Bibliothek

Gescheiterter Putschversuch von „Separatisten“ in Mainz und Wiesbaden 1919

Anführer der rheinischen Autonomiebewegung Hans Adam Dorten[Bild: Bibliothèque nationale de France]

Nach dem Kriegsende 1918 warf die Novemberrevolution auch die Frage einer innerstaatlichen Neuordnung Deutschlands auf. Besonders in den westdeutschen Regionen wie der Pfalz, Hessen-Nassau, dem Rheinland und Westfalen entstanden Autonomie-Bewegungen. Vielen der Unterstützer dieser frühen rheinischen Bewegung ging es jedoch nicht um die Unabhängigkeit ihrer Region von Deutschland, sondern um die Auflösung Preußens und die Schaffung eines rheinischen Bundesstaats innerhalb des Deutschen Reiches. Politiker wie Theodor Heuß oder Friedrich Meinecke wollten dadurch die Herrschaft Preußens am Rhein beenden. Die Frage, ob es sich nur bei Bestrebungen zur Loslösung vom Deutschen Reich oder bereits bei den Absichten zur Auflösung eines Bundesstaats um Landesverrat handelte, war dabei aber schon unter Zeitgenossen umstritten. [Anm. 1]

Die „separatistischen“ Bestrebungen am Rhein

Anfangs, als man unmittelbar nach Kriegsende eine Annexion des Rheinlandes durch Frankreich befürchtete, sahen auch führende Politiker der Region, wie der Kölner Oberbürgermeister Konrad Adenauer, in der Gründung einer westdeutschen Republik am Rhein noch eine Möglichkeit, um das „Deutschtum am Rhein“ zu retten. [Anm. 2] So kann, auch wenn es schon unmittelbar nach Ende des Ersten Weltkriegs weitergehende „separatistische“ Aktivitäten gab, die frühe rheinische Bewegung im Winter 1918/19 nicht nur als „separatistische“ Bewegung gegen die Zugehörigkeit zu Deutschland gesehen werden, sondern es müssen verschiedene einzelne Aspekte, wie etwa die Autonomiebestrebungen gegenüber Preußen, berücksichtigt werden. Denn Forderungen nach „rheinischer Autonomie“ waren vieldeutig und umfassten die verschiedensten politischen Bestrebungen: Von der geringsten Forderung einer weitgehenden Provinzialautonomie des Rheinlandes innerhalb Preußens, über das Ansinnen eines von Preußen unabhängigen rheinischen Bundesstaats innerhalb des Deutschen Reiches, bis hin zur äußersten „separatistischen“ Bestrebung eines von Deutschland unabhängigen Rheinstaates. Dass diese von Zeitgenossen wie auch in der Geschichtsschreibung nicht immer klar unterschieden wurde, kam den pro-preußischen Stimmen zugute. Die Autonomiebestrebungen waren auch parteipolitisch geprägt: Während es innerhalb der im Rheinland starken katholischen Zentrumspartei Sympathien für „separatistische“ Bewegungen gab, lehnten Sozialdemokraten, die das überwiegend protestantische Land Preußen von Berlin aus als führende Partei der Landesregierung regierten, solche Bestrebungen ab. [Anm. 3] 

Der „Separatistenführer“ Hans Adam Dorten

Neben der Frage, welchen Status die zukünftige rheinische Republik haben sollte, gab es vor allem in der Frage, wie die Gründung dieser erreicht werden solle, große Unterschiede: So trat etwa der Kölner Oberbürgermeister Adenauer für die Gründung eines rheinischen Bundesstaates im Deutschen Reich mit Hilfe legaler Mittel, also nur mit Zustimmung von deutscher Nationalversammlung und Reichsregierung, ein. Doch es hatten sich auch bereits 1918, unter der Ägide des ehemaligen Staatsanwaltes und Vorkämpfers der rheinisch-„separatistischen“ Bestrebungen, Hans Adam Dorten (1880-1963), in Mainz, Bingen, Kreuznach und Wiesbaden Aktionsausschüsse gegründet. Die Gründung dieser Ausschüsse hatte Dorten zuvor mit dem Kölner Oberbürgermeister Adenauer abgesprochen, der versuchte die „separatistischen“ Bestrebungen unter Kontrolle zu bringen, um es maximal zu einem rheinischen Bundesstaat innerhalb des Deutschen Reiches kommen zu lassen. [Anm. 4]

Dorten, bis zu diesem Zeitpunkt noch weitgehend unbekannt, schlug aber schon bald den illegalen Weg ein und strebte eine eigenmächtige sofortige Proklamation einer Rheinischen Republik an, wozu er auch offen die Zusammenarbeit mit den französischen Besatzern suchte. Dorten scheiterte bei dem Versuch, Adenauer für diese aktivistische „Separatismus“-Politik zu gewinnen. [Anm. 5] Dorten lehnte die Revolution 1918 und die seitdem herrschenden neuen Machthaber in der Weimarer Republik radikal ab, er vertrat die Dolchstoßlegende und hasste die republikanischen Politiker als „Novemberverbrecher“. [Anm. 6] Hinter der „separatistischen“ Bewegung steckte also teilweise auch die politische Ablehnung der SPD-Regierung in Berlin und das Ziel einer Einsetzung einer national-konservativen Regierung – was in gewissem Widerspruch zur Zusammenarbeit mit den Franzosen stand. Im Januar 1919 sammelte Dorten Zustimmungserklärungen von Gemeinden und politischen Organisationen für den Anschluss des südlicheren Rheinlandes an einen in Köln zu gründenden Rheinstaat – jedoch mit nur wenig Erfolg. [Anm. 7]

Die Rheinische Republik

Am 19. Mai fand eine Besprechung Dortens mit dem französischen General Mangin statt, in welcher der „Separatistenführer“ seine Pläne zur Ausrufung einer Rheinischen Republik im Verband des Deutschen Reiches vorstellte und sich rückversicherte, dass die französischen Besatzungstruppen seine Aktion dulden würden. Zu Mangin, kommandierender General der 10. Französischen Armee, entwickelte Dorten engeren Kontakt. Der Anführer der rheinischen Autonomiebewegung führte viele Gespräche mit politischen Vertretern im Rheinland und Bevollmächtigten der Besatzungsmächte, um herauszufinden, wie sich die Besatzungstruppen bei der Proklamation einer Rheinischen Republik verhalten würden. Bis auf die Franzosen, die „separatistische“ Forderungen als politische Meinungsfreiheit schützen wollten, reagierten alle ablehnend. Die Unterredungen blieben jedoch nicht unbemerkt. Infolgedessen veröffentlichte die Reichsregierung am 28. Mai 1919 eine Erklärung, in der die verfassungsgemäße Zugehörigkeit des Rheinlandes zum deutschen Bundesstaat Preußen festgestellt wurde und in der betont wurde, dass alle, die an dieser Stelle das preußische Staatsgebiet eigenmächtig verändern wollten, sich des Hochverrats schuldig machen würden. Die französischen Besatzungstruppen unterdrückten jedoch die Veröffentlichung dieser Warnung der Reichsregierung innerhalb ihrer Besatzungszone. [Anm. 8]

Am Abend des 31. Mai erhielten der Wiesbadener Polizeidirektor und die Bürgermeister in der französischen Besatzungszone vom französischen Militärbefehlshaber den Befehl, Maueranschläge, welche zur Gründung der Rheinischen Republik aufrufen würden, zu schützen. Am folgenden Sonntagmorgen, dem 1. Juni 1919, waren entsprechende Plakate in Wiesbaden, Aachen, Mainz und Speyer angeschlagen. Auch in den meisten anderen größeren Ortschaften Rheinhessens und Nassaus waren über Nacht Plakate aufgehängt worden, wobei sie vielfach sehr schnell von der empörten Bevölkerung abgerissen und übermalt wurden. Auf den Aushängen wurde eine selbstständige Rheinische Republik im Verband des Deutschen Reiches ausgerufen, zu der auch Rheinhessen gehören sollte. In einem Flugblatt wurde dem „rheinischen Volk“ die neue „vorläufige Regierung“ präsentiert, unter deren Mitgliedern sich mit dem Mainzer Kunsthistoriker Klingelschmitt und dem Amtsgerichtsrat Liebig zwei Rheinhessen befanden. Als vorläufiger Regierungssitz der Rheinischen Republik, die das Rheinland, Alt-Nassau, Rheinhessen und die Rheinpfalz umfassen sollte, war Wiesbaden vorgesehen. [Anm. 9]

Die führenden Köpfe der Wiesbadener Parteien und Gewerkschaften lehnten Dortens Aktion jedoch ab, sodass bereits am folgenden Tag, dem 2. Juni, ganz Wiesbaden durch einen Generalstreik lahmgelegt wurde und sämtliche Fabriken und Geschäfte geschlossen blieben. Auch in Worms, Mainz und Alzey kam es am 2. Juni zu Proteststreiks gegen die Ausrufung der Rheinischen Republik. Dorten gelang es zwar, sich die Diensträume des aus Protest gegen den Putsch zurückgetretenen Regierungspräsidenten in der Landesverwaltung in Wiesbaden kurzfristig anzueignen, doch die Verwaltung lehnte die neue, selbsternannte „Separatistenregierung“ genauso ab wie die gegen Dortens Proklamation protestierende Bevölkerung. Denn selbst die unter den Bewohnern von Wiesbaden und Mainz durchaus vertretenen Anhänger einer Rheinischen Republik innerhalb des Deutschen Reiches lehnten die Aktion Dortens klar ab, weil er sich offen von der französischen Besatzungsmacht unterstützen ließ. Wenngleich die „Separatisten“ von Anfang an beteuert hatten, eine deutsche Rheinische Republik gründen zu wollen, die treu zum Deutschen Reich stehen würde, stand die Unterstützung, die sie von französischer Seite erhielten, dem Rückhalt in der Bevölkerung im Weg. Der französische General Mangin ließ sogar rheinhessische Politiker, die sich klar gegen Dortens Putschversuch gestellt hatten, verhaften und ausweisen: Unter anderem waren am 2. Juni der Präsident der hessischen Volkskammer und Beigeordnete der Stadt Mainz, Bernhard Adelung, sowie fünf weitere Abgeordnete der hessischen Volkskammer verhaftet worden. In Berichten an das französische Oberkommando behauptete Mangin, dass die Proklamation der Rheinischen Republik in der Bevölkerung begrüßt worden sei. Allerdings war genau das Gegenteil der Fall, was auch der französische General alsbald erkennen musste. Als nach vier Tagen die französischen Besatzungstruppen unter dem Befehl von Mangin deshalb ihre Unterstützung für Dortens erfolglose Aktion einstellten, sah sich die „separatistische“ Dorten-Regierung gezwungen, ihren Putschversuch zu beenden. Der Versuch Dortens im Juni 1919 von Mainz und Wiesbaden aus eine „Rheinische Republik“ auszurufen, war somit nach kurzer Zeit bereits wieder gescheitert. [Anm. 10]

Ihre Aktivitäten zur Errichtung einer Rheinischen Republik verfolgten Dorten und seine Anhänger, wie zum Beispiel die beiden Mainzer Klingelschmitt und Liebing, jedoch auch nach dem gescheiterten Putschversuch unbeirrt weiter. So traten die drei im Verlaufe des Jahres 1919 in verschiedenen Orten Rheinhessens noch mehrfach bei Veranstaltungen auf, um in Reden für ihre „separatistischen“ Pläne zu werben. Zudem sammelte Dorten weiterhin Unterstützungserklärungen von Pfarrern, Bürgermeistern, Verbands- und Parteivorständen in den besetzten rheinischen Gebieten. Doch die Realitäten der neuen Deutschen Reichsverfassung und des Versailler Vertrages, die 1919 bzw. 1920 in Kraft traten und kein neues Staatsgebilde am Rhein vorsahen, ließen Dortens Bemühungen schon bald noch unrealistischer erscheinen. Als sein Unterstützer, der französische General Mangin, Anfang Oktober 1919 das Rheinland verließ, schienen Dortens Pläne endgültig gescheitert. [Anm. 11]

Verfasser: Felix Schmidt

Verwendete Literatur:

  • Bischof, Erwin: Rheinischer Separatismus 1918-1924. Hans Adam Dortens Rheinstaatsbestrebungen, Bern 1969.
  • Franz, Eckhart G./Köhler, Manfred (Hrsg.): Parlament im Kampf um die Demokratie. Der Landtag des Volksstaats Hessen 1919-1933, Darmstadt 1991.
  • Kahlenberg, Friedrich P./Kißener, Michael: Kreuz – Rad - Löwe. Rheinland-Pfalz. Ein Land und seine Geschichte Bd. 2. Vom ausgehenden 18. bis zum 21. Jahrhundert, Mainz 2012.
  • Reimer, Klaus: Rheinlandfrage und Rheinlandbewegung (1918-1933). Ein Beitrag zur Geschichte der regionalistischen Bestrebungen in Deutschland, Frankfurt am Main 1979.
  • Rummel, Walter: „Separatismus“ — Vaterlandsverrat, Zukunftsvision oder Rettungsversuch?, in: Engelen, Ute/Rummel,Walter (Hrsg.): Der gescheiterte Friede – Die Besatzungszeit 1918-1930 im heutigen Rheinland-Pfalz (=Veröffentlichungen der Landesarchivverwaltung Rheinland-Pfalz, Bd. 129), Koblenz 2020, S. 65-84.
  • Süss, Martin: Rheinhessen unter französischer Besatzung. Vom Waffenstillstand im November 1918 bis zum Ende der Separatistenunruhen im Februar 1924, Stuttgart 1988.
  • Würz, Markus: Kampfzeit unter französischen Bajonetten. Die NSDAP in Rheinhessen in der Weimarer Republik (Geschichtliche Landeskunde 70), Stuttgart 2012. 

Erstellt am: 21.09.2016

Anmerkungen:

  1. Vgl. Bischof, Erwin: Rheinischer Separatismus 1918-1924. Hans Adam Dortens Rheinstaatsbestrebungen, Bern 1969, S. 9f.  Zurück
  2. Vgl. Bischof 1969, S. 44.  Zurück
  3.  Vgl. Bischof 1969, S. 10 und S. 35f.; Würz, Markus: Kampfzeit unter französischen Bajonetten. Die NSDAP in Rheinhessen in der Weimarer Republik (Geschichtliche Landeskunde 70), Stuttgart 2012, S. 56f.  Zurück
  4. Vgl. Kahlenberg, Friedrich P./Kißener, Michael: Kreuz - Rad - Löwe. Rheinland-Pfalz. Ein Land und seine Geschichte Bd. 2. Vom ausgehenden 18. bis zum 21. Jahrhundert, Mainz 2012, S. 97; Bischof 1969, S. 44f.; Reimer, Klaus: Rheinlandfrage und Rheinlandbewegung (1918-1933). Ein Beitrag zur Geschichte der regionalistischen Bestrebungen in Deutschland, Frankfurt am Main 1979, S. 140.  Zurück
  5. Vgl. Bischof 1969, S. 52 und S. 58.  Zurück
  6. Vgl. Bischof 1969, S. 42.  Zurück
  7.  Vgl. Bischof 1969, S. 47.  Zurück
  8.  Vgl. Reimer 1979, S. 155; Bischof 1969, S. 85; Würz 2012, S. 58.  Zurück
  9.  Vgl. Bischof 1969, S. 81ff.  Zurück
  10.  Vgl. Reimer 1979, S. 158ff; Süss, Martin: Rheinhessen unter französischer Besatzung. Vom Waffenstillstand im November 1918 bis zum Ende der Separatistenunruhen im Februar 1924, Stuttgart 1988, S. 81; Franz, Eckhart G./Köhler, Manfred (Hrsg.): Parlament im Kampf um die Demokratie. Der Landtag des Volksstaats Hessen 1919-1933, Darmstadt 1991, S. 18; Bischof 1969, S. 9.  Zurück
  11. Vgl. Süss 1988, S. 87ff.  Zurück