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Joseph Schaffner (1848-1918) - Geschäftsmann, Literaturfreund, Philanthrop und Pionier der amerikanischen Sozialpartnerschaft an der Spitze des Bekleidungsunternehmens Hart Schaffner & Marx, Chicago

Joseph Schaffner wurde am 23. März 1848 in Reedsburg, einem kleinen Ort an einer ehemaligen Postkutschenstation in der Nähe der Kleinstadt Wooster im Wayne County, Ohio, USA, geboren. Sein Vater Solomon Schaffner (1817-1883) war Mitte der 1840er Jahre aus dem rheinhessischen Eppelsheim in die USA ausgewandert und zunächst als „peddlar“ (Hausierer) durch das Land gezogen. Nach der Heirat mit Henriette Hecht und Geburt des Sohnes siedelte die Familie sich in Cleveland, Ohio, an und betrieb hier einen „dry goods store“ (Gemischtwarenladen).[Anm. 1]

 

Reprint des Kataloges von 1909/10

Joseph Schaffner besuchte die öffentliche Schule, arbeitete zunächst im Geschäft seines Vaters mit und ging im Alter von 23 Jahren nach Chicago, wo er 17 Jahre lang als Buchhalter in einem Textilwarenbetrieb tätig war.  

Im Jahr 1887 suchte er nach einer neuen Herausforderung, die sich ihm in einem Versicherungsunternehmen in St. Paul in Minnesota bot. Doch war er unschlüssig, ob er diese Stelle annehmen und Chicago verlassen sollte.

Er sprach darüber mit seinen Cousins Max und Harry Hart[Anm. 2], die ebenfalls aus Eppelsheim stammten[Anm. 3] und 1872 ein Geschäft für Herrenbekleidung gegründet hatten. Da ihr bisheriger Partner, ihr Schwager[Anm. 4] Levi Abt (1836-1922) das Unternehmen nach acht Jahren verlassen hatte und sie gerade nach einem neuen Teilhaber[Anm. 5] in der Geschäftsleitung suchten, kam Schaffners Zögern für die Gebrüder Hart daher wie gerufen. Sie boten ihm an, sich mit ihnen zusammenzutun, die Bekleidungsfirma zu vergrößern und mit erweiterter Konzeption auf eine breitere Basis zu stellen.

Schaffner sagte nach kurzer Bedenkzeit zu und trat 1887 in die Firma seiner Cousins ein. Das Unternehmen erhielt damit den noch heute existierenden Firmennamen „Hart Schaffner & Marx“.[Anm. 6]

Für Joseph Schaffner begann erst jetzt, im Alter von knapp vierzig Jahren, seine wirkliche Karriere. Und so konnte er auch ein Jahr später, 1888, die aus Cleveland stammende Deutschlehrerin Sarah Halle (1862-1957) heiraten, mit der er drei Kinder hatte.

Schaffner, obwohl beruflich bisher ausschließlich dem Rechnungswesen verbunden, war von seiner Mentalität her eher schöngeistig veranlagt. Er hatte in seiner Jugend viel gelesen und interessierte sich für Essays, Biographien und Literaturkritik, für Shakespeare und Boswell, Philosophen wie Marcus Aurelius, aber auch für Sozialphilosophen und Kulturkritiker wie Ralph Waldo Emerson, John Ruskin und Matthew Arnold sowie andere zeitgenössische Literatur.

Joseph Schaffners Neigung zur Literatur und seine guten Marketingkenntnisse bewogen ihn, in ein neues Geschäftsfeld einzusteigen, in die Produktwerbung. Er war es, der den Brüdern Hart empfahl, in die Werbung zu investieren und setzte es durch, dass Ende der 1890er Jahre erstmals landesweite Anzeigen für die Erzeugnisse des Unternehmens geschaltet wurden. 1897 wurde mit einem Etat von 5.000 $ (nach heutigem Wert etwa 136.000 $)[Anm. 7] eine beispiellose überregionale Werbekampagne in Magazinen wie „Harper´s“, „Collier´s“, „Munsey´s“ und „The Saturday Evening Post“ gestartet, in der damaligen Textilindustrie ein beinahe revolutionäres Vorgehen. Die Initiative hatte Erfolg: Der Umsatz stieg und es konnte weiter investiert werden in die Erweiterung der Produktpalette und in die Qualitätsverbesserung.[Anm. 8]

Die Investition in Werbung wurde von vielen Geschäftsleuten am Ende des 19. Jahrhunderts noch als eine unnötige Geldausgabe angesehen und es dauerte einige Zeit, bis Schaffner seine Firmenpartner und die Firmenkunden von seinen Ideen überzeugen konnte.

Schaffners literarische Bildung und seine Eloquenz kamen dem Unternehmen sehr zu Gute und prädestinierten ihn, neben dem Rechnungswesen und dem Marketing auch die Abfassung der Geschäftskorrespondenz zu übernehmen.[Anm. 9] Des Weiteren befähigte ihn sein feines Sprachgefühl, gepaart mit einem Sinn für wirtschaftliche Erfordernisse und einem Gespür für die Wünsche der Kunden, auch die Werbeanzeigen eigenhändig zu verfassen.

Neben Zeitungsannoncen wurden zunächst großformatige Werbeposter verbreitet, die die jeweiligen Neuheiten einer Herbst/Winter oder Frühjahr/Sommer-Kollektion ankündigten. Daraus entwickelten sich schließlich zu Beginn des 20. Jahrhunderts mehrseitige illustrierte kleine Modekataloge, Broschüren im Format 11,5 x 16,5 cm, die sogenannten „Style Books“. Deren Werbecharakter war nur latent zu erkennen, es handelte sich um ein „advertising that does not advertise“, wie Schaffner zu sagen pflegte.

In einem Umfang von rd. 30 Seiten, einem farbigen Titelbild, rd. 25 kommentierten Schwarz-Weiß-Illustrationen und einem „Stil-Ratgeber“ präsentierten die Style Books halbjährlich die neue Kollektion von Hart Schaffner & Marx.[Anm. 10]

Großen Wert legten Schaffner und Hart auf eine exkIusive Ausstattung dieser booklets und beschäftigten dafür namhafte Illustratoren wie Edward Penfield (1866-1925), Samuel Nelson Abbott[Anm. 11] (1874-1953), John E. Sheridan (1880-1948 )[Anm. 12], Leon Gordon[Anm. 13] (1889-1943) sowie den aus Montabaur stammenden Joseph Christian Leyendecker[Anm. 14] (1874-1951).

Ende 1909 brachen in der New Yorker Textilindustrie heftige Arbeiterstreiks aus, die im September 1910 friedlich beendet wurden. Zwei Wochen später allerdings schwappte die Streikwelle auf Chicago über und auch die Arbeiter von Hart Schaffner & Marx gingen auf die Straße. Die Forderungen der Streikenden, angeführt von einer Frau, der aus Osteuropa stammenden Jüdin Hannah Shapiro, wurden von der Firmenleitung zunächst zurückgewiesen. Unter dem Einfluss des Rabbis der „Sinai Congregation“, Emil Gustav Hirsch, der in seinen Predigten stets für soziale Gerechtigkeit und Verbesserung der Rechte der Arbeiter plädiert hatte, akzeptierte der Philanthrop Joseph Schaffner nicht nur die Organisierung der Arbeiterschaft.[Anm. 15] Er setzte sich auch für eine gütliche Einigung der Parteien in einer Frühform von Sozialpartnerschaft[Anm. 16] sowie für die Einrichtung eines firmeninternen Schiedsgerichts zur Klärung von Beschwerden und Streitigkeiten ein.

Joseph Schaffner war 1908 Mitbegründer der „School of Commerce“[Anm. 17] an der Northwestern University in Chicago. Sein Eintreten für Bildung und seine Überzeugung, dass gerade wirtschaftliche Bildung der jungen Generation nahe gebracht werden müsse, bewogen ihn, ein Komitee zur Begründung einer solchen Wirtschaftshochschule einzuberufen. Seine besondere Vorliebe für Bücher veranlasste ihn, die Bibliothek dieses Instituts mit einer großzügigen Bücher- und Sachspende zu unterstützen. Sie wurde daher ihm zu Ehren im Jahr 1927 bei der Verlegung in ein neues Gebäude „Joseph Schaffner Library“ genannt.[Anm. 18]

 

Es war Joseph Schaffners Verdienst, der in dieser Zeit weniger gut angesehenen Bekleidungsindustrie Respekt und Würde verschafft zu haben.[Anm. 19] Und auch der Aufstieg von Hart Schaffner & Marx zu einem äußerst erfolgreichen, national bekannten und geachteten Textilunternehmen, das sich gut zehn Jahre nach seiner Gründung einen über die Landesgrenzen hinaus bekannten Namen  gemacht hatte, geht zu großen Teilen auf die Person Joseph Schaffners zurück.

Joseph Schaffner verstarb am 19. April 1918. In einem Nachruf hieß es:

 

With the passing of Joseph Schaffner, there passed one of the finest souls, one of the most gracious, most chivalrous spirits I have ever known. In him was combined a remarkable capacity for business with an unusual genius for the gentler arts of life. He was a pioneer in the great movement for industrial peace, a leader among the manufacturers of our day. … To us he has given stimulation, encouragement, hope, praise, ambition, determination and happiness. Whoever talked with him intimately walked out of his office in a glow such as only a man of great intellectual power and remarkable sympathy could impart. We have received much from him. …Good-bye, Joseph Schaffner, modern business man and perfect gentleman. I thank you for having lived your life along us.[Anm. 20]

Verfasserin: Martina Graf, Seeheim

Redaktionelle Bearbeitung: Christoph Schmieder

Anmerkungen:

  1. Vgl. Tobias Brinkmann: Joseph Schaffner (1848-1918), In: Immigrant Entrepreneurship: German-American Business Biographies, 1720 to the Present, auf der Website http://immigrantentrepreneurship.org/entry.php?rec=101#h9 (Mai 2012) Zurück
  2. Eine Anglisierung des Familiennamens „Herz“ Zurück
  3. Josephs Schaffners Großmutter, Marianne Herz (1789-1865), die Frau von Abraham (Nathan) Schaffner (1782-1857), war die älteste Schwester von Harry und Max Harts Vater Jacob Hart (1815-1881), also deren Tante. Joseph Schaffner war, wenn auch mit der Verschiebung um eine Generation, somit deren Cousin. Zurück
  4. Levi Abt (1836-1922) hatte die zweitälteste Schwester der Harts, Henrietta Hart (1845-1903), geheiratet. Zurück
  5. Ein weiterer Partner war der aus Ottweiler bei Neunkirchen im Saarland stammende Marcus Marx (1840-1921), ebenfalls ein Schwager der Harts. Marcus Marx hatte die Schwester Jennie der Hart-Brüder geheiratet. Aus diesem Grund hieß die Firma zwischen 1879 und 1887 „Hart, Abt und Marx“ Zurück
  6. Vgl. http://www.hartschaffnermarx.com/. Die Firma Hart, Schaffner & Marx bildete mit anderen Labels wie Hickey Freeman , Bobby Jones, misook, Christopher blue, Ivanka Trump u.a. das Flaggschiff der HMX Group, New York. Im Herbst 2012 musste das Unternehmen jedoch Insolvenz anmelden und wurde im Dezember 2012 von der Authentic Brands Group LCC (ABG) übernommen, die die Firma in die neu gegründete Tochtergesellschaft W. Diamond Goup Corporation überführte, geleitet von dem früheren HMX-Vorstand Doug Williams, vgl. http://www.authenticbrandsgroup.com/library/pr/HMXacquisition.pdfZurück
  7. Vgl. Tobias Brinkmann: Joseph Schaffner, S. 7 Zurück
  8. Advertising increased our volume; volume has enabled us to increase our value-giving, both by lower prices and by putting more quality into the goods. Advertising has been, and is, an economy, in: Joseph Schaffer 1848-1918. Recollections and impressions of his associates. Chicago Illinois 1920, S. 42 Zurück
  9. Als einst eine Anthologie englischer Briefe veröffentlicht wurde, waren seine Briefe in einer Reihe mit denen von Jonathan Swift und Abraham Lincoln zu lesen; vgl. Joseph Schaffner 1848-1918. Recollections and impressions, S. 82f Zurück
  10. Ein Reprint eines solchen „Style Books“ aus dem Jahr 1909-10 erschien, versehen mit einem Nachwort der Verfasserin und einer englischen Übersetzung des Epilogs Ende 2012 im Verlag Stefan Kehl, http://www.kehl-verlag.de/shop/category_5/Rheinhessen-Geschichte(n). Zurück
  11. Vgl. http://www.americanartarchives.com/abbott.htm Zurück
  12. Vgl. http://en.wikipedia.org/wiki/John_E._Sheridan_(illustrator)Zurück
  13. Vgl. http://www.askart.com/AskART/artists/biography.aspx?searchtype=BIO&artist=10549 Zurück
  14. Vgl. http://en.wikipedia.org/wiki/J._C._Leyendecker; http://www.bpib.com/illustrat/leyendec.htm Zurück
  15. 1914 in der „Amalgamated Clothing Workers of America“ unter der Leitung von Sidney Hillman offiziell vollzogen; vgl. Tobias Brinkmann S. 8f; Schaffner, Marx & Hillmann, in: Times, 19. April 1937, S. 75-78 Zurück
  16. labor-management relationship Zurück
  17. Die Wirtschaftsschule besteht noch heute und wurde 1979 umbenannt in „Kellogg School of Management“; vgl. Brinkmann, S. 10 Zurück
  18. http://www.library.northwestern.edu/about/welcome/history-the-library-0 Zurück
  19. Vgl. Rob Schorman: Selling Style. Clothing and Social Change at the Turn of the Century. Pennsylvania Press, Philadelphia 2003, S. 153 Zurück
  20. Vgl. Joseph Schaffner 1848-1918, Recollections and impressions, S. 130ff Zurück