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2.2. Politische Handlungsräume und Verhaltensmuster von Frauen in der Revolution

Den Höhepunkt der Teilnahme von Frauen an der allgemeinen politischen Bewegung stellte die Revolution von 1848/49 dar, die sich, ausgehend von der Februarrevolution 1848 in Paris, in Windeseile in Deutschland verbreitete.[Anm. 1] Politische Handlungsräume und Verhaltensmuster von Frauen dieser Zeit präsentieren sich vielfältig. Sie waren durch die Gleichzeitigkeit von traditionellen und modernen Elementen bzw. die enge Verbindung von Alltag und Politik geprägt.[Anm. 2]

An der sogenannten „nichtinstitutionalisierten“[Anm. 3] Revolution waren Frauen aller Bevölkerungsschichten maßgeblich beteiligt.[Anm. 4] Sie sammelten Geld und Unterschriften oder veranstalteten Spendenaktionen und Lotterien zugunsten revolutionärer Aktionen.[Anm. 5] Als Akteurinnen waren sie in Fahnenweihen der Bürgerwehren und Vereine sowie Trauerfeierlichkeiten und Umzüge zum Gedenken gefallener Barrikadenkämpfer integriert.[Anm. 6] Bei solchen Fest- und Trauerakten waren es meistens Frauen, die schwarz-rot-goldene oder rote Fahnen als Ausdruck ihrer politischen Gesinnung und Solidarität überreichten.[Anm. 7] In diesen Bereich fiel auch die Anfertigung, das Verteilen und Anstecken von schwarz-rot-goldenen oder roten Schleifen, Kokarden und Halsbinden.[Anm. 8] Frauen traten ebenfalls bei Barrikadenkämpfen in Erscheinung und zogen später als Freischärlerinnen in kriegerischen Auseinandersetzungen.[Anm. 9] Einige beschafften dabei Material für den Bau von Barrikaden, andere halfen an deren Errichtung engagiert mit und wieder andere beteiligten sich zusammen mit den Männern an den revolutionären Kämpfen selbst.[Anm. 10] In diesen Aktionen, die überwiegend von den unteren sozialen Schichten getragen wurden, schienen sich die Geschlechterzuweisungen zu verwischen.[Anm. 11]

Mit der Revolution von 1848/49 erhielten Frauen auch erstmals Zugang zu institutionalisierten politischen Entscheidungsräumen. Nach Protesten ließ die Frankfurter Nationalversammlung Frauen bei öffentlichen Sitzungen zu und reservierte eigens für sie rund 200 Plätze. Die meisten Landtage anderer Staaten des Deutschen Bundes folgten dem Beispiel der Frankfurter Nationalversammlung und auch in Gerichts- und Gemeinderatssälen erschienen nunmehr Frauen. Dabei besaßen sie keine politischen Entscheidungsbefugnisse und waren nicht als Abgeordnete im Parlament oder in den Landtagen vertreten. Sie traten lediglich als zusehende und zuhörende Partizipatorinnen in Erscheinung. Dennoch griffen Frauen in den politischen Meinungsbildungsprozess ein, indem sie etwa an die Nationalversammlung oder Landtage gerichtete Petitionen unterschrieben oder Bittschriften um Amnestie für politische Gefangene einreichten. Andere wiederum verteilten Manifeste, Wahlzettel oder Flugblätter oder benutzten das Forum der Presse[Anm. 12], um ihre politische Meinung zu veröffentlichen und somit bestenfalls politische Entscheidungsvorgänge zu beeinflussen.[Anm. 13]

Ein großer Teil der Frauen griff auch auf bewährte Handlungsweisen zurück. Mehrheitlich organisierten sie sich in Frauenvereinen, um die revolutionäre Bewegung bzw. deren Akteure zu unterstützen.[Anm. 14] Besonders mit dem Beginn der Reichsverfassungskampagne[Anm. 15], die noch einmal große Teile der weiblichen Bevölkerung mobilisierte, kam es zu vielen Neugründungen von Frauenvereinen, während bereits bestehende Zusammenschlüsse ihre Aktivitäten intensivierten.[Anm. 16] Sie leisteten materielle und praktische Hilfe für die Aufständischen und deren Verwundete sowie – nach dem Scheitern der Aufstände – für die verfolgten, emigrierten und gefangenen Revolutionäre und deren zurückgelassenen Familien.[Anm. 17] Obgleich die Frauenvereine von 1848/49 auf den ersten Blick wie traditionelle Wohltätigkeitsvereine wirkten, hatten sie dennoch einen vorwiegend politischen Anlass, der schon in ihrer Bezeichnung als „demokratische Frauenvereine“[Anm. 18] zum Ausdruck kam.[Anm. 19] Damit demonstrierten sie von vornherein ihre demokratische Gesinnung, auch wenn sie angesichts zunehmender staatlicher Repression und Verfolgung die politische Tendenz in den Hintergrund rückten oder gar verleugneten und stattdessen die Wohltätigkeit als Tarnung benutzten, um das polizeiliche Überwachungsapparat zu täuschen bzw. sich vor strafrechtlicher Verfolgung zu schützen.[Anm. 20] Allen Widrigkeiten zum Trotz stabilisierten diese Frauenvereine das soziale Netzwerk der revolutionären bzw. demokratischen Bewegung.[Anm. 21] Denn über sie entstanden politische wie private Beziehungen und auf diese Weise entwickelte sich ein „enges, außerordentlich weit verzweigtes und effektives Netzwerk weiblicher Vereinstätigkeit“, das, laut Eva Kuby, „zu einem tragenden Element der demokratischen Bewegung“ wurde.[Anm. 22]

Schlussendlich erkämpften sich die Frauen ihren Platz in der demokratischen Bewegung und wurden zu einem aktiven Bestandteil der revolutionären Umbruchszeit.[Anm. 23] Dabei bahnte der Mehrzahl der Frauen nicht die Übernahme männlicher Handlungsräume und Verhaltensweisen, sondern eben ihre Rolle als Gattin und Mutter sowie ihre als spezifisch weiblich anerkannten Kompetenzen den Weg in die Öffentlichkeit.[Anm. 24] Dennoch war die Beteiligung von Frauen an der Revolution keineswegs unumstritten.[Anm. 25] Solange sich Frauen im Rahmen des herkömmlichen Frauenbildes für das revolutionäre Geschehen begeisterten, wurde es teils mit Respekt und Anerkennung wahrgenommen.[Anm. 26] Selbstständiges Handeln der Frauen, das über spezifisch weibliche Tätigkeiten hinausging, wurde dagegen von vielen abgelehnt. In den Revolutionsjahren 1848/49 mussten die Frauen also sowohl gegen eine reaktionäre Obrigkeit als auch gegen eine patriarchalische Gesellschaft kämpfen, die das öffentliche Auftreten von Frauen als Widerspruch zu ihrer „Bestimmung“ verstand.[Anm. 27] Trotz allem beeinflussten und unterstützten einzelne Frauen die allgemeine demokratische Bewegung mit ihren Aktionen, um, so das Fazit von Freund, „ihren eigenen Anteil zur Verwirklichung der Ideale von Freiheit und Gleichheit beizutragen.“[Anm. 28]

Aus den bisherigen Ausführungen wird deutlich, dass das Spektrum weiblicher Aktivitäten in der Revolution von Vereinsgründungen bis zu gewalttätigen Protestformen reichte. Auf verschiedenen Wegen hatten sich Frauen bereits im Vormärz Zutritt in die Öffentlichkeit verschafft. Das Engagement von Frauen setzte sich schließlich mit deutlich erweiterten Handlungsspielräumen in den Revolutionsjahren fort. Vor diesem Hintergrund soll im Folgenden aufgezeigt werden, wie und warum Kathinka Zitz sich in die revolutionären Geschehnisse der Jahre 1848/49 einmischte.

Nachweise

Autorin: Derya Özdemir

Erstellt am: 05.03.2021

Anmerkungen:

  1. Als die Nachrichten der Pariser Unruhen Ende Februar 1848 eintrafen, mobilisierten sie viele Städte im Deutschen Bund, in denen es bereits im Winter 1846/47 – u.a. aufgrund von Hungersnot und wirtschaftlicher Krise – gebrodelt hatte. Angefangen hatte die Bewegung am 27. Februar 1848 in Mannheim, während Mainz, Hamburg und Berlin wenige Tage später gefolgt waren. Um der Gefahr revolutionärer Umstürze zu entgehen, riefen die Landesfürsten ab März 1848 liberal orientierte Regierungen (Märzministerien) ins Leben, die an den sogenannten Märzforderungen, wie beispielsweise Presse-, Versammlungs- und Religionsfreiheit, der Bauernbefreiung und der Einführung von Schwurgerichten arbeiteten. Gleichzeitig hatte sich ein Vorparlament in Frankfurt versammelt, dessen Mitglieder an der Vorbereitung einer verfassungsgebenden Nationalversammlung arbeiteten. Die Nationalversammlung tagte schließlich von Mai 1848 bis Mai 1849 und sollte eine gesamtdeutsche Verfassung erarbeiten. Siehe Giulia Frontoni, Vernetzt! Kontaktnetze von Frauen um 1848 in den deutschen und italienischen Staaten. Unv. Diss., Georg-August-Universität Göttingen 2013, S. 116f. Zurück
  2. Ebd.; Majer, Frauen, S. 158; Kienitz, Frauen, S. 277; Gabriella Hauch, Nichtswürdig – emanzipiert – geliebt. Geschlechtsspezifische Aktionen und Diskurse in den Revolutionen 1848/49. In: Maja Riepl-Schmidt (Hg.), Frauen und Revolution. Strategien weiblicher Emanzipation 1789 bis 1848. Tübingen 1998, S. 33–57, hier S. 35. Zurück
  3. Zur „nichtinstitutionalisierten“ Revolution siehe Manfred Gailus, Die Revolution von 1848 als „Politik der Straße“. In: Dieter Dowe/Heinz-Gerhard Haupt/Dieter Langewiesche (Hg.), Europa 1848. Revolution und Reform. Bonn 1998 (= Politik- und Gesellschaftsgeschichte, Bd. 48), S. 1021–1044; Carola Lipp, Katzenmusiken, Krawalle und „Weiberrevolution“. Frauen im politischen Protest der Revolutionsjahre. In: Carola Lipp (Hg.), Schimpfende Weiber und patriotische Jungfrauen. Frauen im Vormärz und in der Revolution 1848/49. Baden-Baden 21998, S. 112–120. Die unterschiedlichen Beteiligungsmöglichkeiten von Frauen in der institutionalisierten und der nichtinstitutionalisierten Revolution thematisiert Dieter Langewiesche, Revolution in Deutschland. Verfassungsstaat – Nationalstaat – Gesellschaftsreform. In: Dieter Dowe/Heinz-Gerhard Haupt/Dieter Langewiesche (Hg.), Europa 1848. Revolution und Reform. Bonn 1998 (= Politik- und Gesellschaftsgeschichte, Bd. 48), S. 167–195, hier S. 193–195. Zurück
  4. Paletschek, Einschluß, S. 73.  Zurück
  5. Gisela Mettele, Frauen in Bewegung? Die Kölnerinnen in der Revolution von 1848/49. In: Stephan Lennartz/Georg Mölich (Hg.), Revolution im Rheinland. Veränderungen der politischen Kultur 1848/49. Bielefeld 1998 (= Bensberger Protokolle, Bd. 99), S. 217–226, hier S. 219; Kienitz, Frauen, S. 277. Zurück
  6. Freund, Schriftstellerinnen, S. 195. Zurück
  7. Ebd.; Frank Lorenz Müller, Die Revolution von 1848/49. Darmstadt 42012 (= Geschichte kompakt), S. 85. Zurück
  8. Freund, Schriftstellerinnen, S. 195f. Zurück
  9. Ebd.; Majer, Frauen, S. 167; Paletschek, Einschluß, S. 73. Zurück
  10. Majer, Frauen, S. 167. Zurück
  11. Paletschek, Einschluß, S. 73. Zurück
  12. Die Liberalisierung der Pressegesetze in den Revolutionsjahren führte zu einem Gründungsboom von Zeitungen und Zeitschriften. Auch die Frauen traten erstmals mit eigenen Zeitschriften an die Öffentlichkeit – es waren vier politische Frauenzeitschriften: 1. Frauen-Zeitung von Mathilde Franziska Anneke (1817–1884), 2. Der Freischärler. Für Kunst und Sociales Leben von Louise Aston (1814–1871), 3. Soziale Reform. Eine Zeitschrift für Männer und Frauen von Louise Dittmar (1807–1884), 4. Frauen-Zeitung von Louise Otto-Peters (1819–1895). Siehe Freund, Zeiten, S. 119–123; Majer, Frauen, S. 176. Zurück
  13. Freund, Zeiten, S. 119–123; Freund, Schriftstellerinnen, S. 16, 193–195; Hauch, Geschlechtsspezifische Aktionen, S. 38; Gudrun Wittig, „Nicht nur im stillen Kreis des Hauses“. Frauenbewegung in Revolution und nachrevolutionärer Zeit 1848–1876. Hamburg 1986, S. 59; Lipp, Bräute, S. 79. Zu Frauen als Parlamentszuschauerinnen in der Revolution 1848/49 siehe: Henning Türk, „Ich gehe täglich in die Sitzungen und kann die Politik nicht lassen“. Frauen als Parlamentszuschauerinnen und ihre Wahrnehmung in der politischen Öffentlichkeit der Märzrevolution 1848/49. In: Geschichte und Gesellschaft 43 (2017), H. 4, S. 497–525. Zurück
  14. Freund, Schriftstellerinnen, S. 197–199. Zurück
  15. Die Verabschiedung der deutschen Reichsverfassung am 28. März 1849 wurde von einem großen Teil der Bevölkerung begeistert begrüßt. Folglich entfachte die Ablehnung der Kaiserkrone und damit auch der Reichsverfassung durch den preußischen König Friedrich Wilhelm IV. am 3. April 1849 eine breite politische Bewegung zur Anerkennung und Durchsetzung der Reichsverfassung – die sogenannte „Reichsverfassungskampagne“. Siehe Freund, Schriftstellerinnen, S. 145, 198; Eva Maria Werner, Kleine Geschichte der deutschen Revolution von 1848/49. Wien [u.a.] 2009, S. 110.   Zurück
  16. Freund, Schriftstellerinnen, S. 198f. Zurück
  17. Ebd., S. 199. Zurück
  18. Unter der Vielzahl der Frauenvereine lassen sich etwa drei Typen unterscheiden: Demokratische Frauenvereine, Frauenbildungsvereine, Arbeiterinnenvereine. Siehe dazu Ute Gerhard, Unerhört. Die Geschichte der deutschen Frauenbewegung. Reinbek bei Hamburg 1990, S. 66; Majer, Frauen, S. 177f. Zurück
  19. Gerhard/Hannover-Drück/Schmitter, Reich der Freiheit, S. 21; Gerhard, Geschichte der Frauenbewegung, S. 66. Zurück
  20. Freund, Schriftstellerinnen, S. 199; Gerhard, Anfänge, S. 217.   Zurück
  21. Lipp, Frauen im Vormärz, S. 9.    Zurück
  22. Kuby, Frauenvereine, S. 257. Zurück
  23. Mettele, Frauen in Bewegung, S. 217; Freund, Zeiten, S. 117. Zurück
  24. Kienitz, Frauen, S. 277. Zurück
  25. Freund, Schriftstellerinnen, S. 199. Zurück
  26. Ebd.; Majer, Frauen, S. 188. Zurück
  27. Freund, Schriftstellerinnen, S. 16. Zurück
  28. Freund, Zeiten, S. 117. Zurück