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0.Die Hochwasserkatastrophe am 2./3. Januar 1880 in Rheindürkheim

Der höchste bekannte Hochwasserstand in Rheindürkheim ist uns aus dem Anfang des Jahres 1880 überliefert. Während in vielen anderen Gemeinden am Rhein die Hochwasserkatastrophe zum Jahreswechsel 1882/83 nach zahlreichen Dammbrüchen als Jahrhundertereignis in die Geschichte eingegangen ist, war bei diesem Ereignis der Ort Rheindürkheim nicht so stark betroffen. Im strengen Winter 1879/80 kam es jedoch dazu, dass ein Eisstau auf dem Rhein entstand. Als am 2. Januar 1880 das Eis abging, führte dies zu einer folgenreichen Flutwelle in Rheindürkheim.

0.1.Ein Augenzeugenbericht

Hans Dlugosch zitiert in seiner Ortschronik[Anm. 1] aus einem leider nicht näher bekannten Zeitungsbericht, wonach ein Enkel des aus Rheindürkheim stammenden Bensheimer Seminardirektors Wilhelm Geiger folgendes aufgezeichnet habe.

„Der Winter 1879/80 zeichnete sich vor allem dadurch aus, dass bereits im November große Kälte eintrat und die Temperaturen bis zu 25 Grad Reaumur herabsank [Anm.: entspricht -31° C]. Bald bildete sich Treibeis auf dem Rhein infolge der strengen Kälte und veranlasste durch Stauung des Eises an verschiedenen Stellen ein rapides Wachsen des Wassers. Immer mehr und mehr sammelten sich die Eismassen auf dem Rücken des Flusses und hemmten den Lauf des Wassers, bis Anfang Dezember bei Rheindürkheim das Eis zu stehen und der Rhein zum Gefrieren kam. […]
Oben in der Kirchstraße waren zwei eiserne Schiffe eingefroren und trugen wesentlich zur Eigentümlichkeit des Reizes, den der tote, zugefrorene Strom dem Auge bot, bei. […] Es gab Tage an denen unser Dorf von mindestens tausend Schaulustigen besucht wurde. […] Das Eis hatte bei stets kalter Witterung eine Dicke von 1½ Fuß erreicht und ermöglichte es bis Worms per Schlittschuh zu gelangen […] Weihnachten und Neujahr wurde [sich] noch auf dem Eis vertummelt bis in den Tagen vom 31. Dezember bis 2. Januar 1880 wärmeres Wetter eintrat und ein schnelles Tauen im Gefolge hatte. Bereits am Abend des 2. Januar fürchtete man, der Rhein könne abgehen. Diese Besorgnis erwies sich auch als begründet, da oberhalb des Rheindürkheimer Fahrt mit donnerartigem Geräusch das Eis brach und in haushohen Haufen auf das Ufer geworfen wurde. Das Fahrt schwebte in der größten Gefahr von immer mehr in Bewegung gekommenen Eisschollen erdrückt und wegrasiert zu werden. […] Der Rhein zeigte diesmal das Merkwürdige, dass die Eisdecke als Ganzes fortging und alles mitriss und niederdrückte, was ihr an den Ufern im Weg kam. Das Dorf selbst war bis jetzt verschont geblieben. Alle Einwohner dachten an nichts Arges und sahen sorglos dem ebenso merkwürdigen wie großartigen Eisabgang zu, zumal das Fahrt durch einen am Ufer aufgeworfenen Eiswall vor weiterem Unglück gesichert schien. Es kam allmählich die Nacht herbei. Bei Gernsheim blieb infolge der engen Ufer das Eis stehen, so dass das Wasser die Ufer zu übersteigen drohte. […] Das Wasser stieg von Minute zu Minute und schließlich so rasch, dass man es wirklich die Uferböschung heraufkommen sah. Alles Eindämmen war vergeblich. Mit großer Gewalt stürzte das Wasser in die Hofreite des Dr. Leonhardi, zertrümmerte das hintere Hoftor und überflutete die Hintergasse. Auch beim Stockum‘schen und Dürkes’schen Haus [Obergasse, heute Rheinuferstraße] und an vielen anderen Stellen des Dammes trat der Fluss über und zeigte am Pegel einen Wasserstand von 25 Fuß [entspricht 10,0 Meter Höhe[Anm. 2]]. […] In manchen tieferliegenden Häusern, wie z.B. denen von Adjunkt Peter Geiger und Friedrich Rein, stand das Wasser 6-7 Fuß hoch unterm Stockwerk, so dass die Einwohner auf den Boden Zuflucht nehmen mussten. In der Kirchstraße war das Wasser in alle Häuser gedrungen mit Ausnahme der Familien Schilling und Thomas […] Der Verkehr über die Straße war durch die starke Strömung sehr gehemmt […] Das Wasser nahm seinen Weg am Gemeindehaus vorbei durch das sogenannte Gewännchen nach dem Loch hin und richtete überall, wo es vorbei kam, großen Schaden an. Viele Häuser wurden beschädigt und eines sogar, Gabriel Brutscher gehörend, von den Wassermassen umgerissen. […] Merkwürdig war, dass beim Hochwasser das an und für sich durch tiefe Lage am meisten gefährdete untere Dorf, dessen Bewohner sich alle nach Osthofen geflüchtet hatten, verschont blieb. […] Leider hatte es auch ein Menschenleben gekostet und zwar das des Bahnwärters Stutz.“
Soweit der überlieferte Augenzeugenbericht. Der Rheinhessiche Bürgerfreund weiß zu berichten, dass der Bahnwärter J. Stutz aus Herrnsheim und von der Chaussee in den Krailsbach fiel, wo er ertrank.[Anm. 3]

Anzeige im Rheinhessischen Bürgerfreund, Ausgabe Osthofen vom 12.01.1880. [Bild: Stadtarchiv Osthofen]

Der Schaden im Ort war groß. Das Protokoll der Gemeinderatssitzung vom 05.03.1880 vermerkt Zahlungen in Höhe von 909 Mark 95 Pf. aus dem Nothilfefonds. Davon gingen 577 Mark direkt an 27 geschädigte Rheindürkheimer Gebäudeeigentümer, für den Rest wurden Setzkartoffeln für die Geschädigten beschafft um einen Ernteausfall zu vermeiden.[Anm. 4]

0.2.Das Hochwasser 1880 in der Stadt Worms und Umgebung

Auch andere Städte entlang des Rheines waren vom Hochwasser Anfang Januar 1880 betroffen. In Köln wurde am 5. Januar ein Pegelstand von 9,13 Metern erreicht.[Anm. 5] An der Main-Mündung brach ein Deich unterhalb von Bischofsheim und führte zu erheblichen Schäden, bewahrte aber die Mainzer Stadtteile Kastel und Kostheim vor dem Schlimmsten. Eine Brückenmannschaft konnte sich nur in letzter Minute vor dem Eisabgang retten.[Anm. 6] Im Bereich von Oppenheim stieg das Wasser binnen fünf Stunden mehr als 8 Fuß (entspricht 2 Metern) und am Schusterwörth wurden etwa zwei Morgen Land weggespült.[Anm. 7]

Nach Überspülung an mehreren Stellen bei Worms brach der Hammelsdamm. Der Damm hatte eine Höhe zwischen 5,60 und 6,40 Metern und war bereits 1876 gebrochen, wie aus einem Antrag des Stadtrates Friedrich Schon zur Ertüchtigung der Dämme hervorgeht.[Anm. 8] In der Folge wurde das Wiesenfeld mit zahlreichen Nutzgärten überflutet und im Bereich Fischerweide und Ziegelofen drang das Wasser in mehrere Häuser ein. 46 Haushalte bekamen Mittel aus dem Nothilfefonds der Stadt Worms.[Anm. 9] Das Wasser erreichte einen Höchsttand, der auf den heutigen Pegel Worms umgerechnet 7,64 m erreichte.[Anm. 10]

Auch die Orte Ibersheim, Groß-Rohrheim und Biblis standen in Folge von Dammbrüchen unter Wasser, da es im Bereich Gernsheim am 3. Januar zu einer Eisstopfung kam. Für Biblis und Groß-Rohrheim wird ein Wasserstand von 2 m berichtet, so dass es zu erheblichen Schäden kam.[Anm. 11] Am 17. Januar wurde in Ibersheim noch eine Leiche angetrieben.[Anm. 12]

Auch in den kommenden Tagen hielt der strenge Frost an, so dass der Rhein an verschiedenen Stellen mehrfach erneut zum Stehen kam. An der Loreley versuchte man durch Sprengungen des Eises Herr zu werden.[Anm. 13] Erst am 9. Februar gingen die Temperaturen wieder in Richtung Null Grad Celsius hoch.

Als Ursache sahen viele Rheinanlieger das geänderte Fließverhalten des Stromes an, eine Folge der Rheinkorrekturen, die 1817 unter dem Ingenieur Johann Gottfried Tulla begonnen wurden. Die Gemeinden Rheindürkheim, Hamm, Ibersheim und Eich diskutierten daher über eine gemeinsame Petition an Landtag und Reichstag um eine Fortführung der Begradigungsmaßnahmen zu stoppen.[Anm. 14] Die Baumaßnahmen am Oberrhein waren 1880 jedoch ohnehin weitgehend abgeschlossen.

Nachweise

Verfasser: Klaus Harthausen

Quellen und Literatur:

  • Protokollbuch Rheindürkheim, Bestand Stadtarchiv Worms 51/163.
  • Rheinhessischen Bürgerfreund, Bestand Stadtarchiv Osthofen.
  • Wormser Herold, Bestand Stadtarchiv Worms.
  • Dlugosch, Hans: Unser Rheindürkheim. Beiträge zu seiner Geschichte, eingebunden in die Ereignisse der Zeit. Worms  ²1996.

Erstellt am: 27.04.2020

Anmerkungen:

  1. Hans Dlugosch: Unser Rheindürkheim. Beiträge zu seiner Geschichte, eingebunden in die Ereignisse der Zeit. Worms ²1996, S. 138ff. Zurück
  2. Dlugosch gibt in seiner Chronik hierzu an: „=6,25m.“ Da ein hessischer Fuß 0,25 m entspricht, ergeben sich 10,0 m Pegelhöhe, was bei einem Blick auf die Pegelllatte in der Rheinuferstraße auch als plausibler erscheint. Zurück
  3. Rheinhessischen Bürgerfreund, Ausgabe Osthofen vom 06.01.1880 (Stadtarchiv Osthofen) Zurück
  4. Protokollbuch Rheindürkheim Bestand Stadtarchiv Worms 51/163. Zurück
  5. http://de.wikipedia.org/wiki/Pegel_Köln (Abruf 16.12.2011). Zurück
  6. Wormser Herold vom 14.01.1880, Bestand Stadtarchiv Worms Zurück
  7. Wormser Herold vom 15.01.1880, Bestand Stadtarchiv Worms Zurück
  8. Wormser Herold vom 13.02.1880, Bestand Stadtarchiv Worms Zurück
  9. Schadenskarten Bestand Stadtarchiv 08/05290 Zurück
  10. Nach einer Auskunft der Wasser- und Schifffahrtsdirektion Südwest aus den dort vorhandenen Unterlagen. Zurück
  11. Rheinhessischen Bürgerfreund, Ausgabe Osthofen vom 11.01.1880 (Stadtarchiv Osthofen) Zurück
  12. Ebd. 17.01.1880 Zurück
  13. Ebd. 24.01.1880 Zurück
  14. Wormser Herold vom 18.02.1880, Bestand Stadtarchiv Worms Zurück