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„Closter S. Disibodi Berg“

Eine Abbildung der intakten Disibodenberger Abteikirche entdeckt

von Jörg Julius Reisek, in: Bad Kreuznacher Heimatblätter. Beilage zum Öffentlichen Anzeiger Bad Kreuznach Nr.9/2008. Es handelt es sich um eine überarbeitete und erweiterte Fassung des Artikels.

Die illustrierten Städtebücher aus der Werkstatt von Matthaeus Merian d. Ä. (1593-1650) erfreuen sich seit Jahrhunderten großer Beliebtheit. 1645 erschien erstmals die „Topographia Palatinatus Rheni et Vicinarum Regionum“ in einem noch bescheidenen Umfang. Der „Beschluß“ der 1. Auflage enthält Bilder und Nachrichten von „Stätt vnd Stättlein“ über die man „bishero wenig hat erfahren...können“. An dieser Stelle wurde ein Faltblatt mit den Ansichten von Sobernheim und Kloster Sponheim eingebunden (Plattengröße 210 x 295 mm).

Auf der von der Nußbaumer Höhe her portraitierten Stadt Sobernheim ist im rechten Hintergrund ein Gebäude zu sehen, das bisher als Phantasieabbildung der Burg Nohfels galt. Auch Dr. Wolfgang Reiniger, Herausgeber der „Stadt- und Ortsansichten des Kreises Bad Kreuznach“, schloss sich dieser Meinung an. Bei genauerem Studium kommt man aber zu dem Schluss, dass es sich hierbei um die Westansicht der noch intakten Disibodenberger Abteikirche handeln muss.

Das ehemals domgroße Bauwerk scheint an falscher Stelle wiedergegeben. Da der Bearbeiter der Zeichenvorlage sicherlich nicht mit den topographischen Gegebenheiten vertraut war, wurde die Abteikirche anhand einer separat entstandenen Abbildung am rechten freien Bildrand eingefügt.

Diese Praktik der Bildbearbeitung kann auf vielen Stichen der Merianwerkstatt nachgewiesen werden, so etwa auch bei der Meisenheimer Ortsansicht. Aus Detailzeichnungen entstand eine Inszenierung des Ortsbildes. Auf der sog. „friedlichen“ Westansicht von Kreuznach wurden die Gebäude des ehemaligen Klosters St. Peter näher an die Altstadt gerückt, um überhaupt abgebildet werden zu können. (s. Anmerkungen)

In den letzten Jahrzehnten wurden zahlreiche Zeichnungen entdeckt, die als Vorlagen für pfälzische Städteansichten dienten. Damit hatte man nun eine Möglichkeit, die Detailgenauigkeit und die Komposition einzelner Stiche, wie die von Kaiserslautern und Neustadt an der Weinstrasse zu überprüfen. Hierbei ist anzumerken, dass die Vorlagen vorwiegend aus der Zeit vor dem Dreissigjährigen Kriege stammten. Die Nachstiche aus Druckwerken, wie „Civitates orbis terrarum“ von Braun/Hogenberg schließe ich hier aus. Merian wies wiederholt darauf hin, dass es ihm unter dem Eindruck der Kriegsgreuel darum gegangen sei, den baulichen Zustand der Städte vor den Zerstörungen zu dokumentieren.

Auf der jetzt identifizierten Abbildung der Abteikirche dominieren das Querhaus und der achteckige, behelmte Turm. Auf der linken, der nördlichen Seite des Querhauses ist ein Dachreiter aufgesetzt. Vom dreischiffigen Langhaus ist nur der obere Teil des Mittelschiffes erkennbar. Die niedrigeren bzw. etwa halb so hohen Seitenschiffe sind, wie die Klosteranlage selbst, durch Baumbewuchs verdeckt.

Der Blickpunkt des Zeichners befand sich entfernt im Nahetal. Vielleicht war er auf dem Wege von oder nach Odernheim. Er portraitierte den sichtbaren Teil der Gebäude, ohne das Berggelände selbst betreten zu haben. Die Darstellung erlaubt uns nun Rückschlüsse auf die Ausmaße von Quer- und Hauptschiff, sowie des Vierungsturmes. Die Form der Turmbedeckung scheint zeitgenössisch zu sein.

Wir haben nunmehr ein Zeugnis der Disibodenberger Baugeschichte aus der Zeit vor den Zerstörungen zur Hand. Bis jetzt musste man sich mit einer Abbildung aus der Abhandlung von Georg Christian Ioannis von 1725 begnügen, die „Rudera coenobii Disibodenbergensis“ zeigt.


In der Erstausgabe der Pfalztopographie wird das Kloster Disibodenberg nur kurz in der Beschreibung von „Creutzenach“ erwähnt: „So ist in dem Ampt Creutzenach auch das vornehme alte Closter S. Disibodi Berg / so von dem H. Disibodo, einem Irländer / so dieses Closter / nicht weit vom Closter Sponheim / erbawt / den Nahmen hat: so nachmals / als es zerfallen / auf einen anderen Orth / vnnd auff einen Berg / versetzt / allda S. Disibods Beiner auch in eine newe Lad gethan worden seyn“.

Mehr Informationen liefert eine erhalten gebliebene Handschrift des Mainzer Archivars und Domvikars Georg Hellwich (1588-1632). Am 24. Oktober 1615 besuchte er den Disibodenberg, um Grabinschriften für die Erstellung von Ahnenproben zu dokumentieren.

Als Augenzeuge schreibt er über das Erscheinungsbild: „Der Turm dieser Kirche ist nach Form des Hochchores der Mainzer Domkirche erbaut, aber viel mehr stumpfer und nicht so hoch, aber dennoch achteckig wie jener“ [orig. lat.]. Seine Aufzeichnungen waren bei der archäologischen Auswertung der Ausgrabungen von 1985 eine wertvolle Hilfe. Damals wurden zahlreiche Grabplatten und Steinfragmente gefunden, die er dokumentiert hatte. (An dieser Stelle einen herzlichen Dank an Dr. Eberhard J. Nikitsch für die wertvollen Hinweise und die Übersetzung des Hellwich-Zitats aus dem Lateinischen.)

Da die komplexe Baugeschichte des Klosters nicht Gegenstand dieser Arbeit ist, verweise ich auf die unten angeführte Literatur und die ins Internet gestellten Abbildungen des Klostermodells im „Historischen Museum am Strom“ in Bingen.

Anbei noch einige Bemerkungen über das Blatt „Sobernheim / Sponheim Closter“ . Bildaufbau und Format der Ansichten gleichen Gemälden einer Folge kurpfälzischer Stadtansichten, die spätestens 1609 für kurfürstliche Repräsentationszwecke fertiggestellt waren. Sie werden mit Künstlern der Mirouschule in Verbindung gebracht. Einige der Veduten, wie Sobernheim, Burg Böckelheim, Burg Naumburg und Kloster Pfaffen-Schwabenheim sind im Historischen Museum der Pfalz in Speyer ausgestellt.

Matthaeus Merian zeichnete die Gemälde im Heidelberger Schloss ab. Nicht alle dieser Zeichnungen wurden später in Kupfer ausgeführt. Die Stiche von Burg Böckelheim und Otterberg gleichen den gemalten Vorlagen. Das Gemälde von Sobernheim zeigt den Ort aus einer anderen Blickrichtung (Dombergblick). Für den Kupferstich wurden andere Vorlagen benutzt und für eine bessere Bildwirkung bearbeitet.

Die Ansicht des Sponheimer Klosters geht auch auf eines der oben besprochenen Gemälde zurück. Es ist heute verschollen. [Anfang der 1990er Jahre lagen dem Verfasser historische Photographien aus privater Hand vor. Sie zeigten die Gemäldeansichten des Klosters Sponheim ( = Merianausführung) und Kloster St. Katharinen (von Merian nicht ausgeführt).]

Der Stich dokumentiert einen Bauzustand vor dem 1614-1626 erfolgten Anbau eines Sakristeigebäudes an der Nordfront. Der Turm wurde 1707 durch einen Brand stark beschädigt und später verkürzt mit Welscher Haube erneuert. Hinter dem Dorf Sponheim zeigt sich die Burg Sponheim in einem ruinösen Zustand. Die Vorbauten existieren nicht mehr, nur noch der Bergfried und schildmauerartige Mauerteile sind erhalten. Die Burg scheint verlassen und dem Verfall preisgegeben.

Anmerkungen über Kreuznacher Stadtansichten des frühen 17. Jahrhunderts

Bei Recherchen über die Kreuznacher Ansichten in Merians Pfalztopographie konnte ich folgendes beobachten:

In den mir bekannten Exemplaren der Erstausgabe fand ich die „friedliche“ West-Ansicht der Stadt nicht vor. Dafür war das Blatt „Wahre Bildtnuß der Statt Creützenach wie dieselbe von J: M: Zu Schweden eingenohmen worden. 1631“ darin eingebunden (z. B. HWZB: Nachdruck/Omnitypie – Stuttgard o. J., 67 Textseiten; Pfalzbibliothek Kaiserslautern: Originalausgabe, 67/17 Textseiten). Die Vorlage dieser Nordost-Ansicht entstammt einem Gemälde aus einer Serie von fast 50 kurpfälzischen Städteansichten, die spätestens 1609 fertiggestellt waren. Diese zeichnete Matthaeus Merian d. Ä. an ihrem Präsentationort, dem Heidelberger Schloss, ab. Dieser Blick vom Martinsberg wurde erstmals kleinformatig in Daniel Meißners „Schatzkästlein“ veröffentlicht. Der Stecher war Sebastian Furck nach einer Zeichnung von M. Merian d. Ä. Später erschien das Belagerungsszenario von 1631 in verschiedenen Auflagen des „Theatrum Europaeum“ und in der erstmals 1645 erschienenen Pfalztopographie.

Die Westansicht fand ich erst in späteren Ausgaben mit mindestens 106 Textseiten und der angebundenen Lothringer Zugabe. Die Identifizierung der einzelnen Auflagen ist schwierig, da das Titelblatt mit dem gestochenen Druckjahr von 1645 immer wieder eingebunden wurde. Anhand des Umfanges und der Bildbeigaben, sowie einiger Jahresangaben in den historischen Beschreibungen, können die frühen Auflagen näher bestimmt werden. Falls die obige Beobachtung zutreffen sollte, müsste die von N.[icolas] Cochin gestochene Ansicht (nach Reiniger 1644 - 1646 entstanden/veröffentlicht) die sowohl vollständige als auch ursprüngliche sein. Sie wurde in der Merianwerkstatt „abgekupfert“ und formatbedingt bearbeitet: Die Bildränder fielen weg und das Kloster St. Peter fand näher an die Stadt gerückt einen neuen Platz. Ebenso benutzte Beaulieu Vorlagen der Merianwerkstatt für seine Arbeiten.

Folgender geschichtlicher Hintergrund ist hierbei zu beachten: Im Rahmen der Kampfhandlungen des Jahres 1644 eroberten im Dezember französische Truppen die Stadt. Unter ihnen befand sich auch Beaulieu, der verwundet einen weiteren eingenommenen Ort für sein Vedutenwerk dokumentieren musste. Seine Westansicht zeigt aber keinen Winter und keine Spuren von Zerstörungen, wie die schweren Schäden durch die schwedische Minensprengung von 1631. Das Stadtbild ist hier intakt und „friedlich“. Dies lässt nur den Schluss zu, dass Beaulieu eine ältere Vorlage benutzte. Es könnte sich hierbei um ein Gemälde handeln, das in alten städtischen Verzeichnissen als altes „Conterfey“ der Stadt bezeichnet wurde. Es hing im Alten Rathaus am Eiermarkt und entstammte wohl den Zeiten vor 1620.

Wie auch immer, die Kreuznacher Ansichten gehören zu den qualitätsvollen Beispielen der Vedutenkunst des 17. Jahrhunderts.

Nachweise

Verfasser: Jörg Julius Reisek

Redaktionelle Bearbeitung: Dominik Kasper

Literatur:

  • Catalog zu den Ausstellungen Mattheus Merian des Älteren im Museum für Kunsthandwerk Frankfurt am Main und im Kunstmuseum Basel 1993. Frankfurt/M. 1993.
  • Gräff, Walter: Kurpfälzische Städtebilder im historischen Museum der Pfalz. 1922. (in: Pfälzisches Museum, Jg. 1922)
  • Hauptlorenz, Eduard: Die Budapester Handzeichnungen zu Matthäus Merians Kupferstich von Kaiserslautern. (in: Pfälzer Heimat, 2002. S. 85-90)
  • Hellwich, Georg: Syntagma monumentorum et epitaphiorum, tum veterum tum recensium selectiorum, quae tum in diocesi Moguntina (...) erecta conspicuntur (...) Incaeptum anno aerae christianae M.DC.XI. (Handschrift um 1615). Bibliothek des Priesterseminars Mainz, Hs. 225, S. 441
  • Jürgensmeier, Friedhelm: Die Männer- und Frauenklöster der Benediktiner in Rheinland-Pfalz und Saarland. München 1999. (Germania Benedictina, 9)
  • Kotzur, Hans-Jürgen [Hrsg.]: Hildegard von Bingen (1098-1179). Mainz 1998.
  • Mergenthaler, Gabriele: Die mittelalterliche Baugeschichte des Benediktiner- und Zisterzienserklosters Disibodenberg. Zwischen Tradition und Reform. Bad Kreuznach 2003. (Heimatkundliche Schriftenreihe des Landkreises Bad Kreuznach, 32)
  • Müller, Karl Rudolf: Ortszuweisung für zwei Handzeichnungen von Matthäus Merian d. Ä. 1986. (in: Mitteilungen des Historischen Vereins der Pfalz, 84)
  • Müller, Karl Rudolf: Eine Vorstudie zu Merians Kupferstich von Neustadt und eine neuentdeckte Skizze der Wachtenburg bei Wachenheim um 1619. (in: Pfälzer Heimat, 1981. S. 145-157)
  • Nikitsch, Eberhard J.: Kloster Disibodenberg. Religiosität, Kunst und Kultur im mittleren Naheland. Regensburg 1998. (Große Kunstführer, 202)
  • Reiniger, Wolfgang: Beaulieu – Die Kupferstiche zu den Feldzügen Ludwig XIV., insbesondere zu denen in Deutschland. Katalog. Bad Kreuznach: Selbstverlag, 2000.
  • Reiniger, Wolfgang: Stadt- und Ortsansichten des Kreises Bad Kreuznach 1523-1899. Katalog der Holzschnitte, Kupfer-, Stahl- und Holzstiche sowie Steinzeichnungen. Bad Kreuznach: Selbstverlag 1990.
  • Reisek, Jörg Julius: „Closter S. Disibodi Berg“: Erste Abbildung der intakten Disibodenberger Abteikirche entdeckt. (in: Bad Kreuznacher Heimatblätter. Beilage zum Öffentlichen Anzeiger Bad Kreuznach, 2008.9) Bei der jetzigen Veröffentlichung handelt es sich um eine überarbeitete und erweiterte Fassung des Artikels.
  • Stanzl, Günther: Die Klosterruine Disibodenberg. Neue baugeschichtliche und archäologische Untersuchungen. Worms 1992. (Forschungsberichte zur Denkmalpflege, 2)
  • Winterfeld, Dethard von: Kirchen am Lebensweg der Hildegard von Bingen. (in: Hildegard von Bingen in ihrem historischen Umfeld. Hrsg. Von Alfred Haverkamp. Mainz 2000. S. 129-159)
  • Wüthrich, Lucas Heinrich: Matthaeus Merian d. Ä. Eine Biographie. Hamburg 2007.

Diese und weitere Literatur ist in der Heimatwissenschaftlichen Zentralbibliothek vorhanden und kann zu den Öffnungszeiten eingesehen und ausgeliehen werden.

Erstellt: 11.02.2010