Armsheim in Rheinhessen

Jugend unter dem Hakenkreuz - Das Dritte Reich in Rheinhessen

3.5 Die Nachkriegszeit 1945 bis 1949

1945

Nach dem Einmarsch der Amerikaner im März 1945 wurde das Bahnhofsgelände beschlagnahmt und somit auch der „Pfälzer Hof“. Die Bevölkerung hatte nur 2 Stunden Ausgeherlaubnis am Tage. In dieser kurzen Zeit holte die Friedel mit ihrer russischen Arbeiterin aus dem beschädigten Haus Holz und Kohlen mit dem Handwägelchen aus dem Keller. Die Amerikaner hatten das für sie überflüssige Mobiliar und auch den Bechstein-Flügel hinaus auf den Acker transportiert. Später konnte die Friedel das entfernte Möbel wieder ins Haus schaffen, aber der Flügel war zerhackt. Die Amis rechtfertigten den Schaden, daß auch die Deutschen im Ausland viel Schaden angerichtet hätten. Da die Friedel Martin mehrere Sprachen beherrschte, konnte sie sich schnell mit den Besatzern verständigen. So erfuhr auch der Kommandant, daß sie eine Schwester in Amerika hatte, der sie gern ein paar Zeilen zukommen lassen würde, wenn nur der Brief dort ankäme. Der Offizier schlug ihr vor, sie solle ihm den Brief zum Weiterbefördern übergeben. So schrieb die Mutter den Brief und die Tochter auf den Umschlag den Absender und Empfänger. Dies alles kam wieder in einen Umschlag, den der Offizier nachhause an seine Frau sandte und diese dann den inneren Brief frankierte und in Amerika einwarf. Dadurch entstand dann zwischen der Schwester in Amerika und der Familie des Kommandanten eine dauerhafte Freundschaft im Sinne der Völkerverständigung.

Durch Bomben wurden in Armsheim folgende Häuser zerstört:

  • Johann Feldmann VIII., Eulengasse;
  • Ernst Feldmann und Wilhelm Kehr Bahnhofstraße;
  • Gustav Merten, Hauptstraße (17);
  • Güterhalle am Bahnhof;
  • unbewohnbar das Bahnhofsgebäude;
  • Karl Mössinger, Hauptstraße (42).

Armsheim wurde auch durch Artillerie beschossen.

  • Das Schulhaus hatte zwei Treffer auf dem Dach und einen an der Eingangstür.
  • Der Kirchturm (ev.) begann durch Tieffliegerbeschuss zu brennen, wurde aber durch tatkräftige Männer bald gelöscht.

 Ein abgeschriebener Zeitungsbericht von 1945, Schimsheim.

„Nach 13 Jahren hat auch den Armsheimer Nazimörder Peter Stabel das Schicksal erreicht. In den Tagen von der Reichstagswahl im November 1932 standen in Schimsheim einige Reichsbannerleute auf der Straße beisammen. Der Peter Stabel, ein berüchtigter Nationalsozialist aus dem benachbarten Armsheim, schlich sich von hinten an die Gruppe heran und schoss blindlings in sie hinein. Zwei ahnungslose Menschen sanken von den Kugeln des feigen Mörders getroffen nieder. Johann Stumpf war sofort tot und Heinrich Hessinger wurde durch einen Kopfschuss so schwer verletzt, daß er noch heute an dessen Folgen leidet. Stabel wurde zwar im Anschluß an die Mordtat verhaftet. Doch bevor es zum Prozess kam, wurde Hitler Reichskanzler. Und nun erhob man den Mord an politischen Gegnern zum Gesetz. Stabel verließ die Untersuchungshaft, ohne daß ihm ein Haar gekrümmt worden war. Als er Armsheim betrat, bereiteten die Nationalsozialisten ihrem „Helden“ einen fürstlichen Empfang (mit Fackelzug). Die hysterischen Weiber der NS-Frauenschaft überreichten dem Mörder gar Blumensträuße. Heute wollen auch sie nichts von den Gräueln und Verbrechen der Nazis an ihren politischen Gegnern gewusst haben. Der Nazimörder Stabel ist jetzt von der Besatzungsbehörde verhaftet worden. Es wird Aufgabe eines deutschen Gerichts sein, den Mörder zur Rechenschaft zu ziehen.“) [Anm. 1] 

Notzeit:

In der Notzeit fuhren die Bewohner von Armsheim in den Hunsrück nach Argenthal, um Gerste mahlen zu lassen oder zum Tauschen. Erst nach Gensingen entweder mit dem Zug oder dem Fahrrad, dann mit dem Nachen (Fähre) über die Nahe weiter bis zum Ziel. Dabei fiel einmal Frau Leonhard mit dem schweren Rucksack in die Nahe, ohne jedoch Schaden zu erleiden.

Wer Weizen gemahlen hatte, ging zu Leuten im Dorf, die ein feines Mehlsieb besaßen (Frau Hornung), um aus dem Gemahlenen Mehl zu erzeugen.

Die praktischen Bürger stellten allerlei notdürftige Artikel her, wie Schuhcreme, Bonbons aus geröstetem Zucker und Butter. Malzkaffee wurde in einem eisernen Topf mit Rührwerk geröstet. Lebensmittel gab es auf Marken, Kleidung und Schuhe auf Berechtigungsscheine. Schweine wurden heimlich, also „schwarz“, geschlachtet. Wie in anderen Gemeinden auch, so wurde auch in Armsheim hie und da „schwarz“ geschlachtet. Also ohne Genehmigung. Diejenigen, denen diese Sache zu gefährlich war, halfen sich auf andere Weise. Sie ließen ihr gut gemästetes Schwein nicht über die Viehwaage laufen, sondern liehen sich von Karl Feldmann 2. dessen mageres Wutzchen, damit die Waage nicht ein zu hohes Gewicht anzeigen konnte. Denn je höher das Gewicht, desto länger musste das Fleisch für den Haushalt ausreichen. Sobald ein Interessent zum Karl kam, lief das Schweinchen schon aus dem Stall, die Straße entlang auf die Gemeindewaage, denn es hatte ja Übung darin. Es setzte sich wie zum Fotografieren hin, wartete auf das Rütteln der Waage und lief sogleich, wie dressiert, zurück in den heimischen Stall. Die Entlohnung für diesen Dienst wurde in Naturalien kassiert in Form von Metzelsuppe, Fleisch und Wurst.

Wolle wurde gewonnen, indem die Frauen Zuckersäcke oder gestrickte Tücher aufdröselten.

Die Landarbeiter und Tagelöhner ließen sich als Lohn auch Naturalien geben, die sie zum Essen oder zum „Kuddeln“ [Anm. 2] gebrauchten. Sogar von Pirmasens kamen Hersteller von Schuhen, die sie gegen Getreide, Wein oder dergleichen eintauschten.

Im Krieg und danach waren alle Bedarfsartikel knapp und rationiert. Die Städter fuhren aufs Land und tauschten ihre häuslichen Gegenstände, wie Teppiche, Vasen, Figuren, gegen Fett, Fleisch, Wurst sowie Kartoffeln. Es wurde also getauscht oder gequantelt und, wie man bei uns sagte, gekuddelt. Die Bauern tauschten Wein gegen Textilien, Schuhe und Kohlen. Handwerker halfen gegen Naturalien.

Ein Bauernsohn tauschte mit den Städtern Eingekochtes, wie Wurst und Obst, aber in den Büchsen war nur Sand. Ein ganz Schlauer stahl mit seinen Kumpanen ein Kalb und fuhr es durch die Wiesbach entlang zu seinem Versteck, um keine Spuren zu hinterlassen. Sogar eine Tanne wurde aus einem Garten außerhalb entwendet, um darunter fröhlich Weihnachten zu feiern.

Wegen Mangel an Brennmaterial wurde mancher Wald abgeholzt. So auch in Lonsheim. Während früher der Aussichtsturm von gleich hohen Bäumen umringt war, so stand er dann einsam, bis er nach 50 Jahren wieder von Bäumen eingeholt wurde. Das Holz wurde im Krieg auch für Panzersperren verwendet. Die Armsheimer durften ihr Holz hinter Bechenheim Richtung Vorholz schlagen. Mit Pferde- und Kuh-fuhrwerken und sogar mit Handwägelchen wurde das kostbare Brennmaterial heimgeholt. Für viele war dies ein qualvoller Fußmarsch.

Westlich der Straße von Armsheim nach Schimsheim stand noch jahrelang ein beschädigter Panzer.

1947

Als meine Braut Lilli und ich 1947 heirateten, mussten meine Hochzeitsschuhe mit Getreide gekuddelt werden. In der Hand hatte ich den Zylinder meines Schwiegervaters. Hätte ich ihn aufsetzen müssen, wäre er viel zu klein gewesen. Das Hochzeitskleid aus Seide war aus einem Fallschirmstoff eines bei Armsheim abgestürzten Militärflugzeugs geschneidert, der eingetauscht worden war. Die Hochzeitsgeschenke waren meist Schnittblumen, die vom benachbarten Gärtner stammten und nach wenigen Tagen auf dem Misthaufen ihr Ende fanden. Das Hochzeitsessen war reichlich und von meinen Schwiegereltern, die einen landwirtschaftlichen Betrieb innehatten. Vorher wurde der Polterabend ländlich mit Essen und Trinken gefeiert.

1949

Immer wieder zogen Flüchtlinge durch unser Dorf Armsheim in der Hoffnung, irgendwo für eine Nacht ein Dach, eine Bleibe zu finden. Eines Tages hörten wir ein paar Häuser weiter von der anderen Straßenseite her ein großes Palavern und Diskutieren. Dort kauerte eine fremde Familie, Eltern mit Kindern, dabei ein Kleinkind. Sie waren übermüdet und konnten nicht mehr weiterziehen. Eine kalte Nacht kündigte sich an. Viele Einheimische bedauerten das Schicksal der hier liegenden Flüchtlinge, aber keiner wusste zu helfen. Ich sprach die Bedauernswerten an und forderte sie ohne viel Federlesens auf, mitzugehen. Da meine Frau verreist war, überließ ich den Hilfesuchenden meine Schlafstube zum Übernachten. Die Obdachlosen schliefen sich gut aus, bekamen noch etwas zu essen und zogen wieder weiter in eine ungewisse Zukunft.

Nachweise

Verfasser: Theodor Eichberger

Bearbeiter: Marc Theodor Amstad

Redaktionelle Bearbeitung: Ute Engelen, Stefan Bremler

Verwendete Literatur:

  • Landkreis Alzey-Worms (Hg.): Heimatjahrbuch Alzey-Worms 2017. Alzey 2016.
  • Deutsches Historisches Museum, Berlin: Lebendiges Museum Online. www.dhm.de/lemo/kapitel/der-zweite-weltkrieg/kriegsverlauf/besetzung-von-jugoslawien-1941.htm, Abruf: 13.09.2020. Und www.dhm.de/lemo/jahreschronik/1941 (Zeitstrahl), Abruf: 13.09.2020.
  • Eichberger, Theodor: Tagebuchaufzeichnungen.
  • Eichberger, Theodor: Von Aribosheim über Armsheim bis Armsem. Mosaik eines rheinhessischen Dorfes, Wörrstadt 1991.
  • Leiwig, Heinz: Flieger über Rheinhessen. Der Luftkrieg 1939 bis 1945, Alzey 2002.
  • Lottermann, Bruno Paul: damals und danach. Geschichten um Alzey und Alzey herum, Offenbach 2018.
  • Mahlerwein, Gunter: Rheinhessen 1816– 2016. Mainz 2015.
  • Weisel, Ludwig: Wallertheimer Heimatzeitung Nr. 5/1926, Wallertheim 1926.

Aktualisiert: 31.08.2021

Anmerkungen:

  1. Entnommen aus den handschriftlichen Aufzeichnungen zu Armsheim Band 2 (Stichwort: Was nicht alles passiert.). Zurück
  2. Tauschen auf dem Schwarzmarkt. Zurück