge, Du seist wieder verwundet, weil die erste Karte aus dem Lazarett stammte. Nun bist Du ja gesund und dafür wollen wir dem lb. Gott danken. Wie Du oben merkst, sind wir nicht mehr in unserem so schönen Heim, das ist mit allem, was drin war, ein Raub der Flammen geworden am 23. und 24. Dezember. Am 22.12. haben wir unser Haus verlassen und sind mit dem allerletzten Zug nach Detzem an die Mosel gefahren, wo wir bereits die beiden Kleinen hingeschafft hatten. Wir haben dort erbärmlich gehaust. Die Leute waren freundlich, sie hatten wohl viele Weinberge, aber nur eine ganz kleine Landwirtschaft, so daß sie uns nichts abgeben konnten. Hätten wir nicht unsere ganzen Lebensmittelvorräte mitgeschleppt, wir wären sicher verhungert. Unser Herrgott hat uns schwer heimgesucht. Das Schlimmste sollte aber noch kommen. Rudolf erhielt von uns Anfang Januar Nachricht, und bekam auch sofort Urlaub. Er war so froh und glücklich bei uns und konnte über 14 Tage bleiben. Am 2. Feb. ist er wieder nach Wiesbaden zurück zu seinem R.O.B Lehrgang.[Anm. 1]Damals, als Du nach Wiesbaden fuhrst, waren die Jungen gerne ausgerückt zur Front ins Saargebiet. Heiligabend wurden sie wieder herausgezogen und kamen nach Wiesbaden, von wo sie dauernd als Katastrophenkommando eingesetzt wurden. Durch uns und durch Bekannte aus Wiesbaden war Rudolf genau im Bilde, wie die Sache stand. Plötzlich hieß es, sie sollten rechtsrheinisch gegen die Russen eingesetzt werden. Auf der anderen Moselseite, gegenüber Detzem, waren bereits die Amerikaner. Der Beschuß war derart, daß das ganze Dorf Tag und Nacht in den Kellern hauste. Wir mußten in einen fremden Keller gehen, weil die Leute nur 2 primitive Kellerchen besaßen. Es war am 11.3.45 einem trüben Sonntag Nachmittag , als plötzlich ein Mädchen zu uns in den Keller kam, um uns mitzuteilen: „Draußen ist Ihr Junge, die SS läßt ihn nicht los.“ Ich bin sofort rausgelaufen und zu ihm. Rudolf sagte mir dann, er suche seine Einheit, sie seien bei Schweich im Einsatz gewesen. Die Situation war mir sofort klar. Ich ließ mir nichts merken und wollte Rudolf mit in den Keller haben, was mir verweigert wurde. Ich ging dann fort und brachte aus unserem Keller allerlei gutes Gebäck, womit ich ihm die Taschen stopfte. Ich sagte dann zu den SS. Kerls: „Schämt ihr euch nicht, einer Mutter ihren Jungen nicht mitzugeben; wenn ihr so mißtrauisch seid, dann kann ja einer von euch mitgehen.“ Daraufhin etwas Gemurmel, ich hing Rudolf in den Arm und nahm ihn mit.  Von den Kerls ist keiner mitgegangen. Die Sache war so, wie ich geahnt hatte. Rudolf war von Wiesbaden am 7.3. abgehauen und hatte den Weg in 4 Tagen zurückgelegt. Leider trug er noch die Uniform. Tags zuvor, am 10.3., war plötzlich ein kleiner Trupp von SS ins Dorf gekommen. Das war an einem Samstag. Und am Samstag Nachmittag kam Rudolf bis einige Meter vor die Haustüre, wo er von einem SS Mann auf einer Gartenmauer gegenüber unseren Leuten geschnappt wurde. Kannst Du Dir den Schrecken vorstellen? Wiederholt kam einer der SS Männer in unseren Keller, wahrscheinlich zum Schnüffeln. Die folgenden 20 Stunden werden die schwersten meines Lebens bleiben. Noch am Abend holten sie Rudolf von uns weg. Er hätte sich noch gut retten können, aber er hatte Angst, daß sie uns nähmen. Der Bande war ja alles zuzutrauen. Man brachte ihn nach Leiwen, wo das „Fliegende Standgericht“ tagte. Am Montag gegen ½ 12 kam ein junger Mann mit dem Rad aus Leiwen und teilte uns heimlich mit, daß Rudolf gegen 3 Uhr erschossen würde. Dorchen*[Anm. 2] und ich liefen dann durch all den Beschuß hindurch nach Leiwen, wo wir eingangs des Dorfes in ein kleines Klösterchen gingen. Die Schwestern waren so herzensgut zu uns. Dorchen hat wiederholt mit dem Offizier der SS verhandelt, gefleht und gebettelt. Aber vergebens. Einer schien noch Mitleid zu haben und wollte sein Möglichstes tun. Man fing wieder mit der Verhandlung an. Wie in Leiwen erzählt wird, hätte Rudolf den beiden Kommandeuren von Regiment und Battallion seine Meinung durch dick und dünn gesagt.  Da war es aus. Ein Offz. Obersturmführer machte uns dann die traurige Mitteilung, daß es keine Rettung gäbe. Ich sagte ihm dann, wir seien katholisch, ob mein Junge noch einmal mit dem Geistlichen sprechen könnte; damit war er einverstanden; das mußte aber alles unauffällig und schnell geschehen. Wir hatten dem Pater Prior von den Weißen Vätern rechtzeitig Bescheid gesagt, und er hielt sich seit Stunden im Klösterchen bereit. Plötzlich kam der Geländewagen und fuhr auf den Hof des Klösterchens. Wir konnten noch einmal mit ihm sprechen für einige Sekunden und ließen dann dem Pater den Vortritt. Rudolf hat gebeichtet, die hl. Kommunion empfangen sowie die Generalabsolution. Dann haben Dorchen und ich noch einmal mit ihm gesprochen. Der lb. Gott muß ihm schon übernatürliche Kraft verliehen haben, sonst hätte er nicht so gefaßt und zuversichtlich mit frohem Gesicht sich von uns verabschieden können. Ich konnte noch einmal sein Gesicht an mich drücken und ihm Mut zusprechen. Dann fuhr der Wagen ab. Etwa 100 – 120 m von uns entfernt wurde er dann erschossen. Die Mordbande erzählte in Leiwen: War das ein zackiger Jung. Der Obersturmführer wollte noch einmal mit uns sprechen, aber wir waren weg. So ließ er sich den Pater kommen und sagte: „Sagen Sie der Familie Hoffmann, daß ich ihren Sohn bewundert hätte, in welch tapferer, soldatischen Haltung er in den Tod gegangen ist.“

So, lieber Ernst, nun weißt Du all unser Leid und bist mir hoffentlich nicht böse darum, dass ich es Dir schrieb. Einmal muß es doch sein. Du mußt Dir Trost suchen bei Deinen Kameraden, die gewiß auch manch Schweres erlitten haben. Wir müssen es halt ertragen, so schwer es auch manchmal wird. Sonst sind wir noch alle gesund. Hoffentlich sehen wir uns bald wieder. Bist Du in England oder Deutschland. Viele liebe Grüße von uns allen.

Deine Mutter

Die anderen schreiben dir noch extra.

Adelheid Hoffmanns Brief an ihren Sohn Ernst[Bild: Monika Hoffmann]

Anmerkungen:

  1. R.O.B. Reserveoffiziersbewerberlehrgangein, Reserve-Offizier-Bewerber war ein "Nicht-Aktiver" Soldat, das heißt er hat sich nicht auf Dauer verpflichtet und sollte nur auf Dauer des Krieges (und anschließend in der Reserve) Dienst verrichten.  Zurück
  2. gemeint ist die Tochter Dora Zurück