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0.Ziegelherstellung in Rheinhessen

Eine Zusammenstellung der Ziegelproduktion in Rheinhessen liegt bisher nicht vor. So war es absolutes Neuland, als Alfons Lauzi im Jahre 2016 im Mainzer Ziegelmuseum das Ergebnis seiner Forschungen zur Herstellung von Ziegeln in Rheinhessen in Bild und Text als Ausstellung präsentierte. Ungezählte Fahrten hatte er dazu unternommen, mit dem Fahrrad und mit dem Auto, um der Entstehung untergegangener rheinhessischer Ziegeleien und ihrer Produktion nachzuspüren. Ungezählte Briefköpfe, Postkarten und alte Bilder waren durchzusehen, Hinweise auf alten Landkarten zu sichten, zahlreiche Hobbyforscher zu befragen. Mit seinen umfangreichen Recherchen konnte er nachweisen, dass in mindestens 85 von 186 rheinhessischen Ortschaften seit dem 19. Jahrhundert Ziegel gebrannt worden waren. Der nachfolgende Text soll über die Entstehungsgeschichte dieser Ziegeleien und ihre Bauweisen berichten. Dazu soll einigen Fragen zur Sozialgeschichte der dort einst tätigen Menschen nachgegangen werden. Inzwischen ist Alfons Lauzi tot, verstorben am 7.10.2017 nach kurzer, tapfer ertragener Krebserkrankung. Es war die Idee des Zweitautors, die von Lauzi erarbeiteten Textfragmente zu einem Ganzen zu verbinden. Sie wurden noch bei einem Besuch am 15.9.2017 von ihm generell gutgeheißen. So soll diese Publikation eine späte dankbare Erinnerung an die Inventarisationsarbeit von Alfons Lauzi sein. [Anm. 1]

0.1.Abbau und Aufbereitung des Tons sowie Formen der Rohlinge

Seit der Zeit der Sumerer, Babylonier und Assyrer hatte sich die Technik der Ziegelherstellung nicht geändert. Wichtigste Voraussetzung sind geeignete und ausreichende Tonvorkommen im Erdreich. [Anm. 2] Der Ton wurde in großen Gruben von Hand abgebaut und mit Karren in die Nähe der Brennstelle geschafft, dann von Verunreinigungen und Pflanzenresten befreit. In offenen Gruben wurde er gewaschen, dann mit Quarzsand, Schamotte, Ziegelmehl und weiteren mineralischen Zuschlagsstoffen vermischt. Dieses spezielle Mischungsverhältnis machte die Produkte eines jeden Betriebes einzigartig und wurde von Generation zu Generation weitergegeben. Durch Kneten wurde die feuchte Masse plastisch gemacht und zu einem Kuchen geformt. Dieser wurde sodann in Formen gedrückt, die Steine dann in Holzgestellen an der Luft getrocknet. Die Ziegel, die bis zu 1/5 – 1/6 ihres Gewichtes an Wasser enthielten, lagerten auf diese Weise mehrere Wochen, ehe sie sich zum Brennen eigneten. Ein Ziegelarbeiter konnte auf diese Weise bis zu 2.500 Ziegel am Tage herstellen.

0.2.Feldbrandöfen

[Bild: Bender 2004]

Diese luftgetrockneten Ziegel [Anm. 3] konnten bereits mit Lehmmörtel verbaut werden, mussten aber aus Haltbarkeitsgründen verputzt und gestrichen werden. Wollte man den Steinen eine höhere Festigkeit geben, mussten sie gebrannt werden. Dies erfolgte in Feldbrandöfen für einfachen Brand und in Kammeröfen zur Herstellung stärker gebrannter und damit festerer Steine. Feldbrandöfen wurden in unmittelbarer Nähe der Tonvorkommen erstellt und von den Erbauern im Nebenerwerb betrieben. Dazu wurden die handgeformten, luftgetrockneten Ziegel zu einem Meiler aufgeschichtet. Dessen Außenwände wurden mit alten Backsteinen, meist beschädigten Rohlingen, bedeckt und mit Lehm zugeschmiert. Zum Schutz gegen Regen wurde die oberste Lage mit Backsteinen abgedeckt und zusätzlich noch Erde aufgeschüttet.

Im Inneren der Meiler wurden in ganzer Länge Luftzüge und Schürkanäle freigehalten. War der Meiler fertig aufgeführt, wurde er an mehreren Stellen gleichzeitig angezündet. Je nach Größe des Meilers benötigte das Feuer 20-25 Tage, um die Steine „gar“ zu brennen. Die Abkühlung bis zur Herausnahme der fertigen Backsteine dauerte nochmals 3-14 Tage. Als Brennmaterial wurde ursprünglich Holz, später fein gesiebter, zwischen die Steinlagen eingestreuter Kohlegries, verwandt.

Die Ausbeute an nutzbaren Steinen richtete sich nach der Größe der Feldbrandöfen, zwischen 3.000 und 3 Millionen. Mit einer Ausführung in den Maßen von 11 × 4 × 3 Metern konnten ca. 40.000 Steine, mit einer größeren in Abmessungen von 14 × 11 × 3 Metern ca. 140.000 Steine gebrannt werden. In Rheinhessen nannte man diese Meiler „Feldöfen“, in Worms bezeichnete man sie als „Steinfigur“.

Feldbrandöfen waren relativ schnell und kostengünstig zu erstellen, hatten aber den Nachteil, dass die dort gebrannten Ziegel nur teilweise brauchbar waren. Ein großer Teil, oft bis zu 50 %, war durch Asche, Schlacken oder zu hohe Brenntemperatur unbrauchbar. So bestand immer die Gefahr eines schnelleren Zerbrechens der Steine. Zumeist wurden sie für einfachere Bauten wie Scheunen und Arbeitsräume oder bei höherwertigen Bauten für das Mauerinnere benutzt, während die Fassaden mit Klinkern verkleidet wurden. 


0.3.Ziegelhütten

[Bild: Holland 1767, Tafel 2]

Wollte man solide und feste Steine brennen, so geschah dies seit dem Mittelalter in Ziegelöfen, sog. Kammeröfen. Hierzu wurden aus Backsteinen Brennkammern schachtartig aus vier Ziegelwänden aufgemauert. Sie blieben entweder nach oben offen oder wurden mit einem Gewölbe abgedeckt. Zum Schutz gegen die Witterung erhielt die Ziegelhütte ein schützendes Dach, durch dessen Lüftungshauben die heiße Luft nach oben abzog. Die vorgetrockneten Rohlinge wurden in den Brennkammern über einem Rost gestapelt und gebrannt. Als Brennmaterial wurde Holz oder Kohle zwischen die luftgetrockneten Steine eingestreut. Unter dem Rost lag die Aschenkammer. Derartige Ziegelöfen hatten den Nachteil, dass die Ziegel wegen der beschränkten Größe der Brennkammer nur in kleinen Mengen hergestellt werden konnten und die Öfen nach jedem Brand längere Zeit abkühlen mussten. Zudem hatten sie einen hohen Verbrauch an Brennmaterial. Je nach Größe der Brennkammer wurden in einem Brennvorgang zwischen 3.000 und 500.000 Ziegel auf einmal hergestellt.


[Bild: Archiv Lauzi]

In Osthofen hat sich ein derartiger Kammerofen aus dem Jahr 1856 mit großer Brennkammer erhalten. [Anm. 4] Philipp Orlemann hatte ihn neben seiner bestehenden Kalkbrennerei auf dem Flurstück „Im Gehren“ (heute Rheinstr. 45) erbauen lassen. Die Gründe waren wohl der beginnende wirtschaftliche Aufschwung in Rheinhessen und die steigende Nachfrage nach Ziegeln als schnell herzustellendem und damit billigem Baumaterial für landwirtschaftliche Nutzräume. Hier sei auf die Entwicklung der gewölbten Ställe, „Kuhkapellen“ genannt, mit Gewölben aus Ziegeln verwiesen. Offenbar hatte sich Orlemann mit dem Bau dieses Ziegelbrennofens übernommen. Denn er verkaufte ihn noch im gleichen Jahr an Johann Diehm, den Betreiber einer Feldbacksteinfabrik, und seine Ehefrau Elisabetha. Dieser Brennofen, der letzte seiner Art in Rheinland-Pfalz, wurde als Kammerofen mit etwa 5 x 5 Meter Außenmasse erbaut. Unter der Brennkammer wurde die schachtförmige Kammer, die von oben beschickt wurde, aufgebaut. Der Rauch strömte durch die mit Abstand aufgeschichteten Ziegel und zog durch den Dachaufsatz ab. 


[Bild: Stadtarchiv Worms]

Als schachtartiger Kammerofen war auch der Ofen in der Ziegelei des Johann Cornelius III. Heyl (1792-1858), des „Stammvaters“ der Wormser Lederindustrie und Begründer des wirtschaftlichen und sozialen Aufstieges der Familie Heyl, in Worms in der Straße „Am hinteren Ziegelofen“ konstruiert. Im Jahre 1864 kaufte Jakob Stauffer diese Ziegelei und betrieb sie bis zum Jahre 1904. Dann ging sie in das Eigentum der Stadt Worms über, wurde aber kurz darauf abgerissen.


0.4.Ziegelringöfen

Von der Mitte des 19. Jahrhunderts an wurde im Zuge der Industrialisierung auch die rheinhessische Ziegelproduktion von grundlegenden Neuerungen erfasst. Die Handformung der Ziegel mit Modeln wurde durch die Maschinenfertigung ersetzt. In großen Bottichen wurde der Ton zu einem Brei aufbereitet, mit Hilfe einer Schneckenpresse durch ein Mundstück im Ziegelformat gedrückt. Mit einem Draht wurden automatisch die Ziegelrohlinge abgeschnitten. In Öfen mit ringartig gebauter Brennkammer, wie sie ab 1858 nach dem Patent des Berliner Baumeisters Friedrich Hoffmann entstanden, wurden die luftgetrockneten Ziegel von außen gestapelt und sodann die Beschickungsöffnungen vermauert. Nun wurden die Brennkammern mit Ziegeln gefüllt und von oben durch Schürlöcher in der Decke Kohlenstaub als Brennmaterial eingelassen. Nachdem das Feuer in der ersten Brennkammer entzündet war, wanderte es acht Tage lang kontinuierlich von einer Kammer zur nächsten. Der um 1900 erbaute Ziegelofen von Diehl in Bechtolsheim zeigt in einem Luftbild - dokumentiert und ohne Schutzhaus - diese ringförmige Bauform deutlich.

[Bild: Archiv Lauzi]

Der 1904 erbaute Ringofen der Mainzer „Ziegelei Rosbach“ verdeutlicht eine letzte Weiterentwicklung des Hoffmannschen Brennofens zu einer ovalen Form mit 16 Einfüllöffnungen und seitlichem Schornstein. Die Beheizung fand von oben durch röhrenförmige Kanäle in der Decke, 12 in jeder Kammer, statt. Zur Steuerung der Luftzufuhr, Ableitung der Brenngase und der Wanderrichtung des Feuers dienten sog. Füchse, Luftkanäle im Brennofen, die durch Ventile, sog. Glocken, reguliert wurden. Durch diese Luftkanäle wurden auch die Abgase in den Schornstein abgeleitet. Die Brenntemperatur der Feuerzone betrug ca. 1000° Celsius.


Ziegeleien in Rheinhessen - historische und typologische Abfolge

0.5.Ziegeleien im 17. und 18. Jahrhundert

Schon die Legionen der Römer betrieben in Rheinhessen seit dem späten 1. Jahrhundert Ziegelhütten zur Fertigung von Dach- und Mauerziegeln. In Mainz und Worms sowie in einigen ländlichen Bereichen konnten römische Ziegelproduktionen archäologisch nachgewiesen werden. Auch zur Zeit Karls des Großen wurden Ziegel gebrannt, wie die im Bereich der Ingelheimer Kaiserpfalz gefundenen Spolien belegen. Doch waren die gebietstypischen Baumaterialien Naturstein für Herrschaftsbauten sowie Holz und Lehm für Wohnhäuser. Wohl die erste Erwähnung einer Ziegelhütte im heutigen Rheinhessen ergibt sich aus der „statistischen“ Erfassung des Erzstiftes Mainz, die der Kartograf Gottfried Maskopp in den Jahren 1575 - 1577 im Auftrag des Mainzer Kurfürsten Daniel Brendel von Homburg (1523−1582) durchführte. [Anm. 5] In seinem Plan der Gemarkung (Bingen-)Dromersheim verzeichnete er am Westausgang des Dorfes vor der Unteren Pforte eine Ziegelhütte. Der damalige Pächter ist nicht bekannt. Die erste namentliche Angabe eines Pächters ist im Gerichtsprotokoll von (Bingen-)Dromersheim aus dem Jahre 1627 zu finden, wie in der Chronik des Ortes von 1956 zu lesen ist. Darin ist ein Hieronymus Schmidt als Pächter der städtischen Ziegelei vor der Unteren Pforte genannt. [Anm. 6] Auch im benachbarten Sprendlingen gab es bereits vor 1657 eine Ziegelei. Dies erfahren wir aus der Tatsache, dass in diesem Jahr der dort wohnhafte Ziegler Franz in der Ziegelhütte von einem Franziskaner ein Kind taufen ließ, wie das Taufregister der evangelischen Pfarrei St. Michael in Sprendlingen unter der Nr. 36 angibt. [Anm. 7] Ziegel wurden auch beim Ausbau der oberhalb von St. Goar gelegenen Burg Rheinfels unter dem hessischen Landgraf Ernst von Hessen-Rheinfels im 17. Jahrhundert verwandt, wie noch heute am Gewölbe des großen Kellers und an zahlreichen Türstürzen zu sehen ist.

Um 1670 lassen sich in Oberheimbach am Mittelrhein der Ziegelbrenner Johann Dietrich Gottron und seine Familie nachweisen, wie der Mainzer Historiker Dr. Adam Gottron in seiner Familienchronik angibt. Von Heimbach wanderten Mitglieder der Familie Gottron im 18. Jahrhundert rheinaufwärts und siedelten sich im Umfeld der kurfürstlichen Residenzstadt Mainz an. In Weisenau, Mombach, Budenheim sowie rechtsrheinisch in Kostheim, Gustavsburg, Flörsheim, Nieder-Walluf und Raunheim entstanden nun Gottron‘sche Ziegeleien. Denn inzwischen herrschte in Mainz durch den Neubau großer Kirchen und zahlreicher Palais eine rege Bautätigkeit, wobei die Produkte aus den Ziegeleien der Familie Gottron offenbar guten Absatz fanden. Eine Darstellung der von Georg Philipp Gottron um 1760 in Kostheim an der Einmündung des Mains in den Rhein gegründeten Ziegelhütte hat sich im Stich des Kupferstechers Johann Christian Berndt aus dem Jahre 1792 erhalten. Bei der schweren Belagerung von Mainz im Jahre 1792 und den Kämpfen zwischen deutschen und französischen Truppen blieb sie, obwohl mitten im Schussfeld, weitgehend unbeschädigt.

[Bild: Archiv Lauzi]

Weil offenbar von Zieglern im Mainzer Kurfürstentum wiederholt schlechtes Material aus fehlerhaften Bränden geliefert worden war, erließ Kurfürst Friedrich Carl von Erthal mit Datum vom 27.8.1767 eine Verordnung zur Qualitätssicherung von Ziegeln. Bei Zuwiderhandlung drohte der Verlust der Zunftmitgliedschaft.

[Bild: Stadtarchiv Alzey ]

Als Fundgrube für Nachrichten über Ziegelherstellung im Raum Alzey im 18. Jahrhundert erweist sich das im Heimatmuseum Alzey verwahrte „Meisterbuch der Alzeyer Ziegler-Zunft“ für die Jahre 1727-1776. Dieses Buch verzeichnete die Mitglieder der Ziegelzunft im kurpfälzischen Verwaltungsbezirk des Oberamtes Alzey mit Angabe des Aufnahmedatum. 

Abenheim:            Johannes Bentz (1730), Anthoni Gaul (1731)

Bechenheim:        Hans-Peter Barth (1727), Johann Ferber (1736), Johann Peter Machwürth (1738), Peter   Bantzen (1738)

Bechtolsheim:      Johann Wilhelm Hetzel (1727), Georg Hetzel (1766)

Flonheim:             Thomas Klein (1727)

Gimbsheim:          Johann Georg Ritter (1737)

Gundersheim:       Henrich Berg und Henrich Schuster (1727)

Heimersheim:        Georg Angermöhner (1727), Johannes Gründer (1784)

Kettenheim:          Gerhard Stoll (1727), Heinrich Stoll (1736), Andreas Stoll (1759)

Monzernheim:        Ludwig Süß (1727), Andreas Derm (1727), Georg Hartmann (1759)

Offenheim:            Johannes Lahr/Hieronymus Briler/Matheis Oberheimer (1727), Johannes Becker (1730)

Osthofen:              sechs Ziegelmeister zwischen 1727 und 1768

Weinheim:            drei Meister (1727)

Westhofen:           Wilhelm Wischheimer (1727), Jörg Bach (1778), Mathias Bach (1779). 

Im benachbarten kurpfälzischen Wendelsheim wird in den Kirchenbüchern im Jahre 1760 die Taufe eines Kindes des Zieglers Johannes Cornelius und seiner Ehefrau Maria Elisabeth geb. Creutz genannt. Cornelius war 1746 als Meister in die Alzeyer Ziegler-Zunft aufgenommen worden. Für das Rathausdach lieferte er 1770 Biberschwanzziegel und 1776 für den Kirchturm Backsteine. [Anm. 8] Biberschwanzziegel mit den eingeritzten Jahreszahlen 1740 und 1757 geben in Wachenheim an der Pfrimm den Hinweis, dass dort in jenen Jahren bereits eine Ziegelei betrieben wurde. Derartig mit Jahreszahlen, Zeichnungen und Symbolen verzierte Dachziegel wurden auf rheinhessischen Dächern wiederholt entdeckt. Sie werden als „Feierabendziegel“ bezeichnet und entstanden in den Ziegeleien wahrscheinlich am Ende einer Tagesschicht. Ebenso lässt sich aufgrund der Produktion von Feierabendziegeln in Heimersheim um 1720 und Nackenheim um 1789 eine Ziegelproduktion annehmen.

0.6.Ziegelhütten nach dem Anschluss an das Großherzogtum Hessen-Darmstadt

Nachdem Rheinhessen 1815 zum Großherzogtum Hessen gekommen war, vollzog sich in den Städten und im ländlichen Raum allmählich ein technischer Wandel. Die großherzoglich – hessische Verwaltung ließ neue Schulen, Rathäuser und Sozialeinrichtungen erbauen. Neue Landstraßen wurden zur Erschließung des ländlichen Raumes angelegt. Zudem wurden in der Landwirtschaft zahlreiche Maßnahmen zur Ertragssteigerung eingeleitet. Anstatt landwirtschaftliche Anwesen aus Fachwerk mit Lehmfüllungen zu errichten, wurde nun der Massivbau propagiert. Hinzu kamen stärkere Anforderungen an Hygiene und Feuersicherheit für Brandwände und Dächer, wie sie schon das kurfürstliche Vizedomamt in Mainz durch Verordnung vom 5. Juni 1790 gefordert hatte. Danach durften Neubauten statt der bisher üblichen Eindeckung mit Stroh wegen der Brandgefahr nur noch eine feste Dacheindeckung erhalten.

„Der bisherige an vielen Orten noch geführte Gebrauch, die Wohnungen, Scheunen und Ställe mit Stroh zu decken, ist wegen dem schnellen und unwiderstehlichen Umgriff des Feuers bey entstehendem Brande für die allgemeine Sicherheit von so bedenklichen und nachtheiligen Folgen, daß man von Seiten der Ober-Policey ohnmöglich länger hiebey gleichgültig seyn kann. Wir weißen daher in dieser Rücksicht und zur Verhüthung ferner hieraus zu befürchten stehender Gefahr […], als das aufzuführende Gebäuthe mit Ziegeln gedeckt würden“. [Anm. 9] 

Hinzu kam, dass Mauer- und Dachziegel gegenüber dem heimischen Naturstein durch Vorfertigung und maschinelle Herstellung billiger waren. Auch der schnellere Transport auf dem Rhein beflügelte die Entwicklung. Die Vorzüge des industriell hergestellten Ziegels wurden durch Bauzeitschriften verbreitet und auf Fachmessen vorgestellt. Die großen Städte wie Mainz, Bingen, Alzey und Worms nahmen schnell an Einwohnerzahlen zu und dehnten sich in das Umland aus. Die Ansiedlung neuer Industriebetriebe, das Anwachsen der Bevölkerung und demzufolge der Wunsch nach schnell zu erbauenden Wohnungen erforderten billige und schnell zu beschaffende Baustoffe. Die Folge war, dass sich im unmittelbaren Umkreis von Mainz nun zahlreiche Ziegeleien ansiedelten: Bereits in einer topographischen Grundkarte von 1815 ist in (Mainz-)Mombach am Rheinufer eine Ziegelei eingetragen. Die Beschreibung von Rheinhessen des großherzoglich-hessischen Geometers Georg Wilhelm Justin Wagner von 1830 gibt für den Mainzer Einzugsbereich zahlreiche Ziegelhütten an, [Anm. 10] je eine in Budenheim, Heidesheim, Mombach, Kostheim und Nieder-Ingelheim. In Oppenheim befanden sich in dieser Zeit vier, in Nieder-Olm drei Ziegelhütten. Sie lassen ein lebhaftes und zunehmendes Baugeschehen vermuten. Auch das Vorhandensein von Ziegeleien in Albig, Alsheim, Kettenheim und Wachenheim an der Pfrimm kündet von wirtschaftlichem Aufschwung in Rheinhessen. In der Karte des Großherzogtums Hessen von 1832 ist in (Mainz-)Laubenheim am Rhein, gegenüber von Ginsheim, eine Ziegelei eingetragen. Neun Jahre später benennt das 1841 erschienene „Hof- und Staatshandbuch des Großherzogtums Hessen“ eine Ziegelei in Heimersheim sowie fünf Ziegeleien in Budenheim. In (Mainz-)Weisenau werden auf Stadtkarten 1849 eine Ziegelhütte an der Ecke Heiligkreuzweg / Göttelmannstraße, 1870 eine vor der Weisenauer Schanze, landauswärts, verzeichnet.

Nördlich des Mainzer Stadtgebietes auf der Ingelheimer Aue produzierte ab 1863 Christian Lothary in seiner Dampfziegelei hart gebrannte Klinker. Lothary, aus einer Mainzer Baumeisterfamilie stammend, war ab 1847 am Bau der Eisenbahnstrecke von Mainz nach Worms beteiligt und ließ ab 1850 südlich von Mainz auf dem Gelände der späteren Zementwerke in Kalköfen Baukalk brennen. Als Bauunternehmer führte er innerhalb der Stadt zahlreiche Erschließungsmaßnahmen durch und ließ z.B. am Kästrich und an der Ecke Schönbornstraße / Weißliliengasse mehrgeschossige Häuser unter Verwendung von Ziegelsteinen aus eigener Produktion errichten. 1882 wurde diese Ziegelherstellung beendet. Lothary verlegte sich danach ganz auf die Herstellung von Zement.

Auch im Mainzer Umland gab es nun eine rege Ziegelproduktion: Ab 1850 wurden in Nieder-Olm Feldbrandöfen in kleinindustriellem Ausmaß [Anm. 11] von Veit Stauder, Franz Jehstadt, Johann Blum, Michael Brabänder, Johann Schmuck und von der Firma Seibert & Kompagnon betrieben. Die Arbeitskräfte waren Nieder-Olmer Tagelöhner. Wanderarbeiter aus dem Lipper Land sorgten als „Brennheizer“ (Ofenmeister) für gleichmäßigen Brand und dauerhafte Qualität der Backsteine. Sie fanden im Zuge der Vergrößerung des Ortes durch neue Baugebiete guten Absatz. Im Jahre 1865 ließ Heinrich Esch in Nieder-Ingelheim auf seinem Grundbesitz südlich der Eisenbahnlinie (dem Gelände des heutigen Autohofes Frey) eine Backsteinfabrik errichten. Dank der guten Qualität des dort abgebauten Lehms konnten Backsteine mit hoher Qualität hergestellt werden. Diese Ziegelei arbeitete bis zum Jahr 1910, zeitweise mit 40 Arbeitern. Dann war der Vorrat an örtlichen Rohstoffen erschöpft. Im benachbarten Wöllstein [Anm. 12] produzierten die Feldbrennereien von Paul Kumpa, Fritz Kern und Philipp Jungk Backsteine. Dabei entwickelte sich die Ziegelei von Philipp Jungk so gut, dass sie die Produktionsstätten der Konkurrenten aufkaufen und eine neue Ziegelei einrichten konnte. 

Inzwischen hatte die Herstellung von Ziegeln auch das mittlere Rheinhessen erfasst. Im Gewerbeverzeichnis von Gundheim sind für die Jahre 1859-1864 die Brennereien von Cletus Blüm, Johann Heusen, Johann II Michel und Johann I Schmidt genannt. Auch in Köngernheim und dem benachbarten Undenheim wurden seit Mitte des 19. Jahrhunderts Backsteine in Feldbrennöfen gebrannt, oft von den Bauern hinter ihren Höfen für den Eigenbedarf oder in Form gewerblich betriebener Backsteinfabriken. Ihr Verbreitungsgebiet erstreckte sich bis nach Alzey und Harxheim. In Köngernheim beantragte Christoph Breivogel im Jahre 1858 auf seinem Acker am Friesenheimer Weg den Bau eines Feldbrennofens. Das einträgliche Geschäft veranlasste ihn bereits 1863, in unmittelbarer Nähe einen weiteren Brennofen aufzustellen. Zahlreiche Bauern aus Köngernheim folgten ihm. In Undenheim errichtete 1870 Valentin Schickert ostwärts vom Weidenweg seinen Ofen für eine Feldbacksteinbrennerei, westlich des Weidenweges Jakob Jungbluth VI. seine Backsteinfabrik. Ludwig Horter III. gründete 1873, zusammen mit Dieter Jung IV und Dieter Christmann, an der Neugasse, heute Gaststätte zum Keglerheim, eine Feldbacksteinbrennerei. 1878 errichtete Philipp Kalbfuß einen Brennofen westlich der heutigen Frankenstraße. 

Eine auffällige Häufung von Feldbacksteinbrennereien und Ziegeleien zeigte sich seit der Mitte des 19. Jahrhunderts in der Stadt Worms und ihren heutigen Vororten. Die 1853 vollendete Eisenbahnverbindung nach Mainz und die Lederindustrie ließen die Stadt zu einem wichtigen Industrie- und Handelsstandort mit Weltgeltung werden. Der Zuzug neuer Bewohner und der Bau von Fabriken und Wohnungen ließen die Nachfrage nach Ziegeln stark anwachsen. Im „Hof- und Staatshandbuch des Großherzogtums Hessen“ von 1841 sind in Worms erst drei Ziegeleien verzeichnet. In den folgenden Jahrzehnten zeichnete sich dort eine wachsende Tendenz zum Bau von Feldbacksteinbrennereien und Ziegeleien ab. Sie lässt sich an Hand von Bauanträgen bei der Kreisverwaltung Worms nachweisen: 1862 vier in Hochheim, 1864 und 1873 jeweils einer in Neuhausen, 1870 und 1871 in Leiselheim und 1881 erneut einer in Hochheim. In Pfeddersheim ließen 1852 Abraham Emanuel und 1873 Heinrich Rothrock Feldbacksteinbrennereien erbauen. 1872/73 wurden in (Worms-) Herrnsheim nachfolgende Konzessionen zur Errichtung einer Feldbacksteinbrennerei beantragt: von Andreas Lentz, Andreas Lentz IV., Hartmann Schärf, Franz Braun, Karl Erdelmayer II. und dem Niersteiner Andreas Zimmermann. 1888 stellten Georg Wachter aus Herrnsheim und 1889 Ludwig Nau aus Gimbsheim weitere Anträge. Auch im weiteren Umland von Worms entstanden zahlreiche neue Feldziegeleien: nachdem Jakob Keil in Hohen-Sülzen [Anm. 13] im Jahre 1858 die erste Feldfabrik hatte errichten lassen, folgten bis zum Jahr 1882 weitere 21 Anträge, so dass dort letztendlich von den etwa 400 Einwohnern jeder 20. eine Backsteinbrennerei auf seinem Acker betrieb. Ob die dort gebrannten Steine nur für den Eigenbedarf benutzt oder auch verkauft wurden, ist nicht bekannt. Jedenfalls war die Qualität der örtlichen Tonvorkommen so gut, dass die benachbarten Tonwerke Offstein ihren Rohstoff weitgehend aus Hohen-Sülzen bezogen und auch die saarländische Keramikfirma Villeroy & Boch dort eine eigene Tongrube betrieb.

Besonders attraktiv für die Einrichtungen von Feldbacksteinbrennereien waren die Rheinniederungen zwischen Guntersblum, Eich, Gimbsheim und Hamm. Hier fand sich im Bereich des Altrheins feinkörniger Hochflutlehm, aus dem sich hochwertige gelbe Ziegelsteine brennen ließen. Erste Anträge für Tonaushub und Feldbrennereien in der Gemarkung Hamm wurden bei der Bürgermeisterei in Hamm schon im Jahre 1840 gestellt. [Anm. 14] Zahlreiche Feldbacksteinbrennereien folgten ihnen in den Altrheingemeinden Gimbsheim, Hamm, Ibersheim und Eich ab 1850. So beantragte Johann Balzhäuser VI. 1856 die Errichtung einer Feldbacksteinbrennerei in der Gemarkung Hamm. 

[Bild: Archiv Lauzi ]

In den Jahren 1857-1876 betrieb dort Georg Peter Seibert in der Nähe der Eicher Seen eine Feldfabrik. Die Kapazität des Betriebes und seine Geschäftsbeziehungen lassen sich noch heute gut aus dem in der Familie erhaltenen Geschäftsbuch nachvollziehen. Anhand der darin dokumentierten Frachtgebühren lässt sich ermitteln, dass Georg Peter Seibert im Jahre 1860 etwa 450.000 Backsteine herstellte und sie überwiegend nach Darmstadt verkaufte. Ganze Häuserreihen wurden dort im expandierenden Stadtgebiet aus seinen Ziegeln gebaut. Wie viele Backsteinbrenner betrieb die Familie neben dem Ziegelbrennen noch eine Landwirtschaft, eine Gastwirtschaft und eine Kohlenhandlung. In Nackenheim direkt am Rhein gegenüber der Spitze von der Sändcheninsel betrieb ab 1875 Daniel Bauer eine Feldbacksteinbrennerei. In Guntersblum führte Jakob Staufer III. um 1885 eine gut gehende Feldbacksteinbrennerei, die bis zu 20.000 Backsteine der ersten und zweiten Sorte liefern konnte. 

[Bild: Hans-Peter Hexemer, Nierstein]

[Bild: Archiv Lauzi ]

Das Brennen von Ziegeln in Feldbrennereien blieb trotz der Konkurrenz der neuen Ringöfen weiterhin ein lukratives Geschäft, wie z.B. im Raum Worms. Noch im Jahr 1905 stellte in (Worms-)Pfiffligheim Jakob Marschall III. einen Antrag zum Bau eines Feldbrennofens, allerdings nur, um Ziegel für den eigenen Bedarf zu brennen. 1907 tat es der Maurermeister Johann Neiss ihm nach mit der Erläuterung:

 „Ich beabsichtige, die Backsteinbrennerei etwa zwei Jahre lang zu betreiben. Die gewonnenen Steine will ich nicht verkaufen, sondern für meine Bauten verwenden. Ein Ringofen soll nicht aufgebaut werden, vielmehr handelt es sich um einen gewöhnlichen Feldbrand, der meines Erachtens nicht genehmigungspflichtig ist“. 

1908 stellten die Wormser Firmen Paul Schmidt Sohn und 1910 Nikolaus Neff aus Pfiffligheim jeweils Anträge zum Brennen von Backsteinen. Auch Heinrich Wagner erhielt 1927 die Erlaubnis, einen Feldbrandbetrieb zu errichten, unter der Auflage, dass er die Steine nur zum Bau seines geplanten Wohnhauses verwendet. 

1907-1909 wurden zum Bau neuer Brennereien in (Worms-)Hochheim drei Bauanträge gestellt. Für das Bauvorhaben des Bernhard Bork, das kurz darauf ausgeführt wurde, erfahren wir in der Erläuterung seines Bauantrages auch einige wirtschaftliche und soziale Hintergründe:

„Die Brennerei auf dem Grundstück Flur VIII habe ich fünf Jahre lang betrieben. In dieser Zeit habe ich noch für andere gearbeitet, in Backsteinbrennereien in Leiselheim, Hochheim und Pfiffligheim. Dann habe ich eine Wirtschaft übernommen und da es mir an Zeit mangelte, die Brennerei nicht weitergeführt. Jetzt habe ich den Wirtschaftsbetrieb wieder aufgegeben. Ich beabsichtigte nun, das mir gehörige Gelände auszubeuten und erkläre mich bereit, auf Verlangen der Stadt Worms den Betrieb wiedereinzustellen. Das Grundstück ist bereits zur Hälfte ausgebeutet. Höchstenfalls werden zwei Leute beschäftigt werden und 2-3 Brände im Laufe des Sommers stattfinden. Der Brand wird mehr als 4-5 Tage dauern“.

Auch in Gimbsheim war Anfang des 20. Jahrhunderts eine Blütezeit der „Backsteinmächer“. In den jeweiligen „Campagnen“ (April bis November) arbeiteten dort mehr als 100 Arbeiter. Im Adressbuch von 1906 sind in Gimbsheim zehn Backsteinbrenner verzeichnet. 

Trotzdem war am Ende des 19. Jahrhunderts der Bau von Ziegelringöfen nicht mehr aufzuhalten. Immer weniger Ziegel wurden in Rheinhessen in Meilern gebrannt. 

Neben den Feldbrennereien entstanden ab etwa 1860 in der Region zunehmend größere Ziegeleien mit gemauerten, ringartig gebauten Brennkammern und Schornsteinen zur Herstellung höher gebrannter Steine. Weil zudem zum Anrühren des Tons sowie zum Schneiden und Pressen der Ziegel Dampfmaschinen eingesetzt wurden, wuchs die Ausbeute von Ziegeln bei einer derartigen Mechanisierung des Arbeitsprozesses um ein Vielfaches. Es bildete sich der Beruf des Ringofensetzers als eigene Gattung. 


In Gabsheim errichtete Franz Josef Senfter, etwa um 1880, eine Ziegelei. Sie produzierte wahrscheinlich bis Anfang des 20. Jahrhunderts. 

[Bild: Jungk, 1995 ]

1891 ließ die Firma Jungk in Wöllstein [Anm. 15], auf Grund der guten Nachfrage nach ihren Ziegelprodukten, einen Ringofen mit 14 Kammern errichten. Hier wurde ein breites Sortiment an Ziegelprodukten wie Mauer- und Dachziegel sowie Formsteine für Decken und Schornsteine gefertigt. Die Produkte fanden einen guten Absatz, so dass bereits 1899 die Ziegelei modernisiert und eine Dampfmaschine angeschafft wurde. Im Jahre 1913 wurde der Ringofen um weitere acht Kammern erweitert.

Im Rhein- und Nahe-Boten vom 21. Juli 1887 erfahren wir von der Backsteinfabrik des Karl Hermann in Bingerbrück für seine Backsteine. Dies ist der erste Hinweis auf eine Ziegelei in Bingerbrück. Im Binger Anzeiger vom 21. Oktober 1896 wurde von den Dampfziegeleien Seligmann & Simon und Georg Baumgärtner in Bingen berichtet. 


[Bild: Heimatjahrbuch des Kreises Mainz-Bingen, 2009]

Im benachbarten Sprendlingen [Anm. 16] bestanden bereits ab Mitte des 19. Jahrhunderts die „Tonwerke Ludwigshütte“ (Inh. Straßburger) in der Sankt Johanner Straße und die Fabrik Schnell Wwe. Im Jahre 1894 ließ der Ziegeleibesitzer Johann Schnell XI. in der Badenheimer Straße am Bahnhof einen Ringofen erbauen und führte damit die seit mehreren Generationen gepflegte Familientradition weiter. Umfangreiche Werkshallen, ein Geschäftshaus und ein heute noch erhaltener Wasserturm komplettierten die Anlage. Die Qualität der hellen Ziegel war so gut, dass sie nicht nur im Ort selbst bei zahlreichen Bauten zwischen Schulstraße und Bahnhofstraße sowie am neuen Schulhaus Verwendung fanden, sondern über die Region hinaus verkauft werden konnten. Auch die drei Söhne von Johann Schnell XI, Johann V, Jakob V und Philipp VII waren in der Firma tätig. 


[Bild: Ziegeleimuseum Mainz]

In besonderem Maße war das Umfeld der Gemarkung (Mainz-)Hechtsheim seit dem letzten Viertel des 19. Jahrhunderts von Tongruben und Ziegelherstellung geprägt. Drei leistungsfähige Betriebe gruben hier die reichen Tonvorkommen ab und betrieben große Dampfziegeleien: Auf dem Gelände des heutigen Finanzamtes Mainz-Süd produzierte bis etwa 1920 die Ziegelei von Otto Braunewell. An der Hechtsheimer Straße hatte sich auf dem Gelände der heutigen „Automeile“ die Firma von Ludwig Marx und am heutigen Kreuzungspunkt der Alten Mainzer Straße mit der Autobahn Ziegelei Alois Richardt (vor 1904 Groh) angesiedelt.

Alois Richardt vergrößerte vor dem Ersten Weltkrieg seine Ziegelei um einen zweiten Ringofen. Mit insgesamt vier Ringöfen und einer Jahresproduktion von ca. 17 Millionen Backsteinen waren diese drei Hechtsheimer Betriebe 1917 die größten Ziegeleien im Mainzer Raum. Sie waren durch Größe und Leistungsfähigkeit auch ein Spiegel der regen Bautätigkeit in Mainz, die besonders durch Bauarbeiten für die Mainzer Festungsanlagen sowie für neue Wohn- und Industriebauten geprägt waren. Die dort tätigen Maurer und Bauarbeiter wohnten zum größten Teil im benachbarten Hechtsheim, das man um 1900 auch das „Maurerdorf“ [Anm. 17]  nannte. Jeder dritte Arbeiter in Hechtsheim war zu dieser Zeit Maurer oder sonst am Bau Beschäftigter.

Seit dem Ende des 19. Jahrhunderts betrieb Nikolaus Tremmel in der Gemarkung (Mainz-) Bretzenheim an der Pariser Straße einen Ziegelbetrieb. Anfang des 20. Jahrhunderts nahm er Anselm Ludwig Rosbach als Teilhaber auf und ließ 1904 einen Ringofen errichten. Neben den vorgenannten Ziegeleien entwickelte sich die Ziegelei Roßbach mit 5,7 Mio Steinen Jahresproduktion zur drittgrößten im Mainzer Raum. Um 1922 wurde die Anlage durch technische Einbauten modernisiert, die Nebenanlagen um Wohnungen für Tagelöhner und Verwaltungsräume erweitert. Erst im Jahre 1972 wurde die Ziegelei wegen Erschöpfung der Tonvorräte geschlossen. Alle Bauten haben sich erhalten und werden inzwischen mit vielfältiger Zielsetzung genutzt. Der Ringofen der Ziegelei Roßbach ist inzwischen nicht nur der letzte in Rheinland-Pfalz, sondern hat auch bundesweite Bedeutung.

Weiterhin gab es nach Angabe des Mainzer Adressbuches, Ausgabe 1914 und 1915, in (Mainz-)Finthen im Bereich des Katzenberges neben einem Steinbruch die Backsteinbrennerei des Peter Josef Ludwig Schütz. Sie produzierte bis 1927 jährlich 4 Millionen Backsteine. 1929 wurde nach Stilllegung der Produktion auch der Schornstein niedergelegt. Zur gleichen Zeit besaß Schütz offenbar zusätzlich in Finthen eine Feldbrennerei.


[Bild: Archiv Lauzi ]

Gegen Ende des 19. Jahrhunderts wurden in Bodenheim im Süden von Mainz die „Vereinigte Nackenheimer- Bodenheimer Ziegelwerke“ gegründet. Eigentümer war Jakob Albrecht. Die Ziegelei hatte eine große Produktpalette, fertigte neben Mauerziegeln und Klinkern aller Art sowie Dachpfannen und Biberschwanzziegeln auch Ziegelhohlkörper zur Herstellung von Decken. Nach verschiedenen Besitzerwechseln wurde der Betrieb Anfang der 1960er Jahre eingestellt. 

In Worms entstand noch vor 1880 an der Ausfallstraße nach Herrnsheim die Firma „Wormser Dampfziegelei Kärcher & Weiler“. Nach einer Aufstellung der Wormser Ziegelbetriebe aus dem Jahr 1890 hatte sie sich mit 27 Mitarbeitern und einer jährlichen Produktion von ca. 2,5 Millionen Steinen zur größten Backsteinfabrik in der Stadt entwickelt. Die beigefügte Aufnahme aus Familienbesitz zeigt Ziegeleibesitzer Heinrich Weiler im Jahre 1912 im Kreis von Mitarbeitern vor einem der Brennöfen. Auch ein italienischer Gastarbeiter (ganz rechts) mit seinen Kindern war dabei. 


[Bild: Heimatmuseum Bodenheim ]

Als Beispiele spät errichteter Ziegelringöfen seien die Brennereien in Bechtolsheim und in Bechtheim vorgestellt: In Bechtolsheim errichtete Johann Diel VI. um 1900 eine Ziegelei mit Ringofen. Im Ort war er als „Backstein-Hannes“ bekannt. Er produzierte außer Mauersteinen auch Dachziegel im Biberschwanzformat und Hohlplatten aus Ton zur Herstellung von Decken. Die Ziegelei Diel stellte nach 1970 ihre Produktion ein. 


[Bild: Stadtarchiv Worms]

Auch in Bechtheim standen die 1910 von einer Aktiengesellschaft errichteten „Tonwerke Westhofen GmbH“ in einer seit Generationen betriebenen Tradition der Backsteinbrenner und Töpfer. Die Geschichte ihrer Entstehung, aber auch ihres Unterganges ist in der handgeschriebenen Chronik der Ortsgemeinde in Text und Bild beschrieben und soll hier auszugsweise wiedergegeben werden: [Anm. 18] 

„Das Handwerk der Backsteinbrenner und Töpfer fand im Tonwerk Westhofen seinen Nachfolger, das 1910 errichtet wurde. Seine Namensgebung durch die Gründungsgesellschaft ist ein Kuriosum; denn das Tonwerk Westhofen stand beim Bahnhof Monzernheim – in der Gemarkung Bechtheim. Was hatte dieses Werk mit Westhofen evtl. gemeinsam? Die Bechtheimer Tonvorkommen unweit des 1895/97 erbauten Bahnhofs für die Gemeinde Monzernheim an der Strecke Osthofen-Gau-Odernheim, eine weiß brennende Farbenerde, waren sehr begehrt. Man fuhr diese Erde mit dem Fuhrwerk nach Alzey, Bingen und Oppenheim. Die Töpfer von Hessloch, Monzernheim und Westhofen waren ebenfalls gute Abnehmer […].

Das Werk wurde auf dem Gelände erbaut, wo lange Jahre die Familie Feile aus Monzernheim eine Tonkaut hatte. Die Gebrüder Wilhelm und Jakob Feile, […], verschickten viele Waggonladungen dieses edlen Tones nach Ludwigshafen, Bad Mergentheim, Frankfurt am Main und auch in die Schweiz. Nach einigen Besitzerwechseln erwarb eine Aktiengesellschaft die Grundstücke und errichtete 1910 das Tonwerk Westhofen GmbH. Eine Anzeige vom Jahr 1913 in der Wormser Zeitung besagt: Blumentöpfe in allen Größen, Dränageröhren glasiert und unglasiert, Biberschwänze, Dachziegel, Bodenbelagplatten, Kabelsteine, Klebsandsteine. Rasch blühte das Werk auf und hatte um 100 Mitarbeiter beschäftigt. Der wirtschaftliche Niedergang nach dem ersten Weltkrieg wirkte sich auch auf das Tonwerk aus. Es musste deshalb 1925 stillgelegt werden. Die Fabrikanlage wurde auf Abbruch verkauft. […]“.

In Westhofen kann exemplarisch das Anwachsen der Ziegelindustrie im letzten Viertel des 19. Jahrhunderts und der damit einhergehende neue Wohlstand beobachtet werden [...]. [Anm. 19] Elf Backsteinfabriken waren im Umkreis des Ortes entstanden. Sie deckten nicht nur den örtlichen Bedarf an Mauer- und Dachsteinen, der durch Bevölkerungszunahme, wirtschaftlichen Aufschwung und rege Bautätigkeit entstanden war, sondern hatten auch rege Geschäftskontakte in das weite Umland. Die Fertigstellung der Bahnverbindung von Osthofen nach Westhofen im Jahre 1888 und der Anschluss an die Bahn zwischen Mainz und Ludwigshafen beschleunigte den Aufbau der Westhofener Ziegelindustrie. Nun konnten die dort hergestellten Produkte kostengünstig in alle Welt geliefert werden. Die wirtschaftlichen Einbrüche in den Jahren des Ersten Weltkrieges 1914–1918 zwangen viele Betriebe in Westhofen zur Aufgabe.

Im benachbarten Monsheim wurde gegen Ende des 19. Jahrhunderts von der Firma Christian Heess ein Ringofen betrieben. Er stellte offenbar bereits vor dem Zweiten Weltkrieg seinen Betrieb ein.


[Bild: Archiv Lauzi ]

Nur wenig ist über die bald nach 1900 gebaute Ringofen-Ziegelei in Alzey bekannt. Sie produzierte ebenso Biberschwanz- und Falzziegel wie Mauersteine und Drainagerohre. In einer Anzeige im „Rheinhessischen Adreßbuch“ von 1906 gibt sie als Spezialität die Herstellung feuer- und schallsicherer Massivdecken mit Ziegelhohlkörper und integrierten Eisenträgern an. Nach mehrfachem Besitzerwechsel wurde am Beginn des Zweiten Weltkrieges die Produktion stillgelegt, die Gebäude nach dem Krieg abgebrochen.


0.7.Soziales

„Leddebibbes“ – so verspotteten die Sörgenlocher einst den Beruf der Ziegler. „Backstooschneider“ riefen ihnen die Niersteiner hinterher. „Backstoohennes“ hießen sie in Bechtolsheim, „Zielebächer“ im Raum Alzey. Die Bevölkerung in Rheinhessen hatte viele Spitznamen für die Arbeiter im Ziegelhandwerk.

Die Arbeit in einer Ziegelei war eine harte Tätigkeit, die weitgehend von jungen und ungelernten Arbeitskräften, z.T. als Wanderarbeiter, durchgeführt wurde. Gearbeitet wurde von Sonnenaufgang bis Sonnenuntergang. Die Arbeiter wohnten vielfach auf dem Gelände der Ziegelei, in unter heutigen Gesichtspunkten engen und z.T. unhygienischen Unterkünften. Das Großherzogliche Kreisamt Worms sah sich daher im Jahre 1895 veranlasst, auf die Beachtung der „Polizeiverordnung über Schlafstätten, Wohn- und Aufenthaltsräume in Ziegeleien“ [Anm. 20] hinzuweisen. Danach mussten Wohn- und Schlafräume mindestens 25 cm über dem Erdboden liegen und ausreichende Belichtung und Belüftung sowie Heizung durch Öfen haben. Das Schlafen über Brennöfen oder in deren unmittelbarer Nähe war untersagt. Jedem Arbeiter mussten ein neuer Strohsack, ein Strohkopfkissen und eine Wolldecke sowie wöchentlich reine Handtücher zugewiesen werden. Weiterhin wurde auf das Vorhandensein ausreichend geräumiger Küchen zur Selbstversorgung, von gesundem Trinkwasser und von Aborten hingewiesen. Auch die Mitarbeit von Frauen und Kindern war bis Anfang des 20. Jahrhunderts die Regel. Der Gewerbeinspektor in Darmstadt wies daher 1904 mit Deutlichkeit die Ziegeleibesitzer auf die Beachtung der reichseinheitlichen „Vorschriften zum Schutze weiblicher und jugendlicher Arbeiter in Ziegeleien“ hin und führte routinemäßig Kontrollen der Betriebe durch.

[Bild: Hans-Peter Hexemer, Nierstein]

Hier die Vorschriften für „Ziegeleien mit ständigem Betrieb“ im Wortlaut:

Junge Leute beiderlei Geschlechts von 14-16 Jahren dürfen nicht länger als 10 Stunden täglich beschäftigt werden. Die Arbeitsstunden dürfen nicht vor 5:30 Uhr morgens beginnen und nicht über 20:30 Uhr abends dauern.

Arbeiterinnen über 16 Jahren dürfen nicht über 11 Stunden an den Vorabenden der Sonn- und Festtage über 10 Stunden täglich beschäftigt werden. Die Arbeitsstunden müssen zwischen 5:30 Uhr morgens und 20:30 Uhr abends liegen.

An den Vorabenden der Sonn- und Festtage dürfen Arbeiterinnen, einerlei welchen Alters, nicht länger als bis 17:30 Uhr nachmittags beschäftigt werden.

Den Arbeiterinnen über 16 Jahren ist täglich eine mindestens einstündige Mittagspause zu gewähren; sofern dieselben ein Hauswesen zu besorgen haben, sind sie auf ihren Antrag eine halbe Stunde vor der Mittagspause zu entlassen, falls letztere nicht mindestens anderthalb Stunden beträgt. 

Dass die Mitarbeiter der Ziegeleien nicht nur aus dem direkten Umfeld kamen, sondern auch als Wanderarbeiter durch die Lande zogen, geht aus dem Wachenheimer Gesindebuch, das bei der Ortsgemeinde verwahrt wird, hervor. Die Wanderziegler kamen überwiegend aus der näheren Umgebung, aber auch aus Baden, dem Odenwald und Luxemburg. Sie blieben in der Regel ein paar Monate. Nur vier Ziegler blieben ein Jahr und länger. 1899 hörte der letzte Wanderziegler auf, in Wachenheim zu arbeiten. In Wachenheim wurden Backsteine, Hohlziegel und Biberschwänze gebrannt. 

Der Nieder-Olmer Schriftsteller Wilhelm Holzamer hat in seinem Roman „Der Entgleiste“ den Zieglern von Nieder-Olm, die als Tagelöhner nur saisonbedingt arbeiten konnten, ihrer harten Arbeit und ihrem Leben voll von sozialen Spannungen ein literarisches Denkmal gesetzt. Holzamer hatte seine Kinder- und Jugendjahre in der Zieglergasse, dem heutigen Wilhelm-Holzamer-Weg, verbracht und kannte die Arbeitsbedingungen der Ziegler aus eigenem Erleben.

Die Fertigung der Lehmsteine und deren Brennen in Feldbrandöfen sowie die Arbeitsbedingungen der „Backsteinmächer“ lassen sich auch den Aufzeichnungen des jungen August Leißler in der Ortschronik von Hamm entnehmen. [Anm. 21] Leißler arbeitete in den 1930er Jahren als junger Mann auf dem „Backsteinwörth“ in dem Betrieb der Firma Luckas & Rehn. 

„Die Backsteinfabrik auf dem Wörth […] war bereits ein moderner Betrieb, da einige Arbeitsvorgänge schon von Maschinen erledigt wurden. […] Es gab einen geregelten 8-Stunden Tag, also eine 48 Stundenwoche. […] Auch die Kranken-und Invalidenversicherung war geregelt. Da es sich jedoch um Saisonarbeit handelte […], gab es allerdings keinen Urlaub und natürlich auch kein Schlechtwettergeld. […] Der Stundenlohn betrug 48 Pfennige […]. Morgens ging es um 7:00 Uhr los. Mit dem Nachen fuhr man auf den Wörth (Insel). Das Mittagessen brachten die Frauen und Mütter. Etwa zwölf Mann schafften damals in dem Betrieb.

Ein Trockenbagger nahm die Erde (Lehm) in der Erdkaut (Grube) auf und lud sie auf Kippwägelchen (Loren). […] Dieses Rohmaterial wurde dann wieder in die Loren verladen und zum Maschinenhaus geschoben, wo es auf einer Plattform abgekippt wurde. Die Maschine war eine große „Schnecke“ (Prinzip eines Fleischwolfes), die den Lehm transportierte, nochmals mischte, presste und so den Rohbackstein formte. Am Ende der Schnecke wurden von der ankommenden Rohmasse die einzelnen Steine mit einem Drahtschneider abgeschnitten, abgenommen, auf die Loren gesetzt und zum Trocknen gefahren. […] Auch das „Füllen“, „Füttern“ der Schnecke war Handarbeit. Sehr schwere Handarbeit […]. Die Arbeiter lösten sich an diesen Stellen halbstündlich ab. Zum Trocknen kamen die Rohsteine auf den „Stock“, wo sie zunächst bis zu einer Höhe von 60-70 Zentimeter aufgesetzt wurden. […]

Nach 4-5 Wochen waren die Steine trocken. Jetzt wurden sie wieder auf Wägelchen geladen und zum Ofenplatz transportiert, wo ein Ofen gesetzt wurde.“ 

[Bild: Museum der Verbandsgemeinde Eich ]

„Zunächst kam eine Schicht alter Steine als Unterlage, darauf dann die erste Lage Rohsteine, auf diese kam eine 2-3 cm dicke Kohleschicht; so wurde der Ofen bis zu einer Höhe von 4-5 m aufgeschichtet. Die Fläche betrug ca. 12-15 × 12-15 m. Außen wurde der Ofen zunächst mit alten Steine ummantelt. […] Zum Schluss wurde der Ofen ringsherum mit Lehm zugeschmiert und oben mit alten Steinen abgedeckt. Jetzt konnte der Ofen ringsum angesteckt werden. Die Brennzeit war 6-8 Wochen. Der Mantel aus Lehm und alten Steine wurde dann entfernt und die Steine abtransportiert. […] Backsteinmachen war eine sehr schwere Arbeit, eine Schufterei. Auch noch in diesem modernen Betrieb. Wie müssen erst die Backsteinmächer um 1900 geschuftet haben, wo alle Arbeitsvorgänge mit der Hand gemacht werden mussten? […]“.

0.8.Das Ende der Ziegelproduktion

Heute sind die Ziegeleien meistens aus dem Gedächtnis der Bevölkerung verschwunden. Nur Flurnamen wie „Lehmkaute“, „Im Leimen“ oder „In der Backsteinfabrik“ in Undenheim weisen auf ehemalige Ziegelproduktion hin. 

Nach dem Ersten Weltkrieg bahnte sich langsam ein Ende der Produktion von Backsteinen an. Waren 1907 in Worms im Verzeichnis der Gewerbepolizei für den Betrieb von Backsteinbrennereien noch 20 Betriebe aufgeführt, so gab es 1918 nur noch drei Ziegeleien. Die Dampfziegelei Kärcher & Weiler war 1925 die letzte Ziegelei im Stadtgebiet Worms. Die Backsteinfabrik Lucas & Rehn war der letzte Betrieb in den Altrheingemeinden, der noch bis 1934/35 Backsteine in Meilern brannte. 1933/34 wurde er geschlossen. Auch in Bingerbrück wurde in den 1930er Jahren die Ziegelherstellung eingestellt. Das Gelände der Ziegelei wurde fortan als Baugelände genutzt.

Dass noch 1951 die Ziegelwerke Frank in Bechtolsheim einen großen Ringofen erbauen ließen, sollte eine kurzzeitige Ausnahmeerscheinung bleiben. Zunächst konnte die Firma die Deutsche Bundespost für deren Kabelbau als Abnehmer der von ihnen hergestellten Kabelabdeckhauben gewinnen. Doch da der örtliche Lehm für die Kabelabdeckhauben zu kalkhaltig war, hatten diese nicht die notwendige Festigkeit und brachen schnell. Die Aufträge der Post blieben bald aus und es kam zu finanziellen Schwierigkeiten. Der Betrieb wurde schon nach kurzer Zeit eingestellt. In den 1960er Jahren folgte landesweit das Ende der Ziegeleien. Sie konnten dem Konkurrenzdruck der Betonsteine nicht mehr standhalten. 1966 stellte die Firma Jungk in Wöllstein ihre Ziegelproduktion ein. Seit 1968 werden hier Porotonziegel produziert. Damit ist die Firma Jungk die einzige Ziegelei in Rheinhessen, die noch Ziegel brennt. 1970 stellten die verschiedenen Ziegelwerke der Familie Schnell in Sprendlingen, 1972 die Mainzer Ziegelei Rossbach, wie schon dargelegt, ihre Produktion ein. [Anm. 22]  

Wie stark die Menschen mit „ihrem“ Ziegelwerk verbunden waren, ist in der Chronik der Gemeinde Bechtheim [Anm. 23] über das Ende der „Tonwerke Westhofen“ und dem Abbruch ihres Schornsteins im Jahre 1934 nachzulesen:

Ein letzter Zeuge des Tonwerks Westhofen, der große Schornstein, wurde am 9. Juni 1934 niedergelegt. Hunderte von Schaulustigen waren dabei. In den unteren Teil des Schornsteins wurde eine Bresche geschlagen und mit Balken abgestützt. Während dieser Vorbereitungen war Zimmermeister Fritz Schupp mit seiner Trompete auf den Schornstein gestiegen und blies aus luftiger Höhe allerlei Volkslieder und zum Schluss das Lied „vom guten Kameraden“. Nach diesem Abschiedslied übergoss man die Holzbalken mit Petroleum und zündete sie an. Gewaltige Rauchwolken drangen zum letzten Mal aus dem Schornstein und nach dem Abbrennen der Hauptstützen schwankte der Riese, neigte sich zur geplanten Seite und stürzte unter Donnergetöse in Rauch- und Staubwolken verschwindend zusammen. Ein Gigant war gefallen. Das Werk, das 15 Jahre lang einigen Menschen aus der Umgebung Arbeit und Brot gegeben hatte, war nicht mehr. 

Verfasser: Alfons Lauzi, Paul-Georg Custodis

Erstellt: 2015–2018

Anmerkungen:

  1. Soweit nicht anders angegeben, beziehen sich die Angaben auf das Archiv Lauzi.  Zurück
  2. Ertel 2014, S, 71-74.  Zurück
  3. Bender 2004, S. 283ff.  Zurück
  4. Konrad 2011, S. 77ff.  Zurück
  5. Dumont 1998.  Zurück
  6. Müller 1956.  Zurück
  7. Forschungen Gerhard Bühl u.a. zur Vorbereitung einer Ortschronik von Sprendlingen, um 2011.  Zurück
  8. Forschungen Jakob Schwind, Wendelsheim, nach den Kirchenbüchern der ev. Pfarrei Wendelsheim, 2015.  Zurück
  9. Ders. 1986, S. 3.  Zurück
  10. Wagner 1830.  Zurück
  11. Weisrock 1991, S. 95.  Zurück
  12. Jungk 1995.  Zurück
  13. Auskunft Heimatverein Offstein/ Heimatmuseum / Herr Erich Weber.  Zurück
  14. Ortsgemeinde Hamm 1982, S. 491.  Zurück
  15. Jungk 1995.  Zurück
  16. Schnell 2009, S. 83ff.  Zurück
  17. Lemb, Walter; Schwinn, Horst (Hg.), Hexemer Leit, Mainz 2011 (Schriftenreihe Hechtsheimer Ortsgeschichte, Sonderausgabe, S. 9.).  Zurück
  18. Bender 1976, S. 898ff, Auslassungen Lauzi.  Zurück
  19. Ertel 2014, S. 71ff.  Zurück
  20. Polizeiverordnung vom 21.12.1894, in: Amtsblatt der Großh. Kreises Worms Nr. 2 vom 24.4.1895.  Zurück
  21. Ortsgemeinde Hamm 1982, S. 495., Auslassungen Verfasser.  Zurück
  22. Schnell 2009, S. 83.  Zurück
  23. Bender 1976, S. 898ff., Auslassungen Lauzi.  Zurück