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Rheinbrohler Naturwurzelkrippe

Im idyllisch am Naturpark Rhein-Westerwald gelegenen Weinörtchen Rheinbrohl ist zur Weihnachtszeit nicht nur der „Caput Limitis“, der Beginn des UNESCO Welterbes obergermanisch-raetischer Limes zu bewundern. In der katholischen Ortskirche St. Suitbert entsteht alle Jahre wieder, was von den Rheinbrohlern liebevoll verniedlichend „Krippchen“ genannt wird: Die begehbare, das ganze 56m² große nördliche Querschiff umfassende, Naturwurzelkrippenlandschaft. Sie gilt als größte noch bestehende künstlerisch gestaltete Naturwurzelkrippe Europas und wurde als solche 1991 von der Krippenvereinigung Ars Krippana Losheim ausgezeichnet und ausgestellt.

Rheinbrohler Naturwurzelgrippe[Bild: Peter Kurtscheid]

Fast ein wenig aus der Zeit gefallen, folgt sie der bis ans Ende des 19. Jahrhunderts noch weit verbreiteten Tradition der oft exotisch-morgenländisch anmutenden Landschaftskrippen und den daraus hervorgehenden, mehr den jeweils heimatlichen Landschaften und Bräuchen der Künstler entsprechenden, Heimatkrippen. Sie sind zumeist erheblich größer und detaillierter als die kleinformatigeren Ausführungen aus verschiedensten Materialien von Stein bis Papier, die ebenfalls seit dem 19. Jahrhundert vermehrt als stolz ausgestellte Prunkstücke Einzug in bürgerliche Haushalte fanden. Die Übernahme vom öffentlichen in den privaten Raum war Folge der reformatorischen und aufklärerischen Bemühungen, die Krippen als Ausdruck von Volksfrömmigkeit und Bildnisanbetung, zumindest im kirchlichen Raum, zu unterbinden. Die Entwicklung hin zur Popularität der Hauskrippe nahm Fahrt auf durch rigoroserer Umsetzung dieser Versuche im Laufe des 18. Jahrhunderts und einem kompletten Krippenverbot das zu Beginn des 19. Jahrunderts vielerorts erlassen wurde. Ein ähnlicher Prozess hatte allerdings interessanterweise in einem anderen Kontext bereits früher stattgefunden. Schon bald, nachdem sich in Mittelalter und früher Neuzeit die Krippen als sinnlich erfahrbare Vergegenwärtigungen der Weihnachtsgeschichte in europäischen Kirchen verbreiteten, nahmen Adelige und hohe Geistliche Krippenfiguren mit nach Hause oder ließen eigene Krippen anfertigen. Sie dienten dort als Status- ebenso wie als Andachtsobjekte.


Vielleicht macht gerade dies einen Teil der letztlich zeitlosen Anziehungskraft der Rheinbrohler Krippe aus: Die Einreihung in eine lange (Handwerks-)Tradition bei gleichzeitiger Einmaligkeit. Die Szenerie macht jedes Jahr die eigentliche Krippenszene der Weihnachtsgeschichte im wahrsten Sinne des Wortes sicht- und greifbar, ebenfalls ihre Hirten und Schafe sowie die umliegende Landschaft mitsamt der Burg des Herodes. Die Heiligen Drei Könige kommen hingegen erst am 6. Januar jeden Jahres hinzu – eine Mischung aus Simultan- und Wandelkrippe.

Schon im November jeden Jahres beginnen fleißige Ehrenamtler mit dem Aufbau der einzigartigen Krippe. Bis zur Ausstellungszeit – von Heiligabend bis Lichtmess – haben sie beeindruckende 1.200 Personenarbeitsstunden, Erfahrung, Ideen und Kunstfertigkeit investiert. Die Krippenlandschaft wird kreiert aus auf Industriepaletten basierendem Stützwerk, 35 Raummetern Wurzelwerk, bis zu 150 lebenden Pflanzen, vier Kubikmetern Grünschnitt und fünf Quadratmetern Moos. Jedes Jahr überrascht sie durch etwas andere Details, denn gearbeitet wird nicht nach einem starren Plan, sondern nach eher losen Richtlinien, die immer Raum für Einfallsreichtum lassen. 

[Bild: Peter Kurtscheid]

Die 69 Kunststeinfiguren, welche die Krippe bevölkern, stammen noch aus dem Ende des 19. Jahrhunderts. Die Gemeinde kaufte sie, als die Inneneinrichtung der 1852-56 erbauten Kirche fertiggestellt war. Die Idee und das meiste  Material für die Krippe gehen allerdings auf den rührigen Josef Kurtscheid zurück. Er war bereits als siebenjähriger Messdiener am Aufbau der Krippe beteiligt und übernahm diesen im Jahr 1946 vollständig. Die ursprünglichen, aus Pappmaché gefertigten Krippenutensilien wurden 1945 bei einem Brand der Scheune, in der sie gelagert wurden, vernichtet. Für den Wiederaufbau inspiriert wurde Kurtscheid, außer von den in Süddeutschland nicht unüblichen Wurzelgrotten für Krippen, möglicherweise von der für Franz von Assisi überlieferten Weihnachtspredigt im Wald von Greccio. Er veranschaulichte plastisch diesen Moment der Heilsgeschichte mithilfe echter Futterkrippe und lebender Tiere, weshalb er auch vielen als geistiger Vater der Krippendarstellung und Weihnachtsspiele gilt. Josef Kurtscheid  begann große Wurzeln zu sammeln und zu verbauen, unterstützt zunächst durch Familienmitglieder und später durch immer mehr Helfer, die heute auch nach seinem Tode im Jahre 2003 die Krippenlandschaft zum Leben erwecken: Ein weit über die Ortsgrenzen bekanntes, historisch gewachsenes Unikat, das durchaus nicht nur für Gläubige, sondern auch unter weltlichen Gesichtspunkten interessant ist.

[Bild: Peter Kurtscheid]

Verfasserin: Ruth Faßbender
Literaturhinweise:

 

Mein besonderer Dank gilt Frau Daniela Angermann für den großartigen Input via Telefon und Mail!