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Umkehrungsfest zur Weihnachtszeit - Knabenbischöfe in Mainz

Ob überzeugte Fastnachter oder ebenso überzeugte Verweigerer karnevalesker Freuden: (Wahl)Mainzer wissen genau was am 11.11. um 11:11 Uhr die Stunde schlägt. Die sogenannte fünfte Jahreszeit beginnt offiziell und endet erst mit dem Aschermittwoch des darauffolgenden Jahres.  „S‘goldisch Meenz am Rhoi“ wird zum Narrentollhaus und feiert bunt und laut auf Sitzungen, Bällen und Straßenumzügen, die ihren Höhepunkt kurz vor Beginn der Fastenzeit vor Ostern finden. Vor einer Phase des Verzichtes und der inneren Einkehr soll die Möglichkeit bestehen besonders ausgelassen zu feiern, zu schlemmen und, mehr oder weniger, spielerisch Autoritäten und Hierarchien zu hinterfragen. Die Zeit der Enthemmung ist dementsprechend fester Teil des römisch-katholischen Kirchenjahres.

So weit, so bekannt. Doch was hat das mit Weihnachten zu tun und in einem Adventskalender zu suchen – mal abgesehen davon, dass Fastnachtssaison und Adventszeit sich teilweise überschneiden? Zum einen ist letzteres kein Zufall, wurde doch früher analog zum vorösterlichen auch das vorweihnachtliche Fasten noch deutlich häufiger praktiziert als heute. Und das begann just am 12.11. Auch hier war die Feier am Vorabend des Fastenbeginns also Teil des großen, in diesem Fall weihnachtlichen Ganzen. Zum anderen bildeten sich Verkehrungs- und Narrenfeste im mitteleuropäischen Mittelalter zunächst oft auch an weihnachtlichen Feiertagen heraus. Ausgerechnet während ihrer Hochfeste wurden die Kirchen somit Orte der frech-herausfordernden Parodie und Groteske, des überbordenden, sinnlich-irdischen Genusses und der Umkehrung der gewohnten Ordnung.

Ein Knabenbischof im volkssprachlichen schwäbischen (Konstanzer) Weihnachtsspiel, ca. 1417/20[Bild: Hougthon Library, Harvard University, MS Ger 74, fol. 22v]

Denn zentraler Teil dieser Feste war neben Masken und Mummenschanz vielerorts auch die Wahl eines Knabenbischofs, -abtes oder sogar -papstes. Vorangetrieben und getragen wurden die Verkehrungsfeste vom niederen Klerus und klerikalen Nachwuchs, der mit den hohen Amtsträgern für eine bestimmte Zeit die Rollen und ganz konkret die angestammten Plätze in der Kirche tauschte. Das bedeutete, dass dem von seinen Kollegen vorher gewählten Chorknaben oder Schüler in einer performativen Zeremonie die Insignien der Macht eines Bischofs, Abtes oder Papstes übergeben wurde - zum Beispiel Chorkleidung, Mitra und Stab. Mit diesen Äußerlichkeiten einher gingen vielerorts gar liturgische Rechte und Pflichten und die Durchführung von Umzügen oder Festmählern. Belegt sind solche Verkehrungsbräuche für manche Orte am Fest des Heiligen Nikolaus, der ja auch Schutzpatron der Kinder, Schüler und Studenten ist, für andere am 26. (Stephanstag), 27. (Johannestag) und 28.12. (Tag der unschuldigen Kinder), also noch zu Weihnachten.

Als Grundlage für die Knabenbischofspiele wird vielfach eine Mischung aus archaischen, „heidnischen“ Festen wie etwa den römischen Saturnalien, und originär christlichen Liturgietexten und Traditionen angenommen. Man denke nur an das christliche Demutsgebot, das eben auch und gerade für hohe kirchliche Würdenträger gilt, die hier im wahrsten Sinne des Wortes auf Zeit herabgesetzt wurden. Die Mächtigen werden erniedrigt, die Niedrigen erhöht. Ganz nebenbei konnte man so sehen, wer unter den Kirchenschülern sich wie machte in der Rolle eines hohen Würdenträgers. Elitenbildung und Nachwuchsförderung à la Mittelalter.

Man kann es sich fast denken – das auf den Kopfstellen der Hierarchie passte trotzdem nicht jedem. Dem Ganzen wohnt ja durchaus eine ambivalente Dynamik inne: Wirkt die zeitweise Aufhebung der Ordnung nur als ein gezähmtes, in feste Bahnen gelenktes Aufmucken, das letztlich die Machstrukturen erst recht deutlich macht und zementiert, oder ist da nicht doch eine Einladung zur, eine Einübung von Rebellion? Auch wurden die wilden Festlichkeiten immer wieder als den sakralen Raum entwürdigend empfunden oder dargestellt. Tatsächlich wissen wir denn auch vieles, was über die Bischofspiele bekannt ist, aus Dokumenten zu Verbotsversuchen, die aber jahrhundertelang nicht großflächig wirksam werden konnten. Erst mit der Reformation setzten sich neu begründete Verbote stärker durch. Sie sorgten für ein Verschwinden der Verkehrungsfeste rund um das Knabenbischofsspiel, während die Fastnacht, wie wir sie kennen, in weiterhin katholisch geprägten Gegenden überleben konnte. Auch in Mainz, wo man übrigens besonders lang, nämlich bis ins späte 18. Jahrhundert hinein, am Bischofsspiel festhielt. Nicht ohne Grund gelten die Rheinhessen als besonders feierfreudiges Völkchen.

Verfasserin: Ruth Faßbender

Literaturhinweise:

Mein besonderer Dank gilt Frau Daniela Angermann für den großartigen Input via Telefon und Mail!