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Die Rheingauer Empörung von 1525

von Norbert Diehl

Die Versammlung in Winkel beschließt 29 Artikel, die der Vicedom mit einigen Vertretern der Räte und Gemeinden dem Domdekan Lorenz Truchsess von Pommersfelden zur Bewilligung und Verbriefung seitens des Statthalters und Domkapitels übergibt. Der Domdekan erbittet sich drei bis vier Tage Frist. Die Vertreter des Landesherrn Albrecht von Brandenburg, der bis zum 26. April 1525 im geliebten Halle an der Saale weilt, spielen auf Zeit. Die Empö-rung ist freilich nicht mehr aufzuhalten. Als erste ziehen die Einwohner von Winkel, Eibingen und Johannisberg "ohne Bescheid der Obrigkeit und der Räte des Landes" auf den Wacholder; als letzte kommen die Vertreter der Gemeinden Rüdesheim und Geisenheim. Auch Vertreter des linksrheinischen Algesheim sind gekommen, ebenso erscheinen Bürger aus Bingen "bei der Rott" auf dem Wacholder, um zu erfahren, was sie von dem Rheingau zu erwarten hätten.
Der "Wacholder" liegt zwischen Erbach und Hattenheim nur je eine halbe Stunde Fußweg vom Rheinufer und vom Kloster Eberbach entfernt. Die anfangs sanft, dann steiler gegen Norden ansteigende Fläche wird beherrscht vom Eichberg, ihrer höchsten Erhebung. Das Terrain ist mit verkrüppelten Wacholdersträuchen und üppigen Ginstern bewachsen und dient als Viehweide. Dort, wo schon im Sommer 1523 der Mainzer Domprediger Caspar Hedio die neue Lehre verkündigt hat, verhandeln die Rheingauer Adligen, Bürger und Bauern ihre "Artikel" mit den Vertretern der Obrigkeit. Man errichtet ein Lager, plaziert Wehren und Geschütz und wirft zur Sicherung eine Schanze auf.
Endlich - am 19. Mai 1525 bewilligen der Statthalter des Erzbischofs, Bischof Wilhelm von Straßburg, und das Mainzer Domkapitel die 31 "Artickel der beschwerung gemeyner lantschaft des Ringgaws". Die Mehrzahl der Versammelten zieht daraufhin in ihre Gemeinden zurück. Die einleitenden Artikel spiegeln den religiös-reformatorischen Zeitgeist wider: "Zum ersten" fordert die Landschaft "einen gelerten prediger und seelversorger in yedem flecken zu haben, der sondern alle forcht und bezwangk die rechte lauter evangelische warheit sage ...". "Zum anderen" beschwert sich die gesamte Landschaft, "das etliche prediger gefenglich in die lantschaft des Ringgaws gefürt und uber alle erpietens des rechten gefenglich gehalten wor-den sein." (Wolf-Heino Struck, Bauernkrieg am Mittelrhein und in Hessen, 1975, Nr. 77, S. 208)

Man feiert den Tag des hl. Georg am Sonntag, 23. April 1525, als Bürger von Eltville, dem Verwaltungsmittelpunkt des Rheingaus um die erzbischöfliche Burg, mit Brustpanzer bewehrt sich versammeln und darin übereinkommen, dem Rat Artikel mit ihren Forderungen vorzulegen. "Das gemeine Geschrei" geht durchs ganze Land. Heinrich Brömser, als "vicedominus" Vertreter des erzbischöflichen Landesherrn, eilt sofort aus Rüdesheim herbei. Am 24. April 1525 verhandelt er ab 5 Uhr morgens mit den Bürgern von Eltville. Die Gemeinde ist die ganze Zeit "in Harnisch", übernimmt die Fähre nach Mainz bei Niederwalluf und besetzt das Bollwerk. Das zusammengelaufene Volk fordert, die ganze Landschaft solle sich auf dem Wacholder treffen. Der Vicedom erreicht aber, dass die Gemeinden ihre Beschwerden bei einer Versammlung der Schöffen und Räte am 29. April 1525 im Rathaus zu Winkel vortragen sollten. Das Ergebnis solle ihm nach dem Willen des "gemeinen Haufens" am Tage drauf (einem Sonntag) eröffnet werden.

Die Mehrzahl der Artikel aber fordert Erleichterungen bei Steuern, Zinsen und Zöllen und eine Verbesserung der rechtlichen Stellung der Rheingauer; ganz die eigenen materiellen Interessen im Blick, heißt es weiter: zum siebenzehesten sol kein jud in der lantschafft sein wonung oder behawsung haben von wegen des grossen verderblichen schadens, den sye dem gemeynen man zugefugt ...
Nachdem sich die Rheingauer sowie die Geistlichkeit und die Bürger zu Mainz gegenseitigen Beistand versprochen haben, einigen sich am 23. Mai 1525 die Adligen und Bürger der Landschaft des Rheingaus vor dem Statthalter in der Burg zu Eltville darauf, in den Ämtern des Rheingaus einschließlich Algesheims "von oben an bis unten aus jeglichen Flecken" zu besichtigen, um die alten Klagen der Ämter Algesheim und Lorch über die Ungleichheit der Lastenverteilung zu beheben und sich "in gleich brüderliche Form" zu stellen und zu teilen. (Struck, Nr. 85)

Im Hochgefühl, einen Sieg gegen den Landesherrn und das Mainzer Domkapitel errungen zu haben, geht die Versammlung auf der Wacholderheide zu Ende. Die Zeche müssen die Mönche des Klosters Eberbach bezahlen: Zu Ehren Gottes und der evangelischen Freiheit, so ein mit den Aufständischen sympathisierender Autor des 19. Jahrhunderts, verzehren die Rheingauer 600 Scheffel Mehl und Getreide, fast alle Ochsen, Kühe, Schafe, Hühner, Tauben und Kälber sowie das geräucherte Fleisch und die Käsevorräte des Klosters. Das Große Fass im Keller wird bis auf die Nagelprobe geleert. Die durstige Rotte hat fast 300 Ohm Wein, das sind etwa 45.000 Liter, getrunken.
Außerhalb des Rheingaus sind die Auseinandersetzungen zwischen den Fürsten und den Aufständischen mit zunehmenden Vorteilen für die alten Herren weitergegangen. Nach Himmelfahrt und Pfingsten meldet sich am 11. Juni 1525 der Oberste Feldhauptmann des Schwäbischen Bundes zu Wort. Georg Truchsess von Waldburg, fordert von der Stadt Mainz und den Rheingauern, sich "auf Gnade und Ungnade zu ergeben". Der kurfürstliche Statthalter, Bischof Wilhelm von Straßburg, leitet das Schreiben an den Rheingau weiter und empfiehlt, sich danach zu richten. Auf Gnade hoffend machen sich die Gesandten des Rheingaus ins Lager des Bundesheeres nach Pfeddersheim auf. Dort erkennen die Abgesandten die Lage, die jeden weiteren Widerstand verbietet. Schuldtheyß, burgermeyster, rethe und alle innwoner des ambt des Ringgaws, nemblich Eltuil, Ostrich, Algeßheim, Geysenheim, Rudeßheim und Lorch, bekhennen und thun kund offentlich mit diesem brief fur unns, unsere erben und alle unnsere nachkomen ..., dass sie sich auf Gnade und Ungnade ergeben, ihre Verfehlungen bekennen und sich den Forderungen der Sieger unterwerfen: Die Bewohner der insgesamt 3.018 Herdstätten im Rheingau müssen 15.000 Gulden Kriegskosten in zwei Raten zahlen; dafür werden von den einzelnen Ämtern "gysell und burgen" gestellt.
Die Unterwerfung und neue Huldigung des Rheingaus auf dem Feld zwischen Eltville und Steinheim vor dem Bundeshauptmann Frowin von Hutten verhindert nicht, dass am 14. Juli 1525 in Eltville neun Rädelsführer enthauptet werden. Auch die Stadt Bingen unterwirft sich vor der Burg Klopp in Anwesenheit des Obersten Feldhauptmanns und des Statthalters. Trotzdem bestimmen Razzien nach an der "Empörung" Beteiligten und Schuldigen, aber auch die Auflistung von Personen, die "von der empörung wissens haben" sollen, über Tage das Geschehen in der Stadt; schließlich werden drei Aufrührer hingerichtet.