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„Meine erste Veröffentlichung hier“ - Ludwig Geisenheyner publizierte 1872 im „Volksblatt für Rhein und Nahe“

von Jörg Julius Reisek

Die Bibliographie der Veröffentlichungen Dr. h. c. Ludwig Geisenheyners listet 143 Monographien und Aufsätze, sowie eine größere Anzahl von Zeitungsartikeln auf. Einige seiner Beiträge schlummern immer noch unerkannt in verstaubten Zeitungsbänden, da sie oft nur mit „G.“ oder „Gs.“ unterzeichnet wurden. Kurz vor seinem Tode fertigte Geisenheyner eine 41seitigeAuflistung eigener Publikationen an, die er als „Meine Veröffentlichungen“ betitelte. Darin finden sich zahlreiche autobiographische Anmerkungen (s. Anhang). Über den ersten Kreuznacher Artikel teilte er das Folgende mit:


„Kreuznach: Am 6. Oktober 1870 wurde ich hier feierlichst durch den Direktor Wulfert als Gymnasiallehrer (so hiess es damals) eingeführt.

Meine erste Veröffentlichung hier enthielt das von Dr. H. Prieger herausgegebene Volksblatt für Rhein und Nahe. Die schönen Lärchen auf der Hardt, die im Frühjahr so wunderbar schön grün sind, fielen mir eines Morgens – ich weiss das Jahr nicht mehr – dadurch auf, dass sie sehr grau erschienen. Als ich sie mir in der Nähe ansah, merkte ich, dass meine Meinung, der Frost habe das getan, irrig war, denn es war die Biologie vom Frass der Lärchenmotte. Nachdem ich mich über die Biologie des mir bisher unbekannten Tieres genauer unterrichtet hatte, verfasste ich den von Prieger gern aufgenommenen Artikel, den, mir wieder zu verschaffen, mir nicht gelungen ist. Priegers Sohn sagte mir, er besitze kein vollständiges Exemplar dieses Volksblattes.“

Bei der Bearbeitung des Geisenheynerschen Nachlasses in der HWZB fanden sich die zwei verlorengeglaubten Nummern des „Volksblatt für Rhein und Nahe“ von 1872. Vermutlich wurden sie erst in späterer Zeit dem Kovolut beigefügt.


Eingesendet

Die erfrischenden Regen der letzten Tage haben die Natur vollständig umgewandelt; überall, wohin wir unsere Blicke wenden, gewahren wir die Farbe der Hoffnung, des Frühlings frisches, saftiges Grün und munteres Treiben und frisches Leben in aller Orten an die Stelle des eisigen, todten Winterkeides der Erde getreten. Hat sich das Auge allmählich an den Anblick der strotzenden Fülle gewöhnt, die uns in dem Frühlingserwachen der Pflanzenwelt so sehr entgegentritt, so empfinden wir um so mächtiger den grellen Contrast zwischen Gesundheit und Krankheit, Leben und Tod, wenn wir inmitten frischen, vollkräftigen Lebens eine Stelle der Oede finden, wo Krankheit und Tod reiche Ernte halten. Eine solche Gegend haben wir in diesem Frühjahre täglich vor Augen. Wenn man in früheren Jahren auf den schönen, oberhalb unserer Stadt liegenden Berg, auf die Haard blickte, wenn man bes. die Salinenstraße entlang gehend fortwährend durch den Anblick dieser wuchtigen Bergmasse erfreut wurde, so war es besonders der vordere Theil derselben, der durch sein helles, freudiges Grün so prächtig gegen das dahinterliegende Dunkelgrün abstach und bewußt oder unbewußt Freude über die wiedererwachte Natur einflößte. Dieser Theil des Bergrückens ist nämlich mit Lärchen bepflanzt, dem einzigen Vertreter der Nadelhölzer, welche wie Laubholz alljährlich die Nadeln abwerfen um sie im Frühlinge durch neue zu ersetzen. Diese neuen Nadeln sind es nun, die durch ihr helles, frisches Grün zuerst das Auge erfreuen, indem sie von dem dunklen fast schwarzen Hintergrunde der Fichten und Kiefern so wohltuend sich abheben.

In diesem Jahre suchen wir dieses Fleckchen erquickenden Grüns vergeblich; an seiner Stelle finden wir ein fahles Grau, fast Weiß. „Woher das?“ hat sich sicherlich schon Mancher gefragt, der auf seinen Spaziergängen auch nur ein Wenig gewohnt ist zu beobachten. Vielleicht ist dieser oder jener auf den Gedanken gekommen, daß dort der Frost mit eisiger Hand gewüthet habe. Doch dem ist nicht so (es müßte sich in diesem Falle jene Stelle auch durch rothe Farben auszeichnen) sondern die Ursache ist ein ungemein kleines Insekt, Tinea laricinella, das, in ungeheuerer Menge vorhanden, die schönen Bäume verwüstet. Nur bei sehr scharfer Beobachtung wird man eigenthümliche Gebilde an den Nadeln bemerken, die bei ziemlich sorgfältigem Zusehen dem Laien noch entgehen, da sie kaum anders als Nadeln erscheinen. Auch ihre geringe Größe läßt sie gar leicht übersehen, denn sie sind kaum 4´´´ lang. Zu unterscheiden sind sie aber von den Nadeln zunächst durch ihre Stellung, indem sie eben an und auf den Knospen, Nadeln und Zweigen sitzen. Dann durch ihre Dicke, denn darin übertreffen sie die jungen, eben der Knospe entschlüpfenden Blättchen bei weitem. Am sichersten aber wird man über die Natur dieser eigenthümlichen Gebilde klar, wenn man ein solches abpflückt.

An der Anheftungsstelle des vermeintlichen Blattes wird nämlich ein schwarzer Kopf und ein Fußpaar sichtbar. Diese gehören der Larve einer kleinen Motte an, die in dem aus den vertrockneten Nadeln gebildeten Sacke wohnt und mit demselben auf dem Baume, ihrer Weide, herumwandert. Dieses Thierchen hat den ganzen Winter in seiner aus Koth und ausgefressenen vertrockneten Nadeln fabricirten Wohnung in den Rindenrissen und in den den Stamm bedeckenden Flechten und Moosen verlebt, natürlich erstarrt und der Nahrung nicht bedürftig. Sobald aber die Frühlingssonne die Knospen seiner Nahrungspflanze schwellen machte, regte sich auch in ihm wiederum Leben, und bald begann es auf seine verheerende Wanderschaft zu gehen. Die geringe Größe, die Uebereinstimmung der Farbe, die bedeutende Menge läßt die Kunst des Menschen, es zu vertilgen, zu Schanden werden, denn es ist keine andere Möglichkeit das Thier zu tödten, als jedes einzelne in seinem Sacke zu zerdrücken.


Wahrscheinlich ist im vorigen Sommer das gefahrdrohende Ueberhandnehmen übersehen worden, denn die Larve, die im Juli in den Nadeln wohnt, bereitet sich schon von August an ihren Sack und wandert darin von September an auf den Nadeln umher. Die Zerstörung ist da weniger sichtbar, weil die kräftigen Nadeln eher etwas aushalten können als die jungen des Frühjahres; auch sind die Larven dann noch kleine und weniger gefräßig. Hoffentlich ist die Menge der Fresser nicht so groß, daß jenes schöne Fleckchen Lärchenbestand ernstlich gefährdet wäre. Wir haben die Hoffnung, weil wir wissen, daß der ohnmächtige Mensch kleine aber treue und mächtige Helfer hat, denen er zwar meist mit entsetzlichen Undank lohnt. Es sind dies die kleinen Singvögel. Im Mai und Juni haben sich aus den Larven nämlich die vollkommenen Insekten gebildet, kleine meist übersehene nur 1 ½ ´´´ große, aschgraue, seidenartig glänzende Schmetterlinge, gewöhnlich Motten genannt. Diese, sowie ihre fast unsichtbaren an Zweigen und Nadeln sitzenden Eichen sind den kleinen Sängern eine willkommene Speise und sie vertilgen, da sie einen guten Appetit haben, eine ganz gehörige Menge dieses kleinen Gelichters. Reicht deren Menge auch noch nicht hin, so hat der Mensch noch an einem anderen Thiere einen treuen Gehülfen, von dem bei einer anderen Gelegenheit zu erzählen sich Einsender dieses vorbehält. Der eben geschilderte Insektenfraß sollte ihm nur Veranlassung sein, auf einen entsetzlichen Mißbrauch der menschlichen Kraft über die armen, meist schutzlosen Vögel, diese treuesten seiner Freunde hinzuweisen und an alle, in deren Macht es steht, helfend mitzuwirken, eine dringende Bitte zu richten. Es gibt eine nicht kleine Anzahl von Buben hier in der Stadt, die meist aus bloßer Lust am Zerstören diesen kleineren Vögeln in rohester Weise nachstellen. Es sind deren da, die sich ein Vergnügen daraus machen, Nester auszuräuchern, die Vögel zu ersticken; die Morgens vor Sonnenaufgang die Bäume ersteigen, die noch schlafenden Vögel von den Nestern nehmen, die Jungen auf die roheste Weise morden. Es besteht, bes. in einigen umliegenden Dörfern die Gewohnheit, Ketten aus den kleinen buntfarbigen, den Vögeln geraubten Eiern zu machen und mit diesen zu prunken. Es gibt auch noch immer Menschen, die nicht bedenken, wie viel Leben sie zerstören, wenn sie eine Eiersammlung anlegen oder die Auslage einer solchen doch begünstigen; und doch hat gerade eine solche Sammlung unter allen Naturaliensammlungen den allergeringsten Werth. Wir wenden uns hiermit an unsere Mitbürger, an alle denkenden Menschen, besonders aber an die Lehrer, mit der Bitte, daß sie mit Wort und Tat gegen ein solches des Menschen unwürdiges Handeln zu Felde ziehen. Besonders sind es aber die Lehrer, die in dieser Beziehung außerordentlich viel wirken können, in dem sie jede Veranlassung ergreifen, ihren Schülern derartiges Thun als verbrecherisch, als sündig vorzuhalten; indem sie durch das Bestreben, den Kindern Liebe zur Natur einzuimpfen, überhaupt die Möglichkeit eines solchen Barbarismus vernichten. Lehre tut viel, mehr wie Strafe; denn meist wissen derartige jugendliche Sünder in Wahrheit nicht, was sie thun.

Die Förster aber mögen ein wachsames Auge auf solche Herumstreicher heften, ebenso die Wächter der Anlagen auf der Badeinsel, denn dort geschieht in den frühesten Morgenstunden der Unfug gar oft. Wir sind überzeugt, daß es nur dieses Hinweises bedarf, um manchem Vogel sein kurzes Leben und uns eine Menge der treuesten Freunde und Wohlthäter zu erhalten. Gs.

Quelle: Volksblatt für Rhein und Nahe. 1872. Nr. 103 u. 104 (HWZB)

Nach einer kurzen Eingewöhnungsphase begann Geisenheyner die Umgebung seiner neuen Wahlheimat systematisch zu erforschen. Dabei bezog er seine Familie, die Schüler des Gymnasiums und weitere Interessierte ein. Die erhaltenen Exkursionstagebücher bezeugen die regen Aktivitäten. Das Nahetal als Rückzugsgebiet seltener Tiere und Pflanzen profitiert bis heute von Dr. h. c. Ludwig Geisenheyners Einfluss auf die Entwicklung des Naturschutzes.

Anhang

  1. Alfred Blaufuß: Dr. h. c. Ludwig Geisenheyner (1841-1926). Biographie
  2. „Meine Veröffentlichungen“ [Auszüge]

1. Dr. h. c. Ludwig Geisenheyner (1841-1926)

Von Alfred Blaufuß


Motto: „Die Tat wird vergessen, doch das Ergebnis bleibt bestehen.“ (Ovid)

Diese Erkenntnis des weltklugen Römers trifft wohl selten so vollkommen zu, wie auf Ludwig Geisenheyner, den verdienstvollen Kreuznacher Biologen und Forscher des ausgehenden 19. Jahrhunderts. Sein Name, der unter den alteingesessenen Bürgern Bad Kreuznachs und besonders unter den Naturforschern bedeutende Erinnerungen weckt, dürfte den Jüngeren und fachlich weniger Interessierten nicht viel sagen.

Umso lebendiger ist sein Lebenswerk in der Fachwelt geblieben. In der Kette großer Forscher, die sich hohe Verdienste um die Erforschung der Pflanzenwelt des Nahegebietes erwarben, ist er das vorläufige und wichtigste Endglied geblieben, als Autor der bisher unübertroffenen „Flora von Kreuznach“.

Am 8. März 1841 in Potsdam geboren, wurde er nach kurzen Zwischenstationen in der Mark Brandenburg und in Herford (Lippe) im Jahre 1870 als Lehrer für Naturgeschichte, Erkunde, Rechnen und Gesang an das Staatliche Gymnasium zu Bad Kreuznach berufen, an dem er 40 Jahre lang bis zu seiner Pensionierung 1910 als erfolgreicher Lehrer in den Klassen Sexta bis Tertia unterrichtete.

Die ungewöhnlich vielseitig begabte, im Goetheschen Sinn „harmonisch“ gebildete Persönlichkeit war allem Geistigen aufgeschlossen; und was Ludwig Geisenheyner anpackte, das meisterte er mit bewundernswerter Akribie. Seine stilistisch ausgefeilten Aufsätze und Abhandlungen, seine interessanten Aufzeichnungen und Tagebücher sind für den fachlich interessierten Leser bis auf den heutigen Tag hochaktuell und anregend geblieben.

Zwei Interessengebiete treten von Anfang an ganz besonders hervor: die Musik und die Biologie (Naturkunde). – Der von L. Geisenheyner in Herford gegründete Männergesangverein besteht noch heute. Im Musikleben der Stadt Bad Kreuznach spielte Geisenheyner in der Zeit nach 1870 eine bedeutende Rolle. So brachte er unter anderem die Matthäus-Passion von Buxtehude zur Aufführung und komponierte mehrere Lieder für Männerchöre. Daneben schrieb er Aufsätze in pädagogischen Fachzeitschriften, unter anderem eine viel beachtete Arbeit „Über den Rechenunterricht in den unteren Klassen der höheren Lehranstalten“. Von Anfang an aber überwog das Interesse an der Biologie und – dem Zuge der Zeit entsprechend – ganz besonders der Systematik. Die floristische und faunistische Erforschung des Nahegebietes ist fortan sein Hauptlebenswerk geworden.

Die Anfänge seines wissenschaftlichen Hauptwerkes, der „Flora von Kreuznach“ , erschienen 1877 als Beilagen zum „Osterprogramm des Gymnasiums“. Vier Jahre später (1881) folgte bereits die erste Auflage der „Flora von Kreuznach“ in Buchform. Sie war als Pflanzenbestimmungsbuch für die Schüler des Kreuznacher Gymnasiums bestimmt und enthält nur wenige Angaben über Pflanzenwuchsorte, bietet aber einen guten Überblick über alle im Nahegebiet vorkommenden Gefäßpflanzen. 1903, nach über zwanzigjähriger Feldarbeit, folgt dann die zweite Auflage unter dem Titel „Flora von Kreuznach und dem gesamten Nahegebiet unter Einschluß des linken Rheinufers von Bingen bis Mainz“. Dieses Werk ist ohne Zweifel die bedeutendste Leistung L. Geisenheyners; denn er schuf damit die erste umfassende, wissenschaftlich exakt und systematisch hoch differenzierte Lokalflora Bad Kreuznachs und dessen näherer und weiterer Umgebung. Für die Standortforschung ist dieses Buch bis auf den heutigen Tag unentbehrlich geblieben, und „jede weiterbauende Arbeit wird“, wie Karl Geib am 4. 2. 1926 in seinem Nachruf auf L. Geisenheyner in den Kreuznacher Heimatblättern sagt, „sich auf das Lebenswerk dieses Mannes gründen müssen“.

Ludwig Geisenheyner war aber nicht nur ein einseitiger Florist und Systematiker, sondern interessierte sich darüber hinaus für die verschiedensten Probleme der Botanik, was aus seinen zahlreichen Aufsätzen über alle möglichen Gebiete der Pflanzenkunde hervorgeht. Unter anderem beschäftigte er sich intensiv mit pflanzengeographischen Problemen, und seine Deutung der Sandflora um Mainz als Relikt aus einer nacheiszeitlichen Wärmeperiode mit einer weitausgedehnten Versteppung Mitteleuropas (zus. mit Jännicke/Frankfurt) ist noch heute gültig. Bedeutend sind auch seine Forschungen über bemerkenswerte Gehölze, Pflanzenkrankheiten, Pflanzengallen, Missbildungen (Monstrositäten) und Farne, zu denen er ein besonders umfangreiches Herbarium (Pflanzensammlung) anlegte. Hochinteressant sind seine Abhandlungen über die „Physika der Heiligen Hildegard von Bingen“, der in Bermersheim in Rheinhessen geborenen Äbtissin des Binger Frauenklosters und ältesten Erforscherin der Flora des Nahegaues (zur Zeit Friedrich Barbarossas im 12. Jahrhundert). Die Gesamtheit seiner Schriften und Aufsätze umfasst an die tausend Seiten und wurde durch Wilhelm Petri in dem Sammelband „Opuscula collecta“ zusammengefasst. Das Werk kann von Interessenten in der HWZB eingesehen werden.

Neben seinem Hauptinteressengebiet, der Botanik, widmete sich Geisenheyner mit großem Erfolg auch der faunistischen Erforschung des Nahegebietes. Das Ergebnis dieser Arbeit ist das vierbändige Werk „Wirbeltierfauna von Kreuznach unter Berücksichtigung des ganzen Nahegebietes“, das in der Zeit von 1888 bis 1908 erschien. Auch die „Fauna von Kreuznach“ muß als bedeutende wissenschaftliche Leistung angesprochen werden und hat gleichfalls grundlegende Bedeutung für weitere Forschungsarbeiten in dieser Richtung. Durch ihn wurde zuerst das Vorkommen der Stabheuschrecke (Mantis religiosa), der Smaragdeidechse (Lacaerta viridis) und der Würfelnatter (Natrix tesselata) im Nahetal bekannt.

In seinen späteren Jahren bemühte sich Ludwig Geisenheyner auch besonders intensiv um den Schutz der immer stärker gefährdeten Lebensräume unserer heimischen Pflanzen und Tiere. Man kann ihn, ohne zu übertreiben, als einen der Väter des Naturschutzgedankens in Deutschland bezeichnen. So ist das älteste Naturschutzgebiet Deutschlands nicht etwa die Heidelandschaft rings um den Wilseder Berg in der Lüneburger Heide (1912), wie jedermann zu wissen glaubt, sondern das Naturschutzgebiet Nahegau bei Schloßböckelheim, ein etwa sechs Morgen großes Steppenheidegebiet mit besonders seltenen Steppenrasen, Felsgrus- und Felsspaltengesellschaften, das Ludwig Geisenheyner im Jahre 1905 aus dem Ertrag von Vorträgen und einer Arbeit „Über Naturdenkmäler besonders im Nahegebiet“ (1904) kaufte und dem Kreis Kreuznach unter der Bedingung schenkte, das ganze Gebiet für alle zukünftige Zeit als Naturschutzgebiet gesetzlich zu sichern. So lange er lebte und wirkte, setzte er sich für die Erhaltung der Natur, für die Gesunderhaltung der Lebensumwelten von Pflanze, Tier und Mensch ein; und es ist ergreifend zu lesen, wie er in seinen Tagebüchern und Veröffentlichungen die schon damals beginnende und zunehmend um sich greifende Zerstörung der Natur, die Vernichtung wertvollster und unersetzbarer Lebensräume (Biotope) registriert und in grauen Farben darstellt. Seine letzte Schrift (1924) war dem Naturschutz gewidmet.

Ludwig Geisenheyner war zu seiner Zeit ein in der Fachwelt hochgeachteter Mann. Mit den bedeutendsten Floristen seiner Zeit stand er in Verbindung. Roßmäßler und Ascherson, deren Bilder die Wände seiner Studierstube schmückten, haben ihn stark geprägt. Seine gesamte Forschungsarbeit vollzog sich im Geiste der großen Biologen des 19. Jahrhunderts, auf deren Leistungen wir Nachgeborenen noch heute mit Staunen hinaufblicken.

1921, zu seinem 80. Geburtstag, ehrte die Universität Frankfurt Ludwig Geisenheyner mit der Ernennung zum Doktor honoris causa, wodurch auch rein äußerlich sein wissenschaftliches Lebenswerk eine würdige Anerkennung fand.

Hochbetagt, am 28. 1. 1926, kurz vor seinem 85. Geburtstag, ist er gestorben.

Text gekürzt. Originaltitel: „Zum 50. Todestag von Ludwig Geisenheyner.“ In: Bad Kreuznacher Heimatblätter 1976/1; s. a. „150 Jahre Verein für Heimatkunde für Stadt und Bad Kreuznach e. V. 1856-2006. Dokumente und Abhandlungen zur Vereinsgeschichte.“ Bad Kreuznach 2006. S. 137-139

2. „Meine Veröffentlichungen“

Der Text wurde von Tochter Adolfine nach dem Diktat des Vaters geschrieben. Er enthält viele autobiographische Passagen, von denen einige an dieser Stelle vorgestellt werden können.

„Inder ersten Botanikstunde, die ich im Frühjahr (1871) in der Tertia zu geben hate, hatte ich die Erfahrung gemacht, die meine Absicht, die Flora meiner neuen Umgebung kennen zu lernen gewaltig verstärkte und Feuer hinter die Ausführung machte. Ich hatte einen Schüler – ich glaube es war Huissen – beauftragt einige Pflanzen als Unterrichtsmaterial mitzubringen, und da es sich herausgestellt hatte, daß er die Primel kannte, diese als erste zu beschreibende Pflanze bestimmt. Beim Betreten des Klassenzimmers finde ich die Pflanze in genügender Menge, aber es war nicht die mir aus Westfalen bekannte „Primula elatior“, sondern eine von mir noch nicht gesehene, die ich nach der Stunde als „Primula officinalis“ bestimmte. Nun galt es die Pflanzenkenntnis zu vervollständigen. Und da ich bald viel Neues fand, währte es nicht lange, bis ich die hiesige Flora liebgewonnen hatte.

Zuerst wurden in Begleitung meiner lieben Frau kleinere Ausflüge in die Umgebung gemacht, deren Ergebnise mein kleines Herbarium vergößerten, die ich aber im zweiten Sommer, als eine Tochter da war meist allein unternehmen mußte. An den Samstagnachmittagen machte ich oft weitere Touren, oft noch vor Mittagessen mit der Bahn abfahrend und erst am späten Abend zurückkehrend, später auch wohl über Nacht fortbleibend. Auch suchte ich rheinische Botaniker kennen zu lernen und mit ihnen persönliche Bekanntschaft zu machen. ...

Auf meinen weiten Gängen schloß sich mir oft der Kollege Wilh. Gebert an, auch wohl Dr. O. Kohl. Aber das waren mehr Schnellläufer, so daß auf solchen gemeinsamen Gängen, mehr Geld aus dem Beutel, als Pflanzen in die große Botanisierbüchse kamen.“

Die Entdeckung der Würfelnatter im Naheland

„1874: Meine Teilnahme an der Generalversammlung des Naturh.[istorischen] Vereins in Andernach benutzte ich u. A. dazu, über die von mir bei Kreuznach gefundene, mir unbekannte Schlange Auskunft zu erhalten, da ich erwartete, dass der Bonner Professor der Zoologie Dr. Treschel anwesend sein würde. Darin hatte ich mich nicht verrechnet, er war da. Ich zeigte ihm die Schlange und erhielt als Auskunft das, was ich schon wusste. Er sagte: „Ja, die Ringelnatter ist es nicht, aber was für eine Schlange es ist, das weiss ich nicht.“ Aber der auch anwesende Landesgeologe Dr. Koch aus Wiebaden hatte davon gehört, suchte mich auf und fragte nach den mitgebrachten Schlangen, die er sofort als Würfelnatter bezeichnete. Nach einiger Zeit erhielt ich von dem Redakteur der Zeitschrift „Zoologischer Garten“ meinem späteren lieben Freunde Dr. Noll, dem Koch von meinem Funde erzählt hatte, einen Brief mit der Bitte um Mitteilung seiner Beobachtungen. Diesen meinen Brief veröffentlichte Noll im 11. Heft der Zeitschrift.“

Veröffentlichung: Die Würfelnatter, Tropidonotus tessellatus, in der Nahe [mit Einleitung und Nachschrift des Herausgebers F. C. Noll]. – Zool. Garten (Frankfurt a. M.) 1874. 15: S. 430-434.

Das Chamäleon

„1881: Ich wohnte von 1875 Ostern bis 1880 in der Baumgartenstrasse zwischen Jungstr. und Rheingrafenstr. bei G. Wilke. Es war ein einzeln stehendes Haus rings von Äckern umgeben, dessen Garten bis an die Eisenbahn reichte. In dieser Zeit legte Geo Andres einen grossen Park an, bei welcher Gelegenheit ich öfter mit ihm zusammenkam. Als das schöne Haus fertig und er eingezogen war, brachte er mir im Frühjahr 1880 zehn Stück lebende Chamäleons aus Ägypten mit, die ich in meinem Zimmer – ich wohnte in der Viktoriastrasse – meist frei herumlaufen liess. Dabei machte ich mancherlei Beobachtungen, von denen ich einiges auf Anraten meines Freundes F. C. Moll in dem Zoologischen Garten“ veröffentlichte.“

Veröffentlichung: Einiges über das Chamäleon. Zool. Garten (Frankfurt a. M.) 1881. 22: S. 218-219 / Ein Chamäleon am Blutsturz gestorben. – ebenda. S. 255.

1941 beschrieb Adolfine Geisenheyner folgende Ereignisse:

„...Was meine zoologischen Erinnerungen jener Zeit der Viktoriastraße betrifft, wimmeln sie außer den besagten Fröschen von vielen Schlangen, Eidechsen, besonders den so wunderschönen, großen, grünen. Und dann sind da die „Chamäleons“, der behende Mauergecko; alles lebende Wesen, die jedoch öfter ihr Unwesen in unserer Wohnung trieben. War es doch die Zeit, da unser Vater die Würfelnatter in der Nahe entdeckt hatte. Was war das gerade damals für ein Betrieb. Vater hatte die Jungen in der Schule mobilisiert, ihm einige der Schlangen zu fangen. Es kamen da handgelenkdicke Exemplare zum Vorschein. Das schlimmste Erlebnis war es aber doch, als das neugierige Dienstmädchen die geheimnisvolle Kiste öffnete, und sich sage und schreibe 24 Schlangen in der Freiheit unserer Wohnung breit machten. Aber – alle haben sie sich dann wieder zurecht gefunden auf den Weg in die Zoologischen Gärten und Museen, der ihnen ja vorher schon bestimmt war. Wenn Vater abends, wenn er endlich Ruhe zum Arbeiten fand, wo die „Flora vom Nahetal“ und die Wirbeltierfauna im Entstehen war, allein in seinem Zimmer weilte, erschien eins nach dem andern der durchgebrannten Schlänglein und wagte sich hervor aus seinem Versteck, zumeist auf leeren Latten des Büchergestells – und schwupp, wars wieder eingefangen! ...

Das tiefste Erlebnis waren aber doch die 12 Chamäleons und der Gecko, die Herr Geo Andres meinem Vater aus Aegypten mitbrachte. Was war das für ein Staunen, halb mit Abscheu gemischt über die Häßlichkeit dieser Geschöpfe; ein Wundern und Bewundern über den Farbwechsel der Tiere, und ein Jauchzen, besonders der Brüder, wenn ein zum Futter hingesetzter Mehlwurm, oder eine Fliege mit der entsetzlich langen Zunge weit über den Tisch her eingeholt wurde. Doch – eines Tages war auch davon eines durchgebrannt! Es ist weiter gekommen, als die Schlangen, doch nicht zu weit. Denn unter ganz großem Hallo strömte kurz darauf die ganze Bewohnerschaft der Straße zusammen: „Herr Geisenheyner, ein Ungeheuer, ein Ungeheuer!“ – „Na, es wird wohl mein Chamäleon sein“ war Vaters Antwort. Und richtig, es wars, dick und wohlgenährt kams aus dem Graben bei der Viktoria zum Vorschein. Alle 12 fanden sich später, als Mutter die Mehlwurmzucht doch ein bischen zu viel wurde, in Spiritusgläsern ein und sind zum Teil in das „Naturhistorische Kabinett“ des Gymnasiums gekommen., zum Teil waren sie noch lange Jahre bei uns zu sehen in Vaters Stube. Diese Tiere hätten ja niemals in unserem Klima weiterleben können, es sei denn in großen Terrarien. Und ich glaube, einige derselben durften doch auch in solchem Institut ihren Lebensabend verbringen.“

Geisenheyner, Adolfine: Aus einem Kreuznacher Naturforscherhaus: Jugenderinnerungen. Sonderabdruck aus dem „Oeffentlichen Anzeiger“ Bad Kreuznach. März 1941.

Der letzte Eintrag...

„Ende der Aufzeichnungen, die mein Vater sich selbst machte. Es folgten noch, wie schon vorn erwähnt ist – auf eine Anregung hin „die Kreuznacher Erinnerungen eines Hergeloffenen“. Sie sind erschienen in den Nummern: N. 303. vom 29. XII. 1925; N. 2. vom 4. 1. 1926; N. 19. vom 23. 1. 1926; N. 21. vom 27. 1. 1926; N. 22. vom 28. 1. 1926 des „Öffentlichen Anzeigers“, der Zeitung, die ihm wohl als die sympathischste und geeignetste für seine populären Veröffentlichungen erschien.

Am 28. I. 1926 schloß er die Augen für immer. Er selber hat an Fortsetzung der Erinnerungen gedacht, das sprachen seine letzten Worte aus, da er eine „ausführliche Darstellung der „Hutten-Sickingen-Angelegenheit“, wie er sich ausdrückte, „für heute zurückstellen und später davon reden wollte.“ Er ging also mitten in seiner Arbeit für die Anderen dahin. Nun wird wohl kein Kreuznacher Mitwirkender u. Wissender mehr davon berichten können.

Adolfine Geisenheyner“

Nachweise

Verfasser: Jörg Julius Reisek

Redaktionelle Bearbeitung: Dominik Kasper

Quellen und Literatur:

  • „Zum 50. Todestag von Ludwig Geisenheyner.“ In: Bad Kreuznacher Heimatblätter 1976/1; s. a. „150 Jahre Verein für Heimatkunde für Stadt und Bad Kreuznach e. V. 1856-2006. Dokumente und Abhandlungen zur Vereinsgeschichte.“ Bad Kreuznach 2006. S. 137-139
  • Die Würfelnatter, Tropidonotus tessellatus, in der Nahe [mit Einleitung und Nachschrift des Herausgebers F. C. Noll]. – Zool. Garten (Frankfurt a. M.) 1874. 15: S. 430-434.
  • Einiges über das Chamäleon. Zool. Garten (Frankfurt a. M.) 1881. 22: S. 218-219 / Ein Chamäleon am Blutsturz gestorben. – ebenda. S. 255.
  • Geisenheyner, Ludwig: Meine Veröffentlichungen. Manuskript. (Nachlaß HWZB)
  • Matzke-Hajek, Günter: Bibliographie Ludwig Geisenheyners (1841-1926). In: Dechenia, 150 (1997) S. 425-437 (enth. darüber hinaus ein Portrait, den Lebenslauf, Anmerkungen zu thematischen Schwerpunkten und Angaben über das Herbarium)
  • Volksblatt für Rhein und Nahe. 1872. Nr. 103 u. 104 (HWZB)

Einige Veröffentlichungen sind unter www.dilibri.de digital abrufbar.

Erstellt: 05.07.2010