Rheingauer Heimatforschung

Der Gesangbuchkrawall zu Rüdesheim im Jahre 1787

Der Gesangbuchkrawall zu Rüdesheim im Jahre 1787

 

Aus:  „Kulturbilder aus der Geschichte des Rheingaues"


(aus den Rheingauischen Heimatblättern 3-1978)

von F. W. E.  Roth, 

Druck:  Fischer + Metz, Rüdesheim am  Rhein, 1895

 

 

Der Rheingau hatte seit der ältesten Zeit einen eigenen latei­nischen Kirchengesang, wovon eine Druckausgabe, auf Kosten des Rheingauer Landcapitels 1755 gedruckt, in zwei Teilen vor­liegt. Nach und nach machte sich das Bedürfnis der Einführung eines deutschen Gesangbuchs auch in Kurmainz und im Rhein­gau geltend, was umso mehr Berechtigung hatte, da das singende Volk die lateinischen Texte unmöglich verstehen konnte. Um auch hier für das ganze Kurfürstentum Mainz eine Einheitlichkeit zu erstreben, ließ der Mainzer Kurfürst ein deut­sches Gesang- und Gebetbuch herausgeben, wovon mir die vierte Auflage mit dem Titel „Neues christkatholisches Gesang- und Gebetbuch für die Mainzer Erzdiözese", Mainz 1788, vor­liegt. Dieses Buch wurde 1787 auch im Rheingau eingeführt. Da­mit war der frühere lateinische Rheingauer Choralgesang ab­geschafft. Die Rheingauer Orte hatten jeder eine Anzahl Sänger, die Choralisten, welche den Gesang praktisch erlernten und beim Gottesdienst unterstützten.


Das neue Gesangbuch fand überall im Rheingau große Abneigung und vielfachen Wider­stand. Die Pfarrer kamen in die missliche Lage, dem Vikariat zu Mainz genügen und auch ihren Gemeinden Rechnung tragen zu müssen. Zu Rüdesheim war damals der bejahrte Pfarrer Johann Adam Geiger, Kaplan Peter Herberger, der die Einführung des neuen Gesangbuches durchführen wollte. Die Rüdesheimer Choralisten bildeten sich insgeheim viel ein, lateinisch singen zu können, sie sangen bei den deutschen Liedern nicht mit, schimpften dagegen und hetzten die Leute auf, sie sollten ebenfalls nicht mitsingen. Das neue Gesang- und Gebetbuch stand im Verdacht des Luthertums, man nannte es eine neue Lehre, es ward unerhört albernes Zeug gegen dasselbe ver­breitet. Viele schämten sich, für Anhänger des neuen Gesang­buchs zu gelten und legten ihre Bücher zur Seite oder ver­brannten sie gar als ketzerisch.

Die Rüdesheimer waren die ersten im Rheingau, die gegen das neue Gesangbuch öffent­lich auftraten. Ein Bürger namens Johannes Cron ward das Werkzeug der Unzufriedenen. Cron und einige Andere fingen an einem Sonntag im Chor der Rüdesheimer Kirche an, wieder lateinisch zu singen. Man suchte dem Cron dieses aus dem Kopf zu bringen und ließ ihm sagen, dass er sich nicht um den Gottesdienst kümmern sollte, namentlich keine Störung mehr mache. Allein umsonst. Der Amtskeller ersuchte den Vater Crons, seinem Sohn für den nächsten Sonntag die Kirche zu besuchen verbieten zu wollen, was dieser nicht einging. Da aber Cron wieder lateinischen Choral sang, ließ man die Kirchentüren am 24. Juni mit dem Bürgerausschuss bewachen, um den Cron vom Besuche der Kirche abzuhalten. Cron wusste nichts hiervon und war im Begriff, zur Kirche zu gehen, als ein guter Freund, der von der Sache wusste, ihn beredete, mit ihm nach Eibingen in die Klosterkirche zu gehen, wo sie wieder einmal ein lateinisches Hochamt hören könnten. Cron wollte anfänglich nicht auf den Besuch der Rüdesheimer Kirche verzichten, ging aber die Sache doch ein. Unterwegs kam ein Trupp Rüdesheimer Schiffleute, die dem Cron sagten, dass man ihn nicht in die Rüdesheimer Kirche lassen wollte. Cron wollte nun sofort in die Kirche. Die Schiffleute nahmen ihn in die Mitte und trugen ihn gleichsam in die Kirche und in den Chor, wo Cron mit seinen Anhängern wieder lateinisch sang. Die Schiffleute und Anhänger Crons triumphierten, dass sie jetzt den Mann hätten, der den deutschen Gesang ausrotte.

Die Sache machte den Cron und dessen An­hänger nur noch dreister und schwuren dieselben sich zu, keinen deutschen Gesang mehr aufkommen zu lassen. Am gleichen Abend ging der Schultheiß mit dem Amtspraktikant nebst einem Frauenzimmer am Rhein spazieren. Am Rhein hatten Cron und dessen Anhänger eine Versammlung gehalten, der Schultheiß redete die Leute freundlich an, sie sollten sich doch ruhig ver­halten und nach Hause gehen. Er erhielt aber grobe Antworten und sah sich, um Unannehmlichkeiten aus dem Wege zu gehen, gezwungen, nach Hause zu gehen. Der Amtspraktikant Linn, ein geborener Rüdesheimer, kam mit dem Thomas Jung in Wort­wechsel und Linn nannte die Gegner des deutschen Gesanges dumme und schlechte Leute. Die Gärung nahm von Tag zu Tag zu. Am 27. Juni kam Jung in die Amtskellerei und verlangte, dass Linn Genugtuung leiste. Jung trat etwas handfest auf, wor­auf ihn der Amtskeller in den Turm sperren ließ. Das war sehr unvorsichtig, wie die Folge lehrte.

Kaum verbreitete sich die Nachricht von Jungs Gefangennahme, als die Rüdesheimer Sturm läuteten, die Weiber rotteten sich zusammen, man holte Brecheisen aus der Schmiede am Geisenheimer Tor und schlug die Türe des Gefängnisses auf. Cron und etwa 80 handfeste Männer und viele Weiber rückten auf das Amtshaus, wo Linn anwesend war, sich aber in einer Kammer verborgen hatte, da er sich vor den Fäusten der Rüdesheimer fürchtete. Die Rüdesheimer forderten vom Amtskeller auch die Herbeischaffung des Linn und verlangten, dass derselbe dem Jung Genugtuung leiste. Linn fand sich nirgends und so war die Sache beim Alten geblieben. Die Anwesenden wollten die Sache protokol­liert haben, schrien aber so durcheinander, dass nichts zu ver­stehen war.

Der Amtskeller bat, nur diejenigen, welche etwas vorzubringen hätten, sollten dableiben. Cron befahl dieses und einige entfernten sich. Cron, Giebel und Pinx blieben allein zu­rück. Der Amtskeller wollte die Rückkehr der anderen verhin­dern und ließ das Tor des Amtshauses durch den Amtsdiener abschließen. Diese neue Dummheit machte die Sache nicht bes­ser. Kaum merkte Cron das, als er dem Amtsdiener befahl, so­fort wieder aufzuschließen, sonst würden sie mit ihm und dem Amtspraktikanten bald fertig sein und ihnen die Köpfe zurecht­setzen. Der Amtskeller ließ in seiner Angst wieder aufschließen und machte sich an die Fertigung des Protokolls. Als dasselbe fertig war, las es der Amtskeller den drei Bürgern vor, worauf diese unterschrieben. Die drei Bürger gingen ruhig nach Hause. Statt nun die Sache beruhen zu lassen, schickte der Amtskeller das Protokoll nebst einem unerhört übertriebenen Brief an die Kurmainzer Regierung. Er selbst verduftete aus Rüdesheim. Die Rüdesheimer glaubten die Sache gewonnen zu haben. Man ersuchte Leute in jeder Nachbarschaft, den nächsten Donnerstag nicht aus Rüdesheim zu gehen, bis das Engelamt aus sei. Das­selbe wurde lateinisch abgehalten. Als das Protokoll mit dem Bericht in Mainz ankam, setzte die Mainzer Regierung eine Un­tersuchungskommission fest, und schickte einen Major mit 300 Mann, sieben Husaren und zwei Kanonen nach Rüdesheim. Die Mannschaft sollte nachts auf Schiffen nach Rüdesheim ab­fahren, aus Vorsicht wurden alle Nachen rheinwärts in Mainz angehalten und durften nicht fahren, damit niemand die Nach­richt von der Ankunft der Soldaten nach Rüdesheim bringe.

Allein einige zu Mainz anwesende Rüdesheimer brachten die Nachricht heim. Die Rüdesheimer vermuteten nicht, dass die Soldaten so rasch kämen und kannten auch deren Anzahl nicht, sonst würden sie gewiss eiligst Boten in die Nachbarorte um Hilfe geschickt haben, denn in diesen Orten, namentlich zu Geisenheim, war die Unzufriedenheit ebenfalls vorhanden. In diesem Falle hätte ein Gemetzel bedenklicher Art entstehen kön­nen, da der Major den Befehl hatte, im Falle die Landung der Truppen verhindert werde, die eine Kanone mit Pulver laden und abbrennen zu lassen. Um 9 Uhr abends ritten die Husaren über die Mainzer Brücken nach Geisenheim, die Soldaten zu Fuß und die beiden Kanonen wurden auf der großen „Meßsau", dem Frankfurter Marktschiff, im Gartenfeld bei Mainz einge­schifft. Vor 4 Uhr ritten die Husaren in Rüdesheim ein. Die Rü­desheimer äußerten, mit diesen schon fertig werden zu wollen, bleiben aber ruhig. Alsbald kam auch das Schiff mit den Sol­daten, Männer und Weiber liefen an den Rhein. Es hieß: „Lasst sie nur kommen, mit denen sind wir bald einig". Der Major ließ den Nachen mit den beiden Kanonen vorfahren, die Kanonen laden und auf die Leute richten. Als dieses die Rüdesheimer sahen, sank ihnen der Mut, die meisten liefen davon, andere halfen sogar beim Landen des Schiffes. Die von Geisenheim herabkommenden Soldaten hatten scharf geladen, die zu Rüdes­heim Gelandeten luden nach dem Aussteigen, stellten sich in Reihe und Glied und marschierten zum Appell auf den Markt­platz. Die beiden Kanonen, an ihren Konstabler mit brennenden Lunten, standen ebenfalls daselbst. Um neun Uhr kam die Un­tersuchungskommission von Mainz an, die Untersuchung begann. Die Soldaten standen bis 3 Uhr mittags auf dem Marktplatz, dann wurden sie in die Häuser der Aufständischen zu sechs, acht und zehn Mann einquartiert.

Die drei Hauptrebellen Cron, Giebel und Pinx kamen in der Nacht des 29. Juni 1787 unter militärischer Bedeckung auf einem Schiff nach Mainz, wo sie der Gewaltsbote verhörte. In den zwei folgenden Nächten wur­den Peter Josef Schunk und Thomas Jung nach Mainz abge­führt, dann kamen noch etliche Weiber an die Reihe, die bis zum 20. Juli auf dem Turm zu Mainz saßen, dann ins Kur­mainzer Zuchthaus zum Wollespinnen kamen. Ende September wurden diese Weiber entlassen. Vorher bekam jede derselben fünfundzwanzig Stockschläge aufgezählt und wurden dieselben auf einem Schiff nach Rüdesheim gebracht. Am 6. Juli 1787 ging die Hälfte der Soldaten wieder nach Mainz zurück, nach­dem sich die Rüdesheimer alle nur erdenklichen Rohheiten, Diebstahl und von diesem nach Art der Fremdenlegion zusam­men gewürfelten Volk hatten müssen gefallen lassen und man­ches Fass Wein opfern müssen. Am 21. August rückte die Un­tersuchungskommission und danach am 22. August der Rest der Soldaten ab. Die zu Mainz eingesperrten Rüdesheimer wur­den einige Tage vor der Weinlese bis auf den Cron freigegeben, sollten sich aber auf Kommando wieder zu Mainz stellen. Die Familien derselben waren geradezu an den Bettelstab gebracht, da die Untersuchung und Einquartierung eine Unmasse Geld kostete. Um den 15. November 1787 wurden Giebel und Pinx allein nach Mainz zitiert und ihnen das Urteil bekannt gemacht. Cron, Pinx und Giebel erhielten zuerst fünfundzwanzig Stock­prügel, dann sollte Cron am 23. November, einem Mainzer Markttage, auf dem Brand an das Halseisen angefesselt wer­den, Ketten an Händen und Füßen und einen Schild mit der Aufschrift: „Volksaufrührer" auf der Brust. So stand Cron sechs Stunden und musste sich den Spott der von der Geistlichkeit zu Mainz aufgehetzten Menge gefallen lassen. Dann wurde Cron vorn Halseisen losgemacht, erhielt zwölf Stockschläge und kam drei Jahre auf die Schanze. Giebel und Pinx erhielten ein halbes Jahr Schanzarbeit und am Ende dieser Zeit fünfundzwanzig Stockprügel. Cron erhielt alle Jahre am 24. Juni als Tag des Rüdesheimer Aufruhrs weitere Stockprügel als Erinnerungszei­chen. Cron ward zu Mainz krank und kam siech und gebrochen heim und das alles wegen eines Gesangbuches, nachdem doch so viele hundert Jahre das frühere seine Anerkennung gefunden.

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