Ludwigshafen am Rhein in der Pfalz

Erinnerungen an das Eiswerk in Ludwigshafen

Pfälzische Eiswerke Ludwigshafen um 1925[Bild: Köhrer, Erich/Hartmann, Franz (Hg.): Deutsche Stadt – Deutsches Land. Bd. XI: Die Pfalz. Ihre Entwicklung und ihre Zukunft. Berlin 1926, S. 200.]

Wer in Ludwigshafen heute durch die Wollstraße an der Großen Blies geht, ahnt nicht, dass zwischen Raschigstraße und Damaschkestraße einst ein großes Unternehmen produzierte, denn es gibt keinerlei Hinweise mehr darauf. An dieser Stelle hatten die Pfälzischen Eiswerke der Gebrüder Kleinböhl, vormals H. Günther, ihren Sitz. Das Unternehmen war Mitte der 1920er Jahre mit einer Maschinenleistung von 275 PS und einem täglichen Ausstoß von 125 Tonnen der größte Eisproduzent der Pfalz und Badens.[Anm. 1]

Teile der Belegschaft des Eiswerks[Bild: Privatarchiv W. R. Albrecht]

In einem Bericht aus dem Jahr 1928 hieß es: „Die Firma ist ein aus kleinsten Anfängen entstandenes Unternehmen und wurde im Jahre 1891 durch den inzwischen verstorbenen damaligen Inhaber H. Günther Mundenheim gegründet und vertrieb zunächst von einem Altrhein gewonnenes Natur-Klareis. […] Heute versorgt die Firma zum größten Teil die Hauptstädte Mannheim und Ludwigshafen sowie die Landgemeinden im Umkreis von ca. 60 Kilometer mit Roheis, wobei als Beförderungsmittel 16 Pferdefuhrwerke und 5 schwere Lastautos zur Verfügung stehen. Mit einer Tagesleistung von ca. 2.500 Zentner Kunsteis und einer Natureisreserve von 120.000 Zentner geht die Firma in die Saison und steht heute an der Spitze der Eisfabriken der Pfalz und von Baden."[Anm. 2]

Reklamebriefmarken der Natureiswerke J. F. W. Haack, Frankfurt/M [Bild: www.berlin-eisfabrik.de/Eisdt/Offenbach.html]

Inwieweit die Mundenheimer Firma Günther in Beziehung zum Unternehmen Eis-Günther aus Frankfurt am Main stand, bleibt unklar.[Anm. 3] Beide nutzten jedenfalls den Eisbären als Werbezeichen. Während im Zentrum Berlins ein vergleichbarer Betrieb nach fast hundertjährigem Bestehen 1995 die Produktion einstellen musste, dann teilweise unter Denkmalschutz gestellt und einer neuen Nutzung für Wohnung und Gewerbe zugeführt wurde,[Anm. 4] sind die pfälzischen Eiswerke aus dem Stadtbild Ludwigshafens verschwunden. Dieser Aufsatz soll an das Unternehmen erinnern und einen Beitrag zur Ludwigshafener Industriegeschichte leisten.

Modell einer Linde-Kompressionskältemaschine[Bild: Wolfgang Sauber [CC BY-SA 4.0]]

Methoden der Kühlung kannte man schon seit Jahrtausenden. Beispielsweise gab es Eishäuser im antiken Persien oder Eiskeller im alten Rom. Sie beruhten auf Natureis als Kühlmittel und waren folglich stark von der Witterung abhängig. Das änderte sich erst mit der Erfindung der Kompressionskältemaschine durch Carl von Linde im Jahr 1876.[Anm. 5] Nun war es möglich, aus Wasser Natureis herzustellen. Dieses wurde für das Kühlen von Getränken (besonders Bier) und verderblichen Lebensmittel (beispielweise Fleisch) benötigt, um mit dem Aufkommen der industrialisierten Lebensmittelproduktion mögliche Gesundheitsgefährdungen zu minimieren. Folglich gründeten sich seit der Wende vom 19. zum 20. Jahrhundert in den Großstädten Eiswerke – so auch in Ludwigshafen. Bei den Eisfabriken, die meist einen eigenen Fuhrpark unterhielten, handelte es sich um große Gebäudekomplexe mit Wasserbehältern, Maschinen- und Eisproduktionshallen.

Ehemaliges Eingangstor zu den Pfälzischen Eiswerken[Bild: Privatarchiv W. R. Albrecht]

Auf dem Foto des Pfälzischen Eiswerkes um 1925 ist die Südansicht des Betriebes von der Raschigstraße aus abgebildet. Es zeigt die Villa an der Wollstraße und – nicht maßstabsgerecht und teilweise nur gezeichnet – die links von ihr gelegene Eisfabrik mit Turm, Maschinen- und Eiswerkhalle sowie im Hintergrund zwei Fahrzeughallen. Die Abbildung gibt den Betrieb nicht so wieder, wie ich ihn in den 1950er und 1960er Jahren wahrgenommen habe, die Villa entspricht dagegen meiner Erinnerung. Zu dem gegen die Wollstraße hin eingezäunten Betrieb gelangte man damals von dort aus durch ein massiv eisernes Tor, das den angrenzenden großen befestigten Hof sicherte. Zumeist stand das Tor offen, nur am Wochenende wurde es geschlossen. Bis vor wenigen Jahren existierte es noch als einer der wenigen Relikte der ehemaligen Fabrik.

Die Villa befand sich links des Hofes. Sie diente sowohl als Verwaltungsgebäude des Betriebes als auch als Wohnstätte der Firmeneigentümer. Wollte man in den frühen 1950er Jahren das Gebäude betreten, kam man zuerst an einer Portierloge im Treppenhaus vorbei. Dort war eine Anmeldung nötig, bevor man die Treppe zum Hochparterre des Gebäudes hinaufsteigen durfte. In dieser Etage befanden sich linker Hand die Büroräume. Dort waren das Lohnbüro und das Direktorenzimmer untergebracht. Rechts der Treppe befanden sich verschiedene Privaträume. In einem dieser großen Zimmer wohnte die hochbetagte Mutter der beiden Unternehmenseigentümer. Mein Vater, der in der Fabrik als Schlosser und Maschinist arbeitete, schätzte sie sehr. Er sprach ehrfürchtig von der „Frau“ und stellte mich ihr als seine jüngste Tochter vor. Ich war damals etwa vier Jahre alt und erinnere mich an geschenkte Süßigkeiten und einen bunten Papagei, der von einer wippenden Schaukel krächzte. Diese Atmosphäre faszinierte mich als Kind.

Privathaus Wollstraße, ehemalige kleine Villa[Bild: Privatarchiv W. R. Albrecht]

Im Treppenhaus führte eine breite Treppe in den ersten Stock der Villa, wo die Privaträume der Besitzer untergebracht waren. Darüber befand sich der Dachstuhl. Anfang der 1960er Jahre bestand der Plan, diesen zu einer Dreizimmerwohnung für meine Familie auszubauen. Das Vorhaben wurde allerdings nicht umgesetzt, da u.a. mein Vater nach Feierabend nicht ständig auf Abruf für die Eigentümer bereitstehen wollte. Aufgrund der Krise des Unternehmens verflüchtigte sich dieser Plan schließlich. In der alten Villa lebte damals Karl Kleinböhl mit seiner Frau und Mutter, während sein Bruder Gustav Kleinböhl mit seiner Familie eine neue, kleinere Villa nebenan bewohnte. Letzterer vermietete die obere Etage seines Hauses an einen Vertreter von Schöller-Eis[Anm. 6] und seine Familie, die ursprünglich aus Duisburg stammte. Mit dem Sohn der Familie war ich als Kind über viele Jahre eng befreundet. Während die herrschaftliche Villa abgerissen wurde, steht das kleinere Haus heute noch.

Die Fabrik selbst zeigte sich vom Hof aus als langer Gebäuderiegel; er beherbergte drei überdachte Ladestationen für Eisstangen, das Tiefkühlhaus und die Pferdeställe. Die Eiswagen – sowohl Pferdefuhrwerke als auch Kraftfahrzeuge – wurden mit der Ladefläche zur Rampe gefahren, wo man die Eisstangen einlud. Die Stangen wurden in einem Eisgenerator mit mechanischer Einrichtung für Füllung, Entleerung und Verschiebung der Zellenreihen erzeugt. Im dahinter befindlichen Tiefkühlhaus, das wie die antiken Eiskeller das ganz Jahr mit Eis gefüllt war, lagerten die örtlichen Metzger Fleisch ein. Wir Kinder durften den Raum, dessen Tür dick isoliert war, nicht betreten. Arbeiter und Kunden mussten dort warmhaltende Jacken tragen. Hinter dem Eingang zum Tiefkühlhaus führte ein Treppenaufstieg zu den Aufenthalts- und Waschräumen für die Beschäftigten hinauf. Diese Räume wurden in meiner Erinnerung jedoch kaum mehr benutzt und verwaisten zusehends. An die Aufenthaltsräume schloss sich der Pferdestall an.

Schwungrad einer Linde-Kältemaschine von 1898[Bild: Fridolin Freudenfett [CC BY-SA 4.0] ]

Am Ende des Gebäuderiegels befand sich eine große Halle, deren Dach wahrscheinlich während des Krieges zerstört worden war. Dort konnten die Fahrzeuge des Eiswerkes damals wohl witterungssicher untergestellt werden. Später nutzte das Unternehmen Coca-Cola, das einen Abfüllbetrieb auf dem ehemaligen Fabrikgelände errichtet hatte, diese, um ihre Getränkekisten zu lagern. Am Ende dieser Halle gab es einen kleinen Durchgang, der in den Hühnerhof unseres Nutzgartens führte. Dieser befand sich auf der Rückseite des Gebäuderiegels in geschützter Lage. Aus dieser Öffnung reichte mein Vater mir an heißen Sommertagen manchmal Speiseeis und später kleine gekühlte Colaflaschen. Am Anfang dieser Gebäudefront und in Nähe der alten Villa befand sich ebenfalls ein Treppenaufgang, über den man zur Werkskantine und der Wohnung des Kantinenwirts gelangte. Darunter führte ein Durchgang zum eigentlichen Herz der Fabrik: der Maschinenhalle.[Anm. 7]

Hier arbeitete mein Vater in einer eigenen Werkstatt. Im Freiraum davor wurden Schweißarbeiten verrichtet, die dafür benötigten Gasflaschen und Kolben waren besonders geschützt. Die Maschinenhalle erreichte man über einen Eingangsraum, von dem u.a. eine Treppe auf einen wohl ursprünglich als Wasserturm genutzte Konstruktion führte.  Ein besonderes Abendteuer war es, wenn mein Vater mich auf die Aussichtsplattform des Turmes mitnahm. Der Maschinenraum selbst war groß, gefliest und hell. Er beherbergte drei große Schwungräder. Seitlich ging es in einen abgesonderten und speziell gesicherten elektrischen Schaltraum, von dem aus die Maschinen mit elektrischem Strom versorgt wurden.

Blickte man durch die großen und schmutzigen Glasfenster, sah man direkt auf den langen Hühnerhof der Fabrikbesitzer. Hier tummelten sich Hühner, Enten und Truthähne; auch ein Pfauenpärchen stolzierte durch den Garten. Auf den Grundstücken, die auf dem Fabrikgelände lagen, wurde Gemüse- und Obstanbau betrieben. Die Wiesen und Äcker bewirtschafteten Beschäftigte der Fabrik – darunter meine Eltern – sowie die Frau eines Fabrikinhabers. Auf einer der Wiesen in Richtung Heuweg befanden sich die werkseigenen Brunnen, aus denen die Fabrik ihr Wasser zur Eiserzeugung bezog. Das Brauchwasser wurde in die beiden Gewässer, die Große Blies und die heute ausgetrockneten Kleine Blies, geleitet. Die Kleine Blies diente uns Kindern als Spielplatz, wo man verbotenerweise einen alten Kahn für eine Bootsfahrt nutzte.

Gebäude der ehemaligen Abfüllanlage von Coca-Cola Ludwigshafen um 2010[Bild: Privatarchiv W. R. Albrecht]

Oberhalb der Kleinen Blies stand die Fahrzeughalle des Eiswerkes, in dem die Fahrzeuge – Opel Blitz und Pferdewagen – repariert wurden. 1954 hatten die Amerikaner während eines Militärmanövers hier ihre Schlauchboote, mit denen sie den Rhein überquerten, untergestellt. Auf dem hinteren Gelände des Eiswerkes befand sich in den 1960er Jahren eine Abfüllanlage von Coca-Cola, wo auch ich im Sommer 1966 und 1967 in den Ferien am Fließband arbeitete. Auch dieses Gebäude war viele Jahre ungenutzt und wurde schließlich abgerissen.

Fußballmannschaft des Eiswerks Ludwigshafen[Bild: Privatarchiv W. R. Albrecht]

Abschließend sei noch daran erinnert, dass auf dem Gelände hinter dem Eiswerk zum Heuweg hin während des Zweiten Weltkrieges ein Bunker errichtet worden war, der noch lange nach dem Krieg stand und von uns Kindern als Spielfläche genutzt wurde. Hinzu kamen einige Flachbauten, die wahrscheinlich als Wehrmachtsunterkünfte errichtet worden waren und nach dem Kriegsende als Behelfshäuser bzw. -Wohnungen dienten. Dahinter zogen sich zur Kleinen Blies hin die Überreste eines Betriebseigenen Fußballplatzes, denn das Pfälzische Eiswerk besaß eine eigene Betriebsmannschaft: die Pfälzischen Eisbären.

Autorin: Wilma Ruth Albrecht

Erstellt am: 23.06.2023

Anmerkungen:

  1. Köhrer, Erich/Hartmann, Franz (Hg.): Deutsche Stadt – Deutsches Land. Bd. XI: Die Pfalz. Ihre Entwicklung und ihre Zukunft. Berlin 1926, S. 200. Zurück
  2. Ebd. Zurück
  3. https://www.berlin-eisfabrik.de/Eisdt/Frankfurt.htmlZurück
  4. https://entwicklungsstadt.de/industriearchitektur-das-projekt-eiswerk-in-berlin-mitte-ist-fertig/Zurück
  5. https://www.berlin-eisfabrik.de/Technik/Eisherstellung/Eisherstellung.htmlZurück
  6. https://de.wikipedia.org/wiki/Theo_Sch%C3%B6llerZurück
  7. https://www.berlin-eisfabrik.de/Geschichte/Geschichtebau.htmlZurück