Hachenburg im Westerwald

Straßenumbenennung in Hachenburg in nationalsozialistischer Zeit

Adolf-Hitler-Straße

In der Einladung zur Sitzung der Stadtverordnetenversammlung für den 30. Mai 1933 um 18 Uhr im Sitzungssaal des Rathaus heißt es unter Tagesordnungspunkt 7: Umbenennung einer Strasse in „Adolf-Hitler-Strasse“.[Anm. 1]
In dem Beschluss der Stadtverordnetenversammlung zum 30. Mai 1933, veröffentlicht am 31.Mai 1933 in der Westerwälder Zeitung, wurde das Vorhaben vollzogen: "Es wird einstimmig beschlossen, der Polizeiverwaltung den Antrag Haas, die Leipzigerstrasse vom Kaiser-Friedrich-Denkmal bis zum Beamtenhaus in „Adolf-Hitlerstrasse" umzubenennen, zu unterbreiten. Ausserdem soll die Linde die Bezeichnung "Adolf-Hitler-Linde" erhalten und durch eine Steinfassung verschönert werden.[Anm. 2] "Ferner soll der bisherige Judenfriedhofsweg in "Dehlingerweg" umgewandelt werden und der Weg von der Alpenröderstrasse zur Helenruhe soll die Bezeichnung "Alte Frankfurterstrasse" erhalten.[Anm. 3]
Am 3. Juni 1933 schrieb die Ortspolizeibehörde Hachenburg an den "hochverehrter Herr[n] Reichskanzler", die Stadtverordnetenversammlung der Stadt Hachenburg habe einstimmig den Wunsch zum Ausdruck gebracht, die bisherige Leipziger-Straße in "Adolf Hitler-Straße" umbenennen und der am Ende dieser Straße stehenden Linde den Namen "Adolf-Hitler-Linde" beilegen zu dürfen. Die Stadt wolle "mit dieser Ehrung nicht nur ihre Bewunderung für den grossen politischen Führer und Staatsmann zum Ausdruck bringen, sondern gleichzeitig ein Gelöbnis zu aufrichtiger Mitarbeit am Wiederaufbau des Vaterlandes ablegen." Die Ortspolizeibehörde wollte dem Wunsch der Stadt entsprechen und bat nun um das Einverständnis des Reichskanzlers.[Anm. 4]
Regierungsrat Dr. Meerwald, persönlicher Referent des Reichskanzlers, schrieb am 8. Juni 1933 (Az. Ha. 40.II), der Posteingangsstempel der Stadt trägt das Datum vom 10. Juni 1933, der "Herr Reichskanzler" stimme zu und übermittele "seinen verbindlichsten Dank".[Anm. 5]
Daraufhin bestellte der Hachenburger Bürgermeister Adolf Vollmann am 11. Juni bzw. 11. Juli 1934 bei der Schilderfabrik Otto Groß in Erbach/Westerwald je ein Schild mit der Aufschrift "Adolf-Hitler-Linde", "Hindenburgplatz" und "Alte Poststraße".[Anm. 6]
Am 1. Dezember 1933 wurden der "Judenfriedhofsweg" in "Dehlinger Weg" und die "Judengasse" in "Alte Post-Straße" umbenannt. Ob die Leipziger Straße zwischen dem Obertor und dem Försterhaus im Burggarten (heute Landschaftsmuseum) offiziell in "Adolf-Hitler-Straße" umbenannt wurde,[Anm. 7] steht nicht eindeutig fest. Ein das Vorhaben belegender offizieller Nachweis ist bisher nicht aufgefunden worden.

Judenfriedhofsweg

Seltsamerweise können sich viele ältere Hachenburger nicht erinnern, dass es in Hachenburg je einen "Judenfriedhofsweg" gegeben hat. Tatsache ist, dass damals an dem betreffenden Weg nur wenige Häuser standen.
Wenn man die bekannten Fakten zusammenträgt, ergibt sich folgendes Bild:
Auf einem Güterzettel über die der Stadt bei der Güterkonsolidation 1863 in der Gemarkung Hachenburg zugeteilten Grundstücke, der 1863 durch den Geometer J.H. Schneider aus Neunkhausen angefertigt wurde, trägt der Weg von der Leipziger Straße zum jüdischen Friedhof keinen Namen.[Anm. 8]
Im Jahr 1906 wird dagegen der "Weg zum Judenkirchhof" und wenig später der "Judenkirchhofweg" genannt.[Anm. 9] Am 19. Oktober 1906 heißt es in der Tagesordnung einer für den 22. Oktober 1906 anberaumten Stadtverordnetensitzung unter Tagesordnungpunkt 7: "Aufstellung einer Straßenlaterne am Judenkirchhofswege".[Anm. 10] Um einen "offiziellen" Straßennamen scheint es sich damals nicht gehandelt zu haben. Zwei Jahre später, im Jahr 1908, wird in einer Druckschrift die große Linde (die spätere Hitler-Linde) an der Gabelung Leipziger Straße/Dehlinger Weg [sic!] erwähnt.[Anm. 11]
Im Einwohnerbuch für den Westerwald (Ausgabe 1926) wird der Judenkirchhofweg dann wieder mehrfach genannt. So wohnten dort die Witwe Maria Boll im Haus Nr. 339 und der Arbeiter Eduard Schmidt im Haus mit der Nummer 309 (nach dem Brandkataster).
Auch im Adressbuch des Jahres 1931 ist der Judenkirchhofsweg mehrfach genannt. Damals sind die Hausnummern 298,[Anm. 12] 309,[Anm. 13] 319,[Anm. 14] 331,[Anm. 15] 373[Anm. 16] und 402[Anm. 17] bezeugt. Sechs Bewohner erscheinen ohne zugehörige Brandkatasternummer.[Anm. 18]
In einem Auszug aus der Einwohnermeldekartei  vom 1. Januar 1931 ist der Wohnort des Otto Müller und seiner Ehefrau Erna, geb. Schwarz, die von Mündersbach zuzogen, mit Judenfriedhofsweg 403 angegeben. Der Eintrag ist nachträglich von anderer Hand durchgestrichen und mit Dehlingerweg überschrieben worden.[Anm. 19]
In dem schon angesprochenen Auszug aus dem Stadtverordneten-Protokollbuch vom 30. Mai 1933 wird neben der angestrebten "Adolf-Hitler-Straße", auch geplant, den bisherigen "Judenfriedhofsweg" in "Dehlinger Weg" umzubenennen, während der Weg von der Hainöder Straße zur Helenenruhe die Bezeichnung "Alte Frankfurter Straße" erhalten sollte.

Nach dem 2. Weltkrieg wurde bei der Erschließung des Baugeländes im Bereich zwischen Ziegelhütter Weg und Leipzigerstraße ein Teilbebauungsplan "am Judenfriedhofsweg" genannt. Er war also in der kollektiven Erinnerung noch vorhanden.[Anm. 20] Auch später taucht die Bezeichnung "Judenfriedhofsweg" des Öfteren noch auf, als die Straße längst offiziell Dehlinger Weg hieß.
Für Verwirrung sorgte vor einigen Jahren eine Anfrage beim Katasteramt Westerburg. Dieses teilte dem damaligen Bürgermeister Hendrik Hering am 24. Januar 1997 folgendes mit: "Der erste katasteramtliche Nachweis der Straße, die in Richtung Judenfriedhof führt, ist 1936 gegeben. Zu diesem Zeitpunkt trägt sie die Bezeichnung "Dehlinger Weg". Auf Karten, die um 1871 entstanden, wurde zu einem späteren Zeitpunkt "Dehlinger Weg" in roter Farbe nachgetragen. Wahrscheinlich wurde erst mit der Einmessung der ersten Gebäude an diesem Weg auch die betreffende Bezeichnung vermerkt."[Anm. 21]### Als Bürgermeister Hering 1997 den an ihn und den Stadtrat ergangenen Antrag umsetzte und die "Alte Poststraße" wieder in "Judengasse" umbenennen ließ, war auch im Gespräch, den Dehlinger Weg wieder in "Judenfriedhofsweg" umzubenennen. Obwohl nachgewiesen werden konnte, dass die von Adolf Haas (dem späteren KZ-Kommandanten von Bergen-Belsen) geforderte Umbenennung des Judenfriedhofweges in Dehlinger Weg Ende Mai 1933 erfolgte, in den Hachenburger Adressbüchern von 1926 und 1931 wohl mehrfach der Judenfriedhofsweg, nicht aber ein Dehlinger Weg zu finden war, zudem eine Heiratsurkunde vom 11. Juli 1932, die vom späteren Bürgermeister Vollmann unterzeichnet war, die Wohnung des Brautpaares mit Judenfriedhofsweg 402 angegeben wurde, wurde der Antrag letztlich verworfen.[Anm. 22]

Judengasse

Anlässlich eines Umzuges am 11. März 1913 wird u.a. auch die Judengasse erwähnt.[Anm. 23] Sie scheint erst zu dieser Zeit bzw. kurz vorher diesen Namen erhalten zu haben. Wahrscheinlich musste diese Gasse wie andere auch bis dahin ohne Straßennamen auskommen. Die jüdischen Mitbürger Hachenburgs wohnten keineswegs ghettoisiert, sondern hatten ihre Häuser und Wohnungen überall in der Stadt.
In geheimer Sitzung beschloss die Stadtverordneten Versammlung am 30. November 1933 unter Vorsitz des ältesten im Amt befindlichen Stadtverordnetenmitglieds Friedrich Wilhelm Heuzeroth unter Tagesordnungspunkt 11 einstimmig, der Judengasse die Bezeichnung "Alte Postgasse" zu geben.[Anm. 24] Anfang Dezember 1933 wird die Judengasse in "Alte-Post-Straße" umbenannt.[Anm. 25]
Schlossermeister Carl Schneider schlug in einem Schreiben an den Bürgermeister vor, die Straße in Schlossergasse umzubenennen. Er schrieb: "In der Judengasse waren z.Z. 5 jüdische Häuser, alles Handelsleute und nach Gewerbe und Häuserzahl, wohl die meisten der Gasse, weshalb man sie Judengasse taufte. Das nächste Gewerbe in dieser Gasse waren Schlossereien. Es waren deren 3, das erste, das meines Vaters, das zweite Ernst Altbürger (hat noch den Namen) und das 3te. Schlossermeister Freudenberg (das Haus Schnug)". Deshalb, schlug Schneider vor, solle die Gasse Schlossergasse heißen.[Anm. 26]

Anfang der 1990er Jahre kamen aus den Reihen der Partei der "Grünen" Anregungen, die "Alte Poststraße" wieder mit ihrem früheren Namen zu versehen. Diskutiert wurde benefalls, ob man dem "Dehlinger Weg" wieder die Bezeichnung "Judenfriedhofsweg" geben könne. [Anm. 27]

Als im Juni 1995 der Vorsitzender des Zentralrates der Juden in Deutschland Ignatz Bubis Hachenburg besuchte, wurde das Thema aufgegriffen. Beim Gang vom Gedenkstein beim Rathaus durch die ehemalige Judengasse machten Vertreter der FDP den Vorschlag, diesen früheren Namen wieder einzuführen. Bürgermeister Hendrik Hering und die SPD-Fraktion griffen den Vorschlag auf und verfolgten ihn zielstrebig.
Von Anfang an gab es Widerstände in der Bevölkerung, vor allem von den Bewohnern beider Straßen. Von unnötigen Kosten war die Rede und von der Notwendigkeit, Stempel und Briefköpfe zu ändern sowie Ausweise umzuschreiben. Die Heftigkeit und Unsachlichkeit - so Werner Güth - mancher Stimmen musste erschrecken.
Zu einem Tiefpunkt der Auseinandersetzung kam es bei einer Bürgerversammlung am 3. Februar 1997. Aufgebrachte Bürger weigerten sich, Argumente des Bürgermeisters auch nur anzuhören. Er wurde förmlich niedergeschrieen.
Gleichwohl beschloss der Stadtrat die Wiedereinführung des Namens "Judengasse" in seiner Sitzung vom 17. Februar 1997 mit einer Stimme Mehrheit. Nach wie vor gab es eindringliche Proteste von Anliegern und anderen, die den Namen "Alte Poststraße" erhalten wissen wollten.
Die Wiedereinführung des Namens "Judenfriedhofsweg" wurde aufgegeben, weil die mehrfach vertretende Auffassung, der Weg habe offiziell nie "Judenfriedhofsweg" geheißen, nicht mit letzter Sicherheit widerlegt werden konnte. [Anm. 28]

Redaktioneller Hinweis: Die hier vorgestellten Ausführungen sind inhaltliche Ergänzungen und Erweiterungen der entsprechenden Abschnitte des Buches „Geschichte der Stadt Hachenburg“. Die zugehörigen Basis-Informationen sind u.U. nur in der Druckausgabe zu finden. Die Inhalte dieser Seiten entsprechen also nicht denjenigen des Buches.


Anmerkungen:

  1. Die Einladung wurde am 26. 5.1933 vom stellvertretenden Stadtverordnetenvorsteher, Amtsgerichtsrat Diedrich, aufgesetzt (Stadtarchiv Hachenburg) Zurück
  2. WWZ vom 31.5.1933 (Stadtarchiv Hachenburg). Die Linde (auch Friedenslinde genannt) stand an direkt an der Leipzigerstraße Ecke Judenfriedhofsweg/Dehlingerweg. Sie wurde 1977 gefällt. Zurück
  3. Weiter soll am Gasthaus zur Sonne ein Schild angebracht werden mit der Aufschrift "Am Schiessrain" und darunter "Zum Haingärtenweg". Am Weg zur Badeanstalt sollen ebenfalls Schilder befestigt werden mit der Aufschrift "Bachweg" und "Haingärtenweg". Durch entsprechende Pfeile soll der betreffende Weg gekennzeichnet werden. (Stadtarchiv Hachenburg) Zurück
  4. Stadtarchiv Hachenburg  Zurück
  5. Stadtarchiv Hachenburg  Zurück
  6. Stadtarchiv Hachenburg. Vgl. Struif, Zeitspuren S. 215. Zurück
  7. Güth/Kempf/Frank 2002 S. 95. Zurück
  8. Stadtarchiv Hachenburg. Zurück
  9. LHAKo Best. 620 Nr. 1705: Protokolle des Magistrats (der Stadt Hachenburg) 1902-1911 zum 9.5.und 12.10.1906. Zurück
  10. WWZ vom 19.10.1906. Zurück
  11. Hachenburg und seine nähere Umgebung 1908, S. 31. Zurück
  12. Adolf Müller, Landwirt; Albert Müller, Landwirt; August Müller, Landwirt und Erwin Müller, Bankangestellter. Zurück
  13. Henriette Müller, Witwe. Zurück
  14. Georg Riebeling, Lehrer a.D. und Rudolf Riebeling, Oberlehrer. Zurück
  15. Lina Neubauer, Witwe und Hans Neubauer, Arbeiter. Zurück
  16. Hermann Göbler, Steuerassistent; Helene Klein, Witwe; Hermann Schlösser, Mittelschullehrer und Adolf Vollmann, Verwaltungsinspektor, dessen (unveränderte?) Adresse später Adolfsweg 1 lautete. Zurück
  17. Auszug aus den Standesamtsgeburtsurkunden vom 11.7.1932: Geburtseintrag der Anna Elisabeth Kneuer, Tocher des Arbeiters Otto und seiner Ehefrau Hildegard geb.  Kircher, Wohnort Judenfriedhofsweg 402. Zurück
  18. August Föh, Angestellter; Louise Krah, Witwe; Karl Müller, Steinmetz; Karl Schürg, Landwirt; Peter Staudt, Landwirt und Ludwig Stein, Forstsekretär. Zurück
  19. Stadtarchiv Hachenburg Zurück
  20. WWZ vom 26.11.1959. Zurück
  21. Stadtarchiv Hachenburg. Bürgermeister Hering hatte seinerzeit folgende Erklärung: Nachträgliche Eintragungen im Katasteramt wurden damals mit "roter Tinte" vermerkt. Betrachtet man aber nur Photokopien, ist dieser Umstand nicht zu erkennen. Zweifellos war die Bezeichnung "Dehlinger Weg" ein Nachtrag und keine Originalbezeichnung von 1932 (WWZ vom 01.2.1997). Zurück
  22. Stadtarchiv Hachenburg. Vgl. allgemein zum Thema: Güth/Kempf, Hachenburg S. 178; Jungbluth/Pollmann, Juden S. 260; Struif, Hachenburg S. 219. Zurück
  23. WWZ vom 11.3.1913 zit. nach Trautmann S.9 Zurück
  24. Stadtarchiv Hachenburg. Zurück
  25. Güth/Kempf, Hachenburg S. 178; Jungbluth/Pollmann, Juden S. 260. Zurück
  26. Stadtarchiv Hachenburg. Zurück
  27. Güth, Bemühungen S. 147. Zurück
  28. Güth, Bemühungen S. 147f. Zurück