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Strafen für Grenzfrevler gestern und heute

Verflucht sei, wer seines Nächsten Grenze verrückt!  Und alles Volk soll sagen: Amen. (5. Buch Mose 27; 17)

Die Strafen für Grenzfrevler waren grausam: dem einen wurde die Hand abgehackt, dem anderen, nachdem er bis zum Hals in die Erde eingegraben worden war, der Kopf abgepflügt. Nicht nur im Mittelalter und in den Jahrhunderten danach galten die Grenzen fast als Heiligtümer. Schon die Babylonier hatten sie direkt dem Schutz der Götter anvertraut. (Anm. 1-3).

Die vorsätzliche Entfernung oder Verrückung von Grenzsteinen wurde durch die Malefizgerichte (Kriminalgerichte) abgeurteilt und zog eine "peinliche" Strafe nach sich.
So bestimmten rheinische Weistümer des 16. Jh.: Man soll den Grenzfrevler in das Loch setzen, daraus er den Stein genommen hat, ihn bis zum Gürtel eingraben, einen Pflug-schar scharf schleifen, zwei ungezähmte Tiere davor spannen und die Furche damit durchackern, da das Loch ist; wie es ihm dann ergehet, wird er wohl sehen. (Anm. 4) Die sog. "Peinliche Halsgerichsordnung" von 1532 unter Kaiser Karl V. (1519-1566) setzte als Regelstrafe für denjenigen, "der böswillig Marksteine verändert oder abtut", eine peinliche Leibesstrafe fest, die "je nach Gestalt der Sachen und des Täters" in einer Verstümmelung oder einer körperlichen Züchtigung bestehen konnte. (Anm. 4-5)
Der Volksglaube lässt des Frevlers Geist zu mitternächtlicher Stunde ruhelos über die Felder wandeln, von dem brennenden Verlangen beseelt, durch Wiedergutmachung seiner Missetat Erlösung und ewige Ruhe zu finden. Pestalozzi beschreibt in "Lienhard und Gertrud" den Grenzfrevel des Vogts Hummel und dessen traurige Folgen. (Anm. 6) Alte Sagen berichten von gestraften Marksteinverletzern, die im Grabe keine Ruhe fanden. Als feurige Gestalt mussten sie nachts in der Nähe ihrer Untat umgehen. Sie konnten erst dann erlöst werden, wenn sie auf ihren nächtlichen Umgängen einen mutigen Mann antrafen, der ihnen auf ihre stets wiederholte Frage: "Wo setze ich meinen Grenzstein?" die richtige Antwort gab: "Setz ihn, wo du ihn nahmst". Eine ähnliche Sage ist von Karl Müllenhoff (Anm. 7) überliefert.
"In den niedrigen Fennen zwischen Lindholm und Maasbüll, Amt Tondern, die im Winter meist unter Wasser stehen, tobte allnächtlich ein Gespenst (Anm.: im dänischen treffender "genganger" = Wiedergänger ). Es war ein Mann mit einem großen Pfahl auf dem Nacken, und indem es umherstürmte, schrie es beständig: "Wo schall ik den Paal daalschlaan? Wo schall ik den Paal daalschlaan?" Die ältesten Leute hatten davon schon von ihren Eltern gehört und noch immer ging das Gespenst umher. Es tat keinem etwas zu Leide und jeder ging still vorüber; es kümmerte sich niemand weiter darum. Einmal aber kamen zwei Nachbarn gemeinsam vom Markte zurück, und der eine war etwas betrunken. Als sie nun an die Stelle kamen und das Gespenst rief, fragte er: "Wat seggt de Kerl?" "Um Gottes Willen, so schwieg doch", sagte der andere, "he deit di niks." "Ik will awer weten, wat he seggt",  erwiderte der andere mürrisch und rief das Gespenst an: "Wat seggst du?" Gleich stand es vor ihnen und schrie: "Wo schall ik den Paal daalschlaan? Wo schall ik den Paal daalschlaan?" Vor Schreck plötzlich nüchtern faltete der Mann die Hände und antwortete: "In Gottes Namen schlaag em daal, wo he früer staan hett." Unter lautem Danke, weil es auf dieses Wort schon über hundert Jahre gehofft hatte, rannte das Gespenst nach einer Stelle, schlug den Pfahl da hinunter, so dass das Wasser weit über seinen Kopf und über den Pfahl hinweg stob, und war zugleich verschwunden. Der Mann hatte nämlich bei Lebzeiten den Grenzpfahl verrückt und hatte damit umgehen müssen, bis jemand ihn anredete und dadurch erlöste."
Ein solch ruheloser Geist soll nach Weinert (Anm. 8) in Oberheimbach von einem Vikar aus Bingerbrück erlöst worden sein. Auch die Gebrüder Grimm haben in ihrer Sammlung "Deutsche Sagen" den Grenzstreit und den Grenzfrevel unter Nr. 284 - 289 aufgenommen.
Nr. 284  Die verwünschten Landmesser
"Die Irrwische, welche nachts an den Ufern und Feldrainen hin und her streifen, sollen ehdem Landmesser gewesen sein und die Marken trüglich gemessen haben. Darum sind sie verdammt, nach ihrem Leben umzugehen und die Grenzen zu hüten.


Zur Veränderung einer Grenzbezeichnung enthält das geltende Strafgesetzbuch in  § 274 StGB (Anm. 9-10) folgende Bestimmungen: „Mit Freiheitsstrafe bis zu fünf Jahren oder mit Geldstrafe wird bestraft, wer einen Grenzstein oder ein anderes zur Bezeichnung einer Grenze oder eines Wasserstandes bestimmtes Merkmal in der Absicht, einem anderen Nachteil zuzufügen, wegnimmt, vernichtet, unkenntlich macht, verrückt oder fälschlich setzt. Der Versuch ist strafbar."
Nach § 919 BGB kann der Eigentümer eines Grundstückes von dem Eigentümer eines Nachbargrundstückes verlangen, dass dieser zur Errichtung fester Grenzzeichen und wenn ein Grenzzeichen verrückt oder unkenntlich geworden ist, zur Wiederherstellung mitwirkt.
Mit der Übernahme der Bestimmungen zur Abmarkung der Grundstücke in das Landesgesetz über das amtliche Vermessungswesen (LGVerm) vom 20.12.2000 GVBl. S. 572ff. ist auch das Abmarkungsgesetz von Rheinland-Pfalz aufgehoben worden, das bislang in § 3 den Schutz der Abmarkung und in § 18 die Ordnungswidrigkeiten regelte. Bußgeldvorschriften sind nach der Begründung des LGVerm dann überflüssig, wenn derselbe Tatbestand bereits von Strafvorschriften des Strafgesetzes (§ 132 Amtsanmaßung, § 263 Betrug, § 267 Urkundenfälschung, Veränderung einer Grenzbezeichnung, § 303 Sachbeschädigung, § 303a Datenveränderung) abgedeckt sind.
Historische Grenzsteine, die heute keine aktuell gültigen Grenzen mehr markieren oder nicht mehr an ihrer ursprünglichen Stelle stehen, dürfen nicht ohne weiteres entfernt werden, da sie nicht zum wesentlichen Bestandteil eines Privatgrundstückes gehören. Ein solcher Stein ist als Scheinbestandteil eines Grundstückes nach § 95 I BGB anzusehen und bleibt nach dem Ausgraben für den Grundstückseigentümer eine fremde Sache i.S. des § 246 Strafgesetzbuch. Geschichtlich wertvolle Funde - die nicht zum wesentlichen Bestandteil eines Privatgrundstückes geworden sind, gehören nach einem Urteil des OVG Rheinland-Pfalz vom 16.12.1993 Az.: 8A 11394/93 OVG - Bestätigung durch ein Urteil vom 08.05.1996 Az.: 8A 12613/94 OVG - dem Land Rheinland-Pfalz. Die Aussagen des Urteils über die Eigentumsrechte an einem römischen Mühlstein können auf einen historischen Grenzstein sinngemäß übertragen werden. 
§ 19 a  Denkmalschutz- und pflegegesetz - DSchPflG v. 23.3.1978 - BS 224-2 - Schatzregal. Funde, die herrenlos sind oder die so lange verborgen waren, dass ihr Eigentümer nicht mehr zu ermitteln ist, werden mit der Entdeckung Eigentum des Landes, wenn sie von besonderem wissenschaftlichem Wert sind oder bei staatlichen Nachforschungen oder in Grabungsschutzgebieten (§ 22) entdeckt werden.

Literaturverzeichnis

1. IWZ Kreissparkasse. Stumme Zeugen.
2. Letzner, Reiner: Augenspaziergang durch alte Gassen und Fluren des Binger Raumes. Landesamt für Vermessung und Geobasisinformation Rheinland-Pfalz Koblenz  2002.
3. Letzner, Reiner: Historische Grenzsteine und alte Grenzen im Binger / Ingelheimer und Gau-Algesheimer Raum. Unveröffentlichtes Manuskript eines Vortrages am 22.06.1998 im Fridtjof-Nansen-Haus in Ingelheim.
4. Welker: Uraltes Brauchtum in modernen Gesetzen. Nachrichtenblatt der Vermessungs- und Katasterverwaltung Rheinland-Pfalz, 1970, Seite 122 ff.
5. Neuffer: Der Untergänger. Allgemeine Vermessungsnachrichten (AVN) 3/1966, Seite 91 ff.
6. Buxbaum: Beiträge zur Siedlungs- und Wirtschaftsgeschichte des Odenwaldes. Selbstverlag 1928.
7. Karl Müllenhoff: Sagen, Märchen und Lieder 1845. Aus "Slesvigland", 15. Jg. 1994. H.2 (freundlicherweise zur Verfügung gestellt von Dr. Günter Jantzen, Ingelheim).
8. Weinert, Franz: Der Steigsteinträger von Oberheimbach. Heimat am Mittelrhein, 5/6/2005.
9. StrGB. Strafgesetzbuch in der Fassung der Bekanntmachung vom 13.11.1998, BGBl. I 3322.
10. Simmerding, Franz X.: Grenzzeichen, Grenzsteinsetzer und Grenzfrevler. 1996. Deutscher Verein für Vermessungswesen (DVW) Landesverein Bayern e.V. ISBN 3-923825-08-0.