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Mainzer Wirtschaftsgeschichte

Warenverladung am Mainzer Rheinufer.[Bild: Schedelsche Weltchronik 1493, StA Mainz.]

Aufgrund seiner Lage am Rhein und in Nähe des Mains überrascht es nicht, dass Mainz ein wichtiger Wirtschaftsstandort wurde. Allerdings wurden ökonomische Erfolge der Stadt vielfach unterbrochen oder relativiert, sei es durch Konkurrenten, sei es durch militärische Auseinandersetzungen.

Bereits im Frühmittelalter war Mainz eine bedeutende Handelsstadt. Dies schlug sich auch in der Errichtung des Kaufhauses am Brand im frühen 14. Jahrhunderts nieder, dessen Entwicklung das Institut für Geschichtliche Landeskunde erforscht. Ab Mitte des 13. Jahrhunderts verfügte Mainz über ein – zunächst teilweises – Stapelrecht, d.h. fremde Kaufleute, die über Mainz in andere Städte reisten, waren gezwungen, dort ihre Waren anzubieten.

Allerdings verlor die Bischofsstadt die führende Rolle im Rheinhandel im Laufe des 14. Jahrhunderts an die Reichsstadt Frankfurt. Im 17. Jahrhundert unterbrachen der Dreißigjährige Krieg und der Pfälzische Erbfolgekrieg den Mainzer Handel für lange Zeit. Unter der Besetzung im Gefolge der französischen Revolution wurden die Rheinzölle quasi abgeschafft, was für Mainz Einkommenseinbußen mit sich brachte. Mit Einrichtung des Deutschen Zollvereins (1834) wurde das Stapelrecht aufgehoben. Dennoch blieb Mainz das wichtigste Handelszentrum im Großherzogtum Hessen.

Neben dem Handel kam auch der Landwirtschaft im Mainzer Raum, der von einem sonnigen, niederschlagsarmen Klima und fruchtbaren Böden geprägt ist, Bedeutung zu. Seit langem spielt der Weinbau eine große Rolle. Aus dem ertragreichen Anbau von Feldfrüchten ergab sich auch eine relativ starke Nahrungs- und Genussmittelindustrie.

Biedermeiersofa von W. Kimbel, um 1838. [Bild: Foto Hedwig Brüchert.]

Die Industrialisierung fand in Mainz, auch aufgrund der fehlenden industriellen Expansionsfläche in der Festungsstadt bis 1872 und dem vergleichsweise späten Anschluss an die Eisenbahn (1862), zeitverzögert statt. Der bedeutendste Industriezweig war die Lederindustrie, darauf folgte die Holzverarbeitung, die nicht zuletzt die Möbelproduktion einschloss.

Ab Mitte des 19. Jahrhunderts entwickelten sich die chemische und die Lackindustrie. 1843 begann Carl Ludwig Marx als erstes Unternehmen in Mainz mit der Herstellung von Lacken. Mainz war bis nach dem 2. Weltkrieg Zentrum der europäischen Schellackindustrie.

1867 entstand das Unternehmen Werner & Mertz, das später Artikel der Haushaltschemie herstellte. Spätestens mit der Eingemeindung von Mombach (Verein für chemische Industrie in Mainz) und Amöneburg (Albert-Werke) avancierte Mainz zu einem wichtigen Produktionsort der Chemiebranche.

Die Sonnenbrauerei[Bild: StA Mainz, BPSF 15724a]

Die Mainzer waren in der Lebensmittelindustrie bewandert, insbesondere der Braukunst. Als ältester Betrieb war bis zu seiner Schließung die ab 1512 betriebene Brauerei zum Schöfferhof anzusehen. Heute führt die Radeberger Gruppe den Markennamen Schöfferhofer fort. Bekannter war jedoch die größte Brauerei, die 1859 gegründete Mainzer Aktien-Bierbrauerei. Mit der Industrialisierung der Produktion nahm die Zahl der Brauereien stark ab, und im 20. Jahrhundert schlossen alle verbliebenen alteingesessenen Betriebe.

Auch der Baustoffindustrie und dem Baugewerbe, der Metallverarbeitung und dem Druck- und Verlagsgewerbe, aber auch der Logistikbranche kam große Bedeutung zu. Darüber hinaus entwickelte sich das Bank- und Versicherungsgewerbe: 1827 entstand die Sparkasse Mainz, 1862 die Mainzer Volksbank, 1923 die Allgemeine Kreditversicherung Aktiengesellschaft.

Von 1914 bis 1918 legte der 1. Weltkrieg weite Teile der Mainzer Betriebe lahm. Aufgrund der strategischen Bedeutung als Brückenkopf am Rhein war Frankreich nach Kriegsende bestrebt, Mainz zu kontrollieren. Bis 1930 stand die Stadt wie große Teile des Rheinlands unter französischer Besatzung, was den Transport von Waren über die Grenzen hinaus deutlich erschwerte. Hinzu kamen die negativen Auswirkungen der Inflation der frühen 20er-Jahre und der Weltwirtschaftskrise ab 1929.

Mit Beginn des 2. Weltkriegs und der Einberufung vieler Arbeitnehmer wurden in weiten Teilen der Wirtschaft Arbeitskräfte knapp, sodass viele Unternehmen Zwangsarbeiter beschäftigten. Eine große Zahl war z.B. bei der M.A.N. Maschinenfabrik in Mainz-Gustavsburg, den Chemischen Werken Albert in Mainz-Amöneburg, der Deutschen Reichsbahn in Mainz und Mainz-Bischofsheim, der Firma Pfleiderer und der Westwaggon AG in Mainz-Mombach tätig. Auch in der Landwirtschaft wurden Zwangsarbeiter eingesetzt. Insgesamt waren zum 1. April 1943 in Mainz über 5.100 Zwangsarbeiter registriert.

Nach dem 2. Weltkrieg erlebte die Mainzer Industrie erneut einen starken Aufstieg. Der 1932 gegründete und im Krieg zerstörte Zahnpastahersteller Blendax wurde der größte Arbeitgeber der Stadt.

Blick über den Industriehafen hinweg Richtung Ingelheimer Aue mit dem Gaskessel (Gasometer), 1964.[Bild: StA Mainz, BPSF 5485a]

1952 siedelte sich das Glasunternehmen Schott aus Jena in der Landeshauptstadt an, 1958 der Kaffee- und Kakaohersteller Nestlé, 1967 eröffnete IBM das größte Computer-Montagewerk Europas. Auch das ZDF nahm seinen Sitz in Mainz. Allerdings schlossen in den vergangenen Jahrzehnten auch viele Traditionsbetriebe ihre Tore, so die Waggonfabrik 1994 und die Sonnenbrauerei in den frühen 90er-Jahren.

Stattdessen nahm der Anteil der Beschäftigten im Dienstleistungssektor in der Landeshauptstadt weiter zu, was nicht zuletzt auf den Ausbau der Universität zurückzuführen ist. Der Volkszählung von 2011 zufolge sind 83,3% der Erwerbspersonen dem Dienstleistungsbereich, 15,8% dem produzierenden Gewerbe und nur 0,9% dem Agrarbereich zuzurechnen. In Mainz bestehen noch 150 landwirtschaftliche Betriebe, die häufig dem Nebenerwerb dienen. Immerhin 59 Weinbau-Betriebe bewirtschaften mindestens einen halben Hektar Rebfläche. Täglich pendeln rund 65.000 sozialversicherungspflichtig Beschäftigte nach Mainz, während 34.000 Bürger außerhalb der Stadt arbeiten.

Nachweise

Verfasserinnen: Ute Engelen, Sabrina Erbach

Datum: September 2013

Kooperationspartner: Stadtarchiv Mainz

Literatur:

  • Beichert, Helmut, Auch für die Wirtschaft attraktiv. Mainz und seine Industrie nach dem Zweiten Weltkrieg. Eine Chronik in Firmenporträts, in: Ders. (Hg.), Mainz. Porträt einer wiedererstandenen Stadt, Mainz 1984, S. 251-30.
  • Brüchert, Hedwig (Hg.), Mainzer Biedermeiermöbel. Katalog zur Ausstellung im Stadthistorischen Museum Mainz 29. Nov. 2009 – 28. Februar 2010 (Schriftenreihe des Stadthistorischen Museums Mainz 2).
  • Brüchert, Hedwig; Engelen, Ute (Hg.), Frisch vom Fass – Geschichte des Bierbrauens in Mainz. Begleitband zur Ausstellung im Stadthistorischen Museum Mainz vom 15. Juni 2012 bis 3. Februar 2013, Mainz 2012 (Schriftenreihe des Stadthistorischen Museums Mainz 6).
  • Dumont, Franz; Scherf, Ferdinand; Schütz, Friedrich (Hg.), Mainz. Die Geschichte der Stadt, Mainz: von Zabern 1999, 2. Aufl.
  • Gessner, Dieter, Die Anfänge der Industrialisierung am Mittelrhein und Untermain 1780-1866, Frankfurt am Main: Kramer 1996 (Studien zur Frankfurter Geschichte, 38).
  • IHK Rheinhessen (Hg.), Rheinhessen, München: Kunstverlag Josef Bühn 1997.
  • Keim, Anton Maria, Zweitausend Jahre Mainzer Wirtschaftsleben, in: Mainzer Stadt-Adreßbuch, Ausgabe 1962, S. 5-28.
  • MacLachlan, Anne J., Entrepreneurship in Mainz, 1780-1860. The contribution of smaller businessmen to German industrialization, Diss. Univ. Berkeley 1985.
  • Penning, Manfred, Schellack in Mainz. Die 150-jährige Ära der Schellack-Produktion in Mainz. Begleitkatalog zur Ausstellung im Stadthistorischen Museum Mainz vom 5. Juni bis 30. Oktober 2011, Bodenheim: Bonewitz Verlag 2011 (Schriftenreihe des Stadthistorischen Museums Mainz 5).
  • Pott, Rosemarie, Die wirtschaftliche Entwicklung der Stadt Mainz unter dem Großherzogtum Hessen 1815-1914, Diss. Mainz 1968.
  • Schneider-Braun, Angela, Wirtschaftsstandort Mainz-Bingen, in: Heimat-Jahrbuch Landkreis Mainz-Bingen 49 (2005), S. 255–257.