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Das Jahr 1900 – Das Kaiserreich und das Bürgerliche Gesetzbuch (BGB)

Vor dem Jahr 1900 war das Privatrecht in den verschiedenen Teilen des Deutschen Reichs unterschiedlich geregelt.[Bild: Ziegelbrenner / [CC-BY-SA 3.0]]

„Das neue Jahrhundert bringt die größte That [sic!] zur Wirkung, welche das deutsche Rechtsleben aufzuweisen hat“[Anm. 1] - mit vergleichbar pathetischen Worten wurde das BGB überall im Reich begrüßt. Denn das 1871 neu gegründete Kaiserreich hatte im Vergleich zu seinen älteren Nachbarstaaten noch einen sehr großen Vereinheitlichungs- und Normbedarf. 

Der Historiker Thomas Nipperdey formulierte dies folgendermaßen: „Das neugegründete Reich hatte noch keine Gesetze, und es brauchte Gesetze, einheitliche Gesetze, viele Gesetze“[Anm. 2]  Zur Regelung des Privatrechts trat daher am 1. Januar des Jahres 1900 im gesamten Deutschen Reich das Bürgerliche Gesetzbuch in Kraft. Es ersetzte mehrere Regelungen des Privatrechts in den verschiedenen deutschen Ländern – im rheinland-pfälzischen Raum den noch aus napoleonischer Zeit beibehaltenen Code civil.

Es handelt sich beim BGB um eine Kodifikation von Privatrecht. Diese Privatrechtskodifikation wurde dadurch in eine viel weiter gefasste Gesamtrechtsordnung eingebettet.  Die normativen Fundamente des Gesetzes waren Freiheit und Gleichheit – also Normen, die zum Zeitpunkt seiner Entstehung allgemein noch häufig als unzeitgemäß erschienen.  Der Rechtshistoriker Hans Schulte-Nölke beschrieb diese Diskrepanz folgendermaßen: „So entspricht die dem BGB zugrunde liegende Vorstellung vom Privatrechtssubjekt, der freie und selbstbewußte, von wirtschaftlichen Zwängen unabhängige Bürger, eher der nach 1945 in Westdeutschland entstandenen Gesellschaft des Massenwohlstandes als den sozialen Verhältnissen am Ende des 19. Jahrhunderts“. [Anm. 3]

Man versuchte die liberalen Grundprämissen einer freiheitlichen Gesellschaft abzusichern, gleichzeitig aber auch die Durchsetzbarkeit und Dauerhaftigkeit des Gesetzes zu gewährleisten. Die große, politisierende Frage der Zeit, nämlich der Konflikt zwischen Industrialisierung und Proletarisierung, wurde für das Gesetz ausgeklammert. Zentrale Gerechtigkeitsfragen der sich entwickelnden Industriegesellschaft wurden daher durch das BGB zunächst nicht abgedeckt. Denn es handelte sich beim BGB im Jahr 1900 vor allem um eines: Einen meisterhaften Kompromiss.  [Anm. 4]

Das neue Gesetz war dabei in seiner Beschaffenheit außerordentlich flexibel und besaß von Anfang an das Potential für eine wie auch immer geartete Modernisierung. Während des Ersten und des Zweiten Weltkriegs, aber auch während der Nachkriegszeit in BRD und DDR sowie seit 1990 im wiedervereinten Deutschland, wurde das Gesetz daher stets den – aus heutiger Sicht nicht immer positiv erscheinenden – Anforderungen der Zeit angepasst und blieb bis zum aktuellen Tag die zentrale Kodifikation im deutschen Privatrecht.

Verfasser: Simeon Thomas Pfeiffer

 

Weiterführende Literatur:

  • Damm, Reinhard: Das BGB im Kaiserreich. In: Diederichsen, Uwe; Sellert, Wolfgang (Hrsg.): Das BGB im Wandel der Epochen. Göttingen  2002 (Abhandlungen der Akademie der Wissenschaften zu Göttingen. Philologisch-Historische Klasse, Dritte Folge, Bd. 248), S. 9-67.

 

Erstellt: 08.11.2016

 

Anmerkungen:

  1. Erste Seite der Juristischen Wochenschrift vom 01.01.1900 zur Begrüßung des BGBs. Zitiert nach Damm, 2002, S. 10. Zurück
  2. Zit. Thomas Nipperdey, zitiert nach Damm, 2002, S. 13. Zurück
  3. Damm, 2002, S. 12-16. Zurück
  4. Damm, 2002, S. 15. Zurück