Remagen am Mittelrhein

Romanisches Portal zu Remagen

Das Romanische Portal in Remagen ist ein einmaliges Zeugnis mittelalterlicher Steinmetzkunst aus dem ausgehenden 12. Jahrhundert, als solches von unschätzbar kunsthistorischem Wert.

Spätromanisches Pfarrhoftor[Bild: Gabriele Delhey]

Über den ursprünglichen Standort der Anlage wie die ursprüngliche Anordnung der einzelnen Bauteile liegen keine gesicherten Erkenntnisse vor. Es gibt einen Stahlstich von C. Collard sc., um 1850, mit dem Titel «VORMALIGES PORTAL DES PALASTEN SCONILARE ZU REMAGEN. Nach den Resten wieder dargestellt von B. Hundeshagen. MDCCCXXIV.», welchem der heutige, beim Umbau der Kirche im Jahr 1902 fertiggestellte Aufbau des Portals im Vorhof der Katholischen Pfarrkirche St. Peter und Paul entspricht. Zum andern kennen wir einen Stahlstich von Johann Poppel, Gez. v. L. Lange, um 1840, mit dem Titel «ALTES PORTAL IN REMAGEN», welcher Bogen und Fundament des Portals in seiner heutigen Form, die übrigen Steinreliefs aber links und rechts im unteren Bereich neben dem Torbogen in eine Steinmauer gesetzt darstellt.

Historischer Stahlstich des Portals[Bild: Ortwin Mohnkern]

Zweifellos stehen bezüglich ihrer inhaltlichen Aussage die Steinreliefs, mit welchen die Nebenpforte in ihrer heutigen Form gestaltet wurde, in engem Sinnbezug zu den Torbogenreliefs, doch fehlt mit der Kenntnis über die ursprüngliche bauliche Anordnung der Gesamtanlage auch eine zuverlässige Basis für eine schlüssige Gesamtdeutung.

Die durchgängig auf den einzelnen Reliefs anzutreffende Kopfform erinnert spontan an typisch Langobardische Köpfe wie sie etwa auf dem Gisulf Kreuz, der Sigwald Platte des Callixtus-Baptisteriums oder dem Pemmo (Ratchis) Altar (alle in Cividale, 7. bis 8. Jahrhundert) zu sehen sind. Magistri Comacini waren auch noch in den folgenden Jahrhunderten europaweit begehrte Steinmetzkünstler, so wie wir den Lombardischen Baustil am Speyerer Dom und der Abteikirche Maria Laach bewundern.

In seiner ursprünglichen Bauform bietet sich dem Betrachter wohl allein der Torbogen mit seinen Steinreliefs dar, da dieser Bauteil wegen der besonderen Ausgestaltung seiner einzelnen Steine von Anfang an nur zu einem Bogen zusammengefügt werden konnte.

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Was die Torpfeiler betrifft, so neige ich der Ansicht von Josef Minn zu, der in einer Schrift: Das Remagener Klosterhof–Tor der Siegburger Martins–Probstei, o.J. in den Steinreliefs der Torpfeiler den «Luzifer-Besieger Michaël, der auf dem Sigeberg und auf dem Godesberg den alten Wodan ablöste» sowie den «Löwenzerreißer Simson» sieht, was ich aber aus oben angeführtem Grund keineswegs als eigene Behauptung übernehmen, mich vielmehr mit einer Deutung allein auf die Torbogenreliefs beschränken möchte:

Der Torbogen, sinnfällige Gestaltung einer in Demut abgerundeten, sich im Bund mit Gott maßvoll harmonisch bescheidenden Geisteshaltung, trägt zehn Steinreliefs.

Die bisher einflussreichsten Deutungen der Steinbilder stammen von Johann Wilhelm Joseph Braun (1801-1863) und Albert Michael Koeniger 1874-1950). Zu den beiden Grundreliefs des Torbogens meint Johann Wilhelm Joseph Braun in DAS PORTAL ZU REMAGEN, herausgegeben vom Vorstande des Vereins von Alterthumsfreunden in den Rheinlanden. Bonn, bei Adolph Marcus. 1859: «Gally-Knight, dessen Werk über die Entwickelung der Architektur vom zehnten bis vierzehnten Jahrhundert von Herrn Richard Lepsius ins Deutsche übersetzt worden ist,[Anm. 1] drückt sich hierüber so aus: An den Säulenknäufen der Kirche zu Montvilliers fand ich reiche Figuren und unter diesen entdecke ich das Meerfräulein.“ „Blätter über Blätter“ fährt Herr Gally-Knight fort, „hat man mit Versuchen angefüllt, die Bedeutung dieser Bilder zu entdecken und“ [Anm. 2] „zu erläutern. – War es ein Sinnbild? War es die von den Bewohnern des Nordens eingeführte Darstellung einer Gottheit des Nordens? Oder war es eine blosse Verzierung, den bekannten Sirenen des klassischen Alterthums nachgeahmt? Alles, was sich behaupten lässt, ist, dass das Meerfräulein nicht vor dem Einfall der nördlichen Eroberer als eine Verzierung in christlichen Kirchen zu finden ist. Mehr als einmal bemerkte ich es in den lombardischen Kirchen Italiens. . . Ob aber das Meerfräulein eines derselben, ob es eine Rückerinnerung, ob es eine blosse Verzierung war, will ich mir nicht anmassen zu bestimmen.“» [Anm. 3]

Detailansicht der Meerjungfrau[Bild: Ortwin Mohnkern]

«Wir wollen uns nicht so weit von dem Meerfräulein herumführen lassen, als Herr Gally-Knight hier davon herumgeführt worden ist; wir wollen vielmehr gleich erklären, dass wir in unserem Bilde [Anm. 4] und in den entsprechenden Bildern an den Kirchenportalen in Italien, Frankreich und wo sie sonst vorkommen mögen, Meerfräulein, SIRENEN erkennen. . .»

«...; endlich findet sich in dem Kloster St. Aubin zu Angers eine Sirene, welche in der linken Hand einen Fisch, in der rechten ein Messer hält. Hält man die urprüngliche Bedeutung der Sirenen in ihrer Beziehung zur christlichen Kirche fest, so unterliegt die Deutung dieses Bildes gar keinem Zweifel...hält in der einen Hand einen Fisch und in der andern ein»[Anm. 5]  «Messer. Dieses hat keinen andern Sinn, als dass die SIRENE ihr Opfer tödtet, wie die Verführung zur Sünde überhaupt diejenigen tödtet, welche sie in ihre Netze gelockt hat.» [Anm. 6]

 «Der Abbé Voisin hat, wie von Caumont uns berichtet,[Anm. 7] die Meinung aufgestellt: die Sirenen an den christlichen Kirchen seien das Bild der christlichen Seele, welche durch die Taufe gereinigt ist; nach andern soll die Sirene ein Bild der göttlichen Gnade sein. Nichts ist abgeschmackter als diese Deutung. Die SIRENE verführt die Seele, sie sucht sie der göttlichen Gnade zu berauben und kann unmöglich ein Bild derselben sein.»[Anm. 8]

Dagegen meint Caumont, Arcisse de in Abécédaire ou rudiment d'archéologie, Caen, 1851: «Les Sirènes sont reproduites si souvent dans nos églises qu'il est bien difficile de ne pas admettre qu'elles aient eu un sens symbolique. Selon M. l'abbé Voisin, la sirène pourrait bien représenter l'âme chrétienne purifiée par le baptême: on la trouve effectivement sur des baptistères. A Angers, la sirène tient d'une main un poisson, emblème du Christ, de l'autre un glaive que l'on croit être l'emblème de l'autorité de la foi ou de la puissance de la parole divine.» [Anm. 9]

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Koeninger, Albert Michael meint in DIE RÄTSEL DES ROMANISCHEN PFARRHOFTORES IN REMAGEN, Published under Military Government Informations Control License Number US – E 128, Copyright 1947 by Filser-Verlag München-Pasing «Die eine SIRENE fährt zum FISCHFANG d.h. Seelenfang aus, die andere – hier männlich gedacht – kehrt mit den gefangenen Fischen zurück d.h. sie hat die Seelen verführt zu Sünde und Untat.»[Anm. 10]

Johann Wilhelm Joseph Braun (1801-1863) und Albert Michael Koeniger (1874-1950) waren zu ihrer Zeit ordentliche Professoren für Kirchengeschichte an der Rheinischen Friedrich-Wilhelms-Universität Bonn. Beiden Autoren ist aus ihrem Selbstverständnis als geweihte Priester in ihrer zeitgemäß opportunistischen Einstellung allem Heidnischen gegenüber nachzusehen, dass sie die beiden Figuren der Torbogengrundreliefs am Romanischen Portal in Remagen als SIRENEN deuteten, dass sie aber als Geistliche, die mit der christlichen Ikonographie sehr wohl vertraut waren, bei der Deutung der acht FISCHE in der rechten Hand, unter dem linken Arm und in der Kiepe der den Bogen abschließenden Figur ihr Wissen um die christliche Fischsymbolik derart verdrängen konnten!

sünde bringt pfründe,

der priester braucht die sündige seel wie der bäcker das mehl,

dass ihm die höllenhähl nicht fehl

(DWB, HAHL, HÄHL, f. haken, um den kessel übers feuer zu hängen)

Entgegen der Deutung der beiden Grundreliefs des Torbogens als Sünde suchenden und Sünde sammelnden Sirenen sehe ich in der den Bogen aufschließenden Figur eine NIXE, in der den Bogen abschließenden Gestalt einen NIX: Die indogermanische Wurzel von Nix(e) ist nig = waschen. Wasser ist ein uraltes Symbol für körperliche und seelische Reinigungs - und Erneuerungskraft.

"Fisch, gr.:

 Ιησους (Jesus) Xριστος (Christus) Θεου (Gottes) Υιος (Sohn) Σωτηρ (Erlöser)

 ist (wohl seit dem 2. Jahrhundert) Geheimsymbol für Jesus Christus."

 

Detailansicht des Nix mit Ohren[Bild: Ortwin Mohnkern]

Die den Bogen aufschließende Nixe mit Füßen, gleichsam vom Irdischen herkommend, ohne Ohren, mit kleinem, verschlossenem, desto entschlosseneres Vorhaben ausdrückendem Mund, mit einem Paddel: anhand eines vorgebildeten, christlichen Be-Griffes, mit einer im Wasser sich reinigen wollenden, vorwärtsgerichteten, in dieser Absicht sich steuernden Einstellung bewehrt, traut sich mit weiblich mutiger Neugier in die Fluten des Lebens. Die vier über der Nixe aufsteigenden, die vier zum Nix abfallenden Bogenreliefs stellen acht Versuchungen oder Anfechtungen dar, gegen welche die sich im Lebensstrom standhaft gebliebene Seele nun als Nix mit acht Fischen, mit in Christo er- und begriffenen Tugenden gegen die acht Versuchungen schmückt. Der den Bogen abschließende Nix mit Ohren, die vernommen, einem Mund, der, geschlossen, verkündet, einer Haltung, die Jesu Geist offenbart und bekennt.

In den Steinreliefs des Romanischen Portals zu Remagen bewundere ich eine künstlerisch ausdrucksstarke Symbiose zwischen nordischer und christlicher Bildsprache.

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Verfasser: Ortwin Mohnkern

Red. Bearb. KT

Erstellt am: 12. August 2014

Literatur:

  • Johann Wilhelm Joseph Bauer: Das Portal zu Remagen, Bonn 1859.
  • Albert Michael Koeniger: Die Rätsel des romanischen Pfarrhoftores in Remagen, München-Pasing 1947.
  • Josef Minn: Das Remagener Klosterhof-Tor der Siegburger Martins–Propstei, Remagen, ohne Jahr (1942).
  • Henry Gally-Knight, Carl Richard Lepsius: Über die Entwicklung der Architektur vom 10. -14. Jahrhundert unter den Normannen in Frankreich, England, Unter-Italien und Sicilien, Leipzig 1841.
  • Arcisse de Caumont: Histoire de l'Architecture religieuse, Au Moyen-Age, Paris 1841.
  • Emerich Schaffran: Die Kunst der Langobarden in Italien, Jena 1941.
  • Felix Kayser: Kreuz und Rune, Band I: Werdezeit, Stuttgart 1964, Band II: Reifezeit, Stuttgart 1965.

Anmerkungen:

  1. Leipzig 1841. Zurück
  2. Braun, S. 17, Z. 26. Zurück
  3. Gally-Knight 1. c. S. 147 nach Braun, S. 18, Z. 1. Zurück
  4. Braun, S. 17, Z. 20: Links vom Beschauer erblicken wir eine weibliche Figur, jugendlich, unverhüllt, oben Mensch, unten Fisch und Vogel, mit Vogelfüssen und mit einem Fischschwanz und mit einem Ruder in beiden Händen. Zurück
  5. Braun, S. 19, Z. 24. Zurück
  6. Braun, S. 20, Z. 1. Zurück
  7. Histoire de l´Architecture religieuse au moyen-age. Par Mr. de Caumont. Paris 1841. S. 213 und Note 1. Zurück
  8. Braun, S. 20, Z. 10. Zurück
  9. Caumont, S. 161f. Online verfügbar unter: http://digi.ub.uni-heidelberg.de/diglit/caumont1851bd1/0174  (Seite 161) und  http://digi.ub.uni-heidelberg.de/diglit/caumont1851bd1/0175 (Seite 162).  Zurück
  10. Koeninger, S. 27, Z. 21. Zurück