Germanistisch-Historischer Arbeitskreis an der Universität Mainz

Das Niersteiner Rittergericht

Titelbild

Die Gemeinde, wenige Jahre nach Ende des 3Ojährigen Krieges, befindet sich sozial-ökonomisch gesehen in einer Phase des Wiederaufbaus. Im Gerichtsbuch läßt sich die Konstellation im Mit- und Gegeneinander von Rittergericht, Gemeinde und Zentralgewalt (Heidelberg/ Oberamt Oppenheim) bestens ablesen. Bei Entscheidungen über Herbstordnung und Weinlese konnten die Adligen ohnehin nicht auf die Kompetenz der praktizierenden Bauern verzichten. Für die Entschärfung der Alimentordnung setzten sich vor allem Bürgermeister und "Sechser" - also bäuerlich-bürgerliche Kräfte durch, wiewohl die Gemeinde weiterhin auf die Mithilfe des Rittergerichtes angewiesen war, um die neue Ordnung auch durchzusetzen.
Während Aufgaben der Polizei, beispielsweise die Gasthausordnung, gänzlich ohne Beteiligung der Gemeinde beschlossen werden konnte und das Rittergericht sich hier nur der Gunst der kurpfälzischen Verwaltung vergewissern mußte, entschieden andererseits Bürgermeister und "Sechser" in anderen Fällen. Neben den Ordnungen zu Landwirtschaft und Jagd, zu Handwerk (Metzger) oder Gastronomie, finden sich im Protokollbuch die Kommune betreffende Texte und konkrete Gerichtsfälle. Der Leser erfährt, daß "Firner" (damals: ein Jahr alter Wein) um "ein Albus" teurer verkauft werden kann als der Neue; daß Schildwirte mehr verlangen dürfen als Gassenwirte; daß im Gegensatz zur Getreideernte Frauen und Männer bei der Weinlese den gleichen Lohn für gleiche Tätigkeit erhalten.
Zwistigkeiten zwischen Oberamt und Kurpfalz kommen im Streit um die Setzung eines Zollstocks oder um den Fährbetrieb zum Ausdruck. Weil Nierstein überrheinisch über viel Land verfügte, war es für Bauern und Ritter von Interesse unabhängig von Oppenheim das andere Ufer anzusteuern. Zwar gestattete das Oberamt den Einsatz zweier Nachen, verbot aber den Transport von Handelsgütern aller Art, wie die Beförderung von Fremden, um die Einnahmen nicht zu schmälern.
Unmöglich an dieser Stelle der Mannigfaltigkeit der äußerst ausführlichen Protokolle gerecht zu werden. Außer im Buchhandel ist das Protokollbuch auch bei der Gemeindeverwaltung zu haben.
Vor dem Rittergericht wurden alle Gerichtsfälle, d.h. sowohl die der sogenannte freiwilligen als auch der niederen und hohen Gerichtsbarkeit zumindest in erster Instanz verhandelt; zugleich war das Gericht aber auch Verwaltungs- und Regierungsinstanz des Ortes, was sich gleichfalls in den Einträgen des Gerichtsbuches niederschlägt. Diese umfassen daher sehr unterschiedliche Gegenstände; eine Auswahl der verhandelten Fälle wurde ediert - siehe das folgende Inhaltsverzeichnis.

Diese Seite wird wie folgt transkribiert (Fußnoten mit * gekennzeichnet)

Die transkribierte Seite im Original

[III.] Klage des Hans Borngesser für seinen Sohn Hans Conrad gegen Adam Frank wegen Beleidigung und Bezichtigung unzüchtiger Handlungen

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Hanß Borngeßer g(egen) Adam Franckh.*a
Hanß Borngeßer klagt, daß Adam Franckh seinen sohn Hanß Conradt einer unzucht, so er uffm pflug gethan haben solte, bezüchtigt. Bezeüget sich uff Hanß Philips Kern.
Hanß Philips Kern sagt, in Nierstein im Schwanen seyen die knecht über Adam Francken geweßen undt ihnen schlagen wollen. Hab er ihnen errett. Darauf hab er ihm 2 Maullschellen geben undt hab Bomgeßers sohn ein hurenjäger, als ob er ein ungebührliche unzucht begangen hette, bezüchtiget.
Adam Franckh gestunde ihnen, Borngeßers sohn, ein hurenjäger geheißen zuhaben. Wüste aber nichts weniger eine ungebührliche unzucht von ihme, seye truncken geweßen, könne sich auch der schlägerey an Kern nit erinnern.

Sententz.

Frevel - 2 rtlr.*b

Nach deme beklagter selbsten die scheltwortt, - alß d(a)z er Borngeßers sohn ein hurenjäger, aber nicht die uff- gelegte unzucht undt aber nichts bößes von ihme sagen könne -, gestanden, auch erwißen, d(a)z er Kern ohne schuldt geschlagen, alß ist ihme zugebüh[re]nter straff, wiewohlen er weit mehrers verdient, 2 rtlr. Innerhalb 14 tagen zuerleg(en) undt daß er gebührent depreciren, beide umb verzeihung bitten, nichts als liebs, guts fer- ner von ihm sagen, auch alles handtreulichen angeloben solle, oberkeitlichen angesetzt undt tecretirt word(en.

*a Der letzte Absatz steht links neben dem folgenden Text.
*b Der letzte Absatz steht links neben dem folgenden Text.