Luckenbach im Westerwald

0.Der Holdinghäuser Hof zu Luckenbach

0.1.Lage

Blick über das ehemalige Niederdorf.[Bild: Dominik Kölbach]

Der Holdinghäuser Hof stand im Luckenbacher Niederdorf.[Anm. 1] Das heute nicht mehr bebaute Niederdorf befand sich am südlichen Ausgang von Luckenbach, zwischen der Brücke nach Atzelgift und dem heutigen Dorf.[Anm. 2] Es ist im Wesentlichen deckungsgleich mit der gegenwärtig verwendeten Flurbezeichnung “vor der Hardt” und umfasste etwa zwei Hektar Grundfläche.

0.2.Geschichte

Das Wappen der von Holdinghausen.

Der Holdinghäuser Hof zu Luckenbach wird erstmals 1475 im Saynischen Mannlehenbuch als Lehen der niederadligen von Gebhertzan zu Kotzenroth erwähnt.[Anm. 3] Zu diesem Zeitpunkt trug der Hof noch nicht seinen späteren Namen, sondern wurde schlicht als Hof zu Luckenbach bezeichnet.[Anm. 4] Die Herren von Gebhertzan zu Kotzenroth empfingen von den Saynischen Grafen noch eine Reihe weiterer Höfe über den ganzen Westerwald verstreut als Lehen und besaßen auch einen Teil des Dorfes Atzelgift in unmittelbarer Nähe zum Hof.[Anm. 5] Der Stammsitz der Familie befand sich ebenfalls unweit von Luckenbach auf dem sogenannten Junkern-Platz im heutigen Rosenheim.[Anm. 6]

Wohl aus Geldnot verpfändete Friedrich von Gebhertzan zu Kotzenroth den Hof 1490 für 20 Gulden an Eberhard von Holdinghausen.[Anm. 7] Das Pfand wurde nicht eingelöst und so verblieb der Hof im Lehensbesitz der Herren von Holdinghausen, die durch Heirat wenige Jahre später auch den restlichen Besitz der von Gebhertzan zu Kotzenroth erlangten.[Anm. 8]

Das Geschlecht derer von Holdinghausen stammt aus dem Siegerland und wird 1275 erstmals mit Heinricus de Haldinchusin erwähnt.[Anm. 9]. Sie saßen auf dem nach ihnen benannten Rittergut im heutigen Kreutztal, zu dem neben einer Burganlage auch ein ansehnlicher landwirtschaftlichen Besitz von über 5000 Morgen gehörte.[Anm. 10] Zu dem Erbe der von Gebhertzan, dass Eberhard von Holdinghausen erhielt, gehörte auch ein Teil des Rittergut Lützelau[Anm. 11], wenige Kilometer von Luckenbach entfernt. Einer Linie der Familie von Holdinghausen diente dieses Gut von nun an als Wohnsitz.[Anm. 12] Hinweise dafür, dass die Holdinghausen Ihren Hof zu Luckenbach selbst bewohnten, gibt es indes keine. Dieser wird 1532 als Holdinghausen sein Hof in einem Abgabeverzeichnis erwähnt und musste 2 Achtel Hafer zahlen.[Anm. 13]

Eine weitere Nachricht über den Hof findet sich 1579. Dort heißt es, dass der Holdinghäuser Hofmann zu Atzelgift einen Hachenburger Malter Hafer zahlen muss.[Anm. 14] Hiernach werden die Zeugnisse, den Hof betreffend, zunächst spärlich. Verantwortlich dafür ist auch der Umstand, dass der Hof als adliges Lehen von den meisten Abgaben befreit war und somit in keiner der einschlägigen Steuerlisten des späten 16. Jahrhunderts und des frühen 17. Jahrhunderts erscheint. Die Wirren des Dreißigjährigen Krieges, die viele Dörfer des Westerwaldes entvölkerten, überstand der Hof, allerdings fehlen besonders aus dieser Zeit belastbare Dokumente. Überliefert ist jedoch, dass die Herren von Holdinghausen wohl bereits zu Beginn des Krieges ihr Lützelauer Gut in Richtung Westfalen verließen und auch später nicht mehr zurückkehrten.[Anm. 15] Ihr Lützelauer Anteil blieb weiter in Familienbesitz, aber die Bewirtschaftung übernahm nun ein Verwalter.[Anm. 16] Fern der Westerwälder Heimat wurde nun sicher auch die effektive Aufsicht über die weiteren Güter, so etwa dem Luckenbacher Hof, erschwert. Dessen nächste Erwähnung findet sich erst um das Jahr 1655, also bereits wieder in Friedenszeiten. Anlass der Erwähnung ist auch dieses Mal die Abgabe des Hafers. Anders als 1589 wird dieser aber nun nicht mehr vom Holdinghäuser Hofmann, sondern von 5 Mitgliedern der Familie Becker aus Luckenbach, Atzelgift und Limbach entrichtet.[Anm. 17] Dass die Abgabenlast eines Hofes auf gleich mehrere Personen verteilt war, hing mit der Realteilung zusammen, die in den Saynischen Landen praktiziert wurde. Durch komplizierte Erbteilungen war es so durchaus gebräuchlich, dass ein Hof im Besitz von fünf oder sechs, in Extremfällen gar 17 Personen gewesen ist.[Anm. 18]

Mitglieder der Familie Becker erscheinen erstmals 1589 als Einwohner zu Atzelgift[Anm. 19]  und gehörten 1624 zu den wohlhabendsten Bewohnern des Kirchenspiel Kroppach[Anm. 20]. Wie zahlreiche Teilhaberschaften an weiteren Höfen in Luckenbach und Atzelgift zeigen, waren die Becker zudem versippt mit vielen alteingesessenen Geschlechtern. Die Nachfahren der Becker und damit die Becker selber waren bäuerliche Erben derer von Holdinghausen.[Anm. 21] Da die Kirchenbücher in Kroppach und Umfeld erst einige Jahrzehnte nach Übergang des Hofes einsetzen, lässt sich der Grad der Verwandtschaft zwischen den Holdinghausen und Becker nicht mehr ermitteln, allerdings wird diese aufgrund der Besitzverhältnisse des sogenannten "Gunter Hoffs" in Luckenbach etwas konkretisiert. 1655 befand sich dieser Hof zu 3/5 Teilen im Besitz der Familie Becker und zu 1/5 Teil im Besitz der Junker-Leute.[Anm. 22] Über gemeinsame Vorfahren sind diese Anteile somit auf beide Familien aufgeteilt worden.

Wie Helmuth Gensicke bereits vor einem halben Jahrhundert anhand von dutzenden Beispielen nachwies, waren Bäuerliche Zweige und Nachkommen adliger Familie keineswegs eine Seltenheit, sondern ein weit verbreitetes Phänomen.[Anm. 23] Betroffen waren hier zwar auch hochadlige Häuser, in der Mehrheit aber eher unbedeutende niederadlige Geschlechter, denen aufgrund von Armut oder unebenbürtiger Abstammung wohl schlicht nicht viel mehr übrig blieb, als ein bürgerliches bzw. bäuerliches Leben zu fristen, oder zumindest durch Heirat Anschluss an wohlhabende Vertreter dieses Standes zu finden.[Anm. 24] Prominentes Beispiel hierfür, direkt in unmittelbarer Nachbarschaft zu Luckenbach, sind die wohlhabende bäuerliche Familie Groß und die Pfarrer-Dynastien Ruperti und Asbach aus Kroppach. In diese Familien heirateten Töchter der Adligen von Donner ein und über diese ging später auch deren adliger Sitz in Hattert in Besitz der Bürgerlichen und Bäuerlichen Familien über.[Anm. 25] Ähnliches dürfte sich auch mit der Familie Becker und den Holdinghausen zugetragen haben. Möglicherweise heiratete eine Tochter von Daniel von Holdinghausen oder dessen drei Brüder, die seit 1607 mit dem Hof zu Lützelau belehnt waren[Anm. 26] in die Familie Becker ein. Der Hof zu Luckenbach fiel nach deren Tod wahrscheinlich an die Tochter und damit an die Familie Becker. Als verhältnismäßig kleiner Wertposten, dessen Unterhalt spätestens nach dem Abzug der Familie nach Westfalen wohl eher lästig war, dürfte der Verlust des Hofes für die Von Holdinghausen jedenfalls durchaus verschmerzbar gewesen sein. 1768 stellten die damaligen Besitzer des Hofes weiterhin klar, dass der Hof von ihren Voreltern eigentümlich erkauft wurde.[Anm. 27] Da seit 1490 keine Lehnserneuerung den Hof betreffend stattgefunden hat, er zudem auch keine Erwähnungen mehr in den Lehnsverzeichnissen findet, ist davon auszugehen, dass die von Holdinghausen ihn somit zu Allodialgut umwandelten. Jedenfalls war er sicher kein Lehen mehr, als die Becker in dessen Besitz gelangt sind, denn sie finden sich in keinem der Lehnsregister als Lehnsmannen. Als Allod stellte der Hof im Vergleich zu den übrigen Höfen, die grundherrlichen Ursprungs waren[Anm. 28], eine Besonderheit dar, denn er schuldete dem Grafen keine der Grundherrschaft abgeleiteten Abgaben und war frei vererbbar.[Anm. 29].

Nach 1655 findet sich erst 1704 wieder eine Erwähnung des Holdinghauser Hofes. Auch diese Nennung steht im Zusammenhang mit der Entrichtung des Hafers. Damals war der Hof bereits auf 10 Personen aufgeteilt, nämlich auf Jacob Sohngen, Johannes Klein, Johan Peter Schuhens Witwe zu Atzelgift, Wilhelm Hüsch gnt. Bilgenröther zu Limbach, Johannes Sein zu Kotzeroth, Gerhard Saynisch zu Astert, Rorich Hammer zu Atzelgift, Johannes Krombach zu Atzelgift, Barben Jacob Ehl zu Atzelgift und Johann Wisser/Johannes Ehl.[Anm. 30] Dies waren bereits die Nachfahren der Familie Becker, die zu diesem Zeitpunkt erloschen war. Deutlich wird, zu welchen unübersichtlichen Erbschaftsverhältnissen die Realteilung führte. Ein gemeinsamer Nachname gab zu diesem Zeitpunkt kaum Anhaltspunkte über die tatsächlichen Besitzverhältnisse eines Familiengutes. Entgegen allgemeinen Annahmen spielte die Vererbung von Höfen und Güter über Töchter zumindest in Saynischen Landen eine nicht unbedeutende Rolle.[Anm. 31] Dass Sippschaften und Familienzugehörigkeiten weniger über den Nachnamen, sondern über das gemeinsame Wohnen und den geteilten Besitz definiert wurden, davon zeugen die noch heute lokal bestehende Hausnamen. Mit der stetigen Vergrößerung der Erbengemeinschaft, dürften auch etliche Probleme einhergegangen sein, die einzelnen Besitzanteile wurden kleiner, der Ertrag geringer und gemeinsame Absprachen schwieriger.

Die nächste Erwähnung des Hofes 1748 geht auf einen Bericht des Geschworenen Hehn aus Luckenbach zurück, dieser wurde beauftragt die Vermögensverhältnisse von Johann Theiß zu Luckenbach zu klären.[Anm. 32] Die Erbschaft die den Holdinghäuser Hof betraf, war zu dieser Zeit bereits auf 17 Teile zerstreut.[Anm. 33]

Eine letzte und die ergiebigste Erwähnung findet der Hof 1768. Zu dieser Zeit streiten die damaligen Eigentümer des Hofes mit den Gemeinden Atzelgift und Luckenbach vor dem Hachenburger Forstgericht über das Eigentum und Nutzungsrecht von Wäldern entlang der Nister, in der Nähe der noch heute bestehenden Mühle.[Anm. 34] Die Erben nutzten diese Waldungen nach eigenem Bekunden bereits von ”langen Jahrs her” für die Entnahme von Brennholz. Kurz vor Prozessbeginn wurde den Erben von Seiten des Forstamtes sogar gestattet, in den Wäldern Kohlemeiler zu betreiben. Die Gemeinden Luckenbach und Atzelgift erkannten das Eigentum und das Nutzungsrecht der Erben aber nicht an, da alle Wälder innerhalb der Dörfer Gemeindeeigentum seien. Keine Partei war in der Lage substanzielle Beweise für Ihren Anspruch aufzubringen. Die Erben argumentierten in der Hauptsache damit, dass sie die Wälder bereits immer genutzt hätten, es vorher nie Einwände gegeben hätte und ja sogar die Gräflichen Behörden das Eigentum der Erben an den Wäldern durch den Erlaubnisschein für die Köhlerei anerkannt hätten. Die Gemeinden behaupteten, dass die Wälder nie zu dem Hof gehört hätten, den Erben die Nutzung vielmehr nur gestattet wurde, da sie selbst Gemeindemitglieder gewesen seien. Protokolle offenbaren, dass es zwischen Erben und anderen Dorfbewohnern in dieser Zeit zu schweren Zerwürfnissen kam. Überliefert ist, dass Vertreter der Gemeinden den Luckenbacher Geschworenen und früheren Sendschöffen Johan Peter Hehn über die historischen Besitzverhältnisse des Waldes befragen wollten. Für den altersschwachen Geschworenen war bereits diese Anfrage ein derartiges Ärgernis, dass er einen der Abgesandten mit ”harten Worten” versah, wohl eine höfliche Umschreibung für unflätige Beleidigungen. Für den Geschworenen stand es außer Frage, dass die Wälder den Erben gehörten. Nun war der Geschworene Henn dank seiner langjährigen Gemeindedienste eigentlich ein idealer Zeuge, doch wurde er Teil der Holdinghäuser Erbschaft und somit gab es Zweifel an seiner Neutralität. Als der Prozess begann, war der Geschworene im Alter von über 70 Jahren verstorben und konnte keine Aussage vor Gericht abgegeben. Als die Erben seine Sicht der Dinge trotzdem zu Protokoll gaben, erwiderten die Vertreter der Gemeinden lediglich, dass der Geschworene bereits lange den Verstand verloren hätte. Ohne weitergehende Begründung lies das Forstgericht noch 1768 verkünden, dass die Gemeinden Ihr Eigentum an den Wäldern besser bewiesen hätten. Sollten die Erben keine weiteren Beweise mehr vortragen können, mussten sie die Nutzung der Wälder sofort unterlassen[Anm. 35].

Folgende Personen wurden 1768 zu den "namhaften Erben" der Holdinghäuser Güter gerechnet, deren Unterschrift für die Prozessführung benötigt wurden: Johan Peter Mieß zu Limbach, Bernhard Mieß zu Limbach, Johann Peter  Wagner zu Limbach, Heinrich Bilgenröther zu Astert, Bernhard Mieß zu Astert, Johann Peter Mieß zu Astert, Johann Jacob Schneider zu Hommelsberg, Johann Wisser zu Hommelsberg, Johannes Weber zu Hommelsberg, Johann Gerhard Schmidt zu Streithausen, Peter Becker zu Limbach, Gerhardt Saynisch Erben zu Astert, Sayns Witwe zu Limbach, Gerhardt Kölbach zu Luckenbach, Johannes Becker zu Luckenbach, Johan Jacob Schuhen zu Luckenbach.[Anm. 36] Auffällig bei diesen 16 Erben ist, dass die Meisten von ihnen gar nicht mehr wohnhaft in Luckenbach oder Atzelgift, also in unmittelbarer Nähe zu dem Hof waren. Die Erben zu Astert etwa wohnten knapp 4 Kilometer entfernt und unternahmen sicher keine regelmäßige Bewirtschaftung der Höfe, die laut Akte nur von Erben vorgenommen worden ist, die in Atzelgift oder Luckenbach lebten. Damit wären gleich 13 dieser Erben nicht mehr an der landwirtschaftlichen Nutzung beteiligt gewesen, hatten aber dennoch Mitbestimmungsrechte an dem Erbe. Auch hier zeigen sich die Schattenseiten der Realteilung ganz deutlich. Es blieb jedoch nicht bei diesen 16 Erben. Die frühere Erlaubnis der Forstbehörde darüber, die bereits erwähnten Waldungen zur Herstellung von Kohle zu nutzen und die reguläre Ausbeutung des Holzbestandes durch die Erben, führte bei den anderen Bewohnern von Atzelgift und Luckenbach zu Missgunst.[Anm. 37] Sie zerstörten die Kohlemeiler und hielten die Erben von deren Betrieb ab. Die Erben suchten den Kompromiss und baten allen Interessenten die Möglichkeit an, käuflich Mitglied dieser Erbschaft zu werden. Einzelne ”namhafte Erben” verkauften ihre Anteile oder Teile davon schließlich an Gemeindemitglieder. Zehn Personen aus Atzelgift und sechs Einwohner von Luckenbach machten von dieser Möglichkeit Gebrauch und sorgten dafür, dass es nun um die 30 Miterben des Holdinghäuser Hofes gab. Die Abgabe des Hafers wurde fortan auf die Erben verteilt, die in Luckenbach und Umgebung lebten, in der Summe meist auf Personen, die der Erbschaft durch Kauf beigetreten waren. Dieses Arrangement schien für kurze Zeit zu einem gewissen Frieden innerhalb der Gemeinden geführt zu haben, den folgenreichen Prozess vor dem Forstgericht verhinderte es aber nicht.

Ohne Wälder war der Holdinghäuser Hof nun für die neuen Erben uninteressant geworden und Teile der alten ”namhaften Erben” dürften für ihn ob der Entfernung ebenfalls nur noch wenig übriggehabt haben. Lakonisch wird der Geschworene Hehn, selbst Miterbe durch Kauf, sinngemäß wie folgt zitiert: ”Letztendlich kommt es nicht drauf an, ob Erben oder Gemeinden das Nutzungsrecht am Wald haben, in der Gemeinde sind ja nun schon alle Erben”. Tatsächlichen waren durch den Kauf nun fast sämtliche Luckenbacher und Atzelgifter Familien Teil der Erbschaft geworden, darunter auch die Sendschöffen, der Förster und der bereits erwähnte Geschworene Hehn aus Luckenbach. Damit verlor die Erbschaft nun endgültig ihr inneres familiäres Band. Durch die Zersplitterung des Eigentums an dem Hof und seiner zugehörigen Felder und Wiesen auf winzigste ideelle Teile, war der Ertrag für den Einzelnen nur noch sehr gering und eine Koordination innerhalb der Erbengemeinschaft durch die teils stark divergierenden Interessen wahrscheinlich faktisch unmöglich.

Nach 1768 werden der Holdinghäuser Hof und seine Erben nicht mehr erwähnt. Man darf davon ausgehen, dass sich die Erbengemeinschaft spätestens um 1800 aufgelöst hat und ihr Eigentum recht geschlossen an Privatleute und an die Gemeinden geflossen ist. Damit endete nach etwa 300 Jahren die bewegte Geschichte des Holdinghäuser Hofes.

0.3.Baubeschreibung

Es existieren keine zeitgenössischen Angaben dazu, wie der Holdinghäuser Hof aussah. Die kurzen Erwähnungen sprechen stets nur von einem “Hof”, womit die Gesamtheit aus Wohn- und Wirtschaftsgebäuden, aber auch die zugehörigen Grundstücke gemeint gewesen sind.[Anm. 38]

Aus anderen Quellen, die den Hof nicht direkt betreffen, lassen sich aber dennoch einige Rückschlüsse über die Gestalt des Holdinghäuser Hofes ziehen. So stellt bereits die Erwähnung aus dem Jahr 1579 klar, dass der Hof zwar im Niederdorf gelegen war, der Hofmann aber in Atzelgift lebte.[Anm. 39] Diesen scheinbaren Widerspruch hat Dieter Trautmann in der Luckenbacher Ortschronik aufgelöst, in dem er das Wohngebäude auf der heutigen Gretchenwiese lokalisiert hat.[Anm. 40] Diese Wiese ist von dem ehemaligen Niederdorf nur durch einen schmalen Weg getrennt, gehörte aber trotz seiner Lage nördlich der Nister schon immer zu Atzelgift. Die Wirtschaftsgebäude befanden sich vermutlich im südlichsten Teil des Niederdorfes direkt im Winkel zwischen der heutigen Hauptstraße und dem schmalen Weg. Sowohl im Niederdorf, als auch auf der Gretchenwiese wurden Rückstände von Baumaterialien gefunden.[Anm. 41] Das Wohngebäude des Holdinghäuser Hof ist mit Sicherheit der Burg gleichzusetzen, die 1570 in einem Zeugenverhör von Luckenbacher Einwohnern erwähnt wird.[Anm. 42] Dort heißt es, dass Thonges, der auf der Burg lebte, sich erst vor kurzen in das Dorf (Luckenbach) eingefunden hat. Diese Burg hat sich also nicht direkt in dem Dorf befunden, Thonges war aber auch kein Auswärtiger, sonst wäre ein Heimatdorf genannt worden. Dazu passt die Lage des Wohngebäudes auf der Gretchenwiese, aber auch die Tatsache, dass der Holdinghäuser Hof der einzige Adelshof auf Luckenbacher und Atzelgifter Gemarkung gewesen ist. Der Begriff ”Burg" ist hier aber nicht im Sinne einer imposanten steinernen Wehranlage zu verstehen, viel mehr dürfte es sich um ein allenfalls bedingt wehrfähiges Gebäude gehandelt haben, das aufgrund seiner robusteren Bauweise in Abgrenzung zu den Wohngebäuden der Bauern dann als Burg bezeichnet wurde.[Anm. 43]

In einer topographischen Karte aus dem Jahr 1868 findet sich auf der Gretchenwiese zur Straße gelegen eine viereckige flächige Markierung[Anm. 44], bei der er sich um ein einzelnes Gebäude handeln könnte[Anm. 45]. Auch in den preußischen Kartenaufnahmen, die zwischen 1843 und 1878 aufgenommen worden sind, findet sich an exakt dieser Stelle eine kleine Markierung. Noch heute lässt sich dort vom Boden und aus der Luft eine ovale, fast vollkommen ebenerdige Fläche ausmachen, die sich leicht von der übrigen Wiese abhebt. Diese etwa 30 Meter lange und 15 Meter breite Fläche könnte eine künstliche Begradigung und das Fundament für das Wohngebäude gewesen sein. Zumindest im mittleren 19. Jahrhundert, so legen es die Karten nahe, stand auf diesem Podest noch ein Gebäude. Da dieses Gebäude aber nicht in dem Brandkataster des frühen 19. Jahrhunderts erwähnt wird, kann es bereits zu diesem Zeitpunkt keinen wirtschaftlichen Wert mehr gehabt haben und wurde sicher nicht mehr bewohnt. Damit ist mit hoher Sicherheit davon auszugehen, dass die Karten eine Ruine zeigen, den mehr oder weniger üppigen Rest des ursprünglichen Gebäudes. Vergleicht man die Darstellung der mutmaßlichen Ruine mit den Zeichnungen der anderen Gebäude von Atzelgift und Luckenbach, dann ergibt sich für das Wohngebäude in etwa eine quadratische Grundfläche von etwas unter zehn Meter mal zehn Meter. Eine typische Größe für Wohngebäude in Luckenbach.[Anm. 46]

Das Gebäude war sicher 1579 und davor von dem Holdinghäußischen Hofmann bewohnt gewesen[Anm. 47], wie die Familie Becker es nutzte, ist unklar. Familienmitglieder lebten zwar im 17. Jahrhundert in Atzelgift, dafür, dass sie in der ”Burg” wohnten, gibt es aber keine Beweise. Möglich, aber ebenfalls spekulativ ist es, dass Teilhaber der Holdinghäuser Erbengemeinschaft sich dort später aufgehalten haben. Ebenso denkbar wäre aber, dass das Gebäude bereits im Dreißigjährigen Krieg zerstört wurde.

0.4.Größe des Holdinghäußer Hofes und Zubehör

Die Höfe der Grafschaft Sayn wurden von alters her in einfache, doppelte und dreifache Höfe eingeteilt.[Anm. 48]  Einfache Höfe zahlten 2 Achtel Hafer, doppelte Höfe 4 Achtel Hafer und dreifache Höfe einen Malter Hafer an den Grafen nach Hachenburg.[Anm. 49] Dabei musste diese Abgabe gleichermaßen von Bauern, die zum Grafen in einem grundherrlichen Verhältnis standen, wie auch von geistlichen Eigentümern und adligen Lehnsnehmern erbracht werden. Im Kirchspiel Kroppach, dem Luckenbach zugehörig war, gab es 1579 in der Hauptsache einfache Höfe, sie machten etwa 90 % aus. Dazu kamen eine handvolle zweifacher Höfe und schließlich nur einen dreifachen Hof. Dieser dreifache Hof war der Holdinghäuser Hof. Interessant ist, dass die Größe der Höfe dabei über die Jahrhunderte stets stabil blieb. Fast sämtliche einfachen Höfe aus Luckenbach im Jahr 1532[Anm. 50], waren auch 1579[Anm. 51] und 1704 [Anm. 52] noch einfache Höfe.

Die Realteilung sorgte zwar dafür, dass das Nutzungsrecht an den Höfen aufgeteilt wurde, die Höfe blieben aber als zusammenhängendes Wirtschaftsgut erhalten und wurden nicht zerstückelt. Hier zeigt sich aber auch, dass die Bauern eben mitnichten im vollen Eigentum der Höfe waren. Sie konnten diese nicht frei vererben und Teile davon verkaufen. Die wirtschaftliche Einheit des Hofes musste bewahrt werden. Eine bemerkenswerte Ausnahme spielt hier wiederum der Holdinghäuser Hof. Dieser war 1523 ein einfacher Hof [Anm. 53]und 1579 plötzlich ein dreifacher Hof[Anm. 54]. Dem Hof müssen also bedeutsame Ländereien zugeschlagen worden sein. Hier ist zu beachten, dass der Holdinghäuser Hof eben keine grundherrschaftlichen Wurzeln hatte und die Holdinghäuser als dessen Eigentümer frei darin waren, ihn durch Zukäufe zu vergrößern. Die Bewohner der Grafschaft Sayn waren zwar im Umgang mit ihren Höfen nicht völlig frei, konnten aber andere Güter wie Wiesen und Felder ohne weiteres erben und verkaufen.[Anm. 55] Auf diese Weise dürften die von Holdinghausen zahlreiche Ländereien erworben haben. Womöglich stand hinter dieser Vergrößerung die Strategie, ihren Besitz und damit auch ihren Einfluss im Westerwald weiter auszubauen. Der genaue Umfang der zum Holdinghäuser Hof gehörenden Ländereien ist nicht überliefert. Der ebenfalls in Luckenbach gelegene Marienstätter Hof[Anm. 56] war ein einfacher Hof mit einer Fläche von etwa 25 Morgen bis 50 Morgen.[Anm. 57] Der Holdinghäuser Hof dürfte als dreifacher Hof somit in etwa Ländereien im Umfang von 75 Morgen bis 150 Morgen besessen haben. Der Schwerpunkt lag dabei auf Wiesen und Feldern[Anm. 58], von denen sich einige direkt an der Nister bei der Mühle befanden[Anm. 59], andere wohl an der Grenze zu Sayn-Altenkirchener Gebieten[Anm. 60] in der Nähe eines Schlagbaumes. Die Wiesen im Niederdorf dürften sämtlich zum Hof gehört haben, machten aber nur einen kleinen Teil der Nutzflächen aus.

In unmittelbarer Nähe der Ländereien an der Mühle, zwischen den Feldern und der Nister lagen auch die umstrittenen Waldungen, die 1749 aber gering und schlecht waren.[Anm. 61] Der heutigen Situation dort entsprechend, handelte es sich hier eher um Waldstreifen oder Baumreihen, denn um einen intakten Forst. Nach dem Urteil blieben den Erben nur noch die Bäume im Mühlegrund, sowie ein Obstgarten.[Anm. 62] Dem Hof zugehörig war weiterhin ein Teich, der zur Fischzucht genutzt wurde.[Anm. 63]

Nachweise

Verfasser: Dominik Kölbach

Quellen:

  • HHStAW Bestand 130 II
  • HHStAW Bestand 224
  • HHStAW Bestand 340
  • HHStAW Bestand 342

Literatur:

  • Achenbach, Heinrich von: Aus des Siegerlandes Vergangenheit. Siegen 1898.
  • Ebner, Herwig: Das freie Eigen. Ein Beitrag zur Verfassungsgeschichte des Mittelalters. Klagenfurt 1969.
  • Friedhoff, Jens: Burg Lützelau bei Hachenburg. Ein Adelssitz der Familien von Bicken und von Holdinghausen im Westerwald. Siegerland 85 (2008), S. 3–16.
  • Gensicke, Hellmuth: Bürgerliche und bäuerliche Zweige und Nachkommen nassauischer Adelsgeschlechter. Genealogisches Jahrbuch 8 (1968), S. 41-62.
  • Gensicke, Hellmuth: Das Kirchspiel Kroppach. Nassauische Annalen 83 (1972), S. 209–231.
  • Müller, Markus: Von Contzenrode bis Kundert 1346-1996. Ein Streifzug durch die 650jährige Geschichte einer Westerwaldgemeinde. Kundert 1996.
  • Trautmann, Dieter: Beiträge zur Ortsgeschichte von Luckenbach am Luckenbach im Westerwald. Luckenbach 2011.

Erstellt am: 25.10.2021

Anmerkungen:

  1. HHStAW Bestand 340 Nr. 4959. Zurück
  2. Trautmann, Dieter: Beiträge zur Ortsgeschichte von Luckenbach am Luckenbach im Westerwald. Luckenbach 2011, S.536. Zurück
  3. Die Auszüge des Archivrats Heinrich Friedrich Avemann aus dem Saynischen Mannlehn-Buch,S. 138. Zurück
  4. ebd. Zurück
  5. ebd. Zurück
  6. https://argewe.lima-city.de/wewa2/n-orte/nauroth/kirche_nauroth.htm, aufgerufen am 01.08.2021. Zurück
  7. HHStAW Bestand 340 Nr. 1319. Zurück
  8. Friedhoff, Jens: Burg Lützelau bei Hachenburg. Ein Adelssitz der Familien von Bicken und von Holdinghausen im Westerwald. Siegerland 85 (2008), S. 3–16, hier S. 3. Zurück
  9. Achenbach, Heinrich von: Aus des Siegerlandes Vergangenheit. Siegen 1898, S. 28 Zurück
  10. ebd.S. 27. Zurück
  11. Friedhoff, S.3. Zurück
  12. ebd. Zurück
  13. HHStAW Bestand 342 Nr. 949. Zurück
  14. HHStAW Bestand 340 Nr. 4959. Zurück
  15. HHStAW Bestand 130 II Nr. 7873. Zurück
  16. ebd. Zurück
  17. HHStAW Bestand 224 Nr. 3300. Zurück
  18. ebd. z.B. der Hof des alten Gerharts in Selbach. Zurück
  19. HHStAW Bestand 340 Nr. 5208. Zurück
  20. HHStAW Bestand 340 Nr. 1058. Zurück
  21. HHStAW Bestand 340 Nr. 1984. Zurück
  22. HHStAW Bestand 224 Nr. 3300, die Holdinghausen waren seit Absterben der von Gebhardshain die einzigen Adligen mit Besitz in Luckenbach und somit die Junker vor Ort, vgl. dazu Trautmann, S.532. Zurück
  23. Gensicke, Hellmuth: Bürgerliche und bäuerliche Zweige und Nachkommen nassauischer Adelsgeschlechter. Genealogisches Jahrbuch 8 (1968), S. 41-62. Zurück
  24. ebd. Zurück
  25. Gensicke, Hellmuth: Das Kirchspiel Kroppach. Nassauische Annalen 83 (1972), S. 209–231, hier S. 231. Zurück
  26. HHStAW Bestand 340 Nr. 5038. Zurück
  27. HHStAW Bestand 340 Nr. 1984. Zurück
  28. Müller, Markus: Von Contzenrode bis Kundert 1346-1996. Ein Streifzug durch die 650jährige Geschichte einer Westerwaldgemeinde. Kundert 1996, S. 2. Zurück
  29. Ebner, Herwig: Das freie Eigen. Ein Beitrag zur Verfassungsgeschichte des Mittelalters. Klagenfurt 1969, S. 105 Zurück
  30. HHStAW Bestand 224 Nr. 3300. Zurück
  31. vgl. Die Chronologie der Besitzer der Luckenbacher Häuser in Trautmann, S.34ff. Zurück
  32. HHStAW Bestand 340 Nr. 1984. Zurück
  33. ebd. Zurück
  34. ebd. Die folgenden Ausführungen sind, soweit nicht anders vermerkt, sämtlich dieser Akte entnommen. Zurück
  35. ebd. Zurück
  36. ebd. Zurück
  37. ebd. Zurück
  38. https://lexika.digitale-sammlungen.de/adelung/lemma/bsb00009132_3_2_2832, aufgerufen am 20.08.2021. Zurück
  39. HHStAW Bestand 340 Nr. 4959. Zurück
  40. Trautmann, S.24. Zurück
  41. ebd. S. 22. Zurück
  42. HHStAW Bestand 340 Nr. 1842n. Zurück
  43. Trautmann, S.24. Zurück
  44. vgl. Ebd. S. 23. Zurück
  45. Diese Annahme ist laut Auskunft des Landesamtes für Vermessung und Geographie in Rheinland-Pfalz jedenfalls eine mögliche Deutung Zurück
  46. ebd. S. 57. Zurück
  47. HHStAW Bestand 340 Nr. 4959 Zurück
  48. ebd. Zurück
  49. ebd. Zurück
  50. HHStAW Bestand 342 Nr. 949. Zurück
  51. HHStAW Bestand 340 Nr. 4959. Zurück
  52. HHStAW Bestand 224 Nr. 3300. Zurück
  53. HHStAW Bestand 342 Nr. 949.  Zurück
  54. HHStAW Bestand 340 Nr. 4959. Zurück
  55. vgl. Die Erblieferbücher der Grafschaft Sayn-Hachenburg und bspw. HHStAW Bestand 340 Nr. U 13983. Zurück
  56. In der bereits erwähnten Steuerliste von 1579 als Deuser Hof bezeichnet,vgl. Trautmann, S.87. Zurück
  57. ebd.S. 87 ff. Zurück
  58. HHStAW Bestand 340 Nr. 1984. Zurück
  59. ebd. Zurück
  60. HHStAW Bestand 340 Nr. 3867. Zurück
  61. ebd. Zurück
  62. Trautmann, S.532. Zurück
  63. ebd. S.530. Zurück