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4.2. „Schwesterlicher Bund“ für „vaterländische Interessen“ – Das Projekt eines eigenen Frauenvereins

4.2.1. Vorgeschichte und Gründung der „Humania“

Als im Mai 1849 die Demokraten mit Volksaufständen die Durchsetzung der Verfassung zu erzwingen versuchten, wandten sie sich auch an die Frauen und riefen sie zur Unterstützung auf.[Anm. 1] So kam es in dieser Zeit zur Gründung mehrerer Frauenvereine in verschiedenen deutschen Städten.[Anm. 2] Kathinka Zitz ließ sich von der Idee eines Frauenvereins begeistern und verfolgte vermutlich seit April 1849 den Plan, einen Frauenverein in Mainz zu gründen.[Anm. 3] Das lässt sich jedenfalls aus den auf Anfang Mai 1849 datierten Antwortbriefen der zwei Mannheimer Frauenvereine, der „Concordia“-Verein unter Leitung von Therese Canton und der „Germania“-Verein unter Leitung von Katharina Betz,[Anm. 4] ablesen.[Anm. 5] Aus den Briefen geht hervor, dass Zitz zwecks Gründung eines Vereins um deren Statuten gebeten hatte.[Anm. 6] Sowohl Betz als auch Canton setzten sich daraufhin mit Zitz in Verbindung und schickten ihr ihre Vereinsstatuten. Betz bemerkte dabei, dass man sie „Regeln“ statt „Statuten“ nennen solle, denn andernfalls werde „die hochlöbliche Polizei ihre Nase hineinstecken“.[Anm. 7] Doch trotz der Gefahr, mit den Ordnungskräften in Konflikt zu geraten, könnten die Frauen nicht länger „unthätige [sic!] Zuschauerin[nen]“ sein.[Anm. 8] Denn die „Zeit wird immer erregter“, so Betz weiter und nur „Eintracht macht stark, und nur vereint können wir kräftig wirken und etwas Großes erzielen, wo vielleicht öfters vereinzelt unsere Kräfte zu schwach wären.“[Anm. 9] Auch wenn Katharina Betz dabei die Schwierigkeiten bei der Gründung und noch mehr beim Zusammenhalten eines solchen Vereins einräumte,[Anm. 10] forderte sie – so wie auch Therese Canton – Zitz nachdrücklich auf, sich zusammen mit den Frauen ihrer Stadt den Mannheimer Frauen anzuschließen, wie es auch mehrere Frauen aus Frankfurt kürzlich getan hätten.[Anm. 11] Während die beiden Mannheimer Frauenvereine nur von kurzer Dauer waren, da preußische Truppen am 23. Juni 1849 Mannheim besetzten und alle demokratischen Organisationen verboten, sollte der von Kathinka Zitz gegründete Mainzer Frauenverein „Humania“ bald einen überregionalen Bekanntheitsgrad erlangen.[Anm. 12]

In zwei öffentlichen Aufrufen[Anm. 13] appellierte Zitz „an die Frauen und Jungfrauen von Mainz“[Anm. 14], die „das Ziel und die Bedeutung der wahren Demokratie begriffen haben“[Anm. 15], dem „schönen Beispiel“ ihrer „Mannheimer Schwestern“ zu folgen,[Anm. 16] und rief sie „zur Besprechung eines zu gründenden Frauen- und Jungfrauenvereins“[Anm. 17] zu einer Versammlung in das Mainzer Theatergebäude zusammen.[Anm. 18] Dabei mahnte Zitz ihre Mitbürgerinnen, dass ihr „Beruf in dieser großen Zeit ein ernsterer ist, als der des unthätigen [sic!] Besuchens demokratischer Vereine und Volksversammlungen, oder der Betheiligung [sic!] an einer zu stickenden Fahne.“[Anm. 19] Stattdessen sollten sich die Frauen „durch thatkräftiges [sic!] Wirken und Walten“ dem „Vaterlande“ nützlich machen, und zwar „ohne aus den Schranken der Weiblichkeit heraus zu treten“.[Anm. 20] Kurz: Die Frauen sollten nach Zitz in der demokratischen Bewegung nicht unbeteiligt abseitsstehen, allerdings sollten sie innerhalb ihrer gesellschaftlichen Grenzen tätig werden. Doch gleichzeitig rief Zitz „zur Unterstützung der politisch Verfolgten, zur Pflege und Versorgung der verwundeten Brüder, zur Anschaffung von Waffen für die kampfesmuthige [sic!] Jugend“ auf und reizte damit den Rahmen der politischen Handlungsmöglichkeiten einer engagierten Frau voll aus und versuchte somit die „Schranken der Weiblichkeit“ zu erweitern.[Anm. 21] Jedenfalls sollten die Mainzer Frauen nach Kathinka Zitz „wirken und zusammenhalten in einem Bund der Liebe und des Rechtes“, um mit „Willen und That [sic!]“ zu beweisen, dass sie einerseits „des Namens deutscher Frauen würdig sind“ und andererseits „fähig sind, dem Vaterlande Opfer zu bringen.“[Anm. 22] Dieser Aufruf an die „von den Grundsätzen der heiligen Demokratie durchdrungenen, von Vaterlandsliebe begeisterten“[Anm. 23] Mainzerinnen stieß offenbar auf große Resonanz, sodass die Beteiligung an der Gründungsversammlung am 16. Mai 1849 laut Berichterstattung in Der Demokrat, das Organ des „Demokratischen Vereins“ in Mainz, vom 17. Mai 1848 enorm war: eine „zahlreiche Versammlung, welche alle Räume des Parterres, die erste Logenreihe und einen großen Theil [sic!] der Bühne füllte“[Anm. 24]. Weiter berichtet Der Demokrat, dass die „Wahl des Ausschusses“ verschoben werden musste, weil der „Zudrang zur Einzeichnung zu groß“ war.[Anm. 25]

In ihrer Gründungsrede, veröffentlicht in Der Demokrat vom 17. Mai 1849, versuchte Kathinka Zitz ihre Mitbürgerinnen zur Mitarbeit zu motivieren und ihnen das Gefühl der Relevanz ihrer Rolle in der Geschichte zu vermitteln:[Anm. 26]

„Zu allen Zeiten, in welchen der Sturm der Weltereignisse über die Völker dahin brauste, haben große Ereignisse auch große Entschlüsse hervorgerufen, und die Frauen haben noch nie gefeiert, wenn es galt, dem Vaterlande die Schuld abzutragen, zu der wir ihm Alle verpflichtet sind.“[Anm. 27]

Im Anschluss daran referierte Zitz über bedeutende Frauen der Geschichte, deren einzigartige Taten die Geschichte prägten: Sie begann mit der biblischen Judith, durchschritt die griechische und die römische Epoche und wandte sich den Frauen des Mittelalters zu und hob dort besonders Johanna von Orléans (1412–1431)[Anm. 28] hervor, die ihr Vaterland vor den eingedrungenen Engländern gerettet habe. Im Anschluss daran thematisierte Zitz die herausragende Rolle der Frauen in der Französischen Revolution. Insgesamt nannte Zitz Vorbilder, die ein hohes Maß an politischer Aktivität und persönlichem Mut erkennen ließen. Möglicherweise wollte sie damit betonen, dass ihnen und den Mainzer Frauen die gleiche Motivation und ein starker Patriotismus gemeinsam sei.[Anm. 29]

Jedenfalls wollte Zitz mit einem solchen historischen Rückgriff auf Leitbilder ihrem Aufruf für eine Frauenvereinigung Nachdruck verleihen sowie ihren Anspruch auf Erweiterung der Handlungsspielräume von Frauen in der Öffentlichkeit begründen. Nach dieser historischen Übersicht über heldenhafte Frauen erläuterte Zitz den Zweck dieses „Unterstützungsvereins“ namens „Humania“, nämlich

„Patrioten oder deren Familien, die für die gerechte Sache des deutschen Vaterlandes kämpfen oder von den Drängern verfolgt werden, nach Kräften mit kleinen Gaben zu unterstützen.“[Anm. 30]

Damit verfolgte ihr Verein zunächst das klassische Programm weiblicher karitativer Fürsorge: die Unterstützung der kämpfenden Freischärler und die Hilfe für die verfolgten, emigrierten und gefangenen Demokraten und deren zurückgelassenen Familien.[Anm. 31] Mit einem solchen Wirken rechtfertigte Zitz das öffentliche Auftreten von Frauen und forderte anschließend ihre Mitbürgerinnen auf, „mit reinem, aufrichtigem Herzen“, ohne „Sonderbündelei“, „Parteisucht“, „Vorrang“, „Ehrgeiz“, „Nebenabsicht“ zusammenzutreten.[Anm. 32] Sie müssten „aufhören[,] Frauenzimmer zu sein“ und „gänzlich Bürgerinnen und Vaterlandsfreundinnen“ werden.[Anm. 33] Kathinka Zitz ging es also vorrangig um einen weiblichen Zusammenschluss. Dieser sollte als gesellschaftliche Pflichterfüllung der Bürgerinnen zur Unterstützung der Revolution dienen. Zitz wollte dabei die Frauen befähigen, nicht nur ihre Pflichten als Hausfrau, Mutter und Ehefrau zu erkennen und zu erfüllen, sondern auch die als „Bürgerin“ und „Vaterlandsfreundin“. Diese aufgewertete Funktion von Frauen als Bürgerinnen war vermutlich mit der Hoffnung verbunden, die Frauen für die Verwirklichung der demokratischen Ziele zu mobilisieren. Auf diese Weise wies Zitz den Frauen eine politische Verantwortung zu und schaffte damit eine Basis für das Bewusstsein von Rolle und Bedeutung der Frauen in der Öffentlichkeit, sodass sich eine Mehrzahl der Frauen geradezu aufgefordert fühlte, ihre Pflicht nach außen zu erfüllen.

Zitz legte dabei unermüdlich dar, wie wichtig das Gemeinschaftsgefühl und der Zusammenhalt sei:

„Wir wollen nur einen schönen schwesterlichen Bund der Menschenliebe, der Einigkeit begründen. O, laßt uns einig sein, denn nur die Einigkeit macht stark, das einzelne Reis vermag die Hand eines jährigen Kindes zu knicken, aber ein Reisigbündel bricht selbst der stärkste Mann nicht entzwei.“[Anm. 34]

Hier wies Zitz auf die Dringlichkeit und Bedeutung eines gemeinschaftlichen Wirkens. In diesem Sinne betonte sie, dass die „Humania“ Frauen aller Stände und Konfessionen offenstand: „wir kennen keinen Standes-[,] kein[en] Glaubensunterschied, wir kennen nur die Liebe zum Vaterland.“[Anm. 35] Deshalb seien die sorgfältig ausgearbeiteten „Regeln des Vereins“, auf die im nächsten Kapitel eingegangen wird, so angelegt, „daß sich alle Stände, daß sich Arme und Reiche daran betheiligen [sic!] können.“[Anm. 36] Sowohl durch die Vereinssatzung als auch mit ihrer Argumentationslinie definierte Zitz die „Humania“ als ein Verein mit einem rein wohltätigen Charakter und Zweck. Doch von einem „schwesterliche[n] Bund der Menschenliebe“[Anm. 37] konnte gewiss nicht die Rede sein, als Zitz zum Schluss vorschlug, auch zur „Anschaffung von Waffen beizutragen“[Anm. 38]. Sie forderte die Anwesenden auf, „alle Schmucksachen, die sich in Geld verwandeln lassen“, zu verkaufen, um „für den Betrag Waffenstücke anzukaufen, und auf diese den Namen der Geberin graviren [sic!] zu lassen.“[Anm. 39] Dabei verwies Zitz u.a. auf die hohe symbolische Bedeutung:

„Eine solche Waffe wird für den Streiter, der sie empfängt, zur Ehrenwaffe werden, zu einer heiligen Oriflamme [= Kriegsfahne der franz. Könige], denn wer würde der Feige sein, der eine ihm von Frauenhand zum Schutze des Vaterlands übergebene Waffe, anders als mit seinem Leben fahren ließe!“[Anm. 40]

Zitz selbst ging als Beispiel voran und spendete den wenigen Schmuck, den sie besaß, mit Ausnahme ihres Traurings und einer Brosche mit dem Portrait ihrer verstorbenen Schwester.[Anm. 41] Damit hoffte sie, dass ihr Beispiel „in ganz Deutschland Nachahmung“[Anm. 42] finden würde.

Die bisherigen Ausführungen machen deutlich, dass die Reichsverfassungskampagne bei Kathinka Zitz zu einem stärker werdenden Bewusstsein für ihre Möglichkeiten der Einflussnahme auf die revolutionäre Bewegung führte. Sie suchte nach neuen Handlungsspielräumen, um die demokratische Bewegung mitzutragen. Vor diesem Hintergrund übertrug sie die Wohltätigkeit auf das öffentliche Feld der politischen Auseinandersetzung. Die Vereinstätigkeit war vorerst als Möglichkeit gedacht, die Handlungsspielräume für sich selbst und für andere Frauen auszudehnen. In diesem Zusammenhang versuchte Zitz in ihren Reden andere Frauen zu überreden, sich wie sie an der Revolution zu beteiligen. Des Weiteren gab sie ihnen durch die Vereinsgründung die Möglichkeit, sich zu organisieren und in den politischen Handlungsraum einzubringen. Alles in allem war Zitz eine Repräsentantin beispielgebender weiblicher Partizipation an politischem Geschehen. Die Handlungsspielräume, derer sich Zitz bediente, waren – wie im Folgenden noch erläutert wird – vielfältig.

Nachweise

Autorin: Derya Özdemir

Erstellt am: 05.03.2021

Anmerkungen:

  1. Mecocci, Erinnerungen, S. 102. Zurück
  2. Ebd. Zurück
  3. Ebd. Zurück
  4. Zu den im Juni bzw. November 1848 gegründeten Mannheimer Frauenvereinen „Germania" und „Concordia“ siehe: Komoß, Vormärz, S. 188–201. Zurück
  5. StA Mainz, NL Kathinka Zitz, Mappe 5 „Verein ´Humania´“, Therese Canton an Kathinka Zitz, Mannheim, 1. Mai 1849; StA Mainz, NL Kathinka Zitz, Mappe 5 „Verein ´Humania´“, Kath[arina] Betz an Kathinka Zitz, Mannheim, 2. Mai 1849. Beide Briefe sind vollständig abgedruckt in: Hummel-Haasis, Schwestern, Dok. 247 und 248, S. 302–304. Zurück
  6. Kath[arina] Betz an Kathinka Zitz, Mannheim, 2. Mai 1849. Zurück
  7. Ebd. Zurück
  8. Kath[arina] Betz an Kathinka Zitz, Mannheim, 2. Mai 1849. Zurück
  9. Ebd. Zurück
  10. Ebd. Zurück
  11. Therese Canton an Kathinka Zitz, Mannheim, 1. Mai 1849. Zurück
  12. Zucker, Female Civic Activism, S. 124. Zurück
  13. An die Frauen und Jungfrauen von Mainz; StA Mainz, NL Kathinka Zitz, Mappe 5 „Verein ´Humania´“, Zeitungsausschnitt „Aufforderung“, ohne Datum und Herkunftsangabe (zitiert wird künftig mit dem Kurztitel „Aufforderung“). Zurück
  14. An die Frauen und Jungfrauen von Mainz. Zurück
  15. Ebd.  Zurück
  16. Ebd. Zurück
  17. Aufforderung. Zurück
  18. An die Frauen und Jungfrauen von Mainz. Zurück
  19. Ebd. Zurück
  20. An die Frauen und Jungfrauen von Mainz. Zurück
  21. Ebd. Zurück
  22. Ebd. Zurück
  23. Ebd. Zurück
  24. Der Demokrat, Nr. 34, 17. Mai 1849, Artikel „Der Frauen- und Jungfrauen-Verein ´Humania´ in Mainz“, S. 153–155 [Rede von Kathinka Zitz anlässlich der Gründung des „Humania“-Vereins]. Der Zeitungsartikel ist vollständig abgedruckt in: Ariadne. Almanach des Archivs der deutschen Frauenbewegung 33 (1998), S. 14f. sowie teilweise abgedruckt in: Hummel-Haasis (Hg.), Schwestern, Dok. 226, S. 264f. Zurück
  25. Der Demokrat, Nr. 34, 17. Mai 1849, S. 155. Zurück
  26. Ebd., S. 153; Mecocci, Erinnerungen, S. 103; Mecocci, Frauenschicksal, S. 101.  Zurück
  27. Der Demokrat, Nr. 34, 17. Mai 1849, S. 153. Zurück
  28. Joachim Schäfer, Art. „Johanna von Orléans“. In: Ökumenisches Heiligenlexikon. URL: https://www.heiligenlexikon.de/BiographienJ/Johanna_von_Orleans_Jeanne_d_Arc.htm (Aufruf am 27.11.2020). Zurück
  29. Der Demokrat, Nr. 34, 17. Mai 1849, S. 153f.; Mecocci, Erinnerungen, S. 103; Scheidgen, Katholizismus, S. 378; Zucker, Female Civic Activism, S. 127f.  Zurück
  30. Der Demokrat, Nr. 34, 17. Mai 1849, S. 154. Zurück
  31. Ebd.; Freund, Schriftstellerinnen, S. 307. Zurück
  32. Der Demokrat, Nr. 34, 17. Mai 1849, S. 154. Zurück
  33. Ebd. Zurück
  34. Ebd. Zurück
  35. Ebd. Zurück
  36. Ebd. Zurück
  37. Der Demokrat, Nr. 34, 17. Mai 1849, S. 154. Zurück
  38. Ebd. Zurück
  39. Ebd. Zurück
  40. Ebd. Zurück
  41. Ebd.; Mecocci, Frauenschicksal, S. 102. Zurück
  42. Der Demokrat, Nr. 34, 17. Mai 1849, S. 155. Zurück