Bretzenheim in Rheinhessen

Die Bevölkerungsgeschichte der Pfarrei Bretzenheim

von Elmar Rettinger

Die Pfarrei Bretzenheim umfasste die Gemeinden Bretzenheim und Zahlbach. Das Schicksal des Ortes musste auf Grund seiner verkehrsgünstigen Lage und der unmittelbaren Nähe zur Festung Mainz; in besonderem Maße mit dem der Stadt verbunden sein. [Anm. 1]

Die Kirchenbuchaufzeichnungen in der Pfarrei setzen im Jahre 1641 ein (siehe Graphik). Die Eintragungen sind bis 1681 und in den neunziger Jahren des 18. Jahrhunderts lückenhaft. Taufen und Heiraten wurden ab 1650 vollständig verzeichnet, Begräbnisse erst ab 1681. Die Lücken zur Zeit des Dreißigjährigen Krieges sind sicherlich auf die Kriegsereignisse zurückzuführen. Offensichtlich ist ein älteres Register verlorengegangen.denn der Pfarrer versuchte in den achtziger Jahren des 17. Jahrhunderts die Daten auf der Basis der Angaben noch lebender Personen zu rekonstruieren. [Anm. 2] Auch wenn das Kirchenbuch für die dreißiger Jahre nicht überliefert ist, kann man davon ausgehen, dass Bretzenheim durch die Ereignisse des Dreißigjährigen Krieges stark in Mitleidenschaft gezogen wurde. Die Einwohner waren vielfältigen Belastungen ausgesetzt. Ein großes Problem stellten vor allem die Arbeitergestellungen für Schanzarbeiten in der Festung Mainz dar, von welchen sich die Gemeinde freizukaufen suchte, um die eigenen Feldarbeiten nicht vernachlässigen zu müssen. [Anm. 3] Dass auch die Bretzenheimer in den dreißiger Jahren vor den Schweden aus ihrem Wohnort flohen, macht das Beispiel anderer Gemeinden und die in Bretzenheim in den folgenden Jahrzehnten geübte Praxis wahrscheinlich. 1644 suchte ein Teil der Bevölkerung vor den Franzosen Schutz in Mainz; denn laut Mainzer Stadtaufnahme von 1644 lebten 23 Bretzenheimer Familien in der Stadt. [Anm. 4] Die Flüchtlinge sahen sich jedoch bald in ihrem Vertrauen auf die Wehrhaftigkeit der Festung Mainz getäuscht, da die Stadt den Angreifern keinen nennenswerten Widerstand entgegensetzen konnte und am 16. September kampflos ihre Tore öffnete. Die Franzosen hielten Mainz bis 1650 besetzt. Die Bretzenheimer konnten erst an Johannes Baptist (24. Juni) 1649 wieder zurückkehren.[Anm. 5] Der Verlauf der Kurve für die Geburten bewegt sich in den fünfziger Jahren des 17. Jahrhunderts auf relativ hohem Niveau. Dies sind wohl die Auswirkungen der Krise der dreißiger/vierziger Jahre und der nachfolgenden Bevölkerungsregeneration. Auffallend ist die hohe Zahl von Heiraten 1664/65, die mit einem Geburtenboom 1665/66 korrespondiert. Offensichtlich gab es Anfang der sechziger Jahre eine Mortalitätskrise, die besonders die erwachsene Bevölkerung betraf und die auch in anderen Gemeinden nachzuweisen ist. 1666 grassierte die Pest zum letzten Mal im Mainzer Raum. Bretzenheim gehört zu den wenigen Pfarreien, in welchen das Begräbnisregister Informationen über die Zahl der Verstorbenen enthält. Die Seuche brach wie in der Stadt im Juli aus, erreichte im August ihren Höhepunkt und ebbte dann rasch ab. Insgesamt waren innerhalb der Monate Juli bis Oktober 113 Opfer zu beklagen. Dies waren vorsichtig geschätzt, da keine Bevölkerungszahlen aus dieser Zeit vorliegen, etwa ein Drittel der Einwohner. Wie stark die Bevölkerung durch die Seuche dezimiert worden war, zeigt die Entwicklung der Taufen und Heiraten in den folgenden Jahren. Über cirka 15 Jahre hinweg sind kaum Einträge zu verzeichnen, wobei es sich – das lässt sich aus den gleichmäßig über das Jahr verteilten Eintragungen schließen – nicht um Überlieferungslücken handelt. Erst in den achtziger Jahren begann sich die Bevölkerung zu regenerieren.Erhöhte Mortalität ist dann wieder in den Jahren 1682 bis 1685 festzustellen, wobei es sich um lokale Krisen gehandelt haben dürfte. Die Ereignisse im Zusammenhang mitdem Pfälzischen Erbfolgekrieg, in dem Mainz 1688 von Franzosen besetzt wurde, spiegeln sich in der Vitalstatistik nicht so deutlich wider wie in anderen Pfarreien. Dennoch besteht kein Zweifel, dass der Ort in die Auseinandersetzungen hineingezogen wurde. Nachdem Mainz 1689 durch alliierte Truppen befreit worden war, suchten zurückkehrende französische Truppenkontingente die Region wiederholt heim. Bretzenheim wurde 1694/95 mehrfach von französischen Soldaten geplündert. Im Juli 1694 bestattete der Pfarrer in den größten Kriegswirren zwei Kinder. Er notierte im Kirchenbuch:„Horrida: horrida Bella in maximo tumultu sepeliri prolem in Zahlbach et unam in Bretzenheimb: nomina earum sund ablutum nam omnes libros perdidi in depraedatione horrenda 7. Augusti hoc in loco facta...“. [Anm. 6] Der Ober-Olmer Pfarrer kommentierte die Ereignisse am 26. Juli 1695: „...ist alles in Bretzenheim ausgeplündert worden“. [Anm. 7] Trotz der negativen Erfahrungen in den vierziger Jahren hatte ein Teil der Einwohner wiederum in der Stadt Schutz gesucht. Opfer direkter Kriegshandlungen gab es kaum, lediglich ein Bretzenheimer wurde am 7. August von den Franzosen erschossen. [Anm. 8] Im 18. Jahrhundert sind die Kirchenbucheintragungen vollständig. Offene Krisen wie 1666 lassen sich nicht mehr feststellen, meist handelt es sich um „crises larvées“. Erhöhte Mortalität findet sich in den Jahren 1714, 1718 bis 1720, 1724, 1739 (30) bis 1741 (39), 1743 (37) bis 1745 (37), 1750 (56), 1753 (46), 1759 (44) bis 1762 (56), 1767 (45), 1781 (48), 1782 (52), 1784 (47) und in den neunziger Jahren. Jede Zeitphase hatte ihr eigenes „Krisenprofil“. 1714 hielten sich Soldaten im Bereich um Bretzenheim auf. Im gleichen Jahr notierte der Pfarrer bei einem Todesfall: „...gladio occisus repertus est.“ [Anm. 9] 1718 bis 1720 und 1724 dürften lokale Krisen ihre Opfer gefordert haben. Für die hohe Sterblichkeit 1734/1735 sind die Ereignisse des Polnischen Thronfolgekrieges, als französische Soldaten in der Mainzer Umgebung plünderten, verantwortlich. Auch 1736 waren Bretzenheimer Pfarrer und Einwohner aus dem Ort geflohen: „ob metum hostium vel Gallorum... tum à Parocho tum incolis fuisse derelictum.“ [Anm. 10] Angesichts der Nähe des Ortes zu Mainz strahlten die Mainzer Pockenepidemien 1750 und 1753 möglicherweise bis nach Bretzenheim aus. 39 von insgesamt 56 Verstorbenen im Jahre 1750 waren Kinder, 1753 waren es 39 von 46. 1760 grassierte ein „hitziges Fieber“ in Gonsenheim, das sich möglicherweise auch auf den Ort ausgewirkt hat. Kinder und Erwachsene waren in gleicher Weise betroffen, die Mortalität konzentrierte sich auf die Monate Februar und März. Danach ist der demographische Verlauf bis Anfang der achtziger Jahre von einer relativ ruhige Phase mit hohen Geburtenzahlen gekennzeichnet. Hervorgerufen durch die allgemeine Teuerung und eine Ernährungskrise grassierten 1782/83 Epidemien in Mainz, die auch in Bretzenheim ihre Opfer forderten.


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Nachweise

Verfasser: Elmar Rettinger

Verwendete Literatur:

  • Falck, Ludwig: Geschichte von Bretzenheim. Ein Überblick. In: 1929-1969. 40 Jahre gemeinsam. Mainz-Bretzenheim. Mainz 1969, S. 7-74.
  • Rettinger, Elmar: Die Umgebung der Stadt Mainz und ihre Bevölkerung vom 17. bis 19. Jahrhundert. Ein historisch-demographischer Beitrag zur Sozialgeschichte ländlicher Regionen. Stuttgart 2002 (Geschichtliche Landeskunde 53).
  • Rödel, Walter G.: Mainz und seine Bevölkerung im 17. und 18. Jahrhundert. Demographische Entwicklung, Lebensverhältnisse und soziale Strukturen in einer geistlichen Residenzstadt. Stuttgart 1985 (Geschichtliche Landeskunde 28).

Aktialisiert am: 19.10.2014

Anmerkungen:

  1. Ausführlich zu den Ereignissen aus Bretzenheimer Sicht Falck, Bretzenheim. Zurück
  2. Die Kirchenbücher der Pfarrei Bretzenheim befinden sich im StAMz Best. 20, die der übrigen Pfarreien in den jeweiligen Pfarrarchiven.  Zurück
  3. Falck, Bretzenheim, S.34.  Zurück
  4. Rödel, Mainz, S.39. Zurück
  5. Falck, Bretzenheim, S.34.  Zurück
  6. KB Bretzenheim, Sterberegister 1694.  Zurück
  7. KB Ober-Olm, Taufregister 1695. Zurück
  8. KB Bretzenheim, Sterberegister 1695. Zurück
  9. KB Bretzenheim, Sterberegister 1714. Zurück
  10. KB Bretzenheim, Taufregister 1736. Zurück