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Mainz in römischer Zeit

von Wolfgang Stumme

Erste Siedlungen im Mainzer Raum waren keltischen Ursprungs. Das Gebiet der späteren Mainzer Innenstadt war vor Ankunft der Römer wegen ausgedehnter Feuchtareale nicht besiedelt. [Anm. 1]

Einige Zeit im 20. Jahrhundert ging man davon aus, dass die Römer erstmals unter Marcus Vipsanius Agrippa (64 -12 v. Chr.) im Jahre 38 v. Chr. gegenüber der Mainmündung einen nur für den Winter notdürftig gesicherten Militärstützpunkt errichtet haben. Dies konnte bislang nicht bestätigt werden und wird schon seit längerem nicht mehr weiterverfolgt. Dennoch feierte Mainz im Jahre 1962 – sehr zur Verwunderung von Trier und Köln – sein 2.000jähriges Bestehen. [Anm. 2]

Auch die wenige Jahre später geänderte Version der Stadt Mainz zu ihrer Gründungsgeschichte, nämlich die Gründung des großen Legionslagers Mogontiacum auf dem Kästrich durch Nero Claudius Drusus (38 – 9 v. Chr.) in den Jahren 13/12 v. Chr., hatte nur die Gründung einer Militärbasis im Blick, sprach aber großmündig von der Gründung der Stadt Mainz. Drusus konzentrierte sich auf die Feldzüge gegen germanische Stämme, denn Augustus (63 v. Chr. – 14 n. Chr.) strebte den Schutz Galliens und des römischen Reichsgebietes durch die militärische und politische Sicherung des rechtsrheinischen Gebietes bis zur Elbe an. [Anm. 3]

Die zivilen Siedlungskerne in den Sümpfen unterhalb des großen Legionslagers besaßen über zweieinhalb Jahrhunderte keinen Stadtrechtstitel wie eine Colonia (von Römern geplant angelegte schachbrettartige Siedlung auf zuvor unbewohntem Gebiet mit umgrenzender Stadtmauer wie beispielsweise Colonia Augusta Treverorum (Trier) oder Colonia Claudia Ara Agrippinensium (Köln) mit den Hauptachsen Cardo in nord-südlicher Richtung und Decumanus in ost-westicher Richtung oder ein Municipium (bereits bestehendes Gemeinwesen, dessen Pflichten und Rechte gegenüber Rom durch Verträge geregelt waren). Sie bildeten auch keine Civitas – denn diese bildeten eine halbautonome Verwaltungseinheit der mittleren Ebene und bestanden aus einem städtischen Zentrum und dem Umland wie z. B. Civitas Mattiacorum (Wiesbaden) oder Civitas Taunensium (Frankfurt).

Diese Abstufung der Stadtrechte wurde erst mit der Constitutio Antoniniana ab 212 n. Chr. beendet und das römische Bürgerrecht schrittweise auf Personen im gesamten Reich (mit Ausnahme der Sklaven und der ‚Unterworfenen‘) ausgedehnt. Anstelle der Abgrenzung zwischen Römern und Fremden (peregrini) kam allmählich eine neue Unterscheidung auf: Die römische Welt wurde nach angesehenen (lat. honestiores) und weniger angesehenen (lat. humiliores) Bewohnern unterschieden. [Anm. 4]

Die Großbauten zu Beginn der römischen Zeit sind vorrangig im Interesse des Legionslagers und in dessen Nähe errichtet worden. So der Drusus-Stein (errichtet aufgrund eines Senatsbeschlusses im Jahre 19 n. Chr. zum Gedenken an den im Jahre 9 v. Chr. verstorbenen Drusus); das Theater (von Sueton 39 n. Chr. erstmals erwähnt; das sehr große Theater war erforderlich für die Abgesandten der Repräsentanten der 60 gallischen Gebietskörperschaften (Galliarum civitates), die jährlich zu Ehren von Drusus nach Mogontiacum zum Gedenken an ihren großen Feldherrn kamen); der Aquädukt (ab ca 70 n. Chr., versorgte primär das Legionslager); die Rheinbrücke (wahrscheinlich ab ca. 27. n. Chr. eine Holzbrücke und ab ca. 70 n. Chr. eine Pfahlrostbrücke, über die das rechtsrheinische Gebiet und der Limes schnell erreichbar waren). Diese Bauten haben nicht zeitnah dazu beigetragen, dass die Siedlungskerne zu einem städtisch geprägten Siedlungsgebiet verschmolzen.

Am Ende der augusteischen Expansionsbestrebungen nach der Varusniederlage 9 n. Chr. und der Abberufung von Germanicus im Jahre 17 n. Chr. blieb Mainz dauerhaft Truppenstandort. Die Veränderung der großpolitischen Lage führte dann zur Neugliederung der römischen Provinzen, u.a. mit der neu gebildeten Provinz Germania superior (spätestens ab dem Jahr 90 bis zum Ende des dritten Jahrhunderts) mit Mogontiacum als zentralem Verwaltungssitz. Die Befehlsgewalt lag beim militärischen Mogontiacum und nicht bei den zivilen Siedlungskernen. „Die Einrichtung der Provinz Germania superior mit zentralem Verwaltungssitz in Mainz blieb anscheinend ohne Auswirkung auf die innerörtliche Entwicklung, zumindest lassen sich aus der vorhandenen Bausubstanz keine Hinweise auf die neue Funktion des Statthaltersitzes gewinnen.“ [Anm. 5] Aufgrund der militärischen Prägung konnte sich ein urbanes Stadtbild wie z. B. in Trier und Köln nicht entwickeln. Das Straßennetz verband die Siedlungskerne miteinander und ging nicht auf eine Planung auf dem Reißbrett zurück. In unmittelbarer Nähe zum Legionslager entstanden die ältesten in Holzbauweise errichteten Wohnhäuser mit verputzten Fachwerkwänden. Die Dächer waren mit Stroh oder Holzschindeln gedeckt. Die Frontseite der Häuser war zur Straßenseite hin ausgerichtet. Zunehmend wurden neue Häuser mit steinernen Fundamenten und Kellern versehen. Ganz aus Stein errichtete Häuser waren die Ausnahme. Die archäologischen Befunde weisen nicht auf einen Ausstattungsluxus hin. Erst ab dem Ende des zweiten und im dritten Jahrhundert hatten einige Gebäude Mosaikfußböden. Ander als in Trier und Köln handelte es sich nur um eine geringe Anzahl. [Anm. 6]

Zum Ende der Provinz Germania superior ging es dann ganz schnell. Angesichts der zunehmenden Angriffe germanischer Stämme wurden der Limes aufgegeben, das Legionslager in die Ebene verlegt und die Siedlungskerne mit einer Mauer umgeben; für das Fundament nahm man Steine aus der Mauer des aufgelösten Legionslagers. Jetzt wurde erstmals auch das zivile Mainz als Mogontiacum bezeichnet. Entsprechend der Constitutio Antoniniana erhielten die mit der Mauer umgebenen Siedlungskerne unterhalb des Legionslagers erst am Ende des dritten Jahrhunderts den Rechtsstatus eines Municipiums. [Anm. 7] Trotz des erheblichen Wirtschaftsfaktors, den die Garnison innerhalb der Stadt bildete, fehlte ihr die glanzvolle Urbanität von Trier oder Köln. [Anm. 8]

Ausgerechnet im Festkatalog zur 2000-Jahrfeier der Stadt Mainz im Jahre 1962 schreibt Anton M. Keim (was wohl seinerzeit unbeachtet blieb):

Von einer römischen Civitas, einem geschlossenen Gemeinwesen mit einer bestimmten Rechtsstellung lässt sich vor dem Ende des dritten Jahrhunderts nicht sprechen. Die Angehörigen der Legionäre, kommerzielle Trosse des Heeres – Tabernenwirte und Kaufleute, Veteranen und Fabrikanten, Rheinschiffer und Handwerker – wohnen in ‚vicis‘, die unter der militärischen Kontrolle sicher ein buntgewürfeltes Bild boten. […] Als im Zuge der konstantinischen und diokletianischen Neugliederung des Imperiums Trier der Rang einer kaiserlichen Residenzstadt zuwuchs, begann für Mainz der Niedergang einer frontnahen bedrohten Grenzstadt. Mit dem Abzug der Legionen um 400 war Mainz dem Zugriff der germanischen Völkerschaften ausgesetzt.“ [Anm. 9]

Verfasser: Wolfgang Stumme
Redaktionelle Bearbeitung: Jasmin Gröninger
Aktualisiert am: 9.12.2021

Literaturhinweise:

  • Keim, Anton M.: Geschichte des 2000jährigen Reiches, in: 2000 Jahre Mainz am Rhein 1962. Offizieller Festkatalog, Mainz 1962, S.9–26. 
  • Krause, Jens-Uwe: Honestiores/Humiliores. DNP online [URL: https://referenceworks.brillonline.com/entries/der-neue-pauly/honestioreshumiliores-e517020?s.num=1&s.f.s2_parent=s.f.cluster.New+Pauly+Online&s.q=Honestiores] (Stand: 09.12.2021).
  • Witteyer, Marion: Mogontiacum – Militärbasis und Verwaltungszentrum, in: Dumont, Franz, Scherf, Ferdinand, Schütz, Friedrich, Hg., Mainz. Die Geschichte der Stadt, Mainz, 2. Aufl. Mainz 1999, S.1021-1058.
  • Witteyer, Marion: Mogontiacum: Neuigkeiten und Altbekanntes aus dem römischen Mainz, in: Dumont, Franz, Scherf, Ferdinand, (Hg.): Mainz – Menschen, Bauten, Ereignisse. Eine Stadtgeschichte. Mainz 2010, S.18 –34.
  • Ziethen, Gabriele: Mogontiacum – Vom Legionslager zur Provinzhauptstadt, in: Dumont, Franz, Scherf, Ferdinand, Schütz, Friedrich, Hg., Mainz. Die Geschichte der Stadt, Mainz, 2. Aufl. Mainz 1999, S.39–67.

Anmerkungen:

  1. Vgl. Witteyer, Marion: Mogontiacum: Neuigkeiten und Altbekanntes aus dem römischen Mainz, in: Dumont, Franz, Scherf, Ferdinand, (Hg.): Mainz – Menschen, Bauten, Ereignisse. Eine Stadtgeschichte. Mainz 2010, S. 18 – 34, S. 20. Zurück
  2. Pünktlich zum „Jubiläumsjahr“ 1962 wurden u.a. zwei Autobahnbrücken eingeweiht; Gutenberg Museum, Naturhistorisches Museum sowie Altertumsmuseum und Gemäldegalerie wurden nach längerer Beseitigung der Kriegsschäden wieder eröffnet: Stadt und Land stellten Gelände für den Jubiläumsstadtteil Lerchenberg zur Verfügung; neue Brunnen im Stadtgebiet entstanden; von Januar bis Dezember 1962 gab es Ausstellungen, Tagungen und Konzerte. Und, und, und. – Für das Nachkriegs-Mainz war das ein enormer Entwicklungsschub. Zurück
  3. 12 v. Chr. führte Drusus eine römische Flotte entlang der Nordseeküste bis zu den Flussmündungen von Ems, Weser und Elbe. Im folgenden Jahr zog er von Vetera, dem heutigen Xanten, entlang der Lippe gegen die Sugambrer und weitere Stämme. Im Jahre 9 v. Chr. kämpfte er, von Mogontiacum kommend, gegen die Chatten und erreichte die Elbe in der Gegend von Magdeburg. Zurück
  4. Krause, Jens-Uwe: Honestiores/Humiliores. DNP online [URL: https://referenceworks.brillonline.com/entries/der-neue-pauly/honestioreshumiliores-e517020?s.num=1&s.f.s2_parent=s.f.cluster.New+Pauly+Online&s.q=Honestiores] (Stand: 09.12.2021). Zurück
  5. Witteyer, Marion, a.a.O. ,S. 34. Zurück
  6. Vgl. Witteyer, Marion , Mogontiacum – Militärbasis und Verwaltungszentrum, in: Dumont, Franz, Scherf, Ferdinand, Schütz, Friedrich, Hg., Mainz. Die Geschichte der Stadt, Mainz, 2. Aufl. Mainz 1999, S. 1021 -1058, hier: S. 1040 ff. Zurück
  7. Keim, Anton M.: Geschichte des 2000jährigen Reiches, in: 2000 Jahre Mainz am Rhein 1962. Offizieller Festkatalog, Mainz 1962, S. 9 – 26, S. 11. Zurück
  8. Vgl. Ziethen, Gabriele, Mogontiacum – Vom Legionslager zur Provinzhauptstadt, in: Dumont, Franz, Scherf, Ferdinand, Schütz, Friedrich, Hg., Mainz. Die Geschichte der Stadt, Mainz, 2. Aufl. Mainz 1999, S.39 – 67, hier: S. 64. S. auch ebda: „Wenn … keine orientalischen Händler in Mainz, ganz im Gegenteil zum gallischen Provinzgebiet, nachzuweisen sind, so vielleicht auch deshalb, weil in Mainz ein lukratives Umfeld bis heute nicht nachgewiesen werden konnte, das in anderen Militär- oder Verwaltungszentren aufgrund lokaler Traditionen oder römischer Rechtsverfügungen (coloniae, municipia) bestand oder durch die römische Verwaltung begünstigt wurde.“ Zurück
  9. Keim, a.a.O., S. 10 f  Zurück