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Das Volksbegehren zur Wiederangliederung Rheinhessens an Hessen von 1956

Werbeplakat des Rheinhessen-Bundes zur Wiedervereinigung Rheinhessens mit Hessen, 1956.[Bild: Landeshauptarchiv Koblenz]

Vom 09.-22. April 1956 wurden in Rheinland-Pfalz fünf Volksbegehren durchgeführt, die über eine eventuelle Neugliederung des Landes entscheiden sollten. Eines dieser Volksbegehren hatte das Ziel der Wiederangliederung der Region Rheinhessen an das Bundesland Hessen.[Anm. 1]

Diese Volksbegehren entstanden auf Grundlage des Artikels 29 des Grundgesetzes. Jener Artikel besagt, dass in denjenigen Gebieten, die nach dem 08. Mai 1945 ihre territoriale Zugehörigkeit durch die Gründung der Bundesländer geändert hatten, Volksbegehren durchzuführen waren. Wenn mindestens 10% der Bevölkerung bei diesen Volksbegehren für eine Neugliederung stimmten, musste eine Volksabstimmung über den Verbleib in dem neuen Bundesland entscheiden.[Anm. 2]

Obwohl dieser Artikel 29 von den Alliierten zunächst ausgesetzt wurde,[Anm. 3] entstand in verschiedenen Regionen eine anhaltende Diskussion über eine mögliche Neugliederung des Landes Rheinland-Pfalz. Im Zuge dieser Diskussion wurden zwei Ausschüsse gegründet, die sich mit den Fragen der Diskussion geschäftigen sollten.[Anm. 4]

Der erste der beiden Ausschüsse, der „Ausschuss für die innergebietliche Neuordnung“, arbeitete unter der Leitung des Bundestagsabgeordneten Euler (FDP) und stellte am 30. Juli 1951 seine Ergebnisse vor.[Anm. 5]

Nach den Überlegungen des Ausschusses sollte Rheinland-Pfalz entweder unter den Ländern Nordrhein-Westfalen, Hessen, dem künftigen Baden-Württemberg oder Bayern aufgeteilt werden, oder als Ganzes mit Hessen vereinigt werden. Unter dem Strich hieß das somit eine Auflösung des gerade entstandenen Bundeslandes Rheinland-Pfalz.[Anm. 6]

Diese Ergebnisse riefen verständlicherweise einen massiven Protest der rheinland-pfälzischen Landesregierung hervor. Dem Protest schloss sich die Landesregierung von Nordrhein-Westfalen an, die eine erneute Diskussion der Übergröße ihres Bundeslandes befürchtete. Auch Bundeskanzler Konrad Adenauer solidarisierte sich mit der Regierung um Peter Altmeier in Mainz, da er sich wahrscheinlich um den Verlust der vier Stimmen des Landes sorgte, was seine Mehrheit im Bundesrat gefährdet hätte. Im April 1952 nahm somit ein zweiter Ausschuss, diesmal unter der Führung des ehemaligen Reichskanzlers Hans Luther, die Arbeit auf.[Anm. 7]

Dieser zweite Ausschuss hatte nun die Aufgabe nachzuweisen, dass Rheinland-Pfalz trotz der durchaus vorhandenen strukturellen Mängel durchaus lebens- und leistungsfähig war.[Anm. 8] Dabei spielte auch das Vorhandensein eines Gemeinschaftsgefühls für die Kommission eine wichtige Rolle. Zu diesem Gemeinschaftsgefühl der Rheinland-Pfälzer sagte der damalige Ministerialdirigent Dr. Schmitt während einer Rede bei einem Besuch des Ausschusses: „Die Gemeinsamkeit des historischen Schicksals im Gesamtablauf unserer deutschen Geschichte, die Gemeinsamkeit der Landschaft, die Gemeinsamkeit desselben fränkischen Stammes und der Lebensart der Bewohner dieses Raumes, die Gemeinsamkeit der sozialen, der wirtschaftlichen und landwirtschaftlichen Struktur mit ihrer Tendenz zum bodenverwurzelten Klein- und Mittelbetrieb, Gemeinsamkeiten, die letztendlich das Fundament dafür darstellen, dass aus dem Chaos des Zusammenbruchs ein freiheitliches demokratisches Staatswesen aufgebaut und funktionsfähig gemacht wurde.“[Anm. 9]

Wirklich überzeugt war der Ausschuss allerdings nicht und kam somit am 02. September 1955 zu dem Ergebnis, dass das Land „weder eine landsmannschaftliche, noch eine historische Einheit bilde und weder über ein kulturelles, noch wirtschaftliches Zentrum verfüge.“ Man konstatierte dem Land aber eine „ausreichende Leistungsfähigkeit und ein gesundes soziales Gefüge.“[Anm. 10]

Politische Auswirkungen hatte die Entscheidung des Ausschusses jedoch nicht mehr. Die potentielle Zuordnung rheinland-pfälzischer Gebiete an Nordrhein-Westfalen wurde zu einem Politikum. Konrad Adenauer befürchtete, dass eine solche Maßnahme eine zu große Gefahr für die föderalistische Struktur Deutschlands bedeutete. Am 2. Dezember 1954 wies er seinen Innenminister Schröder an, die Arbeit des Ausschusses einzustellen.  Die Auflösung von Rheinland-Pfalz wäre ein zu großer Eingriff in die Struktur der gesamten Bundesrepublik gewesen. Öffentlich argumentierte die Regierung, dass es genug andere Dinge, wie beispielsweise die NATO-Mitgliedschaft, die Verhandlungen zur EWG und die Rückkehr des Saarlandes, zu bewältigen gäbe.[Anm. 11]

Nichtdestotrotz wurde nach dem Ende der Suspension des Artikels 29 das Gesetz zur Durchführung der Volksbegehren am 07. Dezember 1955 vom Deutschen Bundestag verabschiedet.[Anm. 12] Für Rheinland-Pfalz wurden - wie bereits erwähnt - fünf Volksbegehren zugelassen. Zwei davon plädierten für die Angliederung der Pfalz an Bayern beziehungsweise Baden-Württemberg. Ein weiteres beschäftigte sich mit der Angliederung von Koblenz-Trier an Nordrhein-Westfalen,  ein anderes mit der Angliederung von Montabaur an Hessen. In Rheinhessen wurde über eine Angliederung an Hessen diskutiert.[Anm. 13]

In allen betroffenen Gebieten setzte nun natürlich ein massiver und von Polemik geprägter Wahlkampf der Befürworter und der Gegner der Neugliederung ein.[Anm. 14] Die Ergebnisse der Volksbegehren wurden schließlich am 12. Mai 1956 bekannt gegeben. In Koblenz-Trier, Montabaur und Rheinhessen hatten mehr als die nötigen 10% der Bevölkerung für die Neugliederungen der Regionen gestimmt. In Rheinhessen waren es sogar 20,3%.[Anm. 15]

Der nächste Schritt wäre jetzt eigentlich die Einleitung von Volksabstimmungen in jenen Regionen gewesen. Die Bundesregierung verzögerte allerdings die Abstimmungen mit dem erneuten Hinweis, dass man wichtigere politische Probleme habe, die gelöst werden müssten.[Anm. 16]

So kam es erst 1975 zu den Volksabstimmungen. Zu dieser Zeit schien sich niemand mehr für eine Neugliederung der Länder zu interessieren, was auch die Ergebnisse der Abstimmungen belegen. Mittlerweile war das Zusammengehörigkeitsgefühl der Bevölkerung in Rheinland-Pfalz so rapide angestiegen, dass die Befürworter einer Neugliederung 1975 in der klaren Minderheit waren.[Anm. 17]

Nachweise

Verfasser: Lutz Luckhaupt

Verwendete Literatur:

  • Dorfey, Beate: Stationen, Determinanten und Ausmaß der Konsolidierung des Landes. In: Beiträge zu 50 Jahren Geschichte des Landes Rheinland-Pfalz, hg. v. Heinz-Günther Borck. Koblenz 1997 (Veröffentlichungen der Landesarchivverwaltung Rheinland-Pfalz, Bd. 73),  S. 89-115.
  • Küppers, Heinrich: Staatsaufbau zwischen Bruch und Tradition. Geschichte des Landes Rheinland-Pfalz 1946-1955, Mainz 1990 (Veröffentlichungen der Kommission des Landtages für die Geschichte des Landes Rheinland-Pfalz, Bd. 14).
  • Landesarchivverwaltung Rheinland-Pfalz (Hrsg.): Der 9. April bis 22. April 1956. „Volksbegehren – Volksverzehren“, 22.04.2006, https://www.landeshauptarchiv.de/service/landesgeschichte-im-archiv/blick-in-die-geschichte/archiv-nach-jahrgang/09041956-bis-22041956 (Aufruf 05.11.2020).

Erstellt am: 22.07.2016

Anmerkungen:

  1. Landesarchivverwaltung Rheinland-Pfalz 2006. Zurück
  2. Ebenda Zurück
  3. Dorfey 1997, S. 100. Zurück
  4. Landesarchivverwaltung Rheinland-Pfalz 2006. Zurück
  5. Dorfey 1997, S. 101. Zurück
  6. Küppers 1990, S. 213. Zurück
  7. Dorfey 1997, S. 102. Zurück
  8. Dorfey 1997, S. 104. Zurück
  9. Dorfey 1997, S. 105. Zurück
  10. Dorfey 1997, S. 107. Zurück
  11. Ebenda. Zurück
  12. Landesarchivverwaltung Rheinland-Pfalz 2006. Zurück
  13. Dorfey 1997, S. 108. Zurück
  14. Ebenda. Zurück
  15. Landesarchivverwaltung Rheinland Pfalz 2006. Zurück
  16. Dorfey 1997, S. 110 Zurück
  17. Küppers 1990, S. 214. Zurück