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„Alles vertrocknet...“ Friedrich Wilhelm Schultz bereist das Nahetal. Ein enthusiastischer Reisebericht von 1861

von Jörg Julius Reisek

[Bild: Gemeinfrei]

Der Verfasser des botanischen Standardwerkes ,,Flora der Pfalz" (1846 ff.), Friedrich (Fritz) Willhelm Schultz (1804-1876), veröffentlichte eine Schilderung seiner im September 1861 unternommenen Reise, die von Kaiserslautern nach Kreuznach, dann durch das Nahetal über Oberstein zurück nach Kaiserlautern führte. Neben der eingehenden Beschreibung der vorgefundenen Flora, im nachfolgenden Text weitgehend gekürzt, enthält der Bericht persönliche Erinnerungen und Eindrücke, sowie Angaben über die Veränderungen der ,,Pflanzendecke". Schon in seiner Jugend hatte er das Nahetal bereist und kehrte mehrmals zurück, um Pflanzen und Gesteine zu sammeln. Diesmal nutzte er die neu in Betrieb genommene Rhein-Nahe-Eisenbahn für Exkursionen.

Die ,,botanisch-geologische Reise in's Nahetal" wurde in den Jahresberichten der POLLICHIA gedruckt und ist in der Heimatwissenschaftlichen Zentralbibliothek als ,,Besonderer Abdruck“ erhalten. Das Exemplar kam am 4.2.1875 in den Besitz des Kreuznacher Naturwissenschaftlers Dr. Ludwig Geisenheyner (1841-1926), dessen handschriftliche Anmerkungen profunde Kenntnisse seiner neuen Heimat (zugezogen im Jahre 1870) dokumentieren. ,,Wird wohl nicht die rechte Stelle gefunden haben" steht z. B. neben der Bemerkung von Schultz, dass der Felsengoldstern überall häufiger anzutreffen sei als am Rotenfels.

Carl Heinrich Schultz, der jüngere Bruder des Verfassers, gründete 1840 den naturforschenden Verein POLLICHIA in Bad Dürkheim.

,,Der Zweck dieses Reiseberichts ist, einen kleinen Beitrag zur Pflanzengeographie und zur geologischen Kenntnis eines der schönsten Theile der Pfalz und der benachbarten Gegenden zu liefern und Forschern eine Anleitung zum wissenschaftlichen Besuche der noch undurchforschten Theile des Nahegebietes zu geben. ...

Nach 10 Uhr Abends kam der Wagen (wie gewöhnlich) an die Ueberfahrt bei Ebernburg und wurde mit den darin sitzenden Reisenden auf die fliegende Brücke gefahren. Es wird mir immer unvergesslich bleiben, wie ich zum ersten Male auf diese Brücke kam. Es war im Monat März, die Wasser der Flüsse waren ausgetreten, und es war ungewiss, ob die Ueber-fahrt möglich sei, oder ob der Wagen, wie Tags zuvor, mit einem Umwege durch's Hessische, über Fürfeld fahren müsse. Da erfuhr der Conducteur in Alsenz, die Ueberfahrt sei möglich, und der Wagen fuhr fort. Es war mondhell, und es ist unbeschreiblich, welchen Eindruck die veränderte Landschaft gemacht hat, als wir aus dem zuletzt sehr engen Alsenzthale, wo jede Aussicht versperrt ist, plötzlich auf die wild rauschende, vom Winde bewegte und Wellen schlagende, hoch angeschwollene und theilweise ausgetretene Nahe kamen. Da lagen, vom Monde beschienen, links die Ebernburg, des heldenmüthigen Sickingens zerstörte Feste, rechts der Rheingravenstein, über die Nahe der Rothenfels mit seinen turmhohen, zackigen Wänden, die Salinen und Münster. Das Nahethal aufwärts zeigte sich ein Hintergrund von nahen und fernen Gebirgen, um ein Gemälde zu vervollständigen, wie ich es nie schöner, selbst nicht in den Alpen von Salzburg und Kärnthen, gesehen. Heute war es anders, es war kein Mondschein, man sah beinahe nichts, und die sonst so wasserreiche Nahe war beinahe ausgetrocknet. Die Ueberfahrt des Postwagens ging daher sehr langsam von Statten und der Postillon blies aus langer Weile die Melodie von ,,Das Schiff streicht durch die Wellen", da spürte ich plötzlich einen Stoss, die fliegende Brücke sass auf einer Kiesbank fest, und die Schiffer mussten über Bord springen, um sie mit Hebeln wieder flott zu machen.

Eins jedoch war auch heute wie damals, die freudige Sehnsucht nach geliebten Personen und verwandten Seelen, die mich am Ziele der Reise erwarteten. Wir kamen glücklich über die Nahe, fuhren durch die Salinen vor Münster (was bei Mondlicht auch einen eigenen Eindruck macht), sahen das neue Curhaus daselbst in voller Beleuchtung und fuhren endlich über mehrere Brücken durch die mit Gas beleuchtete Stadt in den Hof des Postamts, wo wir eine Stunde vor Mitternacht ankamen.

Mit meiner Frau und meinem Sohne, die in Kreuznach die Badecur gebrauchten, machte ich Nachmittags einen Spaziergang auf den Schlossberg. An den Ruinen des auf demselben gelegenen, die Stadt beherrschenden Schlosses knüpfen sich viele geschichtliche Erinnerungen, z. B. die Erstürmung desselben durch den grossen Schwedenkönig Gustav Adolph, wobei der edle Talbot fiel. Bei meinem ersten Besuche, im März, fand ich am nördlichen und nordwestlichen Abhang und Fusse desselben in den Wäldchen und Gebüschen Corydalis cava (Hohler lerchensporn) und Arum maculatum (Aronstab) in zahlloser Menge auf dem Rothliegenden. Heute war alle Vegetation ausgedörrt und ausser Rumex scutatus (Schild-Ampfer) und Ilupleurum falcaturn (Sichelblättriges Hasenohr) nichts Grünes zu sehen. Von dem Schlosse aus übersieht man die ganze Stadt und das Nahethal bis in die Gegend von Bingen. ...

Am 11. September fuhr ich Morgens mit der Eisenbahn von Kreuznach nach dem Bahnhofe von Böckelheim. Derselbe liegt am Ufer der Nahe fast eine Meile unterhalb Sobernheim und zwar auf Melaphyr. Die erste Pflanze, welche ich bemerkte, als ich abgestiegen, war linaria spuria (Leinkraut), die hier an ungebauten, steinigen Orten neben der Strasse stand. Hierauf kam ich an einen über Melaphyr fliessenden Bach, der ganz mit Mentha aquatica, M. sylvestri-hirsuta und M. sylvestri-aquatica (Variationen der Wasserminze, s. Flora der Pfalz, 1846. S. 349 ff.) angefüllt war. Diese Pflanzen, welche an vielen Orten im Nahethal wachsen, standen in voller Blüthe, waren aber so groß, dass nur 5 Exemplare in die leere Botanisir- büchse gebracht werden konnten. Im selben Thale und auch auf Melaphyr fand ich einen ganzen Brachacker mit Polycnemum majus (Großes Knorpelkraut) bedeckt, sowie an mehreren anderen ähnlichen Orten, aber, wie die ganze Vegetation, durch das anhaltende trockne Wetter verdorrt. Waldböckelheim ist ein geeignetes Hauptquartier zu Excursionen in der höchst merkwürdigen Umgegend, welche in Entfernungen von höchstens einer Stunde von diesem Orte eine sehr verschiedene geologische Formation zeigt. Es wechselt da Kohlengebirge mit Porphyr, Rotliegendem, Melaphyr, tertiären Schichten und Schiefer. ...

Am 13. Morgens besuchte ich Herrn Dr. Dellmann [Anm. 1], Oberlehrer am Gymnasium, einen ausgezeichneten Physiker und Geologen, dem ich manche Belehrung über die geologische Beschaffenheit der Gegend verdanke, und machte Nachmittags mit ihm, einigen Damen und meiner Familie einen Spaziergang nach der Gans und dem Rheingravenstein. Das Wetter war wieder ausnehmend schön, aber die Vegetation überall verdorrt. ...

Am Fusse des Berges , oder vielmehr ungeheuren Felsens, auf dem die Ruinen der Burg Rheingravenstein stehen, befindet sich am Ufer der Nahe, den Salinen von Münster gegenüber, mitten im Walde und zwischen Felsen eine Wirthschaft [Huttental]. Ein zwischen Felsen durch den Wald herabkommendes Bächlein [Kehrenbach] war ganz ausgetrocknet, und jede Spur der hier sonst so üppigen Vegetation verschwunden. Da hier sowohl Nahe aufwärts als abwärts die Ufer durch steile Felsen gebildet sind, so ist es nur auf dem jenseitigen Ufer möglich, durch das Thal nach Kreuznach zu kommen. Es besteht daher hier eine Ueberfahrt in einem Nachen, in welchem wir hinüber fuhren, und wir gingen dann durch Münster und die Salinen nach Kreuznach zurück. Der Rothenfels, die Haardt, die Gans und der Rheingravenstein sind wegen der schönen Aussicht die besuchtesten Spziergänge der Curgäste und Touristen. Alle auffallenden Blumen werden daher zu Sträussen gepflückt, und was nicht gepflückt wird, das zertreten die zahlreichen Gesellschaften, welche auf der Höhe über den steilen Porphyrfelsen herumwandeln, um die verschiedenen Aussichten zu betrachten, oder die Esel. Es bleibt daher für den Botaniker nur eine spärliche Nachlese und er wird auf den weniger oder gar nicht besuchten Porphyrbergen ... eine viel reichere Ausbeute machen und sogar Manches finden, was auf den Kreuznacher Bergen fehlt. Auch auf dem Melaphyr der die Nahe hinauf gelegenen Berge und Felsen bei Norheim, Niederhausen, Oberhausen, Böckelheim, Sobernheim und Kirn wachsen die meisten Kreuznacher Pflanzen üppiger und häufiger, und es ist daselbst noch viel Neues zu finden. ...

Am 14. September verliess ich Kreuznach und fuhr mit dem ersten Bahnzuge nach 0berstein. Die Bahn, auf der ich fuhr und welche das ganze Nahethal von Bingen bis in die Gegend von Birkenfeld durchzieht, läuft beständig an den Ufern der Nahe hin. Da das Nahethal aber sehr viele Krümmungen macht, oft schöne Thalflächen bildet, aber sich auch oft durch Felsen und Vorsprünge der Berge windet, so bietet es eine Abwechslung, wie sie nicht leicht anderswo zu finden ist. ... Das ganze Nahethal bis Oberstein zu beschreiben mit seiner beständigen Abwechslung ...überlasse ich einer geübteren Feder, und sage nur es ist prachtvoll. Da ich seit dem Jahre 1826 nicht mehr in Oberstein war, so ging ich zuerst nach dem sogenannten gefallenen Felsen, um die Stelle wieder zusehen, wo am Pfingstmontage 1826, während ich auf dem Gipfel des in eine senkrechte Felswand nach der Nahe herab abgeschnittenen Berges stand, ein Stück Felsen unter meinen Füssen losbrach und ich an der ganzen Wand bis in's Thal herab rutschte, was die unten auf der Strasse Gehenden sehr in Schrecken setzte. Da es ein Wunder ist, bei einem solchen Falle mit dem Leben davon zu kommen, so wurde die Geschichte von dem hier herabfallenden unbekannten Jüngling mit der Zeit im Munde des Volkes zur Legende. ...

Die Gegend war durch die Eisenbahn so verändert, dass ich sie kaum mehr erkannte, und die Vegetation war so ausgedörrt und verbrannt, dass fast nichts Grünes mehr zu sehen war. ...

Da es anfing Nacht zuwerden, kehrte ich in den Gasthof zurück, wo ich mit einem in meiner Abwesenheit angekommenen Reisenden zur Nacht speiste. Derselbe hatte die Gegend in mineralogischer Beziehung angesehen und war so freundlich, mir zum Andenken ein Exemplar eines Steines zu geben, den er gefunden und Folgendes beigeschrieben; ,,Philippsit (mit Kalkspath und Achat) aus Melaphyrmandelstein, gefunden zwischen Idar und Oberstein von Julius Ziegler aus Frankfurt a. M., 14. Sept. 1861." [Anm. 2] ...

Von Oberstein aus geht die Bahn durch's Nahethal, bald unmittelbar am Ufer des Flusses, der von hier an immer kleiner wird ... bis sich in der Gegend von Birkenfeld, wo ich ermüdet meine Beobachtungen beschloss, das Land immer mehr verflacht. ...

Nachweise

Verfasser: Jörg Julius Reisek

Redaktionelle Bearbeitung: Dominik Kasper

Literatur:

  • Schultz, Friedrich Wilhelm: Flora der Pfalz : enthaltend ein Verzeichnis aller bis jetzt in der bayerischen Pfalz und den angränzenden Gegenden Badens, Hessens, Oldenburgs, Rheinpreussens und Frankreichs beobachteten Gefässpflanzen, ...Speyer : Lang, 1846.
  • Schultz, Friedrich Wilhelm: Zusätze und Berichtigungen zu meiner Flora der Pfalz, sowie Beiträge zu Th. Gümbels Moosflora der Pfalz und botanisch-geologische Reise in´s Nahethal. Besonderer Abdruck aus dem 18. und 19. Jahresberichte der Pollichia - Neustadt a.d.W. : Kranzbühler, 1861.

Illustrationen:

  • Voigtländer, Robert: Das malerische und romantische Nahe-Thal und die Rhein-Nahe-Eisenbahn. Galerie von Ansichten der schönsten Punkte aus der Nahegegend mit erläuterndem und beschreibendem Texte. Kreuznach: R. Voigtländer, 1862.
  • Die Vorlagen der Stahlstiche stammen von Conrad Wiessner (1796-1865) und seinem Sohn Friedrich (Der gefallene Fels)

Digitalisat: www.dilibri.de

Eine umfangreiche Sammlung botanischer Regionalliteratur kann in der Heimatwissenschaftlichen Zentralbibliothek benutzt werden.

Erstellt: 31.05.2010

 

Anmerkungen:

  1. Dr. Friedrich Georg Dellmann. Lehrer am Kreuznacher Gymnasium von 1839-1870. Wegen seiner Verdienste auf phys.-naturwiss. Gebiet mit dem Oberlehrertitel und Dr. phil. hon. causa ausgezeichnet. Zurück
  2. Prof. Dr. Julius Ziegler (1840-1902) war Mitglied des 1824 gegründeten Physikalischen Vereins in Frankfurt. Er studierte Naturwissenschaften und promovierte in Chemie. 1890 erschien sein führendes Werk über Pflanzenphänologie. In der HWZB liegt folgende Publikation von ihm vor: Niederschlagsbeobachtungen in der Umgebung von Frankfurt an Main: nebst einer Regenkarte der Main- und Mittelrhein Gegend. Frankfurt am Main: Naumann, 1886. Zurück