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„Kreuznach und eine Sparkasse! Es ist zu köstlich!“ Leserbrief eines aufgebrachten Familienvaters, 1849

Jörg Julius Reisek

Um die Mitte des vorigen Jahrhunderts wurden viele Sparkassen gegründet, die man meist als ,,Spar- und Darlehnskasse" bezeichnete. Diese hatten die Aufgabe, durch das Verwalten und Verzinsen von anvertrauten Geldern, anderen Mitbürgern, die für irgendeinen Zweck Geld benötigten, aber keins selbst besaßen, Darlehen zu gewähren, die natürlich zu verzinsen waren. Man wollte damit auch verhindern, dass solche Kunden von geschäftstüchtigen Geldgebern mehr oder weniger ,,ausgenommen" wurden, so durch recht hohe Zinsen. Der damalige Staat, d. h., die Regierungen der deutschen Fürsten, hatte erkannt, dass man eingreifen musste, um wirtschaftliche Unternehmungen von privater Seite zu erträglichen Bedingungen finanzieren zu lassen.

Schon 1835 wies Bürgermeister Buß auf die Notwendigkeit einer städtischen Sparkasse hin. Die „Spar- und Hülfskasse Kreuznach“ wurde 1852 gegründet. 1869 konstituierte sich die „Kreuznacher Volksbank“. 1878 nahm die Kreissparkasse den Betrieb in Sobernheim auf, deren Verlegung nach Kreuznach im Jahre 1913 erfolgte. 1971 fusionierte sie mit den Geldinstituten von Bad Kreuznach, Kirn und Meisenheim zur „Sparkasse Bad Kreuznach“.

Gegen die Gründung einer stadteigenen Sparkasse wetterte der Schreiber dieses aus heutiger Sicht eher belustigenden Leserbriefes vom 19. April 1849[Anm. 1]:

„Es mögen jetzt fünf Jahre sein, dass man bei der städtischen Administration auf den etwas barocken Gedanken kam, eine Sparkasse einzuführen. Eine Sparkasse in Kreuznach! - Kreuznach und eine Sparkasse! Es ist zu köstlich! Der überaus sorgsame damals selige Stadtrath gab sich wohl eine außerordentliche Mühe um ein solches für Stadt und Land einflussreiche Institut in's Werk zu richten, das muss man sagen, es wurden Statuten entworfen, die nach dem Muster größerer Städte gedrechselt, wohl nichts zu wünschen übrig ließen, kurz es war alles eingerichtet, nichts fehlte als das - Sparen und die Sparlustigen!

Ja es wurden so erleichternde Umstände eingeführt, dass man mit 10 Sgr. anfangen konnte zu sparen, und doch ist noch bis dahin nichts bekannt geworden, dass jemand auch nur einen Pfennig in die städtische Sparbüchse geworfen hätte, und dies war vorauszusehen in unserm nachahmungssüchtigen, jovialen und luxusaufgedunsenen Städtchen, wo der Göttin ,,Mode" auch der letzte Heller zum Opfer fällt, wo, wenn die Tochter oder der Sohn des Handwerksmannes die neue Tracht eines Reichern, oder den höhern Ständen Angehörenden erblickt, der gute Hausvater, um nicht von Mutter und Kind täglich gequält zu werden, obgleich er in dem bittersten Schweiß seines Angesichts die ganze Woche hindurch sich abarbeitet, um den Seinigen den pflichtmäßigen Unterhalt zu gewähren, gezwungen ist, dieses oder jenes neue Kleid, diesen modernen Hut, Sonnenschirm, Mantille zu kaufen, damit die Kinder sich nicht vor andern auszeichnen. Diese Nachahmungssucht in den Kleidern der Frauen sowohl als der Kinder ohne Rücksicht auf Alter und Geschlecht bis zu dem jüngsten Kinde herab, war unstreitig nicht allein das Hauptgegenmittel wider das projectirte Spar-System, bewahre, es war auch, selbst in den geschäftsreichern Zeiten, der Haupthebel zu allem Übel, das am Friedensgericht seinen Anfang nahm und leider nicht selten mit dem Zwangsverkaufe auf öffentlichem Marktplatze endigte. Wie oft trat nicht der Fall ein, dass die nach dem neusten Pariser Mode-Journal gallonirte Tochter oder der Sohn fast täglich dem Gerichtsvollzieher oder Steuer-Executor prächtig geputzt von Angesicht zu Angesicht gegenüberstanden! Bildete nicht die Mehrzahl der gerichtlichen Klagen, Forderungen von gern borgenden Händlern von Ellenwaaren und Schmuck, für erhaltenen luxuriösen Putz?! Erscheint nicht als laut sprechender Gegensatz zur guten soliden alten Zeit, das Töchterchen des mittlern Geschäftsmannes im Schleier, Hut, seidenen Handschuhen etc. auch selbst schon in dem zartesten Kindesalter, wenn es die concessionirten Schulen von Eberts und Engelmann [= Privatschulen in Kreuznach], um nicht mit dem rohen Volke verdorben(?) zu werden, besucht?!

Ach! die gute alte Zeit, wo: die jüngern Kinder die Kleidchen der Altern umgeändert zuerst zum Sonntags- später zum Werktags-Anzuge bekommen! Jetzt müssen feine, neue Kleider, Schleier, Höschen für Mädchen und überhaupt nur solche Gegenstände getragen werden, die sich von jenen der bemittelteren und reichern Klasse um Alles in der Welt nicht auszeichnen dürfen. Ob auch der wegen seiner unverantwortlichen Kurzsichtigkeit es wohl verdienende Vater wegen jahrelang nicht bezahlter Prozente, rückständiger Luxusschulden etc. sich dem stillen Kummer hingibt; ob auch die Zwangsmaßregeln Kosten auf Kosten häufen und die vollziehende Justiz nicht aus dem Hause kommt!

Da kann natürlich bei solchen Widersprüchen von einem Ersparungssystem keine Rede sein, und die fürsorgende Behörde hätte mit der Einrichtung der Sparkasse auch eine Verordnung über Kleidertracht erlassen müssen, wollte sie ihr Werk vollkommen zu Stande bringen. Da aber die Zeit nicht mehr da ist, wo die Gesetze solche Maßregeln erlauben, so hätte sie auch dieses Sparsystem ersparen können, denn bei solchen Gegenwirkungen bleibt eine Sparkasse in Kreuznach stets wüst und leer.

Von den andern Gegenwirkungen durch die öffentlichen und Privatbelustigungen der Jetztzeit wird später die Rede sein. Ein Familienvater“

Der erste Kreuznacher Kunde nahm am 12. Mai 1852 eine Spareinlage von 20 Talern vor. Das erste Darlehen wurde drei Tage später bewilligt.

Nachweise

Verfasser: Jörg Julius Reisek

Redaktionelle Bearbeitung: Dominik Kasper

Verwendete Literatur:

  • Reisek, Jörg Julius: Die selige Sparkasse. (In: Bad Kreuznacher Heimatblätter, 2000.2)
  • Vogt, Werner: Sparkasse Bad Kreuznach. Von der Spar- und Hülfskasse Kreuznach zur Großsparkasse im Naheraum. (In: Nahelandkalender 1978)
  • Walter, Richard: 125 Jahre Kreuznacher Volksbank eG 1869-1994. (In: Nahelandkalender 1995)

Weiterführende Literatur über die Entwicklung der Sparkassen und des genossenschaftlichen Darlehenskassenwesens befindet sich in der Heimatwissenschaftliche Zentralbibliothek.

Erstellt: 08.04.2010

 

Anmerkungen:

  1. Kreuznacher Kreis- und Intelligenzblatt. Nr. 47: 19.4.1849. (Stadtarchiv Bad Kreuznach) Zurück