Bibliothek

Die Beschwerde gegen Pfarrer Kremer 1841 in Waldböckelheim

Ein Aufsatz von Axel Kiltz.

0.1.Drei alte Schreiben

Zwischen vielen anderen alten Unterlagen meiner Vorfahren Kiltz[Anm. 1] liegen auch drei Schreiben aus dem Jahr 1841. Es handelt sich um zwei Briefentwürfe, die nie abgeschickt wurden, sowie ein Antwortschreiben, dem man ansieht, das wurde versendet und ist auch angekommen. 

Diese Korrespondenz fand statt zwischen dem damaligen evangelischen Kirchenvorstand von Waldböckelheim[Anm. 2] und dem Superintendenten Wilhelm Örtel[Anm. 3] und es ging um eine Beschwerde über den evangelischen Pfarrer im Ort. 

Es geht um einen historischen Sachverhalt, der einer gewissen Komik nicht entbehrt und ein Licht auf das damalige Leben in der Kirchengemeinde wirft. 

Alle drei Schreiben wurden von mir weitgehend unter Verwendung der ursprünglichen Wortwahl transkribiert[Anm. 4]

Drei Herren vom Waldböckelheimer Kirchenvorstand fassten im Jahr 1841 Mut und sandten am 15. Januar des Jahres einen Beschwerdebrief an die evangelische Superintendentur in Sobernheim. Dieser Brief ist leider nicht erhalten.

0.2.Das erste Schreiben

In meinen Unterlagen erhalten ist ein Briefentwurf vom 1. März 1841, adressiert an „Ein Hochwürdiges Consistorium in Coblenz“. Dieser Entwurf bezieht sich auf den ursprünglichen Beschwerdebrief vom 15. Jan. 1841.

Der Entwurf trägt einen umständlichen Absender[Anm. 5]

„Superintentur Sobernheim Kreis Kreuznach

Bürgermeister in Sobernheim Gemeinde Waldböckelheim“

In diesem Schreiben wird der folgende Sachverhalt behandelt:

„Der sämtliche Kirchenvorstandt, wie auch die sämtliche Repräsentanten mit Ausnahme zweier derselben gaben den fünfzehnten Jan: dieses eine Klagschrift gegen die Amtsführung unsers Herrn Pfarrers Krämern ein,….“

hier also der Bezug auf die Beschwerde vom 15. Januar. Es geht um den damaligen evangelischen Pfarrer von Waldböckelheim, Johann Friedrich Kremer. [Anm. 6]Interessant auch die ausdrückliche Erwähnung, dass zwei der „Repräsentanten“ nicht bei der ursprünglichen Klagschrift mitgemacht haben.

Anlass des Schreibens ist, dass wohl in der Zeit seit dem 15. Jan. seitens der Superintendentur in Sobernheim und des Consistoriums in Coblenz auf die Beschwerde nicht reagiert wurde. Nun drängt die Zeit, denn es steht die Confirmationsprüfung an. Man fragt unterthänigst nach, ob es nicht möglich sei, einen anderen Kandidaten für die Pfarrstelle zu nennen, im Original klingt das

„nur einzig und alein belobte Stelle unterthänigst bitten warum wir auch hauptsächlich in unserer eingabe an Herr Superintendenten baten, Namlich um baldige Versorgung unserer Pfarrstelle durch einen selbständigen Candidaten“

Ob ein Schreiben ähnlichen Inhalts tatsächlich an die Superintendentur ging, ist nicht gewiss, auf die Beschwerde-Aktion gab es jedenfalls eine Reaktion aus dieser Behörde:

0.3.Das zweite Schreiben

Dieser zweite Brief ist tatsächlich versendet worden und wohl auch angekommen, denn er befindet sich auch heute noch in den Händen des Nachfahren eines der damaligen Empfänger (das bin ich). Es ist die Antwort der Superintendentur auf Schreiben vom 15.1.1841 (und 1.3. 1841?). Man sieht noch die Brieffalzung sowie Reste des Siegellacks, mit dem dieser Brief einmal verschlossen war. Das Briefpapier ist teilweise stark zerfressen.

Die Empfängeradresse dieses Briefes lautet:

„An den Herrn Kirchenvorsteher Georg Kilz in  Waldböckelheim“

Datum/ Absender ist:

„Sobernheim den 26. Maerz 1841 Der Königliche Superintendent Oertel“

Ich zeige den gesamten Inhalt des Briefs, denn der ist kurz und klar:

„Das hochwürdige Consistorium, welchem ich Ihre Eingabe vom 12. Januar c. seiner Zeit vorgelegt habe, hat unter dem 16.ten Maerz c. verfügt, daß Sie

1., die unanständigen Handlungen,

2., die Vernachlässigungen des Religions und

      Confirmanden-Unterrichts,

3., das durch seine Predigten gegebene

      Ärgernis und endlich

4., die mangelhafte Leitung der Presbyter und

      Repräsentanten-Wahlen

welches Sie dem Herrn Pfarrer Kremer zur Last gelegt, durch Thatsachen naeher belegen und bei jedem Punkte diejenigen Personen namhaft machen sollen welche als Zeugen für denselben gelten sollen.

Ich setze Ihnen behufs der Erledigung obiger Angaben eine Frist von 14 Tagen, bei deren Abfluß ich im Besitze der betreffenden Litteralien sein muß.

An die Herrn Kilz, Hahn, Trapp & Consorten in Waldböckelheim“

So schrieb also damals der Superintendent Wilhelm Örtel, der sich später als Schriftsteller W.O. von Horn einen Namen gemacht hat. Ob der ursprüngliche Brief vom 12. oder vom 15. Januar war, konnte ich nicht feststellen.

0.4.Das dritte Schreiben

Nun zu dem dritten Schriftstück, wiederum ein Briefentwurf, der eine Reaktion auf das Schreiben von Herrn Örtel ist. Drei von vier Seiten des gefalteten Blatts sind, meist zweispaltig, beschrieben. Es haben mehrere Personen an dem Schreiben mitgearbeitet, man sieht es an den sehr unterschiedlichen Schriften. An einer Stelle steht groß die Empfängeradresse 

 „Hochwürden Herrn Superintendent Örtel in Sobernheim“, 

die dann aber durch weiteren Text überschrieben ist. Auch der Absender ist lesbar: 

„Kreis Xnach[Anm. 7] Bürgermeisterei Sobernheim Gemeind Waldböckelheim 

Waldböckelheim d: 7ten Aprill 1841“

Im Inhalt geht es um die Konkretisierung der Vorwürfe gegen den Pfarrer Kremer, wie in dem Brief von Superintendent Örtel gefordert.

Ein einleitender Text fasst die Aussagen zusammen und ordnet sie den namentlich genannten Zeugen zu. Die weiter vorhandenen Textstücke sind wohl von den jeweiligen Zeugen verfasst. Hier die wichtigsten Passagen dieses einleitenden Textes:

Zeugen: Konrath Schlarp, Gottfried Vogt Wittib beide von Waldböckelheim, 

Bernhard Halfenstein von Kirn.

Sie bekunden: 

„wie hr. Pfarrer Krämer sich auf Dem leichen Essen als Bessoofener als genug unanständig betragen hat.
Johann Thres? von Marienpforter Hof hat Herr Pfarrer Krämer auf den [...]“ (Letzte Worte unleserlich)

Zeuge: Vater Kültz aus Waldböckelheim

Er bekundet: 

„wie Hr. Pfarrer Krämer zu Xnach als Besofner(?) benomen hat und von dort nach Waldböckelheim benommen hat.“

Zeugen: Peter Hils ad Jacob Trapp beide aus Waldböckelheim

Sie bekunden:

„wie er seine Hausgenoßen mishandelt, die Frau Pfarrer? bantz? Welche ebenfals in dieser angelegenheit ins Pfarrhaus gerufen ward als hausfreundin um frieden zu stiften“

Zeugen:  Heinrich Trapp, Jacob Mayer, Konrath Helwig, die Frau von Gernot Schmitt alle aus Waldböckelheim

Sie bekunden:

„Werden über die Vernachläßigung des Religions und Confirmanten unterrich genugsam aufschluß geben“

Zeugen: Heinrich Trapp, Magdalena Morinda

Sie bekunden: 

„genugsam die Gegebenen Predigten ärgerniß“

Dann folgt ein mir völlig unverständlicher Absatz. Der Schreiber war von dessen Abfassung völlig überfordert, aber man kann evtl. ansatzweise erkennen was ausgedrückt werden sollte:

„Können uns die Kirchen Vorstände und Reprasentanten auskunft geben
In sonst keine andren Personen gegenwärtig waren :/: geflieslich Glauben wir der Sicheheit unserer hersen? halber dahinantrag(en) zu müßen daß die Untersuchung :/: in unsere Gegenwart Vorgenannten worden (Mag???) sein nach mehreren Fragen durch den unterzeichenden beamten Fragen Stellen laßen zu können.“

Überlegen Sie selbst, was die Aussage dieser Sequenz sein könnte!

Klarer ist der Unterschriftenteil dieser einleitenden Bemerkungen:

„Waldböckelheim ad: 7. Aprill 1841

Georg Kiltz

Jacob Hahn

Johann Trapp“

Das sind eben die drei zu Beginn genannten Kirchenvorstände.  Ich vermute mal, Georg Kiltz hat hier geschrieben, eine ähnliche Schrift taucht in weiteren handschriftlichen Unterlagen aus dieser Zeit auf.

Es folgen in anderen Schriften Einzelaussagen zu den oben angekündigten Bekundungen / Bezeugungen, vielleicht jeweils von einem der genannten Zeugen verfasst.

In einer zweiten Handschrift wird ausgeführt: 

„Nachtrag a, 20/7 41 in boos hält er gar keinen Kinderlehrsontag

:/: bei der Lezten Confirmation Wurden die Fragen auf Ja und nein gestelt

auch frug hl:Pf. ob der heiland auch geschworen habe es wurd geantworten Ja: in seinem Verhör weil er Ja Gesagt habe

ob Heinrich Trapp diese Frage an den nicht auch gehort habe ob er nicht gehört habe daß er bei der Confirmation im Anfang gesagt habe öffentlich in der Kirche damit der o Rothenbusch

Da doch alle Beamten beaufsichtige werden müßen so kann  Hl:Pf. dieses um so weniger Thun da er ihn haben muß als Schreiber, obgleich wir gar keine Klage gegen Rodenbusch haben so kann es doch nicht geleugnet werden, daß diese aufsicht gänzlich fehlt Rodenbusch ist doch auch Mensch

   Auch vernachlässigte er die Einahme? der allmosen“

Man beachte, dass es sich hier um einen Nachtrag vom 20. Juli handelt. So lange war dieser Entwurf also irgendwie „in Betrieb“! Es geht hier außer um die Form der Konfirmandenbefragung auch um einen Herrn Rodenbusch, der damals anscheinend Gemeindeschreiber war und dessen Beaufsichtigung Pfarrer Kremer vernachlässigt haben soll. 

In einer dritten Handschrift kann folgende Sequenz entziffert werden:

„Auch Lässt er öfters den katholischen Hr:Pfarrer zu erst Kirch halten und dorch Läuten geht den Katholichen während der Predigt daß die Zuhörer nichts verstehen nach allem Bitten des Kirchenvorstandes hat er die Kraft nicht dieses abzustellen und so wird alles Vernachlässigt.“

Katholische und evangelische Gottesdienste wurden damals noch in der Simultankirche (geweiht 1835) mitten im Dorf abgehalten. Die evangelische Bergkirche wurde erst 1867 geweiht. Vorher gab es viele Misshelligkeiten zwischen Katholiken und Protestanten.

 

In ganz schlechter Schrift, die zudem auch noch die Empfängeradresse überkritzelt, folgende Beschwerde:

 

„:/: zwischen Sobernheim und hier
als betrunkener von der erden
aufgehoben und in ganz betrunkenem
Zustand hierher getraget.
:/: wird aufschluß geben wie sich Hr
Hr. Pf: Kr: zu Xnach im Deutschen Haus
mit seinem Taufsohn(?) Christian Leister zusammen
betrunken und als solche sich benommen
habe,  nämlich daß beide Streitigkeiten
wegen der Zahlung der Zeche kamen?
bekamen, so daß Leister sagte funzet?
bezahlst du oder nicht und was noch
weiter von Xnach bis Waldböckelheim geschah“

In einer weit besseren Schrift, leicht lesbar, auch sprachlich konsistent, kommt folgende, relativ klare Aussage:

„Am: 2/5 41 halt herr Pfarrer eine Reden gegen die Handlungen derjenigen Menschen welche gegen andere zum schaden im Herzen und That handelten, gegen dieselben sagte er: beim Sterben derselben würde es heisen: Marsch mit dir in die Verdamte Ewigkeit und dort würden dann dieselbe ihren unsin Ewig  beklagen können und so hieß es amen.

Denselben Tag versäumte er die Kinderlehre weil er Nachmittag zu Steinhart ein Kindt taufte“

Diese Textpassage hält sich allerdings nicht an die Zweispaltigkeit des Entwurfs, sondern die Worte gehen über die gesamte Breite des Blattes.

0.5.Fazit

Dies ist, zum Teil im „Originalton“, das Beschwerdeaufkommen von 1841 gegen den Pfarrer Kremer, mit benannten Zeugen. 

Wie es mit der Beschwerde weitergegangen ist, ist mir nicht bekannt. Da ein Nachtrag im dritten Schreiben das Datum Juli 1841 trägt, war zu dieser Zeit die Beschwerde wohl noch am Laufen. Da war die Konfirmandenprüfung, damals allgemein an Palmsonntag, lange vorbei[Anm. 8]. Aber tatsächlich wurde Pfarrer Kremer im Jahr 1842 in den Ruhestand versetzt, wie aus dem Pfarrerhandbuch (Fußnote 6) hervorgeht. Er hat dann bis zu seinem Lebensende 1857 in Waldböckelheim gewohnt. Weiter konnte ich dem Buch entnehmen, dass die Ehefrau von Friedrich Kremer Ende des Jahres 1841 verstorben ist. Die hat anscheinend diesen Streit nicht ausgehalten.

Von heute aus gesehen ist diese Auseinandersetzung in meinem Heimatort Waldböckelheim eine kleine, eher tragikomische Episode, damals hat sie wahrscheinlich das gesamte Dorf in Aufregung versetzt. Ich wüsste zu gerne, wer die beiden im ersten Entwurf genannten Herren aus dem Kreis der „Repräsentanten“ waren, die nicht mit dieser Aktion einverstanden waren. Ich habe einen Verdacht, es fehlen nämlich in der Aufstellung, auch bei den Zeugen, ganz wichtige Leute aus Waldböckelheim, aber das sage ich nicht, es könnte noch heutzutage Ärger geben. Reste der Strukturen aus dieser Zeit sind möglicherweise heute noch vorhanden.

Andererseits ist der zentrale Teil des Briefwechsels, das Schreiben des Superintendenten Örtel, die ruhige und ordnende Art, wie er auf die Briefe der Waldböckelheimer „Consorten“ reagiert, einer der Höhepunkte dieser Korrespondenz. 

Nachweise

Verfasser: Axel Kiltz

Redaktionelle Bearbeitung: Simeon Guthier

Aktualisiert am: 07.09.2020

Anmerkungen:

  1. Johann Georg Kiltz war mein Urururgroßvater, geboren 1788 in Nußbaum. Er hat 1813 Anne Marie geb. Kiltz, Erbtochter der Rechenbuchschreibers Nikolaus Kiltz, geheiratet. Das Ehepaar baute 1818/ 19 das heutige Gutshaus neben der Kurmainzer Faktorei, das noch heute als Gasthaus Hehner-Kiltz in Betrieb ist. Georg Kiltz war 1852 bis 1856 Abgeordneter im preußischen Landtag der Rheinprovinz in Düsseldorf. Die Ehefrau seines Enkels Georg Kiltz, Marie Luise, meine Urgroßmutter, war eine geborene Trapp. Zurück
  2. Mitglieder des evangelischen Kirchenvorstandes in Waldböckelheim waren die Herren Jakob Hahn, Georg Kiltz und Johan Trapp. Von den beiden Herren Hahn und Trapp weiß ich leider keine weiteren Lebensumstände, aber beide Namen waren damals in Waldböckelheim häufig und aus ihren Reihen kamen Ortsbürgermeister.   Zurück
  3. Der evangelische Pfarrer und Schriftsteller Wilhelm Örtel (Pseudonym W.O. von Horn) ist geboren 1798 in Horn im Hunsrück. Ab 1835 war er Pfarrer in Sobernheim und wurde dort zum Superintendenten des Kirchenkreises Sobernheim gewählt. Angaben aus Wikipedia Zurück
  4. Der Originaltext ist nicht gut geschrieben, die Orthografie ist schlecht und meine Umsetzung aus der altdeutschen Kurrentschrift ist sicher nicht immer völlig korrekt. Die Transkriptionen sind im Format “Faksimile links, Transkription zeilengerecht rechts“ in Doppelseiten abgelegt. Sie können bei Bedarf als PDF angefordert werden. Zurück
  5. Zitate aus den vorhandenen Schriftstücken sind mit Hintergrund markiert Zurück
  6. „Die evangelischen Pfarrerinnen und Pfarrer im Rheinland von der Reformation bis zur Gegenwart“, zusammengestellt und bearbeitet von Jochen Gruch im Auftrag der Evangelischen Kirche im Rheinland und des Vereins für Rheinische Kirchengeschichte, Bd. 3: K–R; Verlag Dr. Rudolf Habelt GmbH Bonn 2018. Die Daten zu Pfarrer Kremer stehen auf Seite 163: Kremer (Kraemer) Johann Friedrich 7166; *März 1789 Hornbach 5.9.1857 Waldböckelheim UNI Strßburg 1810; PFST Bretzenheim 1814-1822  Waldböckelheim 1822- 1842 (em); V: Christian Friedrich Kremer -> Biundo 2906; FAM oo Dorothea Katharina +17.12.1841 K: (1)-(4) Kinder   Zurück
  7. Xnach ist eine in unserer Gegend übliche Abkürzung des Stadtnamens Kreuznach, wird auch heute noch verwendet. Zurück
  8. Palmsonntag war im Jahr 1841 am 4. April. Traditionsgemäß fand damals an diesem Tag in den reformierten Gemeinden die Konfirmation statt. Zurück