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Vorschlag zu einem jährlichen öffentlichen Kinderfeste

Eine Kreuznacher Initiative aus dem Jahre 1806

von Jörg Julius Reisek

Die ersten Jahrgänge des ,,Kreuznacher Wochenblatt", ab 1805 bei Emerich Jacob Henß erschienen, enthielten neben Bekanntmachungen, Anzeigen und Fruchtpreisen auch ,,gemeinnützliche Vorschläge". Diese waren weniger als Lückenfüller gedacht, sondern mehr als absatzförderliches Mittel. Die Resonanz des Publikums gab dem Konzept des Herausgebers recht. So betitelte im Dezember 1805 der Leser „XYZ“ das Wochenblatt als ,,Kreuznacher Zankblatt".

Neben kuriosen Vorschlägen, wie der Abschaffung der Trauerkleidung, des Leichenmahles und des ,,Hänselns unserer Weiber und Mädchen", gab es auch Beiträge, die Aufmerksamkeit verdienen. Bei dem ,,Vorschlag zu einem jährlichen öffentlichen Kinderfeste" vom l. 3. 1806 ist dies der Fall.

Der Aufruf ist als Satire gegen die verordnete öffentliche Festkultur der napoleonischen Zeit zu verstehen. Die Festlichkeiten liefen immer nach einem einheitlichen Muster ab: Nach dem Einläuten des Festes durch alle Glocken der Stadt bewegte sich ein Festzug, an dem alle Behördenvertreter mit Fahnen, die Schuljugend und die „Patrioten“ teilnahmen, vom Rathaus am Eiermarkt über den Kornmarkt zur Pauluskirche, in der eine dem Anlaß entsprechende Rede gehalten wurde. Den Abschluß des Festes bildete ein Ball am Abend. Die Bereitschaft der Bürger, sich an diesen Festen zu beteiligen, soll gering gewesen sein[Anm. 1].

Über die Durchführung eines Kinderfestes liegen keine Nachrichten vor.

Kreuznacher Wochenblatt, 1. 3. 1806[Anm. 2]

Vorschlag zu einem jährlichen öffentlichen Kinderfeste.

Ich glaube allen Eltern und Kinderfreunden eine Freude zu machen, wenn ich ihnen die Idee zu einem jährlichen Feste mittheile, das eigentlich nur für die Jugend bestimmt seyn soll, an welchem aber auch Erwachsene und namentlich die Eltern der Kinder mit Vergnügen Theil nehmen werden.

In vielen Gegenden von Deutschland und, wenn ich nicht irre, auch in Frankreich, feiert man gewisse Nationalfeste, deren Entstehung zum Theil im grauen Alterthume liegt. So abgeschmackt auch einige derselben in Hinsicht ihrer ursprünglichen Entstehung sind, bleiben sie doch immer sämtlich Gegenstände von allgemeinem Interesse für diejenigen Orte, an welchen sie gefeiert werden. Lange zuvor freut man sich auf einen solchen Tag - Theilnehmer und Zuschauer strömen zum Genusse desselben in Menge herbei und im Wirbel der Freude werden die Beschwerden des Lebens, sey es auch nur auf einige Stunden, vergessen und vergraben.

Sollten Kreuznachs Bewohner, denen die Natur eine so lachende Gegend, einen so fruchtbaren Boden - und ein freundliches Clima oder vielmehr ein gütiges Schicksal einen so heiteren Karakter, eine so jovialistische Stimmung verliehen hat - Kreuznachs Bewohner, die sich durch ihren industriösen Fleiß das Recht zu jedem Freudengenusse nach erfüllter Berufspflicht erwerben, sollten diese nicht vereint wirken, einem Nationalfeste das Daseyn zu geben, von welchem sie den doppelten Genuß haben, daß es vorzüglich für ihre Kinder bestimmt ist, in deren Freude sie gewiß die ihrige finden? Ich, selbst Vater von mehreren Kindern, freue mich so sehr auf die Organisation dieses Jugendfestes und zweifle so wenig an dem thätigen Interesse, welches mein Vorschlag finden wird, daß ich von demselben so spreche, als ob die Ausführung desselben jetzt schon gewiß sey.

Jährlich, an einem ohnabänderlich bestimmten Tage (Ungünstige Witterung würde das Fest um einige Tage verschieben) - ich schlage dazu den Dienstag nach Pfingsten vor - versammeln sich Nachmittags alle Kinder in ihren besten Kleidern, allenfalls mit Bändern und Blumen geschmückt auf den beiden Marktplätzen der Stadt und gehen dann, unter Anführung ihrer Lehrer (Die Lehrer würden den Vortrit unter einander durchs Loos bestimmen), und mit Musik begleitet paarweis auf einen ausserhalb der Stadt befindlichen freien Platz, wozu unsere Pfingstwiese treflich geeignet wäre. Dort erhalten sie Kuchen oder Bretzeln, Obst, Milch etc. und belustigen sich dann unter einander mit Spielen, Knaben und Mädchen abgesondert, über welche die Lehrer die nöthige Aufsicht führen. Zänkereien und Streitigkeiten würden dadurch bestraft, daß man die kleinen Unruhestifter auf eine halbe Stunde von ihren Kameraden entfernte und bei wiederholten Vergehen würden sie mit einem lauten Verweise von Seiten ihres Lehrers nach Hause geschickt. Mit einbrechender Nacht gehen die Kinder, in der nämlichen Ordnung wie sie kamen, unter dem Vortritte der Musik, wieder zurück.

Unter aufgeschlagenen Zelten finden die Erwachsenen, gegen die Gebühren, Speise und Getränke, wofür die Thätigkeit des Herrn Kiski[Anm. 3] schon sorgen wird. Die sehr geringen Kosten dieses Festes, für Musik, Bretzeln, Obst etc. würden durch freiwillige Beiträge der Eltern bestritten. Alle Eltern werden gewiß gern der Freude ihrer Kinder eine Kleinigkeit opfern. Sollten aber einige aus Armuth oder Laune nichts dazu hergeben, so sollen dem ohnerachtet ihre Kinder, die für die Armuth oder für die Laune ihrer Eltern nichts können, Theil am Feste nehmen. Kein Kind soll darin ausgeschlossen seyn, kein Religionsunterricht (der ohnehin kein Absönderungsmittel für jugendliche Spiele ist) soll die Kinder in Parthien trennen - Arme und Reiche, einer wie der andere, haben gleichen Antheil, gleichen Genuß an der Feier dieses Tages.

Die Geldbeträge werden am schicklichsten durch die sämtlichen Schullehrer vereint erhoben. Ich lade sie hiermit ein, sich über diesen Gegenstand mit einander zu besprechen. Ihr Eifer in Ausführung dieser Idee wird Ihnen Zufriedenheit der Eltern und die verdoppelte Liebe der Ihnen anvertrauten Kinder sichern, welche Sie als die Schöpfer dieses Festes betrachten werden.

Mein Vorschlag zu diesem Jugendfeste soll übrigens kein vollendeter Plan sondern nur Skizze zu demselben seyn. Eine weitere und vollkommene Auseinandersetzung dieses Plans, wozu ich Eltern und Kinderfreunde einlade, findet im Wochenblatte eine schickliche Stelle.

Kreuznacher Wochenblatt, 10. 5. 1806

Anfrage:

Wird das in Nro. 9 dieses Wochenblattes vorgeschlagene Kinderfest nicht zu Stande kommen? Oder arbeiten die Herren Schullehrer bereits im Stillen daran, durch ihre vereinten Bemühungen ihren Zöglingen und den Eltern derselben diese Freude zu bereiten?

Kreuznacher Wochenblatt, 17. 5. 1806

Ueber das Kinderfest.

Warum wird so oft und wiederholt von Kinderfesten gesprochen und keins realisirt? Vermuthlich, weil keiner der Herren Schullehrer den Anfang machen will, dem andern seinen Plan rnitzutheilen. Nun - wir wollen einmal sehen, ob wir nicht einige brauchbare Ideen darüber in Umlauf bringen können. Die erste Frage bei einem Feste ist das Lokal. Dafür wär nun freilich die Pfingstweide[Anm. 4] sehr erwünscht. Nur müßte man das Abmähen des Grases abwarten, und also die Feierlichkeit mit dem Namen Erndefest belegen. Zur Realisirung der Sache ist vonnöthen, daß die Herrn Lehrer zusammen treten, und mit Herrn Mensator Unterhaltung pflegen, was eine gute Musik kostet. Ist dieß geschehen, so heben sie bei den Eltern die wenigen Kreuzer, welche auf jedes Kind bemittelter Eltern kommen. Arme dürfen nicht ausgeschlossen werden, und müssen durchaus frei alles mitgenießen, denn das Fest soll Belohnung des Fleißes seyn und das arme Kind soll nicht durch die Unvermögenheit der Eltern diesen Lohn entbehren. - Ist also auf diesem Weg für die Musik gesorgt, so steht es den Kindern jeder Schule frei, unter sich für eine hübsche Fahne zu sorgen. Die beiden katholischen Schulen brauchen diesen Aufwand, fürs erste Jahr wohl nicht, da die beiden Kirchen allhier sehr schöne Fahnen haben, und diejenigen, wo nicht gerade christliche Allegorien darauf gemahlt sind, gewiß gerne zu einer solchen Feierlichkeit hergeben. Auf der Pfingstweide selbst wird Herr Kyski schon für Zelten und alle Erfrischungen gesorgt, und dieses acht Tage vor dem Feste gehörig durchs Wochenblatt angekündigt haben. Die Eltern dürfen also desfalls nicht erst sich in Bewegung, sondern gerade hinunter in die gastlichen Zelten setzen, den Zug ihrer fröhlichen Kinder erwartend. Alle Spiele fürs erste mögen den Kindern selbst anheim gestellt seyn, ohne pedantischen Zwang oder Vorschrift. In der Folge können gymnastische Uebungen mit verbunden werden. Die Herrn Lehrer sollen bei dem Feste, unter glücklichen Eltern sitzend, der Ruhe genießen, nur Beobachter der Kinder, aber keine Störer seyn. Die Musik soll den Zug hinunter begleiten, und auf Ort und Stelle, wenn sie nicht selbst genießt, dem ganzenlieben Publikum durch abwechselnde Märsche, Tänze und Volkslieder, etwas zu genießen geben; und da die meisten Herrn Schullehrer humane Leute sind, und alle Eltern gern ihre Kinder froh sehen, so zweifle ich nicht an dem Zustandekommen eines National-Kinderfestes für Kreuznach.

Nachweise

Verfasser: Jörg Julius Reisek

Redaktionelle Bearbeitung: Dominik Kasper

Quellen und Literatur:

  • Siehe Anmerkungen

Illustrationen aus: Kloff, Moritz: Das Turnen im Spiel oder Lustige Bewegungsspiele für muntere Knaben. Dresden: G. Schönfeld, 1861. (HWZB)

Dieser Artikel erschien in ähnlicher Form im Nahelandkalender 1995.

Erstellt: 08.03.2010

Anmerkungen:

  1. Schmitt, Friedrich: Republikanische Feste und Napoleonsfeiern in Kreuznach. In: Nahelandkalender 1995. Zurück
  2. Das Original des Kreuznacher Wochenblattes befindet sich im Stadtarchiv Bad Kreuznach. Zurück
  3. Kisky war ein bekannter Gastwirt. Zurück
  4. gemeint ist die Pfingstwiese. Zurück