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Datus - Ein Ituräer in Mainz

von Manfred Hessinger

Im Frühjahr 1982 wurde für den Neubau eines Wohn- und Geschäftshauses in Mainz, an der Ecke Emmeranstraße / Große Langgasse, die Baugrube ausgehoben. Im Einvernehmen mit der Bauleitung und der Bodendenkmalpflege wurden die Aushubarbeiten durch einige Mitglieder der Arbeitsgemeinschaft Archäologie in Mainz e. V. zur Sicherung von Befunden und Funden überwacht. Der Fundort liegt nordwestlich der heutigen Emmeranstraße, die, leicht versetzt, dem Verlauf der römischen Verbindungsstraße zwischen dem Zweilegionenlager auf der Anhöhe über Mainz und der römischen Rheinbrücke entspricht. Diese Straßentrasse durchquerte tiefliegendes, versumpftes Gelände im Bereich Schillerplatz und Emmeranstraße. Um diese Straße bauen zu können, musste der Untergrund zunächst befestigt und trockengelegt werden. [Anm. 1] Hier wurde also nicht, wie in Vindonissa, eine auf Dauer berechnete Abfalldeponie eingerichtet, sondern lediglich im Legionslager anfallender Abfall zur Trockenlegung und Erhöhung der Straßenbaustelle eingebracht. Nachdem in der Baugrube die früheren Kellerböden entfernt waren, wurde eine moorige Torfschicht angeschnitten, deren Oberkante an der höchsten Stelle bei etwa 3,80 m, deren Unterkante bei etwa 6,70 m unter dem Straßenniveau der heutigen Emmeranstraße lag. Die Schichtstärke nahm in Richtung Nordwest entlang der Großen Langgasse kontinuierlich ab, um nach ca. 11 m auszulaufen. Entlang der Emmeranstraße erstreckte sich die Fundschicht auf eine Länge von ca. 17 m. Die Schicht ließ sich aufgrund ihrer dunklen Verfärbung und der Konsistenz des Materials sicher und genau von der umgebenden Einfüllung abgrenzen. Die so beschriebene Schicht wurde im Bereich Emmeranstraße / Schillerplatz nicht zum ersten Mal angeschnitten. [Anm. 2]

Bereits die ersten Funde sprachen für eine augusteische Zeitstellung. Eine Unterteilung in verschiedene Schichten ließ sich weder im Stratum noch an signifikanten Unterschieden bei den Funden erkennen. Zu den Funden gehören organische Materialien, wie Holz, Leder, Stoffe; daneben fanden sich Münzen, arretinische Sigillaten, ein Amphorenfragment, Waffenteile, Werkzeuge, Stili, ein Gemmenring, eine Gemme und anderes. Das Fundmaterial entspricht damit den Funden aus den bereits zuvor angesprochenen früheren Fundstellen. Von den Funden aus dem Jahre 1982 sind bisher nur die Münzen[Anm. 3], die Arretina[Anm. 4], das Amphorenfragment[Anm. 5] und die Lederfunde wissenschaftlich bearbeitet und veröffentlicht.[Anm. 6] Die Textilfunde werden zur Zeit noch für eine Ausstellung über antike Stoffe im Reiss-Museum Mannheim bearbeitet; erste Ergebnisse wurden 2009 in einer von der Direktion Landesarchäologie Mainz veranstalteten Ausstellung im MVB-Forum Mainz vorgestellt.[Anm. 7] Zu den Holzfunden gehören auch Schreibtafeln, von denen eine hier vorgestellt werden soll.[Anm. 8] Solche Schreibtafeln sind auch schon bei den früheren Funden in der Torfschicht geborgen worden.[Anm. 9]

Bei der Tafel (Abb. 1, 1 a mit den Maßen 14,5 x 5,7 cm) handelt es sich um den oberen Teil der Außentafel eines Diptychons mit der Adresse, die mit einem Griffel in das Holz eingerissen wurde. Auf der rückseitigen, vertieften Fläche ist die Wachsschicht verloren. Auf Schriftreste hin, die in das Holz eingedrückt sind, weil die Wachsschicht durchstoßen wurde, ist die Tafel noch nicht untersucht worden. Die Inschrift lautet:

DATO ITVRA
        ). PAVLI

 

Dato Itura(eo) / (centuria) Pauli

An Datus, den Ituräer , (Soldat) in der Centurie des Paulus.

Zunächst habe ich angenommen, dass DATO, das erste Wort in Zeile 1, die Bedeutung von „An“ oder „Gib [diesen Brief] an“ habe. Dankenswerterweise hat Herr Prof. Eck bei der Lektüre des Manuskriptes festgestellt, dass es sich bei „DATO“ um den Personennamen des Empfängers handelt. Zur Unterscheidung von anderen Trägern dieses Namens wurde er mit dem Namen seines Stammes als Ituräer gekennzeichnet.

Die Schriftform ist eine leicht kursiv gestellte Capitalis. Das R hat eine bis in die zweite Zeile reichende Unterlänge. Bei der Platzierung der Anschrift wurde, wie das auch aus Vindonissa bekannt ist, auf den Verlauf der Schnur Rücksicht genommen, mit der das Diptychon später zusammengebunden wurde, was man an der Stellung der Kerbe am oberen und unteren Rand zu dem etwas größeren Abstand zwischen DATO und ITVRA erkennen kann; über der unteren Bruchkante sind keine weiteren Schriftspuren vorhanden, eine Absenderangabe war damit wohl nicht vorhanden.[Anm. 10] Der Name Datus ist insgesamt sehr gut belegt, einige Male in Rom und Italien, sehr oft in den nordafrikanischen Provinzen, bisher fehlen allerdings Belege für die östlichen Reichsteile. Das hier als Herkunftsbezeichnung verwendete ITVRA ist eine, vermutlich durch Platzmangel verursachte Abbreviatur für ITVRAEO.[Anm. 11] Dazu passt, dass in Mainz in julischer bis claudischer Zeit die Stationierung von Ituräercohorten, die den beiden Legionen in Mainz detachiert waren,[Anm. 12] durch mehrere Soldatengrabsteine sowie durch den Grabstein einer Ituräerin nachgewiesen ist.[Anm. 13]

Bisher wird allgemein vertreten, dass die Ankunft der römischen Truppen in Mainz im Jahre 13/12 v. Chr. erfolgte. Auf ein früheres Datum könnte ein im späteren Stadtgebiet verbauter Holzpfosten hinweisen, der dendrochronologisch in das Jahr 17/16 v. Chr. datiert wird.[Anm. 14] Als Ergebnis der Bearbeitung der Münzen, der Arretina und des Amphorenfragments wird angenommen, dass der Fundkomplex an der Emmeranstrasse innerhalb weniger Jahre um 5 v. Chr., spätestens 3 v. Chr. dort abgelagert wurde.[Anm. 15] Eine Datierung war bei den früheren Funden aus der Torfschicht nicht zu gewinnen, weil die datierbaren Funde dort mit nicht zu der Torfschicht gehörenden Fundstücken vermischt waren. Der Ituräer Datus ist wohl als Angehöriger einer cohors I Ituraeorum zu identifizieren. Von dieser Einheit wird angenommen, dass sie zeitgleich mit der cohors I Belgica in Mainz stationiert war, einer der ältesten gallischen Auxiliartruppen, die in Mainz durch eine Inschrift belegt ist. Ob aber die in Mainz bezeugte cohors I Ituraeorum mit einer der beiden später in Dakien bzw. in Pannonien stationierten Einheiten: einer cohors I Ituraeorum sagittaria bzw. der cohors I Augusta Ituraeorum, identisch ist,[Anm. 16] kann man nicht entscheiden. Doch zumindest für eine der Ituraercohorten in Mainz wären mit dem neuen Zeugnis die Stationierungsdaten, präziser als bisher zu fassen, die bisher überwiegend mit der Angabe julisch / claudisch, 13 vor bis 68 nach Chr. oder tiberisch angegeben werden.[Anm. 17]

Anmerkungen:

  1. G. Rupprecht, Zur Fundsituation [der Lederfunde in der Emmeranstraße] in: J. Göpfrich: Römische Lederfunde aus Mainz, Saalburg-Jahrbuch 42, Mainz 1986, 6; M. Witteyer, Biomasse und anderes, in: A. Böhme-Schönberger (Hg.), hautnah – Römische Stoffe aus Mainz, Begleitheft zur Ausstellung, Mainz 2009. Zurück
  2. K. Körber, Römische Inschriften des Mainzer Museums – Dritter Nachtrag zum Beckerschen Katalog, Zeitschrift des Vereins zur Erforschung der rheinischen Geschichte und Altertümer in Mainz IV 2/3, Vereinsgabe bei Gelegenheit der Gutenbergjahrfeier i. J. 1900, 273; K. Körber, Neue Inschriften des Mainzer Museums. Vierter Nachtrag zum Beckerschen Katalog, Mainz 1905, 66; E. Neeb, Bericht über die Vermehrung der Sammlungen des Altertumsmuseums der Stadt Mainz vom April 1909 bis April 1911, Mainzer Zeitschrift 6, 1911, 143; B. Stümpel, Bericht des staatlichen Amtes für Vor- und Frühgeschichte im Regierungsbezirk Rheinhessen und im Kreis Bad Kreuznach für die Zeit vom 1. Januar 1963 bis 31. Dezember 1964, Mainzer Zeitschrift 60/61, 1965/66, 170; U. Schillinger-Häfele, Ein halbes hölzernes Schreibtäfelchen aus Mainz, Mainzer Zeitschrift 75, 1980, 215-218. Zurück
  3. J. Gorecki: Die Fundmünzen der römischen Zeit in Deutschland, Abt. IV, Rheinland-Pfalz, Band 1, Nachtrag 1, Stadt Mainz, S. 383, lfd. Nr. 71. FM 82-008 a/d; 1258. Die Nummern der Fundmünzen, die zur Torfschicht gehören, finden sich auf S. 571 unter Emmeranstraße 9/ Große Langgasse, beginnend mit Nr. 7, endend mit Nummer 356; auf den Katalogseiten 155-169. Zurück
  4. P. Eschbaumer, Arretina aus einer augusteischen Schicht in Mainz, in: W. Czysz (et al., Hgg.), Provinzialrömische Forschungen, Festschrift für Günther Ulbert zum 65. Geburtstag, Espelkamp 1995 301 – 320. Die Datierung der Arretina widerspricht der aus der Datierung der Münzen gewonnenen nicht. Zurück
  5. U. Ehmig, Die römischen Amphoren aus Mainz, Frankfurter Archäologische Schriften 4, 2, Espelkamp 1995, 394, Nr. 231 (217) Amphore des Typs Lamboglia 2, deren Laufzeit auf 30 bis 20 v. Chr. datiert wird. Zurück
  6. J. Göpfrich: Römische Lederfunde aus Mainz, Saalburg-Jahrbuch 42, Mainz 1986 (für Fragen der Datierung unergiebig). Zurück
  7. A. Böhme-Schönberger, in hautnah ... (Anm. 1) 45-48. Zurück
  8. Zu den römischen Schreibtafeln: M. A. Speidel, Die römischen Schreibtafeln von Vindonissa, Veröffentlichungen der Gesellschaft Pro Vindonissa, 12, Brugg 1996, 17-30. Zurück
  9. Zum Fund von Schreibtafeln 1857 und 1898, wie Anmerkung 2, zum Schreibtafelfund von 1904, wie Anmerkung 2, Schreibtafelfund von 1963/64 Mainzer Zeitschrift 60/61, 1965/66, 170. Zum Schreibtafelfund von 1968: U. Schillinger-Häfele (Anm. 2) 215-218; hierzu auch M. A. Speidel (Anm. 8) 36, Anm. 14. Zurück
  10. M. A. Speidel: Vindonissa (Anm. 8), 35. Zurück
  11. Zu den Ituräern: F. Altheim – R. Stiehl, Die Araber in der alten Welt, I, Berlin, 1964, 314-317, 350-354, 661-677. Zurück
  12. K.-V. Decker – W. Selzer, Mogontiacum: Mainz von der Zeit des Augustus bis zum Ende der römischen Herrschaft, in: H: Temporini – W. Haase (Hgg.), ANRW II, 1, Berlin 1976, 457-559. Zu den Ituräercohorten und ihren Soldaten, mit Literaturhinweisen: G. Ziethen, Ex Oriente ad Rhenum, Mainzer Archäologische Zeitschrift, 4, 1997, 11-186. Zurück
  13. Zum Grabstein einer Ituräerin in Mainz: A. Böhme-Schönberger, Eine Ituräerin in Mainz – Der Stein vom Frauenlobplatz, Mainzer Archäologische Zeitschrift, 5/6, 1998/99, 35-44; sowie A. Böhme-Schönberger, in: hautnah (Anm. 1) 45-48. Zurück
  14. M. Witteyer, Mogontiacum – Militärbasis und Verwaltungszentrum, Der archäologische Befund, in: F. Dumont, F. Scherf, F. Schütz (Hgg.), Mainz – Die Geschichte einer Stadt, Mainz 1998, 1026. Zurück
  15. M. Witteyer (Anm. 1), 3. Zurück
  16. Siehe dazu J. Spaul, Cohors2, Oxford 2000, 440 ff. Zurück
  17. K.-V. Decker und W. Selzer (Anm. 12) 539; M. Witteyer (Anm. 1) 2009, 35-39. Zurück