Finthen in Rheinhessen

Die Bevölkerungsgeschichte der Pfarrei Finthen

Von Elmar Rettinger

Die Kirchenbuchaufzeichnungen in Finthen setzen 1649 ein und sind wie in den anderen Pfarreien anfangs lückenhaft. Die Begräbniseintragungen fehlen für das 17. Jahrhundert völlig, sie beginnen erst 1711 und weisen noch in den zwanziger und dreißiger Jahren deutliche Unterregistrierungen auf.

Finthen war durch seine verkehrsgünstige Lage – durch den Ort verlief eine vielbenutzte Straße, die über Ingelheim nach Mainz führte  – in Kriegszeiten besonderen Belastungen ausgesetzt. [Anm. 1] Ende 1631 hatten die Schweden Mainz eingenommen. Am 13. April 1632 kam es in unmittelbarer Nähe des Ortes zu einem Gefecht zwischen Schweden und Spaniern. Wohl im Zusammenhang mit den Auseinandersetzungen um die Befreiung der Stadt flohen noch 1634 400 Einwohner aus Finthen. Beim ihrem Abzug aus Mainz 1635 zerstörten die Schweden den Ort. Die Stadtaufnahme von 1644 nennt 22 Familien und „etzliche Parteyen“ aus Finthen, die vor den spanischen Soldaten Schutz in der Festung gesucht hatten. [Anm. 2] 1648 kehrten nur noch 80 bis 100 Finther in ihren Heimatort zurück.

Zur Zeit des Pfälzischen Erbfolgekrieges lagerten 1688 vom 15. bis 17. Oktober französische Soldaten bei Finthen. Nach der Vertreibung der Franzosen wurden die Einwohner im Sommer 1689 von den Kaiserlichen zu Schanzarbeiten in Mainz herangezogen. [Anm. 3]

Über demographische Krisen in den zwanziger und dreißiger Jahren des 18. Jahr-hunderts können die Kirchenbücher keinen Aufschluss geben, da die Pfarrer nicht alle Begräbnisse in die Register eintrugen. Dass 1728 in Finthen eine ganze Familie, bestehend aus Eltern und vier Kindern, an „Dissentria“ starb, deutet auf eine Ruhrepidemie hin. [Anm. 4] In den Jahren 1744/1745 verzeichnet das Kirchenbuch insgesamt 48 Sterbefälle; es müssen jedoch erheblich mehr Personen gestorben sein, da von Mai 1744 bis Mai 1745 eine Überlieferungslücke besteht. Damals gab es starke Truppenkonzentrationen im Raum Mainz.

Überlieferungsbedingt lassen sich in Finthen erst in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts deutliche Sterblichkeitsspitzen ausmachen, vor allem für die Jahre 1757 bis 1759, 1767, 1783 und 1793 bis 1795. 1759 grassierten die Pocken, wie der hohe Kinderanteil an der Mortalität vermuten lässt. Die Epidemie betraf einzelne Familien massiv; innerhalb weniger Tage fanden zum Beispiel drei Kinder des Finther Müllers den Tod. [Anm. 5] Das Jahr 1767 zeichnet sich durch eine hohe Sterblichkeit in den ersten beiden Monaten des Jahres aus. Insgesamt starben im Januar und Februar 37 Personen, darunter 33 Kinder und vier Erwachsene. Die Mainzer Pockenepidemie von 1766 for-derte mit einer gewissen Verzögerung im Ort ihre Opfer. 1782/1783 grassierten verschiedene epidemische Krankheiten im Mainzer Raum, die auch zu einem Ansteigen der Mortalität in Finthen führten.


In die Ereignisse um die Festung Mainz ab 1792 war der Ort in vielfältiger Weise involviert. Während der Belagerung der Stadt 1793 hatten die Truppen des Landgrafen v. Hessen-Darmstadt auf der Höhe vor Finthen ihr Lager, zwischen dem Ort und Marienborn waren außerdem Preußen stationiert. [Anm. 6] Bei der Erstürmung der Linien vor Mainz 1795 war Finthen einer der Hauptangriffspunkte der österreichischen Truppen. In der Gemeinde waren 1796 vom Juli bis 20. August Franzosen untergebracht, bis zum 9. Oktober des folgenden Jahres Deutsche und von da an wieder Franzosen.

Seit 1793 hatte Finthen 314.729 Gulden aufbringen müssen, 4.900 Obstbäume waren umgehauen worden. [Anm. 7] Ein Schreiben des Munizipalrats, Kirchenvorstands und Pfarrers an den Mainzer Präfekten Jeanbon St. André im Jahre 1804 unterrichtet über die Schäden im Ort in den neunziger Jahren: Demnach waren Finthen und Drais mehrfach zerstört worden, während der Blockade 1794/95 hatte man das gesamte Vieh, Heu, Stroh und Früchte im Ort sowie die ganze Ernte und mehrere tausend Obstbäume verloren. Drais und Finthen waren mit 59.000 Francs verschuldet, die Privatschulden der Bürger beliefen sich auf 150.000 Francs. [Anm. 8]

Insgesamt wurde der Ort durch seine verkehrsmäßig und strategisch günstige Lage auf der Anhöhe durch die Kriegsereignisse immer stark in Mitleidenschaft gezogen. Dass auf der Basis der Kirchenbuchauswertung in nur 9 Prozent aller Jahre im 18. Jahr-hundert – bei einem allgemeinen Durchschnitt von 19,75 Prozent  – in Finthen mehr Menschen starben als geboren wurden, dürfte auf Unterregistrierung zurückzuführen sein.
1814 waren im Ort erneut Russen und Deutsche stationiert. Die Ereignisse führten im Jahr 1815 zu einer Hungersnot. [Anm. 9]

Nachweise

Verfasser: Elmar Rettinger

Verwendete Literatur:

  • Preller, Karl; Schreiber, Hermann: Aus Finthens Geschichte. Dorf und Pfarrei. Finthen 1948.
  • Rettinger, Elmar: Die Umgebung der Stadt Mainz und ihre Bevölkerung vom 17. bis 19. Jahrhundert. Ein historisch-demographischer Beitrag zur Sozialgeschichte ländlicher Regionen. Stuttgart 2002 (Geschichtliche Landeskunde 53).
  • Rödel, Walter G.: Mainz und seine Bevölkerung im 17. und 18. Jahrhundert. Demographische Entwicklung, Lebensverhältnisse und soziale Strukturen in einer geistlichen Residenzstadt. Stuttgart 1985 (Geschichtliche Landeskunde 28).Elmar
  • Schaab, Karl Anton: Die Geschichte der Bundes-Festung Mainz, historisch und militärisch nach den Quellen bearbeitet. Mainz 1835.
  • Schütz, Friedrich (Hrsg.): 900 Jahre Finthen. Mainz 1992.

Aktialisiert am: 19.10.2014

Anmerkungen:

  1. Zu den Ereignissen um Finthen vgl. PRELLER/SCHREIBER, Finthen, bes. S. 14, 23-25; SCHÜTZ, Finthen. Zurück
  2. RÖDEL, Mainz, S. 39. Zurück
  3. PRELLER/SCHREIBER, Finthen, S. 23. Zurück
  4. KB Finthen, Begräbnisregister 1728. Zurück
  5. KB Finthen, Begräbnisregister 1759. Zurück
  6. SCHAAB, Bundesfestung, S. 344f. – PRELLER/SCHREIBER, Finthen, S. 23. Zurück
  7. PRELLER/SCHREIBER, Finthen, S. 25. Zurück
  8. SCHÜTZ, Finthen, S. 25. Zurück
  9. PRELLER/SCHREIBER, Finthen, S. 25. Zurück