Bibliothek

Neuerscheinung: Zweites Kreuznacher Lesebuch "Das Paradies an der Nahe"

Von Katharina Ücgül

Kategorie: Buchtipp, Hauptportal, Hunsrückportal, Mittelrheinportal, Rheinhessenportal, Saarlandportal

Nach dem großen Erfolg des ersten Kreuznacher Lesebuchs gibt es nun eine zweite Quellensammlung des Vereins für Heimatkunde für Stadt und Kreis Kreuznach. Das Buch beinhaltet von Jörg Julius Reisek zusammengetragene Zeugnisse der Zeit von 1816 bis 1918, also der Zeit der preußischen Herrschaft bis zum Ende des Ersten Weltkriegs.

Nach dem Zuspruch, den der erste Band des Kreuznacher Lesebuches erfahren hat, freut sich der Verein für Heimatkunde für Stadt und Kreis Bad Kreuznach nun den zweiten Teil der Quellensammlung zu präsentieren. Diese Edition macht Zeugnisse zum Leben im Kreuznach der Zeit vom Beginn der preußischen Herrschaft (1816) und diesmal Ersten Weltkrieg im Zusammenhang zugänglich. Auch in dieser Sammlung hat Jörg Julius Reisek wieder in jahrelanger beharrlicher Arbeit Fundstücke zusammen getragen und zu einem Zeitmosaik zusammengefügt.

Mit einem Schuss Ironie wählt Julius Reisek den Titel „Das Paradies an der Nahe“ und stellt das Zitat auch als Motto dem Buch voran. Es stammt aus einem Brief Lorenz Schmitts aus dem Jahr 1909 den der Neffe schrieb, um seinem „Onkel Joe“ in Wisconsin „ein kleines Bild von dem Nahetale zu zeichnen“ – und den Text dann bemerkenswerter Weise auch gleich im Oeffentlichen Anzeiger erscheinen zu lassen.
Auch die Autorin Caroline von Göhren lässt einen „Salonroman“ aus dem Jahr 1856 „im kleinen Paradies“ Kreuznach spielen, als das ihr der Kurort wegen seiner „Naturschönheit“ gilt. Die Handlung wurde im kleinen sozialen Habitat der „feinen Gesellschaft“ angesiedelt. Kurorte waren einst solche mondänen Sehnsuchtsorte – die Heilbäder waren die „Traumschiffe“ ihrer Zeit.
Wer nun meint, hier ginge es um heimattümliche Selbstbeweihräucherung irrt gewaltig. Die Texte erzählen vielmehr widersprüchlich und vielschichtig „Kulturund Sozialgeschichten“. Ein Beispiel: In den Memoiren von Heinrich Hilgard-Villard, als Partner von Edison Gründer der General Electric Company, erinnert sich der Autor an einen dreitägigen Aufenthalt im Jahr 1852: „Kreuznach ist ein altberühmtes Soolbad, das damals [1852] noch besuchter war als heutzutage [1906]. Es hat eine reizende Lage an der Nahe und bietet mit seinem Kurhausse und den dazugehörigen Anlagen, seinen Verkaufsläden, zahlreichen großen Hotels, vielen schönen Privathäusern und regelmäßigen Straßen ein sehr anziehendes Äußeres.“

Demgegenüber kommentierte ebenfalls zum Jahr 1852 das „Morgenblatt für gebildete Leser“ angesichts der Viehhaltung in den Kreuznacher Gassen: „Kreuznach ist eine Landstadt, die über Nacht Kurort geworden ist und sich in diese Rolle noch nicht zu finden weiß. In einem Dorfe mag man immerhin gern wohnen, da ist alles aus einem Gusse; hier ist Amphibiennatur, die bekanntlich etwas Unbehagliches für den Menschen hat.“

Wo ist die Wahrheit? Der Leser muss sie selbst suchen. Tatsächlich treffen bis heute in Kreuznach in erstaunlicher Weise auf engem Raum ganz unterschiedliche Milieus aufeinander. Und war es um 1850 die „ländliche“ Neustadt, die den Korrespondenten irritierte, dann war es in späteren Jahrzehnten der zukunftsweisende Ausbau zum Industrie- und Gewerbezentrum parallel zum althergebrachten Heilbad, der für eine widersprüchliche Wahrnehmung sorgte.

Jeder Text des Bandes steht so einerseits für sich und will in Zusammenhang mit anderen Zeitzeugnissen gebracht werden. Die Gliederung hilft dabei: „Erinnerungen und Feuilletons“, „feste Feiern“, „Handel und Wandel“, „Aus aller Welt“, „Unterhaltungsliteratur und Oper“, Kriminalfälle, Medizin und Krieg bilden Themenblöcke, in die die einzelnen Zeugnisse eingeordnet wurden. Reiseberichte, der Unterricht an der Kreuznacher Elementarschule, Jahrmarkt und Eisvergnügen, Karneval und Viehmarkt, Brandweinschmuggel, Brände, Morde, Explosionen, die Fusion der Heilbäder Kreuznacher und Münster, die Kanalisation, das Leben der Dienstboten und die Zeit des Ersten Weltkriegs mit dem Großen Hauptquartier (1917/1918) – das sind nur einige Bespiele aus einem ganzen Füllhorn von Themen, aus denen der Leser auswählen kann.

Dabei handelt es sich um zeitgebundene, subjektive Texte. Das wird besonders deutlich bei den Erinnerungen des Kreisarztes Dr. Emil Vollmer, die sich auf die Zeit beziehen, als 1917/18 die Oberste Heeresleitung mit Hindenburg und Ludendorff in Kreuznach Quartier bezogen hatte. Vollmer hat seine Erinnerungen 1935 veröffentlicht, wenige Monate nach dem Tod des Reichspräsidenten, dessen Mythos die nationalsozialistische Propaganda konsequent instrumentalisierte. Diesem Zeitgeist zeigt sich Vollmer verbunden. Die entsprechenden Passagen Vollmers zum Abschiedsessen für örtliche Honoratioren am 6. März 1918 und zu den Erinnerungen seiner Tochter als „Blumenmädchen“ beim 70. Geburtstag des Generalstabschefs sind anschauliche Beispiele für die Verehrung, die der für die Kriegführung der Deutschen verantwortliche Befehlshaber genoss. Dieser Mentalität der Volksverehrung für den „Ersatzkaiser“ ist auch die Anekdote vom „kleinen Ulanen“ geschuldet.

[Text von Dr. Michael Vesper]

 

Informationen für den Erwerb:

 

Zweites Kreuznacher Lesebuch „Das Paradies an der Nahe“ Kultur- und Sozialgeschichten 1816-1918

Zweites Kreuznacher Lesebuch:

'Das Paradies an der Nahe'

Kultur- und Sozialgeschichte 1816-1918

Ausgewählt und bearbeitet von Jörg Julius Reisek

Hrsg. vom Verein für Heimatkunde

für Stadt und Kreis Bad Kreuznach

Bad Kreuznach: Verlag Matthias Ess, 2012.

303 S., Abb., Lesebändchen

ISBN: 978-3-935516-77-8

Preis: 19,50 €