Rheingauer Heimatforschung

Mittelheim

             Mittelheim im Dreißigjährigen Krieg

          Eine Untersuchung anhand zeitgenössischer
                    Unterlagen aus dem Ortsarchiv

                          Von Rudolf Rosensprung                      
                                          Teil 2


                                          „Abgetane Häuser"

1617 standen also, wie das erste Buch angibt und im beiliegenden Plan dargestellt ist, in Mittelheim 63 Häuser (wobei die unbewohnten wie Kirche, Rathaus und Schrot­haus noch nicht mitgezählt sind!) und nicht 58, wie die Landtafel von 1603 verzeichnet. Von diesen 68 existieren im Jahre 1659 noch 57. Somit war während des Krieges ein Gebäudeverlust von 11 Häusern entstanden. Zwei von diesen Häusern waren schon 1613 baufällig: Im „Markenbuch"; wird das Haus Nr. 67 (Besitzer Junker Schönborn) als „verfallen"; bezeichnet und Nr. 57, das dem Johannes Larab in Nr. 58 gehörte, wird genannt „das Feighausgut, darauf ein alt Keltecrhaus". Da der Junker Schönborn ohnehin 4 und Lamb später 3 Häuser besaß, ist es durchaus verständlich, daß ihnen an einer Reparatur der beiden Gebäude wenig gelegen war und daß sie diese mit der Zeit ganz verfallen ließen. Weitere 4 „abgethane Häuser"; in der Kloster- und Ober­gasse mit den Nummern 7, 8, 57 und 58 gehörten Leuten ohne Grundbesilz, also wohl Handwerkern oder Tage­löhnern. Jedes von den beiden in der Obergasse ging von 1613 bis 1659 durch 7 Hände. Die meisten dieser Besitzer lebten nur kurze Zeit in Mittelheim und verschwanden alsbald wieder. Wer aber nur so kurze Zeit in einem Hause wohnt, von dem ist kaum zu erwarten, daß er entstandene Gebäudeschäden gründlich ausbessert. Gegen Ende des Krieges werden dann beide Anwesen von den „Neureichen"; Schmidt und Klunckhardt übernommen, die daraus Gärten machten. In Nr. 47 in der Klostergasse lebte nach Adam Drusinger während des ganzen Krieges eine Witwe Klotter und in Nr. 48 saßen zwei Familien, die sonst nirgends Erwähnung finden, alle drei also wohl Tagelöhner, denen eine ordnungsgemäße Unterhaltung der Häuser gewiß nicht leicht fiel. Es ist nun aber kaum anzunehmen, daß sich durchziehende Soldaten an einem dieser Häuser vergriffen haben dürften. Ein Soldat will Beute machen und die findet er in den Häusern der Reichen!

Der Hofmann Philipp Schumacher in Nr. 19 starb schon um 1614 und hinterließ zwei unmündige Töchter. Wie aus Hengeratsurteilen hervorgeht, kümmerte sich deren Vormund wohl um die Bewirtschaftung der Weinberge, nicht jedoch um das Haus der Mädchen. Als diese nach 1620 heirateten, ziehen beide in die Häuser ihrer Männer und das Vaterhaus findet keine Erwähnung mehr. Um diese Zeit aber waren noch keine feindlichen Truppen durch den Rheingau gekommen; also ist eine Zerstörung durch Soldaten auch hier unwahrscheinlich.

Die restlichen vier „abgethanen Häuser" gehörten be­güterten Leuten, von denen jeder zwei oder mehr Häuser besaß. Gewiß wohnte in einem solchen Fall in dem jeweils größeren der Besitzer selbst, während er das oder die andren seinen Hofleuten oder anderen Arbeits­kräften, vielleicht auch Verwandten, bereitgestellt hatte. Da infolge der fortgesetzten Werbungen, auch infolge der aufgetretenen Seuchen, bald ein gewisser Mangel an Arbeitskräften eintrat, blieb wohl öfters auch ein Haus leerstehen und verfiel. Dies könnte der Fall gewesen sein bei Nr. 18 (Thomas Dörstroff besaß außer diesem noch Nr. 60), bei Nr. 57 (Johannes Lamb besaß außer diesem noch zwei andre Häuser), und bei Nr. 5 (Valentin Schmidt besaß zum Schluß außer diesem sogar noch vier andre!). Das gesamte Gut des Junkers Alexander von Sötern und seines Erben Schenk von Schmittberg mit den Häusern 55 und 56 finden wir nach Kriegsende in den Händen eines Kölner Kaufmannes, wohl eines Weinkaufmannes, dem erstere verschuldet waren. Das große Haus Nr. 56 blieb bis heute erhalten (das Reitz'sche Haus mit der Sonnenuhr), das kleinere mit der Nr. 55 ließ der Kaufmann Grieß von Köln verfallen.

Natürlich sind dies (in Ermangelung von Unterlagen) nur Kombinationen, und es wäre durchaus denkbar, daß das eine oder andre Haus doch von durchziehenden Truppen zerstört wurde; doch nach Lage der Dinge ist es wenig wahrscheinlich. Tatsache ist jedoch folgendes:

Von den 68 Häusern sind bis 1659 nur 11 Häuser ver­schwunden, dies entspricht einem Verlustsatz von nur 16%.

Hierzu kommt noch folgendes: Die bedepflichtigen Häuser waren damals in Mittelheim mit durchschnittlich 4 1/2 Bedepfennigen besteuert, der Höchstsatz lag bei 10 Pfennigen. 7 von den 11 „abgethanen Häusern" aber waren be­steuert nur mit 2 bzw. 3 Bedepfennigen. Es handelt sich also fast durchwegs nur um Gebäude kleineren und kleinsten Ausmaßes.

Im ganzen Archiv findet sich auch nirgends ein Hinweis darauf, daß irgendein Haus von Soldaten zerstört worden sei. Nur ein einziger Hinweis auf Gewalttaten durch die Soldateska ist zu finden: Vor 1636. es ist anzunehmen 1632, stellt Johannes Kölsch (in Nr. 59) ein Verzeichnis seiner Verluste infolge „Reuttereinquartierung und Plün­derung" auf. Nach Aufzählung der Bekleidungsstücke und Lebensmittel, die man ihm fortgenommcn hatte, gibt er an: ,,An dem Haus Fensterläden, Türe, Stühle, Bank zerschmissen, verwüstet und verbrannt, an Mauern durch­gegraben und umgerissen... macht 40 Reichthaler". Daran aber könnte der Kölsch selbst schuld gewesen sein, indem er die Reiter provozierte; denn wie wir aus anderen Zeugnissen erkennen, hatte er keineswegs ein sanftes Gemüt. Aus Zorn gegen die Einquartierung hatte er, wie z. B. aus einer Zeugenaussage hervorgeht, aus­gerufen: ,,Die ihm die Soldaten hineingelegt hätten, seien Dieb und Schelme; er möchte noch erleben, daß der Krumm Ruckicht aus dem Flecken geschlagen würde".

Der einzige Brand, von dem berichtet wird, wurde nicht von Soldaten, sondern von unvorsichtigen Kindern ver­ursacht: 1647 steckten Conrad Beckers Kinder (vormals Johannes Hermani im Haus Nr. 17) unversehens den Stall mit einem Licht an, die Laube brannte nieder und das Nachbarhaus wurde von dem Feuer zum Teil be­schädigt. Man läutete zum Sturm, das Feuer wurde ge­löscht und Becker mußte den hilfreichen Nachbarn, also der Feuerwehr, eine Ohm Wein (etwa 140 l) ausgeben. Wenn der Chronist sogar diesen verhältnismäßig kleinen Brand notiert, so hätte er einen größeren doch gewiß verzeichnet. Nach all dem kann man wohl mit gutem Recht sagen, daß in Mittelheim kaum irgendwelche Zer­störungen durch Kriegsereignisse stattfanden. Sollte dies aber tatsächlich bei einem der 31 Häuser der Fall gewesen sein, dann betraf es bestimmt nicht ein wichtiges Gebäude. 

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                                               Plünderungen

Abgesehen von dem Fall des Johannes Kölsch ist auch nirgends von Plünderungen die Rede. Das muß natürlich nicht bedeuten, daß keine stattgefunden hätten. So ist die Annahme berechtigt, daß die Basilika beraubt wurde, wenn dies auch nirgends direkt erwähnt ist. Doch 1636 stiftet die Witwe Schöffer zweimal 12 Rth. für „Kirchen­bau oder ornatis". 1642 stiften die drei Erben des Jo­hannes Fritz 50 fl; dafür werden Schreiner-, Dreher-, Schlosser- und Maurerarbeiten am Hochaltar der Kirche durchgeführt, sowie Altartuch, Chorröcke und Spitzen gekauft. Als nach Kriegsende die ungeheuere Verschul­dung der Gemeinden und der Privatpersonen überwunden war, läßt Georg Philipp Greiffenclau (1664) einen neuen Hochaltar von dem Mainzer Hofschreiner errichten, und stiftet 1668 geschnitzte Bilder. Vorher hatte er schon neue Meßgewänder geschenkt. Im Pestjahr 1666 stiftet Nikolaus Lamb Kelch und Patene, und 1679 schenk! der Freiherr von Greiffenclau für 96 Gulden eine vergoldete Monstranz.

All diese Schenkungen weisen darauf hin, was zerstört oder geplündert war: Den Hochaltar hatten vermutlich plündernde Soldaten zerschlagen und gottesdienstliche Ge­fäße und Gewänder waren entwendet worden.

Richter stellt fest, daß Kirchen und Klöster keine Scho­nung von den Schweden erfuhren, doch „fehlen bisher die gleichzeitigen Berichte, nach denen die Bewohner des Landes in diesen ersten Zeiten der Schwedenherrschaft unter Rohheiten und Ausschreitungen der einquartierten Truppen unmittelbar zu leiden gehabt und an dem Ihrigen Schaden erfahren haben". Schlimmer als den Mittelheimern dürfte es dem Kloster Gottesthal ergangen sein, doch davon sind wesentliche Nachrichten in den Mittelheimer Akten nicht aufzufinden.

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                                       Einquartierungen

Von den vielen Truppendurchzügen und Einquartierungen, unter denen der Rheingau häufig zu leiden hatte, ist nur ein einziger Bericht in Mittelheim aufzufinden. Mög­licherweise wurden dabei die größeren Orte für die Unterbringung der Soldaten bevorzugt. An den Unkosten jedoch, die nach dem üblichen Schlüssel auf die Ge­meinden umgelegt wurden, mußten sich selbstverständlich auch die Mittelneimer beteiligen. So entrichteten sie 1623 ,,für Spinolas Truppen" von den Gesamtkosten für den Rheingau von 16.834 Rth. nicht nur ihren Anteil von 379 Thalern, sondern 429 Rth., d. h. sie „überzahlten" mit 49 Rth. Wer Einquartierungen bekam, erhielt - wohl aus dieser Summe - eine entsprechende Entschädi­gung, so daß auch hier die Lasten gleichmäßig verteilt waren.

Als z. B. im November 1633 (im ,,21. Ziel der Kontribution") Hans Spulers Wittib (damals in Nr. 32) von Mittwoch bis Samstag einen ,-Leutenampt" halte aufnehmen müssen, stellte sie dem Schultheiß einen Antrag auf Entschädigung. Sie hatte den Leutnant nach ihren eigenen Angaben be­wirtet mit Rind-, Hammel- und Lammfleisch, einem fetten Schinken, Fisch, Käse, Butter, Eiern, Wein und Bier, und hatte ihm, da ihm das Brot der Witwe nicht mun­dete, sogar sechs Kaufbrote aus dem Backhaus holen müssen. Es ist menschlich verständlich, daß sie, wie andere auch, ihre Unkosten höher als den Tatsachen entsprechend darstellte. Dies fiel jedoch dem Schultheiß auf und er schrieb auf ihren Antrag: „Soll dieser Zettel Nikolaß Eisenbeiß Zettel gleichgehalten werden, dieweil verspürt, daß sie ein unbilliges Uebermaß eingesetzt" und verrechnete ihr statt der geforderten 5 Rth. nur 2 Rth.

Doch eine Not anderer Art brachten diese Einquartie­rungen mit sich, Krankheiten und Seuchen. Als im Mai 1632 z. B. 27 Personen, und zwei Soldaten mit ihren Familien, einquartiert waren, starben in einer Woche vier von ihnen weg. Mag sein, daß sie ihren Verwun­dungen erlagen.

Wahrscheinlicher aber ist, daß sie von einer Seuche hinweggerafft wurden. Diese pestartigen Krankheilen waren in früheren Jahrhunderten die Begleiterinnen der großen Krieges und mehrere Male wurde der Rheingau während des Krieges von ihnen heimgesucht. Schon 1624/25 hatte der Rheingau (nach Richter) sehr darunter zu leiden. Und gerade in diesen Jahren wechselten in Mittelheim sehr viele Häuser ihre Besitzer. Gründe dafür sind nicht an­gegeben; die Annahme liegt nahe, daß eine Seuche die Ursache war, vielleicht eingeschleppt von Soldaten. 

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