Bad Sobernheim im Naheland

Die Disibodenberger Kapelle

0.1.1. Das Disibodenberger Hofgut in Sobernheim

Abb. 01: Lageplan des Disibodenberger Hofes im Spätmittelalter [Bild: G. Kneib]

Die Disibodenberger Kapelle stand im Sobernheimer Gutshof des Klosters Disibodenberg. Der Hof gehörte zur Erstausstattung der Gründung des Augustiner Chorherrenstiftes durch den Mainzer Erzbischof Willigis (975-1011). Er war von Anfang an der mit Abstand größte Hof in Sobernheim.

Auch für die Ordensgemeinschaft blieb er einer der bedeutendsten Wirtschaftshöfe durch die gesamte wechselvolle Geschichte:

- ca. 100 bis 1108: Kanonikerstift

- 1108 bis 1259: Benediktinerabtei

- 1259 bis 1559: Zisterzienserabtei

Der Hof mit den zugehörigen Ökonomiegebäuden entstand östlich des Kirchenbezirkes direkt an der Stadtmauer und in unmittelbarer Nachbarschaft zum Niedertor.

Vor der heute noch stehenden Marienkapelle gab es wahrscheinlich einen Vorgängerbau, da laut einer inzwischen verschollenen Urkunde im Jahre 1387 die Sobernheimer Schöffen dem Abt des Klosters Disibodenberg auf dem Vorplatz ihrer Kapelle die Rechte des Klosters in Sobernheim bestätigt haben. [Anm. 1]

0.2.2. Bau der Disibodenberger Kapelle

Abb. 02: Erhaltener Teil der Grabplatte von Katharina von Homburg[Bild: Eberhard J. Nikitsch]

Das erhaltene Kapellengebäude im Disibodenberger Klosterhof geht auf eine Stiftung der Katharina von Homburg, einer kinderlosen Witwe des vermögenden Amtmanns Antilmann von Graseweg, zurück. In ihrem Testament vererbte sie den Mönchen des Kloster Disibodenberg einen ihrer Höfe in Eckelsheim mit der Verpflichtung, die dort erwirtschafteten Einkünfte zur Errichtung einer Kapelle im Sobernheimer Klosterhof zu verwenden.

Die Kapelle war auch für die Zisterziensermönche von Bedeutung, da sie in Sobernheim den (neben dem in Bad Kreuznach) bedeutendsten Wirtschaftshof besaßen und hier zusätzlich für die Seelsorge zuständig waren. Das bedingte, dass in Sobernheim immer Ordensleute präsent sein mussten. [Anm. 2]

Abb. 03: Bauphasen der Disibodenbeger Kapelle[Bild: G. Kneib nach Hedtke, S. 54 u. Feldhaus, S. 112]

In der ersten Bauphase (1390-1410) wurden nach einem einheitlichen Plan alle Kapellenmauern (einschließlich der Sakristei) mit den Strebepfeilern bis zur Traufe des heutigen Langhauses errichtet. Dies beweisen das umlaufende Sockelgesims und das Kaffgesims   Kaffgesims auch Kappgesims, Ein Kaffgesims verläuft unter gotischen Fenstern, besitzt eine vorkragende abgeschrägte Deckenplatte und eine profilierte Unterseite. in ca. 2 m Höhe. Ausgenommen war nur ein Teil der Südwand des Langhauses, welcher an den Fensterbänken endete, um den Transport der Baumaterialien in das Kapelleninnere zu erleichtern.

Ohne Bauunterbrechung folgte um 1410 eine Planänderung. In den folgenden zwei Jahrzehnten beschränkte man sich auf den Weiterbau von Chor und Sakristei, deren Wände bis auf die heutige Höhe hochgemauert wurden, und bekrönte beide mit einem Rippengewölbe. Darüber errichtete man ein vorläufiges Dach mit einer einfachen Dachkonstruktion.

Da man damals noch beabsichtigte, das Langhaus später auf die Höhe des Chores anzuheben, sicherte man aus statischen Gründen die nach Westen endenden Chorwände mit provisorischen Strebepfeilern ohne Wasserschläge und Kaffgesimse. Diese sollten bei der vorgesehenen Erhöhung des Langhauses wieder beseitigt werden. In die noch offene Westseite baute man den Triumphbogen ein und verschloss den Bogen mit einem Holzverschlag. Die darüber liegende Wand war nun Außenwand, mit einem provisorischen Putz auf der Außenseite, während die Innenseite einen qualitätsvollen Verputz erhielt. Damit war der Chorraum mit einem Eingang auf der Nordseite für eine Nutzung als Kapelle fertiggestellt, während das Langhaus als unvollendete Baustelle auf seinen Weiterbau wartete.

Die Bauunterbrechung währte 20 Jahre. Aber auch der folgende Weiterbau (1450-1455) beschränkte sich auf den Chor. Auf diesem wurde der vorläufige Dachstuhl wieder beseitigt und durch den heutigen ersetzt. Es handelt sich um eine anspruchsvolle Konstruktion mit einem Hängewerk als Unterbau und Stabilisator für einen Dachreiter, wie sie nur noch selten aus dieser Zeit erhalten ist.


Abb. 04: Dachstuhl über dem Chor mit Hängewerk für einen Dachreiter [Bild: Britta Hedtke]
Abb. 05: Liegender Dachstuhl über dem Langhaus[Bild: Britta Hedtke]

Nach weiteren drei Jahrzehnten folgte nun endlich auch der Ausbau des Langhauses (1485-1495) in seine heutige Gestalt. Die Teile der Südwand, welche nur bis zu den Fensterbänken reichten, wurden bis zur Dachhöhe ergänzt (allerdings in einer geringeren Mauerstärke).

Trotz vorhandener Strebebögen beschränkte man sich auf eine geringere Dachhöhe, als sie ursprünglich geplant war, und verzichtete auf ein steinernes Gewölbe. Der stattdessen aus Eichenholz gezimmerter Dachstuhl zählt aufgrund seiner besonderen handwerklichen Qualität zu den bedeutendsten erhaltenen Erzeugnissen der Zimmermannskunst aus dieser Zeit. [Anm. 3]

0.3.3. Die Kapelle bis zur Säkularisierung des Klosters Disibodenberg

Nach der Fertigstellung des Kapellengebäudes stand das Gotteshaus nur ein halbes Jahrhundert den Disibodenberger Mönchen zur Verfügung.

Eine besondere Rolle spielten Hof und Kapelle, als sich während der Amtszeit von Abt Adam (1509-1528) der Konvent spaltete. Prior Johann von Kirn behauptete mit einem Teil der Mönche die Stellung im Klostergelände des Zweibrücker Schutzvogtes. Abt Adam dagegen zog sich mit seinen Anhängern auf den im kurpfälzischen Gebiet gelegenen Klosterhof in Sobernheim zurück. Dieser bot sich als idealer Rückzugsstandort an, da er nicht weit vom Disibodenberg entfernt lag und mit der Marienkapelle die beste Infrastruktur für ein geregeltes Ordensleben bot.

Mit der Aufhebung des Kloster Disibodenberg im Jahre 1559 durch Herzog Wolfgang von Pfalz-Zweibrücken endete auch die Funktion der Kapelle als Gotteshaus der Mönche. [Anm. 4]

0.4.4. Das Kapellengebäude als Lagerraum

Abb. 06: Querschnitt mit Einbau des Gewölbekellers [Bild: G. Kneib]

Nach der Profanisierung des Klosters Disibodenberg wurde die im Hofareal gelegene Marienkapelle säkularisiert und für die Lagerung der aus Naturalien bestehenden Einkünfte verwandt. Auch das Almosenkorn, welches nach damaligem Brauch im Anschluss an die Sonntagsgottesdienste an Bedürftige verteilte, wurde seit 1599 in der Kapelle gelagert.

Zur Vergrößerung der Lagerkapazität schuf man durch die Vertiefung des Fußbodens um ca. 1,5 m einen Kellerraum, dessen Deckengewölbe weit in Chor und Langhaus hineinragte. Der so entstandene Keller sowie der darüberliegende Speicher mussten auf der Westseite neu zugänglich gemacht werden. Seitdem verdeckt der damals gebrochene Kellereingang den größten Teil des ehemaligen Hauptportals. Der Speicherraum über dem Keller lag so hoch, dass zu seinem Eingang eine Außentreppe notwendig wurde.

Die Lagerfläche wurde spätestens im 17. Jahrhundert noch einmal durch den Einbau einer hölzernen Zwischendecke wesentlich erweitert.

Abb. 07: Das Kapellengebäude im 20. Jahrhundert [Bild: Kreisbildstelle Bad Kreuznach]
Abb. 08: Das Kapellengebäude als Brauerei-Gaststätte [Bild: G. Kneib]

Nach der Einverleibung des linksrheinischen Gebietes in die Französische Republik wechselte die Kapelle 1803 im Zuge der Nationalgüterversteigerung ihren Besitzer. Der ehemalige Sakralbau gelangte später in den Besitz der Kaufleute Cesar und Morian, welche die Lagerkapazität durch den Einbau von weiteren Zwischendecken wesentlich erweiterten, um Platz für die Lagerung von Tabak bzw. von Produkten einer Gerberei zu schaffen.

 An der Bausubstanz selbst nahmen sie keine Erhaltungsmaßnahmen vor, sodass das Gebäude zunehmend baufälliger wurde.

Im Jahre 1899 erwarb der Fabrikbesitzer Theodor Melsbach das Bauwerk und renovierte es. 1937 sanierte man das Dach nach denkmalpflegerischen Gesichtspunkten.

1960 und 1985 folgten Restaurierung und Konservierung des Tympanons über dem ehemaligen Hauptportal. Nach dem Verkauf der Melsbachschen Kartonagefabrik im Jahre 2009 wurde die Kapelle aufwendig restauriert und in eine Brauerei-Gaststätte umgebaut. [Anm. 5]


0.5.5. Bauskulptur und Bauornamentik

0.5.1.Das ursprüngliche Westportal

Abb. 09: Bogenfeld über dem Westportal [Bild: Paul Bregenzer]

Das Westportal ist von einem geschweiften Spitzbogen eingerahmt. Im Bogenfeld ist die Kreuzigung Jesu figürlich dargestellt. Das Lamm zu Füßen des Kreuzesstammes verweist auf das biblische Lamm Gottes (Joh 1,29), und Sonne und Mond über dem Kreuzesbalken unterstreichen die allumfassende Bedeutung der dargestellten Szene. Wie üblich stehen Maria und Johannes auf beiden Seiten. Sie werden von je einem mit Weihrauchfässern schwingenden Engel eingerahmt.

Die Konsol-Figur am rechten Portalgewände stellt eine männliche Gestalt im Gewand der Mode des 14./15. Jahrhunderts mit verschränkten Beinen dar. Möglicherweise hat sich hier der Baumeister oder Steinmetz verewigt. Ebenso bemerkenswert ist die unweit davon befindliche Laubwerkkonsole mit einem Frauenkopf. [Anm. 6].

Abb. 11: Laubwerkkonsole [Bild: Britta Hedtke]
Abb. 10: Konsolfigur am Westportal [Bild: Irma Fechter]

0.5.2.Der Priestersitz

Beim Aushub der Verfüllung über dem nachträglich eingebauten Kellergewölbe wurde in der südlichen Chorwand ein Priestersitz freigelegt. Dieser ist oben von zwei Rundbögen begrenzt. Die Hängekonsole zwischen ihnen endet unten mit einer Rosette. Den Zwickel der aneinanderstoßenden Rundbögen füllt das Relief eines Christuskopfes aus. [Anm. 7].

Die Konsol-Figur am rechten Portalgewände stellt eine männliche Gestalt im Gewand der Mode des 14./15. Jahrhunderts mit verschränkten Beinen dar. Möglicherweise hat sich hier der Baumeister oder Steinmetz verewigt. Ebenso bemerkenswert ist die unweit davon befindliche Laubwerkkonsole mit einem Frauenkopf. [Anm. 7]

Abb. 11 a: Priestersitz an der südlichen Chorwand[Bild: Britta Hedtke]
Abb. 12 b: Rosette an der Unterseite der Hängekonsole über dem Priestersitz [Bild: Britta Hedtke]

0.5.3.Weitere Bauskulpturen

-  Fenstermaßwerk

Die Fenstermaßwerke der Chorfenster sind meist aus Fischblasen gebildet.

-  Gewölbekonsolen

Die profilierten Gewölbekonsolen im Chor und in der Sakristei sind mehrfach abgestuft.

Beim Aushub der Verfüllung über dem eingebauten Kellergewölbe wurde freigelegt:

-  eine Weinrankennische an der Nordwand des Langhauses.

-  der Oberteil einer Priscina (Wasserbecken mit Ausguss), die oben von einem Kielbogen mit Kreuzblume und einem Blendmaßwerk bekrönt und unten mit einem Männerkopf mit Eselsohren verziert ist. (In der Sakristei befindet sich eine weitere Priscina.) [Anm. 8]

Abb. 13: Weinranken-Nische in der nördlichen Langhauswand [Bild: Britta Hedtke]
Abb. 14: Priscina im Chor [Bild: Britta Hedtke]

0.5.4.Die Schlusssteine

Die Gewölbe im Chor und in der Sakristei enden in Schlusssteinen, von den die beiden im Chor mit einem Wappenschild verziert wurden. Während das östliche Schild leer blieb, wurde das westliche mit dem Wappen der Familie Graseweg verziert.

Verwunderlich ist, dass hier nicht das Wappen der verwitweten Kapellenstifterin gewählt wurde, sondern das ihres Ehemanns. Möglicherweise hat jenes Mitglied der Familie Cratz von Scharfenstein, welches in die Familie von Graseweg einheiratete und in Sobernheim ansässig wurde, das ehelose Paar beerbte. Diese käme dann als treibende Kraft für die Weiterführung und Fertigstellung des Kapellengebäudes infrage. Die von Scharfenstein führten das gleiche Wappen wie die von Graseweg, allerdings ohne den Stern auf dem Querbalken. [Anm. 9]

Abb. 15 a: Schlusssteine im Chor und in der Sakristei [Bild: Paul Bregenzer]
Abb. 15 b: Schlusssteine im Chor und in der Sakristei [Bild: Paul Bregenzer]
Abb. 15 c: Schlusssteine im Chor und in der Sakristei [Bild: Paul Bregenzer]

NACHWEISE

Verfasser: Gottfried Kneib

Redaktionelle Bearbeitung: Marion Nöldeke

Literatur:

Förderverein Disibodenberger Kapelle Bad Sobernheim [Hrsg.]: Geschichte der Disibodenberger Kapelle in Bad Sobernheim, Deiningen 2019. Darin:

  • Feldhaus, Heribert: Die fotogrammetrische Bestandsaufnahme der Stadthofkapelle des Zisterzienserklosters Disibodenberg in Bad Sobernheim, S. 97-114.
  • Hedtke, Britta: Die Stadthofkapelle des Zisterzienserklosters Disibodenberg in Bad Sobernheim – Neue Erkenntnisse zur Baugeschichte, S. 49-95.
  • Kneib: Gottfried: Geschichte des Disibodenberger Hofes, S. 11-34.
  • Kneib, Gottfried: Beiträge zur Geschichte der Marienkapelle, S. 37-47.

Weitere Literatur in der Literaturliste (rechte Spalte).

Erstellt am: 27.05.2022

Anmerkungen:

  1. Kneib 2019a S. 12 ff. Zurück
  2. Kneib 2019b S. 39-42. Zurück
  3. Hedtke 2019 S. 58-78. Zurück
  4. Kneib 2019a S. 26-29. Zurück
  5. Kneib 2019a S. 29-31 u. Kneib 2019b S. 45 f. Zurück
  6. Hedtke 2019 S. 81-87. Zurück
  7. Hedtke 2019 S. 89 f. Zurück
  8. Hedtke 2019 S. 88 u. 90-92. Zurück
  9. Hedtke 2019 S. 67 f. u. 92. Zurück