Rheingauer Heimatforschung

Der Katharinentag 1944 in Rüdesheim am Rhein Teil 2

Der Bombenangriff auf Rüdesheim am Rhein

am Katharinentag 25. Nov. 1944

von Ernst Effert aus dem Rheingauer Heimatbrief Folge 121 / September 1982


Zurückblickend auf den 17. Oktober 1944 ergab sich folgende Begebenheit. Englische Bomber auf der Flucht vor deutschen Jägern warfen Ballast ab, um schneller fortzukommen. Dabei fiel ein mit Brennstoff gefüllter 1.000 Ltr.-Tank in unseren Hof, drückte eine Wand ein und zertrümmerte die Betondecke unseres Weinkellers. Der Brennstoff lief in den Weinkeller. Mein Vater und sein Hofmann Jakob Backes wollten sich nach einiger Zeit den Schaden ansehen. Als sie auf der Treppe den Lichtschalter drehten, schlug ihnen eine ungeheure Stichflamme entgegen. Im Nu brannten beide Männer lichterloh. Ein Nachbar rannte mit Decken herbei, um die Flammen zu ersticken. Man brachte die Schwerverletzten sofort ins Reservelazarett Darmstädter Hof. Jakob Backes starb noch in derselben Nacht. Er war das erste Todesopfer im Bombenkrieg von Rüdesheim.

Am 25. November, dem Katharinentag, war mein Vater soweit wieder hergestellt, daß er am Morgen entlassen und zu Hause gesund gepflegt werden sollte. Wir wollten ihm einen festlichen Empfang bereiten. Eine Gans schmorte schon im Ofen. Inzwischen war meine Cousine zum Lazarett gegangen, um meinem Vater beizustehen. Sie rief an, daß mein 6-jähriger Sohn noch einige Wäschestücke bringen solle. Ich schickte ihn damit fort. Herr Opitz als Einsatzleiter beim Roten Kreuz, rief dann an, daß er meinen Vater erst mit etwa zwei Stunden Verspätung heimholen könne, da er noch eine wichtige Fahrt zum Eltviller Krankenhaus machen müsse. Etwa zwei Stunden Verspätung.

Dann plötzlich Sirenengeheul! Meine Mutter, unser Hausmädchen und ich eilten in den Keller. Vorneweg wie immer bei Alarm unser großer Neufundländer „Rolf“. Die Sirene setzte einen Augenblick aus. In diesem Moment rief meine Mutter: „Der Junge ruft oben, gehe schnell hinauf und hole ihn herein!". Sie schob mir noch meine Handtasche unter den Arm; die Tasche, in der ich meine wichtigsten Papiere aufhob, und drängte mich zum Ausgang. Unser Mädchen ging mit, sie wollte noch schnell die Gänse füttern. Auf der Straße war nichts von meinem Bub zu sehen. Da plötzlich ein furchtbares Krachen im Westteil der Stadt. Ich rannte in den Schutzkeller des Nachbarhauses, noch eine Nachbarin fiel zur Tür herein, und schon ging alles in einem fürchterlichen Bersten und Krachen unter. Der Keller bebte und schien zusammenbrechen zu wollen. Einige fingen laut zu beten an, Kinder weinten. Nach wenigen bangen Minuten, kein Bombengeräusch mehr!

Ich wagte mich hinaus. Die Angst um meine Angehörigen ließ mich alle Gefahr vergessen. Rundherum Trümmerhaufen und lichterlohe Brände. Mein erster Gedanke: meine Mutter! Da war aber nichts mehr! Ein riesiger Krater, Trümmer und Glut! In die Stadtmitte oder zum Rhein war kein Durchkommen. Die einzige Möglichkeit, oben durch die Weinberge, über die Schmeißgasse, dem heutigen

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Panoramaweg, um zum Schutzkeller der Firma Asbach zu gelan­gen. Andere Zivilisten hatten denselben Weg eingeschlagen, Mehr­mals suchten wir Schutz unter den Weinstöcken. Einzelne Flie­ger schössen mit ihren Bordwaffen auf alles, was sich bewegte. Wo aber war mein Vater? Wie sich später herausstellte, hatte ein Rüdesheimer ihn auf der Rheinstraße in eine Decke gehüllt stehen sehen und ihn mitgenommen.

Alle Zufahrtsstraßen in die Stadt waren durch Trümmerhaufen und lodernde Brände versperrt, so daß keine Feuerwehr aus den Nachbarorten an die Brände herankommen konnte. Später erfuh­ren wir, daß unser Hausmädchen beim Bombeneinschlag im toten Winkel gestanden hatte, und nur eine kleine Schramme am Kopf abbekommen hatte. Dabei flogen unser schwarzer Küchenherd, Eisenschienen und schwere Mauerbrocken über sie hinweg aufs heil gebliebene Nachbarhaus. Man fand das Mädchen später im Keller, auf einem Weinfaß sitzend, wieder. Ein großes Regenwas­serbassin war geborsten, das Wasser lief in den Weinkeller und das Mädchen hatte Angst vorm Ertrinken.

Noch ein unerfreuliches Ereignis erfuhren wir. Unser Hinterhaus hatte erst nach drei Stunden zu brennen angefangen. Inzwischen war alles, was nicht niet- und nagelfest war, geplündert worden. Auch die noch am Leben gebliebenen Gänse waren fort. Einiges hatte sich später wiedergefunden. Meine Mutter und unser treuer Rolf zu ihren Füßen, hatte man wie schlafend unter einem Gewöl­beteil gefunden. Vom Luftdruck getötet.

Ein gnädiges Schicksal hatte uns davor bewahrt, daß wir nicht alle umkamen. Wäre mein Vater pünktlich heimgekommen, alle hät­ten wir unter den Trümmern gelegen! So war meine Cousine im Lazarett, holte sich den Bub nach. Meine Mutter mußte eine Vor­ahnung gehabt haben, weil sie mich hinausschickte und unser Mädchen gleichfalls, da sie mitging. Später fanden wir Notunter­künfte in Unter- und Obergladbach.

Mein Mann war seit 1943 in Rußland vermißt. Als er 1947 schwer­verwundet heimkam, begannen er, mein Vater mit 2 sudetendeut­schen Männern, ein Maurerpolier mit einem jungen Maurer, die Aufräumungsarbeiten und den Wiederaufbau. Wie schwer es war, aus drei Besatzungszonen das nötige Baumaterial heranzuschaf­fen, wissen nur diejenigen, die es damals miterlebten. Aus den Trümmern entstand dann eines der ersten wieder aufgebauten Häuser in Rüdesheim.

Nach Erlebnisberichten niedergeschrieben.

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