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Die Eisenbahn in Mainz

von Wolfgang Stumme

Der Rheinbahnhof in Mainz vor 1884[Bild: Unbekannt [gemeinfrei]]
Der Rheinbahnhof in Mainz ca. 1870[Bild: Stadtarchiv Mainz]

Es waren gerade einmal fünf Jahre nach der ersten Eisenbahnfahrt von Nürnberg nach Fürth vergangen, als am 13. April 1840 die Taunusbahn, von Frankfurt kommend, in Kastel hielt. Frankfurter Kaufleute hatten schon seit einiger Zeit den Mainzer Hafen wegen der hohen Gebühren gemieden. Sie transportierten ihre Waren auf dem Main bis Kostheim, nahmen den Landweg bis Biebrich und luden von dort aus ihre Waren wieder auf Schiffe. Aus Norden kommende Schiffe wurden in Biebrich entladen; in Kostheim wurde die Fracht dann wieder nach Frankfurt verschifft. [Anm. 1]

Mainz hatte sich vom Wegfall des Stapelrechts [Anm. 2] noch nicht erholt, als sich mit der Inbetriebnahme der Taunusbahn der Warenstrom, der über Jahrhunderte zum Wohlstand von Mainz beigetragen hatte, auf die andere Rheinseite verlagerte. Frankfurt hatte Mainz in wirtschaftlicher Hinsicht endgültig den Rang abgelaufen. Hinzu kam in dieser Zeit auch noch die Versandung des Hafens vor dem Kurfürstlichen Schloss in Mainz, was weitgehend zum Erliegen der Schifffahrt führte. [Anm. 3]

Die Mainzer Kaufleute dachten nicht daran, dem wirtschaftlichen Niedergang von Mainz, der größten Stadt im Großherzogtum Hessen, tatenlos zuzusehen. Die Handelshäuser Lauteren, Humann, Heidelberger und Korn sowie der Staatsprokurator Dr. Knyn gründeten 1844 die Mainz-Ludwigshafener-Eisenbahngesellschaft, die ein Jahr später zur ‚Hessischen Ludwigs-Eisenbahn-Gesellschaft‘ wurde. Namensgeber der Aktiengesellschaft war Großherzog Ludwig II. von Hessen und bei Rhein. Die Ludwigsbahngesellschaft erhielt Rechte zum Bau von Eisenbahnstrecken, die ihren Ausgang in Mainz hatten.
Der Bau der ersten Strecke von Mainz nach Worms, mit der der Anschluss an die pfälzische Linie Worms – Ludwigshafen erreicht werden sollte, verzögerte sich wegen der politischen Ereignisse im Jahre 1848. Die Bauarbeiten für die zweispurige Trasse entlang des Rheins begannen gleichzeitig in Mainz, Laubenheim, Bodenheim und Oppenheim. Im März 1853 war die Strecke vom Kopfbahnhof in der Nähe des Holztorturmes in Mainz bis Oppenheim einspurig befahrbar; ab Oktober 1853 stand die Strecke Mainz – Worms für den Güter- und Personenverkehr zur Verfügung. Jetzt konnten Reisende mit der Eisenbahn bis Basel fahren.

Ab 1858 fuhren Züge der Hessischen Ludwigsbahn auch vom rechtsrheinischen Gustavsburg über Darmstadt nach Aschaffenburg. Da die links- und rechtsrheinischen Gleisanlagen nicht miteinander verbunden waren, setzte die Hessische Ludwigsbahn Eisenbahnfähren (Trajekte) ein. Von Bischofsheim wurden Gleise zum neu geschaffenen Hafenbahnhof Gustavsburg verlegt und entsprechend vom Bahnhof am Holztorturm nach Weisenau. Zwei Raddampfer der Hessischen Ludwigsbahn, an die beidseitig Schalden (Pontons) angekoppelt waren, auf denen Gleise montiert waren, verkehrten vier Jahre lang zwischen Weisenau und Gustavsburg. Mit dem Trajekt wurden nur Güterwaggons übergesetzt. Reisende nutzten das Trajekt als Fähre.
Ein Jahr später fuhren Züge der Hessischen Ludwigsbahn von der Mainzer Neustadt [Anm. 4] bis zur preußischen Grenze bei Bingen. Von dort aus gelangte man mit der Eisenbahn nach Köln.
Ab 1860 wurde von der Maschinenfabrik Klett & Kramer (später: MAN) die Südbrücke als vierte der in Deutschland gebauten Rheinbrücken nach Köln, Koblenz und Straßburg gebaut. Sie sollte die Trajekte ersetzen.

Da es keine Verbindung zwischen der rechtsrheinischen Taunusbahn einerseits und den linksrheinischen Gleisanlagen der Hessischen Ludwigsbahn andererseits gab, kaufte die Taunus-Eisenbahn angesichts des gestiegenen Verkehrsaufkommens drei Trajekte, obwohl die Fertigstellung der Südbrücke bereits absehbar war. In Kastel wurden Gleise vom Bahnhof zum Rheinufer, südlich der Bastion von Schönborn, verlegt. Auf der Mainzer Seite wurden die Güterwaggons mit einem Dampfkran auf die Schalden gesetzt, um die hohe Kaimauer nicht durch eine Rampe zu unterbrechen. Wie auch bei den Trajekten zwischen Weisenau und Gustavsburg wurden nur die Güterwaggons übergesetzt. Die Reisenden nutzten die Trajekte als Fähren. [Anm. 5]

Der Hauptbahnhof in Mainz[Bild: Stadtarchiv Mainz]

Ende 1871 erfolgte die erste Probefahrt der Hessischen Ludwigsbahn von Mainz nach Alzey. Nun konnte man von Mainz aus mit der Eisenbahn über Ludwigshafen in die Schweiz und nach Frankreich fahren, auch Bayern war über Darmstadt zu erreichen. Über Bingen konnte man nach Köln und über Bischofsheim nach Frankfurt fahren. – Doch, wer in Mainz vom Kopfbahnhof am Holztorturm zum Kopfbahnhof in der Gartenstadt wollte, war auf die Pferdedroschke angewiesen.
Einem Vorschlag des Stadtbaumeisters Eduard Kreyßig aus dem Jahre 1873 folgend, sollten die Kopfbahnhöfe daher aufgegeben und ein neuer Centralbahnhof am westlichen Stadtrand gebaut werden. Um die Stadt umfahren zu können, musste ein Tunnel unter der Zitadelle gegraben werden. Unter Mitwirkung der Mainzer Kaufmannsfamilie Lauteren, die ihrerseits an der Hessischen Ludwigsbahn finanziell beteiligt war, wurden die notwendigen Grundstücke für das ausgedehnte Bahngelände erworben. 1876 wurde mit dem Tunnelbau begonnen. Der Centralbahnhof konnte am 15. Oktober 1884 feierlich eröffnet werden.

Nachdem in Preußen die Eisenbahnen weitgehend verstaatlicht worden waren, war die Hessische Ludwigsbahn überwiegend vom Netz der Königlich Preußischen Staatseisenbahnen umgeben, die über ihre Tarifgestaltung andere Eisenbahngesellschaften unter Druck setzten. Dieser starken Konkurrenz war die Hessische Ludwigsbahn nicht gewachsen. Da nach der Konzessionsurkunde die Aktionäre aber mit einer Entschädigung in Anlehnung an die zuletzt gezahlten Dividenden rechnen konnten, wurden die Dividenden trotz aller Einsparungen vor der Verstaatlichung noch deutlich angehoben.

1896 wurde die Hessische Ludwigsbahn (HLB) [Anm. 6] verstaatlicht. Sie wurde Teil der Preußisch-Hessischen Eisenbahnbetriebs- und Finanzgemeinschaft. In den letzten 130 Jahren hat es keine wesentlichen Änderungen an dem Schienennetz im Raum Mainz gegeben. [Anm. 7]

Verfasser: Wolfgang Stumme

Redaktionelle Bearbeitung: Sarah Traub

Verwendete Literatur:

  • Schütz, Friedrich: Provinzialhauptstadt und Festung des Deutschen Bundes (1814/16 – 1806). In: Dumont, Franz, Scherf, Ferdinand, Schütz, Friedrich (Hrsg.): Mainz. Die Geschichte der Stadt. Mainz 1999, S. 375 – 426

Aktualisiert am: 25.07.2016

Anmerkungen:

  1. Die verzweifelte Nacht- und Nebelaktion Mainzer Kaufleute, im Frühjahr 1841 den Zugang zum Biebricher Hafen mit 2.500 Tonnen Bruchsandstein zu blockieren, war nur über wenige Wochen erfolgreich. Die Bundesversammlung in Frankfurt zwang Großherzog Ludwig II. dieses rechtswidrige Unternehmen zu beenden. Zurück
  2. Das Stapelrecht oder auch Niederlagerecht war vom Mittelalter bis in das 19. Jahrhundert das Recht einer Stadt, von durchziehenden Kaufleuten zu verlangen, dass sie ihre Waren in der Stadt für einen bestimmten Zeitraum zum Kauf anboten. Das Stapelrecht wurde in Mainz 1831 aufgehoben; vgl. Schütz, Friedrich: Provinzialhauptstadt und Festung des Deutschen Bundes (1814/16 – 1806). In: Dumont, Franz, Scherf, Ferdinand, Schütz, Friedrich (Hrsg.): Mainz. Die Geschichte der Stadt. Mainz 1999, S. 375 – 426 (387). Zurück
  3. Eustache de Saint-Far, französischer Stadtbaumeister unter Napoleon, sah das Problem der Versandung des Hafens beim Bau der Kaimauer aus den Steinen der Martinsburg bereits voraus. Deshalb hatte er geplant, die Main-Mündung nordöstlich um Kostheim und Kastel herum zu verlegen. Der Main wäre in diesem Fall nordöstlich der Petersaue in den Rhein geflossen, wo er das mitgeführte Geröll dort – und nicht am Mainzer Ufer – abgelagert hätte.  Zurück
  4. 1859 nahm die Bahnstrecke Mainz-Bingen den Betrieb auf. Sie endete in Mainz zunächst in einem eigenen Kopfbahnhof, der sich außerhalb der Festungsmauern befand, etwa dort, wo sich heutzutage die ‚Grüne Brücke‘ befindet. Zurück
  5. Nach der Inbetriebnahme der Mainzer Südbrücke im Jahre 1862 und der Eröffnung der Bahnstrecke Bischofsheim-Frankfurt (1863) wurde der Trajektverkehr eingestellt. Die Raddampfer blieben als Personenfähren bis zur Fertigstellung der Straßenbrücke zwischen Mainz und Kastel im Jahre 1885 in Betrieb. Zurück
  6. Der Volksmund kommentierte diesen Vorgang mit „Hoch lebe Bismarck“. Zurück
  7. Ab 1904 gab es über die Kaiserbrücke eine direkte Verbindung von Mainz nach Wiesbaden. Zurück