Charlottenberg im Rhein-Lahn-Kreis

Zur Geschichte von Charlottenberg

Die Gemeinde Charlottenburg ist das jüngste Dorf der Verbandsgemeinde Diez. Ihre Gründung steht in Zusammenhang mit der Flucht zahlreicher Waldenser aus dem „Val de Cluson“, einem Tal in den cottischen Alpen. Die Waldenser hatten sich 1532 der Reformation nach der Lehre von Calvin angeschlossen. Bis zum Ende des 17. Jahrhunderts war das ganze Tal calvinistisch. Mit der Regierung Ludwigs XIV. ab 1661 verstärkten sich Rekatholisierungsbemühungen. 1685 wurde durch das Edikt von Fontainebleau die reformierte Religion verboten. In Folge der erzwungenen Rekatholisierung, die auch das Herzogtum Savoyen-Piemont, zu dem Teile des Tals gehörten, betraf, kam es im Val de Cluson 1685 und 1698 zu zwei Auswanderungswellen. 1687 erreichten ca. 100 Waldenser aus dieser ersten Welle die Esterau, wo sie durch Fürstin Elisabeth Charlotte Aufnahme fanden. Geplant wurde wohl, die Flüchtlinge geschlossen anzusiedeln. Die Umsetzung dieser Planungen scheiterte jedoch am Pfälzischen Erbfolgekrieg (1688–1697). Der größte Teil der Waldenser floh aus Angst vor einem französischen Vormarsch. Ein anderer Teil kehrte nach Savoyen zurück. Nur sieben Waldenserfamilien blieben in der Esterau. 1689 trafen zudem 161 Wallonen aus Otterberg in der Pfalz ein. Diese wurden an verschiedenen Orten der Esterau angesiedelt. Gemeinsam mit den verbliebenen Waldensern begründeten sie die französisch-reformierte Gemeinde in Holzappel.[Anm. 1]

Im Rahmen einer zweiten Auswanderungswelle kamen 1699 erneut Waldenser in die Esterau. Diese hatten den Winter in der Schweiz verbracht. Auf Vermittlung des dortigen niederländischen Botschafters, Pieter Valkenier, kamen 57 von ihnen in die Esterau. Dort schlossen sie einen Vertrag mit Fürstin Elisabeth Charlotte, der, unter Gewährung von Privilegien, wie etwa der zehnjährigen Abgabenfreiheit und das Recht auf Gottesdienst in französischer Sprache, die Ansiedlung der Waldenser in einer eigenständigen Siedlung vorsah. Diese eigenständige Siedlung wurde schließlich entlang einer Fernstraße angelegt. Am 25. August 1699 wurden die zehn zu errichtenden Häuser auf die Flüchtlinge verteilt. Das Dorf Charlottenberg, benannt nach der Fürstin, entstand. Im Mai 1700 leisteten die Charlottenberger ihren Untertaneneid.[Anm. 2]

Das neue Dorf hatte in der Anfangszeit mit großen Problemen zu kämpfen. Bis 1703 starben 22 erwachsene Einwohner. Dies entsprach mehr als einem Drittel der erwachsenen Bevölkerung. Zudem starben fünf Kinder. 1702 übersiedelten die Waldenserfamilien aus Eppenrod, die mit der ersten Flüchtlingsgruppe 1687 in die Esterau gekommen waren, nach Charlottenberg.[Anm. 3]

Die Waldenseransiedlung blieb in den ersten dreißig Jahren ihres Bestehens eine relativ geschlossene Gemeinschaft. Die französisch-reformierte Gemeinde, die von 1694 bis 1700 keinen Pfarrer gehabt hatte, erlebte 1700 durch die Ansiedlung in Charlottenberg und die Ankunft eines neuen Pfarrers, Jean de la Fite, einen Neuanfang. Die Gemeinde war nach der französischen Kirchenordnung „disciplin ecclesiastique“ organisiert, mit den vier Ämtern des Pastors, des Ältesten, des Gemeindepflegers und des Lehrers.[Anm. 4]

Die Charlottenberger wollten zunächst einmal französische Waldenser bleiben. Nichtsdestotrotz setzte ab 1730 ein Integrationsvorgang ein. Die Gemeinde stand auch unter gewissem Anpassungsdruck. Der Kontakt zu anderen Waldenserkolonien im Gebiet des heutigen Deutschland war eher spärlich ausgeprägt. Zudem stand innerhalb der eigenen Gemeinde nur eine begrenzte Anzahl potentieller Ehepartner zur Verfügung. Vier schaumburgischen Soldaten gelang der Einbruch in die geschlossene Ehe- und Lebensgemeinschaft von Charlottenberg. 1744 lebte die erste „deutsche“ Familie in Charlottenberg, nachdem ein Soldat in zweiter Ehe geheiratet hatte.  In religiöser Hinsicht war die Anpassung auch aus finanziellen Gründen notwendig. 1730 liefen die Pensionszahlungen für den Pastor aus, zu denen sich die Niederlande verpflichtet hatten. Der schaumburgische Fürst wollte diese Kosten nicht übernehmen. Nachdem 1766 der Pastor gestorben war, endete die Geschichte der französisch-reformierten Gemeinde. Die Waldenser aus Charlottenberg wurde in die Pfarrei Dörnberg integriert, hielten jedoch bis zum Anfang des 19. Jahrhunderts auch altbekannte Riten am Leben. Bereits ein Jahr vorher hatte der letzte Schulmeister sein Amt aufgegeben. Die Charlottenberger SchülerInnen gingen nun in Dörnberg zur Schule.[Anm. 5]

Mitte des 18. Jahrhunderts änderte sich nicht nur die Anpassungsbereitschaft, sondern auch der Charakter des Dorfes. Mit dafür verantwortlich war der aufkommende Bergbau, der vor allem durch die Grube Holzappel symbolisiert wird. Die Grube sorgte für die Neuansiedlung zahlreicher Bergleute, die schließlich in Charlottenberg Ehepartnerinnen fanden und sich im Ort niederließen. Auch die Sozialstruktur änderte sich deshalb. Aus einem – trotz eher karger Böden – Bauerndorf wurde ein Bergarbeiterdorf mit landwirtschaftlichem Nebenerwerb.[Anm. 6]

1806 verloren die Grafschaft Holzappel und die Herrschaft Schaumburg ihre Selbständigkeit. Beim Landesherrn verblieb nur die „Standesherrschaft“. Charlottenburg wurde Teil des neugegründeten Herzogtums Nassau, das 1866 von Preußen annektiert wurde. Im 19. Jahrhundert wuchs die Siedlung weiter. 1822 waren aus den zehn Häusern der Gründung bereits 24 geworden. 1852 waren es bereits 40 Wohnhäuser. Das Bevölkerungswachstum hing wohl mit der Grube Holzappel zusammen, zugleich verließen auch einige Einwohner das Dorf. Zwischen 1849 und 1870 wanderten vier Charlottenberger nach Amerika aus. Nach der Reichsgründung 1871 gingen zudem einige Bergarbeiter aus Charlottenburg nach Lothringen, da sie in der dortigen Erzförderung auf bessere Arbeitsbedingungen hofften.[Anm. 7]

1870 erhielt Charlottenberg erneut einen eigenen Lehrer. Dieser unterrichtete zunächst in einer Charlottenberger Gastwirtschaft, bis schließlich 1874 ein neues Schulhaus errichtet wurde. 1889 hatte Charlottenberg 227 Einwohner, wobei 55 von ihnen als Arbeiter (10) oder Bergleute (45) in der Grube Holzappel oder in der Aufbereitung Laurenburg beschäftigt waren. Seine höchste Bevölkerungszahl erreichte Charlottenberg 1900, als in der Gemeinde 240 Personen wohnhaft waren.[Anm. 8]  

Auf den Ersten Weltkrieg, in dem 8 Charlottenberger starben und zwei vermisst wurden, folgte die bis 1927 andauernde französische Besatzung des Brückenkopfes Koblenz. 1923 und 1924 konnte mit dem Bau der Wasserleitung ein Projekt abgeschlossen werden, dass schon 1913 initiiert worden war, wegen des Krieges aber zuerst nicht zur Ausführung gelangt war. 1923 wurde Charlottenberg zudem elektrifiziert. Unter der Wirtschaftskrise ab 1929 litt Charlottenberg, dass die Stilllegung des wichtigsten Arbeitgebers in der Gegend, der Grube Holzappel, ab 1930 zu verkraften hatte. Die Grube erlebte allerdings im Rahmen der nationalsozialistischen Autarkiepolitik ihre subventionierte Wiedereröffnung. Im Zweiten Weltkrieg hatte Charlottenberg 18 Gefallene und 6 Vermisste zu beklagen. Am 27. März 1945 besetzten amerikanische Truppen das Dorf.[Anm. 9] 

1952 wurde die Grube Holzappel stillgelegt. 1965 wird der Schulverband Esterau ins Leben gerufen. Ab 1969/70 besuchen die Charlottenberger Schülerinnen und Schüler die neue Schule in Holzappel, die 1975 in die Trägerschaft der Verbandsgemeinde Diez übergeht. 1982 wies die Gemeinde entlang der Holzappeler Straße ein Neubaugebiet aus. Heute hat Charlottenberg 150 Einwohnerinnen und Einwohner.[Anm. 10]

Verfasser: Christoph Schmieder

Verwendete Quellen und Literatur

  • Kiefner, Theo: Die Waldenser auf ihrem Weg aus dem Val Cluson durch die Schweiz nach Deutschland 1532-1820/30. Band 5. Die Ortssippenbücher der deutschen Waldenserkolonien. Teil 4,1. Holzappel und Charlottenberg.
  • Schmiedel, Willi: Notizen aus der Schulgeschichte. In: Ortsgemeinde Charlottenberg (Hrsg.): 300 Jahre Charlottenberg. Beiträge zur Orts- und Heimatgeschichte. Charlottenberg 1999. S. 137–162.
  • Simon, Heinz: Die Waldenserkolonie Charlottenberg 1699–1766. In: Ortsgemeinde Charlottenberg (Hrsg.): 300 Jahre Charlottenberg. Beiträge zur Orts- und Heimatgeschichte. Charlottenberg 1999. S. 11–128.
  • Simon, Heinz: Charlottenberger Dorfchronik 1699–1999. In: Ortsgemeinde Charlottenberg (Hrsg.): 300 Jahre Charlottenberg. Beiträge zur Orts- und Heimatgeschichte. Charlottenberg 1999. S. 206–225.
  • Simon, Heinz: Bürgermeister und Schultheißen in Charlottenberg. In: Ortsgemeinde Charlottenberg (Hrsg.): 300 Jahre Charlottenberg. Beiträge zur Orts- und Heimatgeschichte. Charlottenberg 1999. S. 129–136.
  • Simon, Heinz: Französische Glaubensflüchtlinge in der Esterau. In: Die Esterau. Aus der Geschichte einer ehemaligen Grafschaft. Hrsg. von Förderverein "Heimatmuseum Esterau" e.V. Holzappel. S. 230–256.

Zuletzt geändert: 09.09.2020

Anmerkungen:

  1. Simon, Waldenserkolonie, S. 20–22; Simon, Glaubensflüchtlinge, S. 237–243. Zurück
  2. Simon, Waldenserkolonie, S. 32f., Kiefner, S. 29. Nach Kiefner bestand die Gruppe aus 58 Personen. Zurück
  3. Simon, Waldenserkolonie, S. 41–45. Zurück
  4. Simon, Waldenserkolonie, S. 46–52. Zurück
  5. Simon, Waldenserkolonie, S. 75–82.>/ANM>  Zurück
  6. Simon, Waldenserkolonie, S. 81. Zurück
  7. Simon, Dorfchronik, S. 212–215. Zurück
  8. Simon, Dorfchronik, S. 214–217. Zurück
  9. Schmiedel, S. 137; Simon, Bürgermeister, S. 131; Simon, Dorfchronik, S. 219–221. Zurück
  10. Schmiedel, S. 16; Simon, Dorfchronik, S. 224; https://infothek.statistik.rlp.de/MeineHeimat/content.aspx?id=103&l=3&g=0714103021&tp=1043 (29.07.2020) Zurück