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0.Zwei pfälzische Pfarrer und die Reichspräsidentenwahl von 1925

Für das Jahr 1925 war die erste Direktwahl des Reichspräsidenten (Amtsperiode: 7 Jahre), der durch die Verfassung mit einer erheblichen Machtfülle (als eine Art Ersatzkaiser) ausgestattet war, vorgesehen. Die Terminierung dieser Wahl wurde dadurch beschleunigt, dass der erste Amtsinhaber Friedrich Ebert überraschend am 28. Februar 1925 starb.

In einem ersten Wahlgang am 29. März erreichte kein Kandidat die erforderliche absolute Mehrheit. Der ehemalige Reichsinnenminister Karl Jarres, der u. a. von der Deutschen Volkspartei (DVP) sowie der Deutschnationalen Volkspartei (DNVP) nominiert wurde, erreichte mit 38,8% die meisten Stimmen vor Otto Braun (SPD) mit 29%, Wilhelm Marx (Zentrum) mit 14,5%, Ernst Thälmann (KPD) mit 7% und weiteren Bewerbern.

0.1.Die Reichspräsidentenwahl, zweiter Wahlgang

Für den notwendigen zweiten Wahlgang mit nun erforderlicher relativer Mehrheit am 26. April 1925 einigte sich die politische Rechte des „Reichsblocks“, Jarres zog zurück, auf den senilen Militaristen Paul von Hindenburg, der seine monarchistische Haltung stets betonte. Hindenburg und Ludendorff regierten das kaiserliche Deutschland von 1916 bis 1918 de facto als Militärdiktatur und waren maßgeblich für die Verlängerung eines aussichtslosen Weltkrieges verantwortlich – ohne jemals dafür zur Verantwortung gezogen worden zu sein. Hindenburg profitierte von dem Mythos des angeblich großen Feldherrn.

Die Parteien der Weimarer Koalition (besonders SPD und Zentrum) einigten sich auf einen Gegenkandidaten. Ihre Wahl fiel jedoch nicht auf Braun, der im ersten Wahlgang noch relativ erfolgreich abschnitt, sondern auf den Zentrumspolitiker Marx. Nach einem kurzen und emotionalen Wahlkampf erreichte Hindenburg bei der Wahl 48,3%, Marx kam auf 45,3% und Thälmann auf 6,4%. Der zweite Wahlgang am 26. April 1925 zur Wahl des Reichspräsidenten der Weimarer Republik brachte in dem Wahlkreis Pfalz die folgenden Ergebnisse: Thälmann: 6%, Marx:48,6 %, Hindenburg: 45,3%.

Mit der Wahl Hindenburgs gelang den entschiedenen Gegnern der Weimarer Republik ein wichtiger Erfolg. Weit reichende negative Folgen für die Zerstörung der Demokratie sollten noch folgen, Hindenburg nutzte seine gewonnene Machtfülle entsprechend antidemokratisch aus.

0.2.Protestantismus und Reichspräsidentenwahl

Die Reichspräsidentenwahl beinhaltete politische und konfessionelle Aspekte. Für weite Teile des deutschnationalen, protestantischen Spektrums gehörte die Unterstützung des Protestanten Hindenburg zur völligen Selbstverständlichkeit. Als empörend wurde daher die öffentliche Parteinahme für den katholischen Zentrumspolitiker Marx durch sehr renommierte Professoren der Evangelischen Theologie (wie z. B.: Adolf von Harnack, Martin Rade, Martin Dibelius und Otto Baumgarten), liberalen sowie religiös-sozialistischen Pfarrern durch Kirchenfunktionäre aufgenommen. Diese Debatte erreichte auch die Pfalz wie die Stellungnahmen der Pfarrer Roland und Damian nach dem entscheidenden Wahlgang veranschaulichen. Die katholische Bayerische Volkspartei ging ihren eigenen politischen Weg – und unterstützte den konservativen Protestanten Hindenburg.

0.3.Eugen Roland:

„Die Würfel sind gefallen, Hindenburg ist gewählt. Wir freuen uns darüber und hoffen, es möge dem treuen Manne beschieden sein, unser Volk in ruhiger Entwicklung aufwärts zu führen, daß man in aller Welt wieder voll Achtung und Ehrerbietung von Deutschland rede.

Der Wahlkampf hat wie immer die Parteileidenschaften in wildester Weise erregt und es ist nur gut, daß wir Menschen schnell vergessen können. So werden wir auch das Widerliche des Wahlkampfes bald hoffentlich vergessen haben.

Ueber eines freilich bin ich für meine Person bisher noch nicht hinweggekommen. Das ist die mehr als betrübende Tatsache, daß protestantische Geistliche, Graue-Berlin und Korell-Niederingelheim, sowie Professoren der prot. Theologie, Baumgarten-Kiel, Harnack-Berlin und Rade-Marburg, sämtlich Demokraten, es fertig gebracht haben, für den Kandidaten des Volksblocks und Zentrumsmann Marx einzutreten. Harnack richtete in der „Frankfurter Ztg.“ einen Aufruf an die evangelischen Deutschen, ihre Stimme Marx zu geben. Rade und Baumgarten benützten ebenfalls die „Frankfurter Ztg.“, Graue das „Berliner Tageblatt“ und Korell gar die „Germania“, um für Marx Stimmung zu machen.

Wer in der „Tägliche Rundschau“ davon las, zuletzt in einem treffenden Artikel von Prof. Rein-Jena, der mußte sich an den Kopf greifen und die Frage vorlegen: „Wie ists nur möglich, daß Männer, die das Evangelium als ihr höchstes Gut ehren, es über sich gewinnen, sich politisch mit Zentrumsleuten und Atheisten zu verbrüdern! Geht denn bei uns die doktrinäre Parteipolitik schon so weit, daß führende Männer unserer Kirche ihre evangelische Ueberzeugung kurzerhand opfern?“

Man kann und wird sagen, das ist eine reine Privatangelegenheit, die ein jeder mit sich selbst ausmachen muß. Aber ich bestreite dies und es muß im Interesse der Gesundung unseres Volkes mit allem Nachdruck darauf hingewiesen werden, daß das, was diese Männer taten, schlechterdings nichts anderes ist wie Verrat an der evangelischen Sache. Und wenn wir bedenken, daß unsere eigenste Arbeit im Grunde genommen Arbeit an der inneren Gesundung des Volkes ist, muß uns Pfarrer das Vorgehen der Genannten aufs tiefste betrüben und verletzen. Gewiß, wir achten die politische Ueberzeugung eines jeden, aber ich halte doch dafür, daß wir diesen Männern deutlich zeigen, einen wie schlechten Dienst sie nach unserem Empfinden der evangelischen Sache mit ihrem Eintreten für Marx geleistet haben. Das ist uns freilich nur bei einem der Genannten möglich, bei Rade, dem Herausgeber der „Christl. Welt“. Wem unter uns kann es jetzt noch Freude machen, dieses Blatt von Rade zu lesen? Für meine Person muß ich gestehen, daß ich die „Christl. Welt“ schon lange nicht mehr lese, weil mich der darin meist vertretene einseitige Pazifismus anwiderte.

Ich habe das andererseits natürlich wieder bedauert, da das Blatt über viele Fragen außerordentlich gut orientiert. Heute erachte ich es für geboten, an die Leser der „Christliche Welt“ unter den Herrn Kollegen die Anregung hinauszugeben, sie möchten einmal mit sich ernstlich zu Rate gehen, ob sie nicht unter kurzem Hinweis auf die eigenartige Stellungnahme des Herausgebers bei der Reichspräsidentenwahl die Zeitschrift abstellen wollen. Am wirksamsten wäre es wohl, wenn Rade dazu verpflichtet werden könnte, die Namen der Abbestellenden mit Angabe des Grundes für die Abbestellung in seinem Blatte selber zu veröffentlichen.“[Anm. 1]

E. Roland: Zur Reichspräsidentenwahl. In: Pfälzisches Pfarrerblatt Nr. 6/7, 1925. Keine Seitenzählung. Roland (1889–1947) wirkte im Jahre 1925 als Geistlicher in Rechtenbach.

0.4.Oswald Damian:

„Auch mir, dem die Worte von Kollege Roland über dieses Thema schwer auf die Nerven gegangen sind, sei es zur Nervenberuhigung gestattet, ein kurzes Wort dazu zu sagen. Wie kann ein junger Kollege bei Männern wie Harnack, Rade, Baumgarten so leichthin von „Verrat an der prot. Sache“ reden, also gleich das schwerste Geschütz auffahren, nur weil jene als politisch links gerichtet, für den Kandidaten der Linken und nicht den, der Rechten eingetreten sind?

Es setzt schon ein voll gerüttelt Maß von Parteifanatismus voraus, gleich zu einem solchen Verdammungsurteil zu kommen. Handelte es sich doch – und das muss ausdrücklich betont werden – bei der Wahl um eine rein politische Angelegenheit. Zu einer religiösen und kirchlichen Sache wurde sie aus naheliegenden Gründen erst von rechts gerichteten Kirchenblättchen abgestempelt. Die leichtgläubigen Wähler vor dieser bewußten Irreführung zu schützen, war das Recht, ja sogar die Pflicht jener Männer. Hätte die Bayer. Volkspartei die Wahl als Kirchensache betrachtet (für sie hatte man auf der Rechten doch wohl eine andere Auslegung) hätte sie unmöglich für den Protestanten Hindenburg gegen den Katholiken Marx gestimmt. Oder hat auch sie Verrat geübt an ihrer Kirche?

Ich glaube, man könnte mit mehr Grund von einem Verrat am Protestantismus reden (ich rede nicht davon) als Deutschnationale und Deutsche Volksparteiler und auch unsere pfälzische Synode im bayer. Konkordat der kathol. Kirche zu einem glänzenden Sieg über den Protestantismus (als solcher wird er dort gefeiert) verhalf. Ja da, da war es etwas ganz anderes, da war es nur politische Weisheit.

Warum auf einmal dem Zentrum so bitterböse sein? Gestehts doch offen ein, ihr lieben Kollegen: Waret Ihr in den letzten Jahren, zumal im Revolutionsjahr nicht Eurem Herrgott von Herzen dankbar, daß das Zentrum eine so große Macht im deutschen Staat und in Bayern ist, daß es uns mit ihren auch unsere wackeligen Altäre stützte und unsere ach so leere Kasse wieder mit schnödem Mammon füllte? Warum auf einmal so undankbar sein?

Auch erinnere ich daran, daß nach der Revolution ein Greifswalder streng positiver Theologieprofessor (der Name ist mir entfallen) sich als Zentrumskandidat aufstellen ließ. Warum war es damals kein Verrat an der prot. Sache? Ich hörte nie, daß eine Kirchenbehörde gegen diesen „Verräter“ einschritt.

Ich fürchte: nicht religiöse oder kirchliche, sondern rein parteipolitische Gründe haben Kollegen R. diesen fuchswilden Grimm in die Adern getrieben.

Natürlich war es auch linksgerichteten Protestanten keine besondere Freude, als ihnen Marx als Kandidat präsentiert wurde. Ich gestehe, daß ich mich schwer entschloß zu wählen. Erst Harnacks Aufruf in der Frankfurter Zeitung hat mich dazu geführt. Aber daß man auf der Linken stehend nicht rechts wählen kann, sollte man auch rechts begreifen können. Und warum gegen Baumgarten so scharf zu Felde ziehen, der in einer politischen Versammlung während der Gottesdienstzeit seine politische Meinung vertrat, wo doch ungezählte evangel. Pfarrer zu gleicher Zeit gar ihre Kanzel zu politischen (freilich rechts gerichteten) Parteireden benutzten. Aber vielleicht ist das das Verbrechen, daß man überhaupt links gerichtet ist.

Wie kann man als Pfarrer mit Kirchenfeinden und Atheisten halten? Doch abgesehen von der Frage, wo die meisten Atheisten sitzen, rechts oder links, wer hat die Linksparteien zu „Kirchenfeinden“ gemacht? Doch nur einzig und allein unsere Kirche selbst mit ihrer schroffen einseitigen politischen Rechtsorientierung. Ich frage: Was würde die politische Rechte tun, wenn heute alle evangel. Pfarrer demokratisch oder gar sozialistisch würden? Würde sie dann noch weiter schwärmen für die Erhaltung von Thron und Altar? Unsere Kirche muß, will sie Volkskirche werden und nicht Parteikirche bleiben, zuerst einmal lernen politisch neutral zu sein und wir Pfarrer müssen lernen: auf der Kanzel in parteipolitischen Dingen Maul halten, auch wenn es dem von „V[at]erlandesliebe“ schier überfließenden Herzen noch so schwer fällt, gegen die gottlosen Pazifisten nicht mehr losziehen zu dürfen, die das Unerhörte unternehmen den Frieden unter den Völkern zu ersehnen und daran zu glauben.

Zu diesen „Gottlosen“ gehört auch Rade und seine gottlose Zeitschrift, genannt „Christl. Welt“. Ich frage wieder: Ist es als Christ wirklich nicht zu ertragen, daß von den vielen protest. Zeitschriften die „Christl. Welt“ vielleicht als einzige pazifistisch angehaucht ist? Mögen Kollege Roland und die mit ihm gleicher Gesinnung sind, bedenken, welch gesunde Nervenkraft wir Unchristen und pazifistischen Vaterlandsverräter besitzen müssen, die wir täglich in gut christlichen Lokal- und Kirchenblättchen eine Sturmflut von christlichen, militaristisch-patriotischen Zeitungsartikeln über uns ergehen lassen müssen.

In allem Ernst: Ich möchte im Gegensatz zu Kollege Roland vielmehr zur Erwägung geben, ob es nicht von oben herab allen Kollegen (zur Nervenstärkung) zur Pflicht gemacht werden könnte die „Christl. Welt“ zu halten und zu lesen, da sie allen Anfeindungen zum Trotz wie keine ihrer Kolleginnen jederzeit sachlich und – gut christlich ist.“[Anm. 2]

Oswald Damian: Zur Reichspräsidentenwahl. In: Pfälzisches Pfarrerblatt, Nr. 6/7, 1925. Keine Seitenzählung, Hervorhebungen im Original.
Damian arbeitete 1925 als religiös-sozialistischer Pfarrer in Dahn. Seit 1920 stand Damian auf der Mitgliederliste der Freunde der Christlichen Welt und erhielt damit die vertraulichen Mitteilungen „An die Freunde“.

Nachweise

Autor: Karlheinz Lipp

Verwendete Literatur:

  • Lipp,Karlheinz: Religiöser Sozialismus in der Pfalz in der Weimarer Republik. Ein Lesebuch. Berlin 2019.

Erstellt am: 01.04.2021

Anmerkungen:

  1. E. Roland: Zur Reichspräsidentenwahl. In: Pfälzisches Pfarrerblatt Nr. 6/7, 1925. Keine Seitenzählung.Roland (1889–1947) wirkte im Jahre 1925 als Geistlicher in Rechtenbach. Zurück
  2. Oswald Damian: Zur Reichspräsidentenwahl. In: Pfälzisches Pfarrerblatt, Nr. 6/7, 1925. Keine Seitenzählung, Hervorhebungen im Original. Damian arbeitete 1925 als religiös-sozialistischer Pfarrer in Dahn. Seit 1920 stand Damian auf der Mitgliederliste der Freunde der Christlichen Welt und erhielt damit die vertraulichen Mitteilungen „An die Freunde“.  Zurück