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1.4 Quellenlage

Aktenvermerk zur Begnadigung 77 deutscher Gefangener, Januar 1920[Bild: Stadtarchiv Koblenz, Best. 623 Nr. 5102 & 5103]

„Alles, was man über die Ausdehnung des Amazonas und seiner Nebenflüsse hört und ließt [sic!], gibt keine Idee von seiner Unermeßlichkeit [sic!] als ganzes. Man muss monatelang auf seiner Oberfläche schwimmen, um zu verstehen, wie vollständig das Wasser längs seinen Ufern die Herrschaft über das Land hat. Sein Wasserlabyrinth ist nicht sowohl ein Netzwerk von Flüssen als vielmehr ein von Land durchschnittener und abgeteilter Ozean süßen Wassers, indem das Land oft nichts mehr ist als ein Archipelagus von Inseln in der Mitte derselben.“[Anm. 1]

- Friedrich von Hellwald, Geograph und Kulturhistoriker, 1876

In diese einem solchen Ozean gleichende Fülle von kaum berührtem, manchmal überwältigendem, manchmal lückenhaftem Quellenmaterial zur amerikanischen Rheinlandbesatzung einzutauchen und sie zu durchdringen, ist eine komplexe Angelegenheit. Bezogen auf die vorhandene Überblicksliteratur erhält der Leser zwar einen Einblick in das Gesamtthema, doch gleicht deren vager, zuweilen spärlich erfolgender Hinweis auf das äußerst vielfältige Quellenmaterial manchmal einer wie im Zitat angedeuteten ungenügenden Beschreibung der kaum zu begreifenden Ausmaße des genannten Gewässers.[Anm. 2]

Dem spezifischen Unterthema, nämlich der Erforschung von Delinquenz zwischen den amerikanischen Besatzern und deutschen Besetzten wurde, wie bereits erwähnt, in der neueren Forschung noch nicht genügend Aufmerksamkeit geschenkt. Die Überblicksliteratur muss daher zwingend durch Grundlagenforschung anhand der überlieferten Schriftquellen ergänzt und hinterfragt werden.

Die zeitnah entstandenen Werke jener Jahre geben nur allgemeine Auskunft über die amerikanische Besatzung, sodass für die vorliegende Arbeit vornehmlich auf bisher kaum bearbeitetes Archivmaterial, d. h. Aktenbestände deutscher und amerikanischer Behörden, zurückgegriffen wurde. An dieser Stelle sei nochmals darauf hingewiesen, dass sich die vorliegende Untersuchung auf die Jahre der amerikanischen Besatzung 1918 bis 1923 und das Koblenzer Stadtgebiet beschränkt. Dokumentierte Fälle von Delinquenz außerhalb dieses Raumes wurden daher nicht berücksichtigt. Dies hat mehrere Gründe:

Neben dem eingangs erwähnten Vorteil, sich auf den Ort mit der längsten, kontinuierlichen amerikanischen Besatzung zu beschränken, liegen die Gründe hierfür in der Quellenlage. Zum einen lagern im Landeshauptarchiv Koblenz und im Koblenzer Stadtarchiv die gesammelten, zur Untersuchung nötigen Aktenbestände deutscher Behörden. Diese beinhalten zwar auch Fallbeschreibungen aus der gesamten Zone, doch überwiegen die Hinweise auf Koblenzer Fälle. Zum anderen bleibt zu vermuten, dass einige Akten zu Fällen außerhalb von Koblenz noch in kleineren Orts- und Gemeindearchiven innerhalb der ehemaligen Zone lagern, doch hätte eine derart detaillierte Auswertung den Rahmen dieser Arbeit überschritten. Weiterhin wurde der Großteil der Bestände der amerikanischen Militärbehörden nach dem Abzug der amerikanischen Truppen in die USA verbracht, sodass für diese Arbeit weitgehend deutsche Quellen verwendet werden mussten.[Anm. 3] So waren die dort vermutlich dokumentierten Fälle von Straftaten, die von amerikanischen Besatzungsangehörigen begangen wurden, dem Verfassers nicht zugänglich.[Anm. 4]

Coblenz Relating to Alleged Assaults Made by U.S. Army Personnel on German Civilians, 1921 – 1922.”  Auch hier hätte eine tiefgehende Untersuchung der amerikanischen, jenseits des Atlantiks verwahrten Quellen die hier zur Verfügung stehenden Kapazitäten überdehnt. Die Entscheidung unter den gegebenen Umständen ausschließlich die Überlieferungen der Koblenzer Archive zu konsultieren und sich somit auf das Koblenzer Stadtgebiet zu beschränken lag nahe.

Zu den themenspezifischen Quellen muss nochmals darauf hingewiesen werden, dass das gesamte bekannte Material bisher nur minimal erforscht wurde.[Anm. 5] Dies verursachte einen Mehraufwand insofern, dass so viele, dem Thema US-Besatzung zugehörige und im gegebenen Rahmen zugängliche, Quellen wie möglich eingesehen bzw. ausgewertet werden mussten, sodass eine gewisse Vollständigkeit der Untersuchung gewährleistet werden kann. Die hier untersuchten Quellen sind ausnahmslos Schriftquellen. Im Hinblick auf die überwältigende Menge von Quellenmaterial bei gleichzeitiger Unvollständigkeit innerhalb desselben und dort zuweilen herrschender Unordnung, kann diese Arbeit keinen Anspruch auf Vollständigkeit bei der Quellenerforschung erheben. Interessanterweise wurde dieser Missstand schon seinerzeit vom Koblenzer OB Russell beklagt:

„Anliegend übersende ich gleichartige Formulare in denen schlagwortartig die Tatbestände, soweit sie sich aus den hiesigen Akten ergeben, niedergelegt sind. Die Angaben sind jedoch lückenhaft, ungenau und vielfach überholt. Ich ersuche daher […] um Vervollständigung, bezw. [sic!] Berichtigung der Listen.“[Anm. 6]

Bei der Untersuchung war es zum Teil frustrierend festzustellen, dass der eingesehene Aktenbestand zwar immens, insgesamt aber lückenhaft bzw. unvollständig ist. Aufgrund dessen kann der überwiegende Teil der aktenkundigen Fälle nicht in Gänze nachvollzogen werden und liefert daher nur mosaiksteinhafte Beiträge zur vorliegenden Arbeit. Die grundlegende Erforschung und Dokumentation der Besatzungszeit anhand der Überlieferungen insgesamt wird Historiker wohl noch über Jahre beschäftigen.

Das Koblenzer Stadtarchiv bietet eine Fülle an Aktenmaterial aus der Besatzungszeit. Das Landeshauptarchiv Koblenz beherbergt ebenfalls viele Dokumente[Anm. 7] auf Mikrofilm und in gedruckter Form bezüglich der amerikanischen Rheinlandbesatzung, wobei der Themenschwerpunkt dort bei der politischen Organisation, Fragen bezüglich der IRKO und Besatzungsangelegenheiten bezüglich der gesamten Zone bzw. aller besetzten Gebiete liegt. Das Gros der Akten, die sich mit Delinquenz in Koblenz bzw. der Besatzung in Koblenz befassen, befindet sich im örtlichen Stadtarchiv.

Zu den untersuchten Aktentypen gehören Gerichts- und Schadensakten, Polizeiakten, allgemeine Besatzungsakten sowie aktenkundige Zeitungen bzw. Zeitungsausschnitte.[Anm. 8] Der überwiegende Teil der Überlieferungen stammt aus den Jahren 1919 bis 1922. Aktenstücke aus der übrigen Besatzungszeit fanden sich seltener, was die Aussagekraft dieser Untersuchung einschränkt. Für diese Arbeit besonders ergiebig in puncto dokumentierter Delinquenz waren die Gerichts- und Schadensakten. Insgesamt wurden ca. 2.800 Seiten an Archivmaterial gesichtet und ausgewertet.

Die Aktenkorpora beinhalten im Allgemeinen eine Vielzahl unterschiedlicher Schriftstücke, die generell grob nach Verfassungsdatum archiviert wurden. Oft waren einzelne Stücke aber, obwohl klar mit Datum gekennzeichnet, an weder chronologisch, noch thematisch nachvollziehbarer Stelle innerhalb derselben Akte abgeheftet.[Anm. 9]

Gerichtsakten“, mit vielen zur US-Besatzung gehörenden Hinweisen, innerhalb der themenfremden Akte „5105 Allgemeine Gerichtsakten“, die wiederum erst mit dem Jahr 1925 begann und augenscheinlich nur Schriftstücke zu französischer Gerichtsbarkeit enthielt; Vgl. SA, KO, Best. 623, Nr. 5104 – Allgemeine Gerichtsakten. In: SA, KO, Best. 623, Nr. 5105 – Allgemeine Gerichtsakten.

Zu den in allen Aktentypen am häufigsten vorkommenden Schriftstücken gehörten Berichte und Dossiers diverser, sowohl deutscher als auch amerikanischer Funktionäre und Beamte an Kollegen, übergeordnete Stellen oder an ihre Kontakte bei der jeweils anderen Nation. Ebenso fanden sich Denkschriften und Weisungen, die sich mit vielfältigen Problemen innerhalb der Besatzungszone, der Organisation von Behörden und dem Umgang mit Delinquenz und den Delinquenten befassen.

Oft waren diese Schreiben von wichtigen Entscheidungsträgern oder in deren Auftrag verfasst worden. Zu nennen sind hier besonders der Chef des Office of Civil Affairs (OCA), Colonel Hunt, und sein Kollege Colonel Stone[Anm. 10], der Vorsitzende des Board of Pardons (Gnadengerichtshof) Captain Fieker, der Koblenzer Oberbürgermeister Russell oder der Stadtverordnete (Anwalt) Schwink. Dass sich diese Korrespondenz untereinander erhalten hat, ist ein Glücksfall für die Forschung. Denn somit haben sich ihre direkten und unverfälschten Äußerungen und Meinungen in unmittelbarem zeitlichen Abstand zu den jeweiligen Geschehnissen erhalten. Dieser direkte Schriftwechsel ist insofern wichtig für die vorliegende Arbeit, als dass er durchweg zwischen zwei Personen, die sich oftmals sogar persönlich kannten, stattfand. Meistens wurden darin konkrete, unmittelbar anstehende Sachverhalte besprochen, wie z. B. die Besuchererlaubnis eines Delinquenten, aber auch Beschwerden und Anregungen unterschiedlichster Art sind dokumentiert. Am häufigsten fanden sich dabei konkrete Aufforderungen einer Person bzw. Behörde an die andere. Die Themen wurden konkret diskutiert und scheinbar vertraulich behandelt. Mit jedem Schreiben wurde versucht ein unmittelbares Ziel zu erreichen. Demnach darf angenommen werden, dass dieses Schriftgut unverfälscht und nicht, z. B. zum Zweck weitreichender Meinungsbildung in der Bevölkerung, in irgendeiner Weise gefärbt war. Etwas differenzierter musste sich dem übrigen, teils öffentlich rezipierten Material, wie Zeitungsberichten, Denkschriften und allen Berichten über die Besatzungssituation genähert werden. Zum einen galt innerhalb der Besatzungszone die Pressezensur. Zum anderen stellten Funktionäre beider Seiten in ihren Berichten eigene bzw. der eigenen Nation entsprechende Interessen besonders heraus und schätzten demgegenüber häufig die Ansichten der Gegenseite gering.

Überwiegend wurde das vorliegende Schriftgut per Schreibmaschine, seltener handschriftlich verfasst. Die deutschen Handschriften sind überwiegend in deutscher Kurrentschrift bzw. Sütterlin verfasst worden; die seltenen amerikanischen hingegen ausnahmslos in lateinischer Schreibschrift. Teilweise wurden die Texte, sowohl in handschriftlichem Entwurf als auch in nachfolgender, maschinenschriftlicher Reinschrift zusammengefasst archiviert. Die Zeitungsberichte bezüglich der Besatzung waren im Original entweder in Form ganzer Zeitungen oder als Ausschnitt archiviert worden.

Der Erhaltungszustand der Akten war meist gut, doch gab es Ausnahmen. Manchmal war die verwendete Tinte derart verblichen, dass ein Lesen kaum (noch) möglich war. An anderer Stelle waren Seiten beschädigt, zuweilen gar mutwillig beschädigt worden.[Anm. 11] Je nach Zustand eines Schriftstücks variierte auch der entsprechende Informationsgehalt.

Die Gerichtsakten waren in der Regel fallspezifisch sortiert. Hier fanden sich neben oben genannter Korrespondenz Dokumente, die in Textform mal mehr, mal weniger ausführlich Fälle von Delinquenz, die von deutschen Bürgern ausging, sachlich schilderten. Hinzu kamen von amerikanischen Behörden vorgefertigte Anklagebögen, sogenannte Charge Sheets, die handschriftlich ausgefüllt wurden und im Idealfall die begangenen strafbaren Handlungen exakt dokumentierten. Hinzu kamen des Öfteren Gnadengesuche der Herren Russell oder Schwink, die sich in begründeten Fällen für die Begnadigung oder Milderung von Strafen von Einzelpersonen aussprachen. Diese Gnadengesuche bzw. die dazugehörige Korrespondenz mit den amerikanischen Militärbehörden stellte meist die einzige Quelle für verhängte Strafen in Einzelfällen dar. Dokumente, die das verhängte Strafmaß exakt schilderten, waren hingegen selten aufzufinden. Formelle Urteile gar ließen die Gerichtsakten, wie auch die übrigen Akten, ganz vermissen. In einer der

Gerichtsakten fanden sich außerdem einige Monatsstatistiken mit Zahlenangaben über behandelte bzw. verurteilte Fälle deutscher Delinquenz.[Anm. 12] Nähere Informationen z. B. über Namen der Delinquenten und Schwere der Tat boten sie jedoch nicht.[Anm. 13]

Ähnlich den Gerichtsakten lagen die Schadensakten zu Personenschäden vor. Nach deutschen Einzelfällen grob chronologisch sortiert, beinhalteten auch sie eine Fülle an Korrespondenz verschiedener Behörden und Personen. In den Schadensakten waren grundsätzlich die entsprechenden Schadensersatzforderungen von deutschen Geschädigten archiviert. Diese richteten sie nach einer Schädigung durch einen Angehörigen der amerikanischen Besatzungstruppen an die zuständigen Behörden. Diese Schadensakten bildeten den größten Fundus, wenn es um nachvollziehbar dokumentierte amerikanische Delinquenz in Koblenz geht. Denn wie bereits angedeutet, geben die Koblenzer Quellen hauptsächlich Aufschluss über strafbare Handlungen von Deutschen. Amerikanische Straftaten tauchen in den übrigen Akten bloß beiläufig d. h. in Folge dazugehöriger deutscher Fälle auf. Zusätzlich verdeutlicht das Schadensaktenkorpus die meist negativen sozialen und materiellen Folgen, mit denen die Geschädigten zu kämpfen hatten.[Anm. 14]

Adolf Altengraben; SA, KO, Best. 623, Nr. 5536 Cornelia Baum; SA, KO, Best. 623, Nr. 5537 Jakob Brack; SA, KO, Best. 623, Nr. 5540 Wilhelm Schweikert; SA, KO, Best. 623, Nr. 5541 Michael Simom; SA, KO, Best. 623, Nr. 5543 Maria Weber – Personenschäden aus der Amerikanerzeit.

An dieser Stelle müssen Ausführungen zu amerikanisch-verursachten Sachbeschädigungen[Anm. 15] vorweggegriffen werden: Während der Besatzung trat die Sachbeschädigung mit Abstand am häufigsten von allen Delikten auf und dessen Überlieferungen fanden daher Eingang in ganz eigene Aktenkontingente. Die Akten des Stadtarchivs zu den Besatzungsschäden in Form von Requisitions- und Sachschäden umfassen etwa 7.400 Seiten, wovon etwa 2.900 Seiten allein Teil der Schadenersatzakten zu verursachten Sachschäden sind.[Anm. 16] Eine klare Abgrenzung zwischen den Fällen in Form von Kategorisierungen der Akten fand innerhalb des Bestands nicht statt, sodass äußerlich nicht erkennbar war, welche Akten nun vorsätzliche, und somit den Tatbestand einer Sachbeschädigung erfüllende, Beschädigungen und Zerstörungen beinhalteten und welche Akten sich nur mit Schäden befassten, die unbeabsichtigt entstanden und somit auch nicht als Straftat zu werten sind. Aufgrund des immensen Umfangs und des beschränkten Rahmens dieser Arbeit, konnte eine ausführliche Untersuchung dieses Materials nicht geleistet werden. Die Akten wurden daher nur stichprobenartig untersucht. Zudem gaben die übrigen Besatzungs- und Polizeiakten allgemeinen, aber hinreichenden Aufschluss über dieses Delikt, sodass sich im Zusammenspiel mit exemplarisch angeführten Fällen klare Tendenzen zu Sachbeschädigungen ableiten lassen.[Anm. 17]

Die vorliegenden Polizeiakten beschäftigten sich mit unterschiedlichen, die tägliche Polizeiarbeit betreffenden Angelegenheiten. Neben Statusberichten zur öffentlichen Ordnung und Lage der Koblenzer Bevölkerung, Inventarlisten, abgedruckten Anordnungen und Richtlinien, beinhaltete die Akte Korrespondenz diverser Verantwortlicher und einzelne Deliktbeschreibungen. Sie boten zusammen mit den beiden zuvor beschriebenen Aktentypen die größte Anzahl an spezifischen Anhaltspunkten zur Koblenzer Delinquenz.[Anm. 18]

Eine einzelne Akte bestand aus zusammengefügten Polizeimeldungen über Koblenzer Delikte ausgehend von amerikanischen Soldaten. Jede der aktenkundigen Meldungen enthielt detaillierte Berichte zum Sachverhalt strafbarer Handlungen, bei denen deutsche Bürger zu Schaden kamen. Sie wurden zeitnah zu den Geschehnissen verfasst und mit

Opfer- bzw. Zeugenaussagen unterfüttert. Diese Polizeimeldungen decken jedoch nur den Zeitraum vom Mai 1920 bis zum Mai 1921 ab. Für die übrige Besatzungszeit fehlen entsprechende Meldungen. Da die dort genannten Täter ausnahmslos amerikanische Besatzungsangehörige waren, übernahmen, wie auch unter Kapitel 2.1 näher erläutert, amerikanische Militärbehörden die weitere Aufklärung der Fälle und die Verurteilung der Täter. Obwohl später häufig geschildert wird, dass entsprechende Täter gefasst wurden, lassen diese Ergänzungen weitere Informationen zu den Tätern, wie z. B. den Namen vermissen. Durch das Fehlen dieser nun von US-Behörden weitergeführten Fallakten konnten der überwiegende Teil der gemeldeten Fälle in ihrem weiteren Verlauf nicht nachvollzogen werden. Dennoch bilden die Polizeimeldungen einen ersten Ansatz beim Nachvollziehen amerikanischer Delinquenz.[Anm. 19]

Zusätzlich zu den Gerichts-, Polizei- und Schadensakten, die Informationen speziell zu dem Thema dieser Arbeit lieferten, wurden auch die übrigen im Stadtarchiv vorhandenen Besatzungsakten[Anm. 20] auf Hinweise untersucht. Ähnlich wie die zuvor beschriebenen Akten chronologisch sortiert, behandelten diese in Form von (Monats-)Berichten, Zeitungsausschnitten und diverser Korrespondenz in zumeist sachlicher Weise Fragen rund um die amerikanische Besatzung am Rhein bzw. in Koblenz und deren Alltag.

Hinzu kamen noch eigene Besatzungsakten mit Statistiken über Personen- und Sachschäden aus der gesamten Besatzungszone. Diese decken jedoch nur den Zeitraum zwischen April 1919 und August 1921 ab und dienten der Feststellung der beanspruchten Schadenersatzbeträge zur Übermittlung an amerikanische Behörden. Von ihnen erhoffte sich die Stadt Koblenz die Übernahme der Beträge nach dem Separatfrieden vom 28. August 1921. Die Statistiken beinhalteten nur die Namen der Geschädigten und schlagwortartige Bezeichnungen des Schadens und seltener den Zeitpunkt des Geschehens, sodass sie leider kaum nähere Informationen zu den aufgelisteten Fällen boten. So wird beispielsweise kaum ersichtlich, ob es sich bei den Fällen um Unfälle oder vorsätzliche bzw. fahrlässige Schädigungen handelt.[Anm. 21]

Abgesehen von dem o. g. Archivmaterial wurde die zeitnah zu den Ereignissen erschienene Literatur herangezogen. So boten deutsche Arbeiten aus den zwanziger und frühen dreißiger Jahren eine detaillierte, wenn auch oftmals gefärbte, antiamerikanische Sichtweise auf die damaligen Geschehnisse.[Anm. 22] Besonderen Stellenwert hat hingegen die Edition von VOGELS, in der alle, die vorliegende Untersuchung tangierende, Vertragswerke, namentlich den Waffenstillstandsvertrag, den Versailler Friedensvertrag nebst dem dazugehörigen Rheinlandabkommen sowie die von der IRKO erlassenen Verordnungen in einem Band zusammengefasst sind.[Anm. 23]

Demgegenüber ermöglichen auch damalige amerikanische Werke unterschiedlicher Gattungen, wie Erlebnisberichte aus der Besatzungszeit oder andere Kriegserinnerungsliteratur, einen breiten Überblick über die Besatzung, stellen ihn aber wiederum oft in einem verklärenden, pro-amerikanischem Licht dar.[Anm. 24] Außerdem wurden die in den frühen 1920er Jahren im Auftrag der US-Army verfassten Reports zur Untersuchung der Besatzungszeit eingesehen.[Anm. 25] Der HUNT-Report ist der umfangreichste und für sein frühes Erscheinen der objektivste, zur erstmaligen Untersuchung der Besatzungszeit in Auftrag gegebene, Report. Er entstand auf Weisung General Allens im Jahr 1920, wurde aber erst 1943 publiziert.[Anm. 26] Die übrigen Reports beschränken sich zumeist auf die schlichte Dokumentierung des gesamten europäischen Einsatzes der amerikanischen Expeditionsstreitkräfte ab 1917. Die Besatzungszeit wird nur partiell behandelt. Eine differenzierte, objektive Aufarbeitung findet hier nicht statt, vielmehr bestehen die Reports aus einer Dokumentation ausgegebener Befehle und Kommentare der damaligen Entscheidungsträger sowie aus zum Teil verklärenden Darstellungen des Soldatenalltags. Somit bilden die Reports zwar eine für das Besatzungsthema insgesamt wertvolle Quelle, für diese Untersuchung sind sie jedoch kaum von Nutzen.

Nähere Einzelheiten und relevante Informationen speziell zum Thema der vorliegenden Arbeit finden sich in den frühen Werken beider Seiten selten. Dennoch darf auf diese frühen literarischen Abhandlungen bzw. auf die beginnende Aufarbeitung nicht verzichtet werden, bieten sie doch einen Einblick in die damalige Sichtweise bestimmter beteiligter Gruppen, andererseits ist ihr Informationsgehalt für eine überblicksweise Erforschung der Besatzungszeit nicht zu unterschätzen.

Anmerkungen:

  1. HELLWALD, FRIEDRICH VON: Die Erde und ihre Völker. Ein geographisches Hausbuch. Stuttgart [u. a.] (4. Aufl.), 1897. Der Verfasser distanziert sich hiermit von jeglichen ideologischen Ansichten Hellwalds. Dessen Amazonas-Beschreibung dient an dieser Stelle nur zur Verdeutlichung des zunächst undurchdringlich erscheinenden Quellenmaterials. Zurück
  2. Vgl. 3. Forschungsstand.  Zurück
  3. Die amerikanischen Schriftquellen, zusammengefasst unter der Kategorie „Records of the American Expeditionary Forces (World War I), 1848 – 1942“, lagern in den National Archives in Washington D.C. und in weiteren Archiven in den USA. Dazu gehören auch die für diese Untersuchung eigentlich relevanten Überlieferungen des OCA, dem die Militärgerichtsbarkeit innerhalb der Besatzungszone unterstand. Da die Schriftstücke in Papierform oder auf Mikrofilm archiviert und in der Regel nicht online zugänglich waren, kamen sie für die hier angestellte Untersuchung nicht in Betracht.  Zurück
  4. Zu nennen wären die hierfür besonders interessanten „Reports of the Criminal Investigations Division at  Zurück
  5. Wie unter 1.3 Forschungsstand erklärt, beschäftigte sich nur HENNING im Rahmen der Ernst BiestenBiographie mit dem Thema und wertete diesbezüglich einige Koblenzer Akten aus; Vgl. HENNING, 1996; SA KO, Best. 623, Nr. 5103 – Besatzungsgerichte.  Zurück
  6. SA, KO, Best. 623, Nr. 5161 – Statistiken des Koblenzer Besatzungsamts, Schadenersatzabteilung, S. 31. Zurück
  7. Vgl. LHA, KO, Best. 403 Nr. 14725, 14726 - Verhältnis der Besatzung zur Bevölkerung und zu den Behörden.  Zurück
  8. Zur Auflistung der einzelnen Akten, siehe Quellen- und Literaturverzeichnis   Zurück
  9. Zu Verwunderung des Verfassers führte z. B. das Auffinden der gesamten Sachakte „5104 Allgemeine  Zurück
  10. Die Aufgabenteilung der beiden Genannten war nicht zweifelsfrei zu klären. Augenscheinlich treten Schriftstücke Col. Hunts öfter in der frühen Besatzungsphase zutage, während sich zu Col. Stone in den Quellen aus späterer Zeit mehr Schriftgut finden lässt. Es ist also denkbar, dass Col. Stone zu einem unbestimmten Zeitpunkt Col. Hunt ersetzte.  Zurück
  11. In einer Akte bezüglich sich in der Besatzungszone aufhaltenden „Frauenpersonen“ wurden über dutzende Seiten Tabellen geführt. Leider war der jeweilige Tabellenkopf mit den zum Verständnis nötigen Spaltenbezeichnungen abgerissen worden. Für diese Untersuchung verlor diese Akte somit sämtlichen Nutzen; Vgl. SA, KO, Best. 623, Nr. 4581 – Akten betreffend Frauenzimmer. Zurück
  12. Vgl. SA, KO, Best. 623, Nr. 4736 E-F, 4576 H, 4737 M, 4577 N-O, 4578 R, 4579 S, 4738 St-V, 4739 W-Z – Gerichtsakten aus der Amerikanerzeit; SA, KO, Best. 623, Nr. 5104.  Zurück
  13. Zur Auswertung und Verwendung dieser sehr seltenen Statistiken siehe Kapitel 2.2.2.  Zurück
  14. Vgl. SA, KO, Best. 623, Nr. 4640 Dollarfond; SA, KO, Best. 623, Nr. 5220 Steinebach Jakob, Franz &  Zurück
  15. Deutsch verursachte Sachbeschädigungen an amerikanischem Eigentum trat demgegenüber äußerst selten auf.  Zurück
  16. Vgl. KOELGES, MICHAEL: Findbuch III: Akten und Amtsbücher 1814-1945, mit einzelnen Nachträgen bis 1973. In: Koelges, Michael [u. a.] (Hrsg.): Findbücher des Stadtarchivs Koblenz. Bd. 6. Koblenz 2011, S. 135-138.  Zurück
  17. Siehe Kapitel 4.2.1 Zurück
  18. Vgl. SA, KO, Best. 623, Nr. 5534 – Besatzung (Polizei-Akten).  Zurück
  19. Vgl. SA, KO, Best. 623, Nr. 4563 – Polizeimeldungen; Vergleicht man diese Polizeimeldungen zu amerikanischer Delinquenz mit den Schadensakten zu Personenschäden, fällt auf, dass kein einziger Fall in beiden Akten gleichzeitig auftaucht. Dies lässt mehrere Schlüsse zu: Zum einen könnten sich die Fälle aus den Schadensakten unmittelbar unter den Augen der MP zugetragen haben, sodass die Koblenzer Polizei erst erheblich später davon erfuhr und keine umgehende Meldung mehr herausgab. Zum anderen besteht die Möglichkeit, dass sämtliche Schadenersatzansprüche, die aus den Meldungen hervorgehen abgewiesen oder ohne weiteren Schriftverkehr beglichen wurden.  Zurück
  20. Vgl. SA, KO, Best. 623, Nr. 4560; SA, KO, Best. 623, Nr. 4574 - Stadt Coblenz Besatzungsamt. PresseHeft II. Zeitungsausschnitte (Allgem.); SA, KO, Best. 623, Nr. 4581; SA, KO, Best. 623, Nr. 5775 – Geheimakten des Besatzungsamtes; SA, KO, Best. 623, Nr. 5786 – Allgemeine & besondere Akten betreffend Die amerikanische Besatzung; SA, KO, Best. 623, Nr. 6286 – Das unberechtigte Jagen durch die amerikanischen Besatzungstruppen im Stadtwalde. Zurück
  21. Vgl. SA, KO, Best. 623, Nr. 5161. Zurück
  22. Vgl. KENTENICH, GOTTFRIED: Trier und das trierer Land in der Besatzungszeit 1919-1930. 12 Jahre unter der Geißel der Fremdherrschaft. Trier 1930; WENZ, JAKOB: Elf Jahre in Fesseln! Die Leidensgeschichte der Koblenzer Bevölkerung während der Besatzungszeit. Koblenz 1929. Zurück
  23. Vgl. VOGELS, 1925. Zurück
  24. Vgl. ALLEN, 1923; BACH, CHRISTIAN A. [u. a.]: The Fourth Division. Its Services and Achievements in the World War. New York 1920; AMERICAN BATTLE MONUMENTS COMMISSION: American Armies and Battlefields in Europe. A History, Guide, and Reference Book. Washington D.C. 1938. BALDWIN, MARIAN: Canteening Overseas 1917-1919. New York 1920; DICKMAN, 1927; INTERNATIONALES VERKEHRSBUREAU „MENTOR“: Description of the American Bridge Head. Koblenz 1919; ENGLISH, GEORGE H. JR.: History of the 89th Division, U.S.A. From its Organisation in 1917, through its Operations in the World War, the Occupation of Germany and Until Demobilization in 1919. Denver 1920; HEMENWAY, FREDERIC V.: His-tory of the Third Division United States Army in the World War. For the period December 1, 1917 to January 1, 1919. Andernach 1919; INMAN GREENMAN-CLAWSON, 1929; THE SECOND DIVISION ASSOCIA-TION: Commendations of Second Division. American Expeditionary Forces. France 1917-1919 Germany. Köln 1919; THE SOCIETY OF THE FIRST DIVISION: History of the First Division during the World War 1917-1919. Philadelphia 1922; THE SOCIETY OF THE FIFTH DIVISION: The official History of the Fifth Division U.S.A. During the Period of its Organization and of its Operation in the European World War, 1917-1919. Washington D.C. 1919; WYTHE, GEORGE: A History of the 90th Division. New York 1920. Zurück
  25. Vgl. ADAMS, JAMES G.: Review of the American Forces in Germany. Koblenz 1921; BAGBY, PHILIP H.: American Representation in occupied Germany. 1922-1923. Carlisle 1943; HUNT, 1943; THE INTELLI-GENCE SECTION (THE ENEMY ORDER OF BATTLE SUBSECTION): Candid Comment on the American Soldier of 1917-1918 and Kindred Topics by the Germans. Soldiers, Priests, Women, Village Notables, Politicians and Statesmen. Chaumont 1919; THE QUARTERMASTER CORPS SCHOOL: Monograph No. 9. Notes on Army, Corps and Division Quartermaster Activities in the American Expeditionary Forces – France. In: The Quar-termaster Corps School (Hrsg.): Operations of the Quartermaster Corps U.S. Army during the World War. Philadelphia 1929. Zurück
  26. Vgl. HUNT, 1943.  Zurück