Speyer in der Pfalz

Die Geschichte der Stadt Speyer

von Dr. Joachim Kemper und Bernd Reif

0.1.1. Römerzeit und frühes Mittelalter

Blick auf die Maximilianstraße Richtung Dom[Bild: Stadtarchiv Speyer]

Speyer hat eine über 2000 Jahre alte Geschichte aufzuweisen. Die Stadt war bereits in römischer Zeit ein wichtiger, verkehrsgünstig an der Mündung des Speyerbachs in den Rhein gelegener Siedlungspunkt. Sie ist geprägt von ihrer Lage im Flachland der Pfälzischen Rheinebene. Der Rhein, dessen Verlauf über die Jahrhunderte hinweg bis zur Durchführung der „Rheinkorrektur“ durch J. G. Tulla (1770-1828) zahlreichen Veränderungen unterworfen war, bildet eine natürliche Grenze im Osten.
Speyer trägt in der römischen Zeit die Bezeichnungen „Noviomagus“ oder auch „Civitas Nemetum“, benannt nach dem hier siedelnden germanischen Stamm der Nemeter. Im Laufe des 6. Jh.s, nach den Wirren der Völkerwanderungszeit und dem Ende der römischen Herrschaft, erhielt die Stadt ihren späteren Namen: „Spira“, aus dem sich nach weiteren Veränderungen der heutige Stadtname entwickelte.
Die römische Stadt, bestehend aus zwei größeren Militärlagern, einem Kastell und einer Zivilsiedlung, wurde um das Jahr 275 im Verlauf der Alemanneneinfälle vernichtet. Ein Neuaufbau des Ortes, für den bereits im Jahr 343 ein Bischof erwähnt wird, erfolgte im 4. Jh. Speyer wurde in der zweiten Hälfte des 6. Jh.s unter fränkischer Herrschaft dauerhaft Sitz eines Bischofs: Das Bistum Speyer besteht seit dieser Zeit – abgesehen von den Jahren 1803/1817 – durchgehend bis zum heutigen Tag.

Die aufstrebende Stadt (samt der späteren Vorstadt/Siedlung Altspeyer) wurde in frühmittelalterlicher Zeit Mittelpunkt der weltlichen Verwaltung für den sogenannten „Speyergau“, während unter den Karolingern eine Königspfalz für Aufenthalte der Herrscher erwähnt wird. Das Gebiet der Stadt (am Südhang des östlichen Hochuferausläufers) wurde im 9./10. Jh. nach Norden hin erstmals erweitert: Es entstand im Umfeld der Königspfalz eine Kaufleutesiedlung, in deren Nähe an der Speyerbachmündung Hafen bzw. Stapelplatz lagen; im Osten der heutigen Hauptstraße befand sich der Markt. Der weitere Ausbau der Stadt erfolgte dann ringförmig um diese Kernstadt. Eine Befestigung bzw. Stadtmauer wird hierfür erstmals 969 erwähnt. Die städtische Entwicklung ist im Frühen und Hohen Mittelalter eng mit der Förderung durch die Herrscherdynastien der Karolinger und Ottonen, dann aber besonders mit der von 1024 bis 1125 im Reich herrschenden salischen Dynastie und den Staufern verbunden. Bereits unter den ersten beiden genannten Dynastien fanden Reichstage in Speyer statt (erstmals 838), die die beginnende Blüte der Stadt sowie die Rolle des dortigen Bischofs dokumentieren. Dieser erhielt für Speyer von den ottonischen Kaisern Markt- und Münzrechte und 969 förmlich die Stadtherrschaft übertragen. Zu den frühesten Speyerer Kirchen und geistlichen Zentren zählte neben dem Dom besonders das südlich der Stadt gelegene Stift St. German (Germansberg).

Nach oben

0.2.2. Speyer in der Zeit der Salier und Staufer

Der Kaiserdom zu Speyer[Bild: Stadtarchiv Speyer]

Im Zeichen des unter der Dynastie der Salier begonnenen Dombaus – damals die größte Kirche der Christenheit und bis heute das größte romanische Bauwerk weltweit – setzte eine vielfältige Stadtentwicklung ein, in deren Folge sich die Bürgerschaft mit Unterstützung der Könige immer mehr vom bisherigen Stadtherrn, dem Bischof, emanzipieren konnte. Die entsprechenden Privilegien, besonders der berühmte „Große Freiheitsbrief“ Kaiser Heinrichs V. aus dem Jahr 1111, stellen sehr frühe Zeugnisse für die Entwicklung bürgerlicher Freiheiten in Deutschland dar. Am Ende der Entwicklung (1294) stand die vom Bischof unabhängige und von Repräsentanten des Bürgertums verwaltete und regierte „Freie Reichsstadt“ Speyer, die erst gegen Ende des 18. Jh.s untergehen sollte. Der Speyerer Dom, dessen Grundstein durch den ersten Salierherrscher Konrad II. (1024-1039) um das Jahr 1030 gelegt worden war, ersetzte einen kleineren Vorgängerbau. Nach einer ersten Domweihe (1061) und Erweiterungen erfolgte die Fertigstellung erst unter dem letzten Salier, Kaiser Heinrich V. Der Dom wurde zur Familien- und Königsgrablege für sämtliche vier Generationen des salischen Geschlechts. Der monumentale Bau dokumentiert den Aufstieg Speyers zu einem zentralen Herrschaftszentrum des Reiches, namentlich unter den Saliern, aber ebenso unter den Staufern bis hin zu den ersten Herrschern aus dem Hause Habsburg. Diese, Rudolf I (1273-1291) und Albrecht I., 1298-1308) wurden als letzte Könige in der Herrschergrablege des Domes bestattet.
Zwischen 1050 und 1150 vergrößerte sich das Stadtgebiet als direkte und indirekte Folge des Dombaus um fast das Zehnfache. Das Speyer prägende, auf den Dom ausgerichtete Straßensystem (Hauptstraße – Maximilianstraße zwischen Dom und Altpörtel mit einer Länge von fast 700m) entstand: Diese Stadterweiterung wirkt bis heute im Bild der Stadt nach, da die große Stadtzerstörung von 1689 und der Neuaufbau des 18. Jh.s wenig am Umfang der Stadt und dem Straßenverlauf änderten.

Ende des 11. Jahrhunderts (1084) entstand eine der ersten jüdischen Gemeinden des Reiches in Speyer, die gemeinsam mit den Gemeinden von Worms und Mainz den Bund der sogenannten SCHUM-Städte bildete und mit diesen als Geburtsstätte des mitteleuropäisch-aschkenasischen Judentums gilt. Die jüdische Gemeinde von Speyer, schwer verfolgt im Jahr 1349, fand gegen Ende des Mittelalters ihr vorläufiges Ende. Zeugnisse ihrer einstigen Größe und Bedeutung sind das in spätsalischer Zeit erbaute Ritualbad (Mikwe) sowie die Reste der Synagoge im Speyerer Judenhof. Infolge des Wandels der Stadt, die in der Bezeichnung „metropolis Germaniae“ (1125) ihren Ausdruck fand, veränderte sich auch die Bevölkerungsstruktur. Handwerker und Kaufleute bildeten nun einen wichtigen Teil der städtischen Bevölkerung.

Nach oben

0.3.3. Die Reichsstadt

Die Stellung Speyers als Freie Reichsstadt konnte die Bürgerschaft in der Folgezeit auch gegen mehrfache Versuche des Bischofs, die Stadtherrschaft zurückzugewinnen, behaupten. Speyer blieb über die Salier- und Stauferzeit hinaus ein „Zentralort“ des Reiches: Dies manifestierte sich in zahlreichen Aufenthalten von Kaisern und Königen und den in der Stadt abgehaltenen Reichstagen oder auch anlässlich von „Städtetagen“. Die Freie Stadt konnte zwar nie ein eigenes Territorium außerhalb der Stadtmauern erwerben, spielte allerdings unter den unabhängigen Kommunen des Reiches trotzdem eine aktive Rolle. Die Beziehungen der Stadtobrigkeit zu Kaiser und Reich können nicht nur anhand der Mitwirkung in der „großen Politik“ nachgezeichnet werden, sondern zeigen sich auch im umfangreichen schriftlichen Niederschlag in den Akten- und Amtsbuchbeständen des Stadtarchivs Speyer, dem ältesten Kommunalarchiv der Pfalz. Speyer fungierte namentlich im beginnenden Zeitalter der Reformation und Glaubenskämpfe als einer der zentralen Orte des Reiches: Reichstage, die für die Entwicklung der Reformation einschneidend wurden, fanden beispielsweise in den Jahren 1526 und 1529 in Speyer statt, weitere Reichstage in den Jahren 1542, 1544 und 1570. Die „Protestation“ von Fürsten und Reichsstädten auf dem Speyerer Reichstag von 1529 wurde Namen gebend für den „Protestantismus“. Daneben trafen sich mehrfach reichsständische Ausschüsse in Speyer. Das zwischen 1527 und 1689 in Speyer tagende höchste Reichsgericht, das Reichskammergericht, machte Speyer schließlich zum herausragenden juristischen und politischen Treffpunkt des Reiches.

Rat und Bürgerschaft der Stadt nahmen offiziell ab 1540 die lutherische Lehre an. Verschiedene Kirchen wurden sukzessive der neuen Lehre zugeführt bzw. umfunktioniert. Dennoch hielt sich katholisches Leben in Klöstern und Stiften sowie natürlich am Domstift. Die katholischen Angehörigen des Reichskammergerichts sowie der Klerus und zu ihm gehörige Laien dürften den überwiegenden Teil der katholischen Einwohnerschaft Speyers gebildet haben. Neben Lutheranern und Katholiken standen die Anhänger des Calvinismus (Reformierte). Fast zeitgleich mit der Durchsetzung der Reformation war 1534 die endgültige Vertreibung der Speyerer Juden besiegelt worden, womit eine seit Jahrhunderten in Speyer ansässige religiöse Minderheit aus der Domstadt vertrieben wurde. Obwohl der Rat noch im Jahr 1603 Juden untersagt hatte, sich länger in Speyer aufzuhalten (ausgenommen waren Juden als Parteien am Reichskammergericht), ist eine neue jüdische Kultusgemeinde ab 1621 greifbar. Sie verfügte über eine Synagoge samt Mikwe und Friedhof. Juden wurden aber erneut Ende des 17. Jh.s vertrieben.

Stadtansicht aus der "Cosmographia" des Sebastian Münster[Bild: Stadtarchiv Speyer]

Die Speyerer Einwohnerschaft erreichte gegen Ende des 16. Jh.s, also am Vorabend des Dreißigjährigen Krieges, mit ca. 8.000 Personen einen Höchstwert, der erst wieder im 19. Jh. erreicht werden sollte: Im Verlauf der für Speyer katastrophalen Ereignisse des 17. Jh.s sank die Bevölkerungszahl rapide ab, um sich dann langsam wieder zu erholen. Über die äußere Gestalt der Reichsstadt sind wir unter anderem durch einen Holzschnitt aus der „Cosmographia“ des Sebastian Münster (1550) gut unterrichtet. Dieser, wie ein späterer aus der Hand des Matthäus Merian d.Ä., vermittelt einen guten Eindruck vom Aussehen der Stadt: Speyer war neben dem Dom und den zahlreiche Kirchen und Kapellen natürlich in besonderer Weise durch die Stadtmauer und die insgesamt 68 befestigten Mauer- und Tortürme geprägt. Bereits im Dreißigjährigen Krieg erlitten drei der vier Speyerer Vorstädte schwere Zerstörungen, lediglich der Hasenpfuhl blieb unzerstört.

Die Zerstörung der Stadt 1689[Bild: Stadtarchiv Speyer]

Der folgenschwere Stadtbrand bzw. die Stadtzerstörung von 1689 sowie der Wiederaufbau im 18. Jh. beendeten endgültig das im Mittelalter grundgelegte Stadtbild. In den ersten Jahrzehnten des 18. Jh.s entstanden neben zahlreichen neuen Wohnhäusern auch markante Gebäude wie das Rathaus oder die lutherische Dreifaltigkeitskirche. Die Freie Reichsstadt war als verkehrstechnisch günstig gelegener Umschlag- und Handelsplatz immer als regionaler Markt bedeutsam. Die Stadt war geprägt von kleinen und mittleren Kaufleuten sowie den in Zünften organisierten Handwerkern. Zu den wichtigen Handelsgütern zählte der Wein. Die im späten Mittelalter dominierende Tuchherstellung ging in der Frühen Neuzeit zurück, ohne ganz an Bedeutung zu verlieren. Fünf Fähren im näheren Umfeld der Stadt führten über den Rhein: Der bis heute betriebenen Rheinhauser Fähre kam auch deshalb besondere Bedeutung zu, weil über sie eine der reichsweiten Postrouten im Reich führte. Die Besetzung durch französische Truppen im Jahr 1792 brachte das Ende der Selbständigkeit der Reichsstadt. Die Stadt durchlebte folgenreiche bauliche und politische Veränderungen. Sie gehörte zunächst zum französischen Département Donnersberg, ehe sie 1816 zum Königreich Bayern kam.

Nach oben

0.4.4. Die bayerische Kreishauptstadt

Kreishauptstadt Speyer 1821[Bild: Stadtarchiv Speyer]

Mit dem Übergang an das Königreich Bayern im Jahr 1816 entwickelte sich Speyer zu einer modernen Verwaltungsstadt. Für die zukünftige Hauptstadt des neu gebildeten bayerischen „Rheinkreises“ (Rheinpfalz bzw. Pfalz) mussten zahlreiche Verwaltungsgebäude von Grund auf neu errichtet oder zumindest umgebaut werden, ebenso Schulen sowie Kasernen. Nach zunächst häufigen Truppenwechseln kam es ab 1874 zur Stationierung einer großen Pioniereinheit in der Stadt, für die 1889 ein neuer Kasernenbau, damals vor den Toren der Stadt, errichtet wurde.

Nach der Aufhebung des alten Bistums Speyer im Jahr 1801 kam es 1817/1821 zu einer Neugründung und Festlegung der Bistumsgrenzen auf das Gebiet des Rheinkreises. Speyer wurde in der Folge Sitz des katholischen Bischofs und seines Ordinariats, ebenso des Konsistoriums der 1818 vereinigten evangelischen Landeskirche der Pfalz. Der stark in Mitleidenschaft gezogene Dom wurde notdürftig wieder hergestellt und 1822 neu eingeweiht. Auf Initiative König Ludwigs I. von Bayern wurde das Innere des Domes, der durchweg als „Nationaldenkmal“ betrachtet wurde, in den Jahren 1846 bis 1853 durch Johann Schraudolph ausgemalt. 1854 bis 1858 erfolgte die Errichtung eines neoromanischen Westbaus samt Vorhalle. Die heutige begehbare Kaisergruft des Domes wurde im Rahmen der Öffnung der Kaisergräber nach 1900 angelegt; die entnommenen Grabbeigaben sind heute im Domschatz (Historisches Museum der Pfalz) zu sehen. Die Erinnerung an den Reichstag der „Protestation“ von 1529 stand schließlich hinter einem monumentalen protestantischen Bauvorhaben, das auch als Konkurrenzvorhaben zum Speyerer Dom aufgefasst werden kann: Die nach dem Vorbild der Wiener Votivkirche errichtete Speyerer „Gedächtniskirche“ konnte im Jahr 1904 nach elfjähriger Bauzeit eingeweiht werden.

Die steigende Bevölkerung des 19. Jh.s (zwischen 1850 und 1900 wuchs deren Zahl von ca. 10.000 auf das Doppelte) führte zu einer erheblichen Erweiterung der städtischen Bebauung und der Vorstädte. Die 1885 errichtete Evangelische Diakonissenanstalt, die ebenso wie der zeitgleich bezogene Kasernenkomplex außerhalb der Stadt erbaut worden war, wurde beispielsweise schon bald von Wohnbauten eingeholt. Der 1837 abgeschlossene Ausbau des Rheinhafens und besonders der Anschluss an das entstehende Eisenbahnnetz läuteten eine beachtliche wirtschaftliche Entwicklung ein. Zu den technischen Kuriositäten zählte dabei die Schiffsbrücke über den Rhein: Die 1873 für den Bahnverkehr (Speyer – Heidelberg) in Betrieb genommene Pontonbrücke wurde erst in den 1930er Jahren durch eine feste Brücke ersetzt. Zahlreiche kleinere und größere Fabriken entstanden im Umfeld der Stadt, dazu markante Fabrikantenvillen. Gegen Ende des 19. Jh.s sind über 50 Industriebetriebe zu zählen, die knapp 3.000 Beschäftigten ein Auskommen boten. Der gerade bei den gering verdienenden Bevölkerungsschichten grassierenden Wohnungsnot begegnete man im beginnenden 20. Jh. mit der Anlage mehrerer Siedlungen. Die Stadt dehnte sich auf diese Weise bis in die 1930er Jahre insbesondere nach Nordwesten aus.

Im 1. Weltkrieg wurden die 1913 gegründeten „Pfalz-Flugzeugwerke Speyer“ als Rüstungsbetrieb mit knapp 2.800 Beschäftigten der größte Arbeitgeber der Region. Die in relativer Frontnähe gelegene Stadt beherbergte außerdem zahlreiche Lazarette in öffentlichen Gebäuden, Schulen und Privathäusern. Die Zwischenkriegszeit brachte der Stadt wie dem gesamten linken Rheinufer eine Besetzung durch die französische Armee, die bis zu deren Abzug 1930 dauerte. Neben separatistischen Bestrebungen, die sich gegen die Zugehörigkeit der Pfalz zu Bayern richteten („Autonome Regierung der Pfalz“, Sitz in Speyer), und einer generellen politischen Radikalisierung erhöhten wirtschaftliche Not und grassierende Arbeitslosigkeit die Spannungen in diesen Jahren. Während der Inflation von 1923 musste die Stadtverwaltung Notgeld herausgeben.

Wie im gesamten Reich führte auch in Speyer die Machtübernahme der Nationalsozialisten zu einer Gleichschaltung der Parteien und zur Verfolgung politischer Gegner. Die 1837 errichtete Synagoge der jüdischen Kultusgemeinde in der Heydenreichstraße wurde 1938 in der Reichspogromnacht zerstört, die in Speyer verbliebenen Juden wurden im Rahmen der „Wagner-Bürckel-Aktion“ 1940 nach Südfrankreich deportiert und später oftmals nach Auschwitz überführt, nur wenige überlebten. Als Speyerer Bürgermeister (seit 1919) bzw. Oberbürgermeister (seit 1923) amtierte über zwei Jahrzehnte lang der Jurist Karl Leiling (1879-1947). Leiling, der auch nach der Machtergreifung der Nationalsozialisten bis 1943 im Amt blieb und dann erneut nach Kriegsende kurzzeitig das Oberbürgermeisteramt ausübte, ist eine ambivalente Persönlichkeit: In den Jahren nach dem Ende des 1. Weltkriegs machte er sich einerseits durch wirtschaftliche und bauliche Maßnahmen um die Stadt verdient, verhinderte aber die Verbrechen der Nationalsozialisten, deren Machtergreifung er im Stadtrat als „Zeitenwende“ bezeichnet hatte, gegenüber Juden und Andersdenkenden keineswegs. Im städtischen Stiftungskrankenhaus wurden zwangweise Sterilisationen vorgenommen, in der Stadt lebten und arbeiteten während des Krieges unter teils unmenschlichen Bedingungen zahlreiche Kriegsgefangene und Zwangsarbeiter. Die Stadt Speyer selbst erlitt im Zweiten Weltkrieg nur wenige Kriegszerstörungen durch Fliegerangriffe; knapp 50 Wohnhäuser wurden zerstört oder stark beschädigt. Speyer wurde Ende März 1945 durch amerikanische Truppen besetzt und der französischen Besatzungszone zugeschlagen.
Joachim Kemper

Nach oben

0.5.5. Stadtentwicklung der Nachkriegszeit

Mit dem Einmarsch der amerikanischen Truppen am 24. März 1945 begann in Speyer vor dem offiziellen Kriegsende am 8. Mai 1945 die Nachkriegszeit. Am 30. März, einem Karfreitag, wurde die Pfalz als Besatzungszone an Frankreich übergeben. Speyer wurde so ein weiteres Mal französische Garnisonsstadt. Die Trikolore wurde in den Straßen und auf dem Altpörtel gehisst, General Charles de Gaulle nahm am Tag darauf eine Truppenparade vor dem Dom ab.

Der erste Nachkriegswinter war trotz der relativ geringen Kriegszerstörungen für die Bevölkerung sehr hart. Neben bewohnbaren Wohnungen fehlte es an Brennstoff und Nahrungsmitteln, der Tauschmarkt florierte. 1946 wurde Speyer kreisfreie Stadt und im Jahr darauf Teil des auf französische Initiative hin gegründeten Bundeslandes Rheinland-Pfalz. Bereits 1947 nahm in der früheren Lehrerbildungsanstalt in der Johannesstraße eine Akademie für Verwaltungswissenschaften, die „École Supérieure d'Administration“, ihre Tätigkeit auf. Ziel dieser Einrichtung war die Ausbildung eines demokratisch geprägten Verwaltungsnachwuchses. 1950 wurde daraus die heutige Deutsche Universität für Verwaltungswissenschaften.

1948 gab es als Ersatz für die im Krieg gesprengte Rheinbrücke einen regelmäßigen Fährdienst über den Rhein. Es dauerte aber noch gut weitere acht Jahre, bis 1956 mit der neuen Rheinbrücke eine Straßenverbindung über den Fluss geschaffen wurde. Sie legte den Grundstein für den wirtschaftlichen Erfolg der Region und der Stadt Speyer.

Ab 1949 plagten die Stadtväter um den ersten Oberbürgermeister der Nachkriegszeit, Dr. Paulus Skopp (Amtszeit 1949 bis 1969), noch ganz andere Sorgen, die die bauliche Entwicklung der Stadt maßgeblich prägen sollten. Speyer erlebte einen massiven Zuzug von Heimatvertriebenen. Damit verschärfte sich die angespannte Wohnungssituation in der Stadt dramatisch. Alleine im Jahr 1949 erreichten fast 2.300 Flüchtlinge die Stadt. Im Folgejahr reduzierte sich der Zuzug zwar auf ca. 1.400 Personen, es lebten nun aber über 3.500 Menschen in Speyer, für die Wohnraum gefunden werden musste. Bis in die 1960er Jahre hinein kamen noch mehrere Hundert Heimatvertriebene hinzu. Gravierend war die Situation jedoch um das Jahr 1953, als zeitweise bis zu 10 Lager auf Speyerer Gebiet mit Flüchtlingen und Wohnungssuchenden existierten. Um der Wohnungsnot Herr zu werden, wurde der bereits 1948 beschlossene Plan zur „Ausweisung von Gelände für Siedlungen der Stadt“ umgesetzt. Die Gemeinnützige Baugenossenschaft Speyer (GBS) sollte die bereitgestellten Flächen bebauen. Die 1948 gegründete „Grundstückserwerbs-, Wohnbau- und Siedlungsgesellschaft GmbH Speyer“ (GEWO) hatte eine ähnliche Aufgabe. So entstand ab 1950 zwischen der Dudenhofer Straße und dem Woogbach im Westen der Stadt ein neues Wohngebiet, in dem die GEWO und die GBS eine der größten Kriegsopfersiedlungen der Bundesrepublik errichteten. Bereits ein Jahr später (1951) konnten die ersten Wohnungen zum Bezug freigegeben werden. Der heute noch gut erlebbare Städtebau der Stadterweiterungen in Speyer West war geprägt von den Erfordernissen und Zwängen der damaligen Zeit. So galt es, in kürzester Zeit möglichst viele Wohnungen bereitzustellen, die zudem für die Bevölkerung erschwinglich sein sollten. Der Einsatz von modularen Elementen und festen Grundrisstypen war fortschrittlich und neu, die Wohnflächen genügten vollauf den Ansprüchen der Zeit.

Die Heimatverbundenheit der Flüchtlinge sowie deren Herkunft drückt sich in den Namensgebungen der später in Speyer West gebauten katholischen Kirchen aus: St. Hedwig steht für die Patronin Schlesiens und St. Otto für den Apostel Pommerns. Als Zeichen der Aussöhnung zwischen Frankreich und Deutschland wurde 1954 die Friedenskirche St. Bernhard fertiggestellt, die mit französischen und deutschen Geldern finanziert wurde. Ein Jahr später endete die Besatzungszeit. Aus Besatzungstruppen wurden Stationierungstruppen, die zum Bestandteil des städtischen Lebens wurden. In der Stadt gab es bis 1997 zwei französische Kasernen (Normandkaserne und die Kaserne zwischen Rheinbrücke und Flugplatz). Für die über 1.000 Soldaten und ihre Angehörigen entstand mit der Cité de France ein eigener Stadtteil an der Landauer Straße.

Ab Mitte der 1950er Jahre war eine lebhafte Bautätigkeit festzustellen. Die allgemeine Besserung der wirtschaftlichen Lage, der Aufschwung in der jungen Bundesrepublik, hinterließ auch in Speyer zahlreiche bauliche Spuren. Das kulturelle Leben in der Stadt nahm wieder einen größeren Stellenwert ein. Zu dieser Zeit wurden zahlreiche Schulen gegründet und ausgebaut, die Verkehrsinfrastruktur wieder hergestellt und erneuert sowie in der Innenstadt, mit dem Kaufhaus der Firma Anker (heute Kaufhof), ein erstes Kaufhaus auf dem Gelände der ehemaligen Synagoge gebaut (1958). Hinzu kamen der Bau des Priesterseminars auf dem Areal des frühmittelalterlichen Klosters St. German (1957) und 1963 der Bau der neuen Speyerer Stadthalle von Ott o Hannemann (Architekt), die bis in die 1980er Jahre Bühne für die großen Namen der deutschen Theater- und Musikszene war. Ab 1965 wurde mit dem Bau des Hans Purrmann und des Friedrich Magnus Schwerd-Gymnasiums begonnen. Die starke wirtschaftliche Dynamik und entsprechende Standortvorteile führten 1963 zur Ansiedlung der „elf“-Raffinerie, im Bereich des Neuen Rheinhafens.

Zu Beginn der 1960er Jahre festigte sich auch die steigende Bedeutung der Stadt als Behörden- und Bildungsstandort von überregionaler Bedeutung. Die Landesversicherungsanstalt Rheinland-Pfalz (heute Deutsche Rentenversicherung) fasste ihre Büros in einem neuen Hochhaus zusammen, das 1960 fertiggestellt wurde. Das Haus entwickelte sich zum weithin sichtbaren Symbol des Neuen Speyers und prägte von nun an die Ansicht der Stadt. Die Deutsche Hochschule für Verwaltungswissenschaften (heute Deutsche Universität für Verwaltungswissenschaften) bezog den von Sep Ruf (Architekt) gestalteten Neubau im Südwesten des Stadtgebietes. Benachbart dazu entstand auch das Doppelgebäude mit der Pfälzischen Landesbibliothek und dem Landesarchiv Speyer.

Im Westen der Stadt konnte 1972 die gesamte Ortsumfahrung durch B9 und B39 für den Verkehr freigegeben werden. Die Autobahnbrücke der A61 über den Rhein vervollständigt seit 1975 die überörtliche Verkehrsanbindung. Beide Verkehrsanlagen binden die Stadt an die Region an. Neben der innerörtlichen Entlastungsfunktion, sichern sie der Stadt entscheidende Standortvorteile, die zu den großen gewerblichen Ansiedlungen im Südosten und Osten führten. Allerdings markieren sie auch die Grenze der Siedlungsentwicklung.

Trotz dem endenden Zuzug der Heimatvertriebenen erlebte Speyer ein anhaltend starkes Bevölkerungswachstum. 1964 wurde die Einwohnerzahl von 40.000 und 1999 die von 50.000 überschritten. Im Schnitt entstanden zwischen 1949 und 1970 ungefähr 400 Wohnungen pro Jahr. Die aus den 1930er Jahren stammende Siedlung in Speyer Nord wuchs beträchtlich. Die heute gefragten Wohngebiete am „Rosensteiner Hang“ und „Im Oberkämmerer“ entstanden. Als eine der letzten großen Siedlungserweiterungen zu Wohnzwecken wurde in den frühen 1980er Jahren das Wohngebiet „Im Vogelgesang“ südlich der Bundesstraße B39 entwickelt. Das Gelände der ehemaligen Storchenbrauerei und der benachbarten Kurpfalz Sektkellerei bot Anfang der 1990er Jahre die Chance, innenstadtnahen Wohnraum zu schaffen. Mit dem einsetzenden Wirtschaftswunder ging der Zuzug von Gastarbeitern einher. Zunächst seit den 1960er Jahren aus Italien und seit den 1970er Jahren aus der Türkei. 10 Jahre später war die Stadt Ziel von Spätaussiedlern aus der damaligen Sowjetunion.

Auch wirtschaftlich prosperierte die Stadt. Es entstanden die großen Industrie- und Gewerbegebiete südlich der B39 am Flugplatz und im Umgriff der Auestraße. Heute bilden fast 2.000 Unternehmen mit mehr als 23.000 Beschäftigten das wirtschaftliche Rückgrat der Stadt. Insbesondere mittelständische Betriebe aus allen Wirtschaftszweigen sind in Speyer stark vertreten. Mehr als 25% aller Arbeitsplätze entfallen auf das verarbeitende Gewerbe. Durch das breite Spektrum der Betriebe ist die Stadt als Wirtschaftsstandort vor Marktschwankungen geschützt. Die Speyerer selbst verfügen über ein, gemessen am Landesdurchschnitt, hohes Kaufkraftpotential. Das besondere Potential Speyers als Wirtschaftsstandort erkannten zu Beginn der 1990er Jahre auch internationale Investoren. Die Pleiad Real Estate Speyer GmbH, ein Zusammenschluss schwedischer Unternehmen, plante südlich der B39 die „ParkStadt am Rhein“. Dahinter verbarg sich ein „Business – Park“ auf über 165 ha mit 430.000 m² an Büro- und Dienstleistungsflächen. Das Gelände sollte von Wasser- und Grünbereichen durchzogen sein und damit eine parkartige Anmutung erhalten. Von der eigentlichen Idee zeugt heute das markante „Pleiad – Haus“, mit dessen Bau im Jahre 1995 begonnen wurde. Ansonsten wird das Gelände heute im Wesentlichen als großflächiger Logistikpark vermarktet.

Nach oben

0.6.6. Stadterneuerung ab dem Jahre 2000

Eines der wichtigsten Ereignisse in der jüngeren Geschichte der Stadt war das Stadtjubiläum „2000 Jahre Stadt Speyer“, das 1990 begangen wurde. Insbesondere in der Innenstadt und den innenstadtnahen Wohngebieten wie Fisch- und Holzmarkt vollzogen sich weitreichende Veränderungen. Zahlreiche Objekte, die nicht mehr den Wohnansprüchen genügten, wurden behutsam saniert. Damit einher gingen auch die Neugestaltung der Platz- und Freiflächen in diesen Stadtquartieren. Ein großer Schritt für die Stadt war der Umbau der Maximilianstraße zur Fußgängerzone mit der Neugestaltung des Domvorplatzes und des Postplatzes. Die Idee einer Fußgängerzone wurde bereits in den 1970er Jahren diskutiert, als diese Form der innerörtlichen Handelsstraße ihren Siegeszug durch die Bundesrepublik vollzog. Die Korngasse wurde 1977 und die Rossmarktstraße 1979 als Fußgängerbereich umgestaltet. Die Maximilianstraße wurde zum Stadtjubiläum umgestaltet und im Jahr 1990, für den Kfz-Verkehr an Wochenenden gesperrt.

Neue touristische Impulse wurden ab den frühen 1990er Jahren mit dem Technik-Museum und später dem Sea-Life-Aquarium (1993) gesetzt. Das Historische Museum der Pfalz erhielt 1990 einen Anbau und entwickelte sich insbesondere mit der Salierausstellung (1992) zu einem überregional bedeutsamen Museumsstandort.

1997 erfolgte mit dem Abzug des französischen Militärs aus der Kaserne Normand, der Kaserne am Flugplatz und dem Lyautey-Gelände ein weiterer Einschnitt in der Stadtentwicklung. Die ehemalige Militärfläche am Flugplatz wurde vom Technik-Museum übernommen. Der in direkter Nachbarschaft gelegene Flugplatz verfügt seit Herbst 2011 um eine auf 1.677 m verlängerte Landebahn. Die Kaserne Normand entwickelte sich zum Wohngebiet mit Stadthäusern und Grünflächen. Das Lyautey-Gelände an der Iggelheimer Straße ist mittlerweile ein Gewerbegebiet und vollständig bebaut. Für das Jahr 2016 steht mit dem Abzug der Bundeswehr ein erneuter Konversionsprozess an, der weitere Möglichkeiten für die Stadtentwicklung bietet.

Mitte der 1990er Jahre ergriff Speyer die Chance der städtebaulichen Annäherung an den Rhein. Bisher waren die Uferlagen der Stadt weitgehend von gewerblichen Anlagen geprägt. Lediglich im Bereich der Schiffanleger, in der Verlängerung der Grünanlagen des Domgartens, öffnete sich die Stadt dem Fluss. Die großen Wohngebiete lagen eher im Westen und Norden. Der Bereich des Alten Hafens, aber auch die Verlagerung der Ziegelproduktion der ERLUS-Ziegelei, ebneten den Weg für die Entwicklung attraktiver Wohnlagen in unmittelbarer Nachbarschaft zum Wasser. Begonnen wurde mit einer Marina im Alten Hafen und einer flankierenden Uferbebauung, den sogenannten „Hafenvillen“. Diese wurden in jüngster Zeit ergänzt durch weitere Neubauten am Hafenkopf, den „Neuen Hafenvillen“.

Die Geschichte Speyers zeigt, wie sich die Stadt im Laufe der Zeit vielfach weiterentwickelt hat. Da Speyer über keine größeren Flächenreserven verfügt, gilt es innerstädtische Potentiale zum Wohl der Stadt zu nutzen.
Bernd Reif

Nach oben

NACHWEISE

Verfasser: Dr. Joachim Kemper und Bernd Reif
Aus:
Kemper, Joachim/Reif, Bernd: Speyer am Rhein, in: Geiger, Michael (Hg.): Die Pfalz. Geographie vor Ort ( = Geographie der Pfalz; 2), Landau 2013, S. 72-81.  
Veröffentlichung mit Genehmigung des Herausgebers.

 

Red. bearb.: Lisa-Marie Pulverich
Erstellungsdatum:07.10.2013

 

Literatur:

  • Ammerich, Hans: Kleine Geschichte der Stadt Speyer, Stuttgart 2008.
  • Eger, Wolfgang (Red.): Geschichte der Stadt Speyer. 3 Bd., 2. Auflage, Stuttgart/Berlin/Köln/Mainz 1983.
  • Klotz, Fritz: Speyer. Kleine Stadtgeschichte ( = Beiträge zur Speyerer Stadtgeschichte; 10), 5., erw. Aufl., Speyer 2008.