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V. Tradierung von Heimat

[Bild: © Paddy Robin - https://500px.com/paddyrobin]

Zur Heimat gehört auch das Wissen über Heimat. Dieses wurde früher in der Schule im Fach Heimatkunde vermittelt. Bis 1969 gab es in Deutschland noch den Begriff Heimatkunde. Heute sind die Inhalte im Schulfach Sachkunde integriert. Im Buch „Heimatschichten“ wird die Entwicklung des Heimatkunde-Unterrichts folgendermaßen beschrieben:

„Er [Der Begriff „Heimatkunde“] wurde 1908 in die Lehrpläne aufgenommen und bewies danach ein erstaunliches Beharrungsvermögen.

Die Weimarer Republik hat ihn keineswegs abgeschafft, sondern eher aufgewertet, die Nazis vereinnahmten ihn im Sinne von Mythos und Pathos, die alte BRD behielt ihn bei und ließ ihn erst 1969 sacht zugunsten eines Sachkundeunterrichts verschwinden, in der DDR blieb er Schulfach bis 1989 als Disziplin des Deutschunterrichts in den Klassen 1-4.“[Anm. 1]

Statt Heimatkunde wurde ein wissenschaftsorientierter Sachkundeunterricht gefordert, der die „Anregung, Förderung und Unterstützung einer Auseinandersetzung der Kinder mit ihrer Mit- und Umwelt“ unter sozial- und naturwissenschaftlichem Bezug zum Ziel hat.[Anm. 2]

Doch gerade in der heutigen Zeit ist der Heimatbegriff für viele wieder wichtiger geworden. Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier beschreibt das Verständnis von Heimat in einer Rede zum Tag der Deutschen Einheit wie folgt:

„Verstehen und verstanden werden – das ist Heimat. Ich bin überzeugt, wer sich nach Heimat sehnt, der ist nicht von gestern. Im Gegenteil: je schneller die Welt sich um uns dreht, desto größer wird die Sehnsucht nach Heimat. Dorthin, wo ich mich auskenne, wo ich Orientierung habe und mich auf mein eigenes Urteil verlassen kann.“[Anm. 3]


Doch wer erzählt uns von Heimat und gibt Orientierung? Das sind zunächst einmal die Geschichten der Eltern bzw. des familiären Umfelds. Das, was den Eltern Heimat bedeutet, geben sie an ihre Kinder weiter. Tradieren von Heimat meint: eine Tradition zu überliefern, weiterzugeben. Es sind die Geschichten, die jede/n in der Kindheit, in der Jugend, als Erwachsener über Heimat erzählt werden und die dabei helfen, Wurzeln zu bilden.  

Der Autor Joachim Klose stellt dazu fest:

„Heimat ist allgemein der Ort der Herkunft mit allen Entsprechungen, der gemeinsamen Sprache, der Landschaft, den gebräuchlichen Traditionen und Sitten usw. Sie ist zugleich aber auch der Ort der Vertrautheit, wo man versteht und verstanden wird. Hier fühlt man sich geborgen und sicher, angenommen und zu Hause. So zeichnet sich Heimat vor allem auch durch soziale Bezüge aus, wie die Familie, Kirchgemeinde oder Dorfgemeinschaft. Im vertrauten Sozialraum entwickeln sich die gemeinschaftlich sinnstiftenden Narrationen [Anm: Erzählungen] und haben Bestand.“[Anm. 4]

Narrationen, also Erzählungen als wichtiger Bestandteil der Tradierung – der Weitergabe von Heimatidee und Heimaterfahrungen. Das hebt auch Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier hervor:

„Auf meinen Reisen durch Deutschland mache ich die wunderbare Erfahrung: Wo Heimat ist, da gibt es viel zu erzählen. In Sönke Wortmanns neuem Film "Sommerfest", einem Heimatfilm über das Ruhrgebiet, da sagt ein waschechter Bochumer: "Hömma..., Geschichten liegen hier überall auffer Straße rum – man musse nur aufheben."[Anm. 5]

Das „Aufheben“ von Geschichten entsteht in der Familie häufig von selbst, aber immer wieder auch durch Nachfragen. Wenn der Enkel zu seiner Oma beispielsweise sagt: „Erzähl doch mal von früher…“. Oder durch Geschichten, die vielfach erzählt werden und zum Beispiel als Anekdoten in den Familien kursieren. Für viele ist es wohltuend, sich die alten Familiengeschichten und „Dönekes“ immer wieder zu erzählen. Sich an ihnen zu freuen, darin eine Verbundenheit miteinander und eine Form von Heimat zu spüren.

Ein Zwischenfazit: Heimat ist das, was man über Generationen weitererzählt, und was im Leben glaubwürdig sichtbar und gefühlsmäßig erfahrbar wird. Erzählung und Weitergabe schaffen Heimat und Verwurzelung.

NACHWEISE

Verfasserin Text: Marion Nöldeke

Quellenverzeichnis

Literaturverzeichnis

  • Bernecker, Walther L./Thomas Fischer: Deutsche in Lateinamerika. In: Klaus J. Bade (Hg.): Deutsche im Ausland – Fremde in Deutschland. Migration in Geschichte und Gegenwart. München 1993.
  • Klose, Joachim: Heimatschichten: Anthropologische Grundlegung eines Weltverhältnisses. Wiesbaden 2013.
  • Mitzscherlich, Beate: Heimat. Kein Ort. Nirgends. In: Joachim Klose: Heimatschichten: Anthropologische Grund-legung eines Weltverhältnisses. Wiesbaden 2013, S. 47-67.

Abbildungsverzeicnis

Erstellt am: 13.02.2021

Anmerkungen:

  1. Klose 2013, S. 120. Zurück
  2. Dagmar Wilde: „Von der Heimatkunde zum Sachunterricht“ (http://www.dagmarwilde.de/sachunterricht/hkusu2.html, Aufruf 13.02.2021). Zurück
  3. Frank-Walter Steinmeier: Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier beim Festakt zum Tag der Deutschen Einheit am 3. Oktober 2017 in Mainz (http://www.bundespraesident.de/SharedDocs/Downloads/DE/Reden/2017/10/171003-TdDE-Rede-Mainz.pdf;jsessionid=7D385AB772D190C58D72AE504C3C2C47.1_cid362?__blob=publicationFile, Aufruf 13.02.2021). Zurück
  4. Klose 2013, S. 11. Zurück
  5. Steinmeier 2017. Zurück